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Ralph Gleis: „Kultur ist kein Instrument der Politik“

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Ralph Gleis

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Der deutsche Kunsthistoriker, Nachfolger von Sonnenkönig Klaus Albrecht Schröder an der Spitze der Albertina, trägt die österreichische Kunst in den Genen und vertraut dem Konzept „Kunst plus“ mit der Betonung der Geschichten hinter dem Werk.

Dass Klaus Albrecht Schröder, dieser ewig stürmische Jüngling, einmal in den Ruhestand treten könnte, erschien so unglaubwürdig, als würde die Donau nach radikaler Neuregulierung aus Wien abgeleitet. Dann meldete News zuerst, dass der Nachfolger gefunden sei. Der deutsche Kunsthistoriker Ralph Gleis, 2017 bis 2024 Direktor der Alten Nationalgalerie Berlin, erweist sich beim Einstandsinterview als charmantes, geschliffen auf dem Punkt argumentierendes Gegenüber. Dass er Schröders Blockbuster-Konzept sachte infrage stellte, wurde mit Sorge kommentiert: Nimmt der neue Direktor sein Haus aus dem Bewerb der Großen?

Herr Direktor, wir haben schon das Abschiedsinterview Ihres Vorgängers in der Chagall-Ausstellung fotografiert, jetzt auch Ihr Antrittsinterview, und das Haus geht vor Besuchern über. Wenn Sie keine Blockbusterausstellungen mehr wünschen – rechnen Sie da mit weniger Besuchern?

Natürlich nicht. Wir werden weiterhin so erfolgreiche Ausstellungen machen und unser großes Publikum ansprechen. Wir werden uns nur stärker thematisch orientieren.

Aber wenn auf der Fassade nun nicht mehr Chagall steht?

Dann steht dort auch Damien Hirst, Leonardo – Dürer oder die international hochbesprochene Themenausstellung Gothic Modern. Ich glaube an die internationalen Produktionen und angestrebten Kooperationen. Wir sind ja nicht nur unserem touristischen Publikum verpflichtet, die den großen Namen folgen, sondern wir haben hier die Besonderheit, im Gegensatz zu den anderen beiden großen Bundesmuseen, Kunsthistorisches und Belvedere, 40 Prozent österreichisches Publikum zu begrüßen. Die haben vielleicht bereits zehn Ausstellungen zu den großen Namen besucht und wollen jetzt gerne mehr erfahren und eine Geschichte hinter dem Bild erleben. Ich würde vom Konzept „Kunst plus“ sprechen: Wir haben die große Kunst immer im Vordergrund, aber wir erzählen nun auch die Geschichten dahinter. Die Tendenz geht international zu Ausstellungen mit größerer Differenziertheit. Auch wer sich schon mit Leonardo und Dürer beschäftigt hat, bekommt jetzt in unserer Schau einen neuen Erkenntnisgewinn.

Nun steht uns eine Regierung mit einem möglicherweise restriktiven Kunstbegriff bevor. Wie reagieren Sie denn, wenn Ihre Subvention gekürzt werden sollte?

Es gab in der Vergangenheit immer über alle Parteien hinweg die Einschätzung, dass Österreich eine Kulturnation ist und dass die schönen Künste Förderung brauchen. Fakt ist aber auch, dass Kunst im Sinne des demokratischen Austauschs Freiheit und einen Rahmen zum Agieren braucht.

In der Steiermark, wo die FPÖ schon regiert, stand aber im Wahlprogramm des jetzigen Landeshauptmanns, man wolle das Bruseum zusperren, weil es Fäkalkunst beinhalte und eine Zumutung für den Steuerzahler sei.

Kunst und Kultur sind ein großer Faktor für Wirtschaft und Tourismus. Jeder in die Kultur investierte Euro kommt dreifach zurück. Wer an der Kultur kürzt, spart teuer und kurzsichtig. Deshalb ist es wichtig, dass wir die staatliche Unterstützung für den vielfältigen Kulturbetrieb aufrechterhalten. Kultur braucht Förderung, und da Kultur hier auch ein großer Wirtschaftsfaktor ist, denke ich, dass das auch in Zukunft so gesehen werden wird.

Was tun, wenn man auf Ihr Programm Einfluss zu nehmen versucht? Nitsch und Helnwein sind zum Beispiel umstritten und hatten im Haus einen großen Stellenwert.

Und dabei bleibt es auch. Die österreichische Gegenwartskunst wird im Programm weiter eine wichtige Rolle spielen. Wir zeigen heuer Brigitte Kowanz in ihrer ersten posthumen Ausstellung am Haus. Und natürlich haben wir, aus unseren Sammlungen schöpfend, auch zukünftig Werke von Nitsch, Brus und Helnwein im Programm. Ebenso wie Erwin Wurm und Martha Jungwirth, die gerade 85 Jahre alt geworden ist. Sie ist eine der Künstlerinnen, die zu lange vom Markt negiert wurden. Ein Problem, das mich besonders beschäftigt.

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 © Matt Observe/News

Sie sagten, Kunst brauche Freiheit. Die ist aber derzeit nicht nur von rechts, sondern durch die neue Wokeness auch von links bedroht. Sie selbst haben in Berlin eine Gauguin-Ausstellung mit umfänglichen Kommentaren zum Kolonialismus mitthematisiert. War das erforderlich?

Die Ausstellung war ein Plädoyer dafür, diesen Künstler weiterhin auszustellen und sich mit ihm auseinanderzusetzen. Es ging um das Prinzip Kunst plus: die Kunst zu beleuchten, aber auch ihren Entstehungskontext einzubeziehen. Das Wissen auch um unbequeme Wahrheiten entledigt uns ja nicht eines Teils der Kunstgeschichte, für die Gauguins Schaffen bedeutend war. In der Albertina schöpfen wir aus 600 Jahren Kunstgeschichte. Aber die Fragestellungen sind dabei immer aus dem aktuellen Diskurs abgeleitet, bei Leonardo und Dürer genauso wie bei der Fotografieausstellung „True Colors“. Wenn man die Kunst durch die heutige Brille liest, erfahren wir mehr über uns, es ist aber auch immer ein Statement für die Kunstfreiheit.

Würden Sie Otto Mühl ausstellen?

Momentan ist zu ihm keine Ausstellung in Planung. Auch da würde ich aber die Auseinandersetzung mit dem Menschen und den Kontext seiner Arbeit voraussetzen. Das sind Fragen, die uns heute genauso interessieren wie die Kunstfertigkeit oder die schockierende Wahrheit, die uns ein Kunstwerk bringen mag.

Bleiben alle die Stifter und Leihgeber, die bei Ihrem Vorgänger enorme Werte hinterlegt haben?

Die Unterstützer bleiben der Albertina weiterhin gewogen. Dass man trotz der geringen staatlichen Basisabgeltung genug Mittel zusammenbringt, um Ausstellungen auf internationalem Maßstab zu realisieren, die Sammlung zu erweitern und die Gebäude in Schuss zu halten – all das gehört eben zur Managementaufgabe, und es ist eine schöne Herausforderung, hier mit kunstbegeisterten Menschen, die uns unterstützen, so etwas zu schaffen. Das wollen wir fortsetzen. Ich habe mit den wichtigsten Sammlerinnen und Sammlern bereits Gespräche geführt. Sie werden uns alle erhalten bleiben, und wir werden versuchen, als Albertina auch weiterhin dieser Magnet für Privatsammlungen zu sein. Ein jüngstes Beispiel dafür ist die Sammlung Viehof, mit mehr als tausend Werken der Kunst des 20. Jahrhunderts, die absolut komplementär ist zu dem, was wir bereits haben und den Albertina-Bestand hervorragend ergänzen. Da werden wir im Frühjahr in der Albertina Modern in der programmatischen Ausstellung Remix einen Einblick geben. Die Kooperation ist langfristig, wir sind jederzeit berechtigt, aus dieser großen Sammlung zu schöpfen.

Ist die Albertina Modern im Künstlerhaus langfristig gesichert, obwohl der Mäzen Haselsteiner von Benko um viel Geld gebracht wurde?

Das starke Bekenntnis von Hans Peter Haselsteiner zur Kunst ist bestimmt nicht abhängig von seinem unternehmerischen Tagesgeschäft. Die Albertina Modern steht selbstverständlich auch weiterhin auf stabilen Beinen. 

Und das ehemalige Essl-Museum in Klosterneuburg? Ihr Vorgänger war nicht sicher, ob es nicht eine Art Pop-up-Projekt bleibt.

Das bleibt und ist langfristig durch Verträge gesichert. Zunächst war das für uns ein Depot, aber ich war mir mit meinem Vorgänger einig, dass wir dort auch Publikum haben wollen. Ich bin froh, dass wir die niederösterreichische Dependance haben, denn es ist für alle Bundesmuseen wichtig, in die Länder auszustrahlen. Und es ist so nah an Wien, dass man auch hier davon Notiz nimmt und gerne anreist. Die Attraktivität wollen wir noch steigern, indem wir neue Vermittlungskonzepte ausprobieren, familienfreundlicher werden und insgesamt ein neues Kunsterlebnis schaffen. Heuer haben wir das Jahresmotto „Skulptur“, eine sehr vielfältige Kunstgattung, die auch in Sonderausstellungen oft vernachlässigt wird. Das Zusammenspiel zwischen Naturlandschaft der Donau, dem Kloster und zeitgenössischer Kunst in diesen tollen Hallen ist ein besonderes Erlebnis in Klosterneuburg. Ich bin zuversichtlich, dass man bald sagen wird: Das ist ein Ort, der einen Ausflug lohnt.

War Wien eigentlich immer ein Ziel für Sie? Sie haben über den aus Atzgersdorf stammenden Maler Romako dissertiert, waren im Wien Museum beschäftigt und haben dann in Berlin die Secessionen ausgestellt. War das etwa eine langfristige Strategie?

Geschichte schreibt sich im Nachhinein, und das ist bei Biografien wohl ganz ähnlich. Schon als ich meine Magisterarbeit über die Historienmalerei im 19. Jahrhundert abgeliefert habe, wollte ich als krönenden Schlussakkord ein Kapitel über Romako anschließen. Mein Professor sagte: „Das sparen Sie sich auf, Österreich ist ein Kontinent für sich.“ So kam es zur Dissertation, und ich bekam auch ein Stipendium nach Wien. Damit hat alles begonnen, und wahrscheinlich lässt einen die österreichische Kunst nicht wieder los.

Gibt es hier im Haus irgendein Werk, das Ihnen besonders nahesteht?

Bei den 1,3 Millionen Objekten, die wir haben, würde ich sagen, das wechselt jeden Tag. Wenn ich bei einer Vorbesprechung zur Leonardo-Dürer-Ausstellung in diese Welt eintauchen darf, glaube ich, nie etwas Größeres als die Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Papier gesehen zu haben. Am nächsten Tag behandeln wir die Ausstellung über Kunst auf Papier und ich stoße auf eine vier Meter breite, einzigartige Arbeit von Johanna Calle, die mich ebenso in ihren Bann zieht.  

Ist dieses Papier-Motto nicht etwas sperrig?

Das würden Sie nicht sagen, vom Dürerholzschnitt bis zur Gegenwartskunst ist das ein unheimlich wandelbares Material. Kürzlich haben wir hier ein Buch des österreichischen Filmemachers und Objektkünstlers Tone Fink präsentiert, der beweist, dass man mit Papier ganze Filme ausstatten und sich sogar in Papier kleiden kann!

Lassen Sie uns zuletzt nochmals politisch werden. Wenn jetzt das kommt, was uns vielleicht droht – wie laut werden Sie denn da? Und reagieren Sie wie Martin Kusej, der den Aktionisten Wolfgang Flatz ein Hitler-Double auf den Burgtheaterbalkon praktizieren ließ und ausgelacht wurde?

Kunst und Kultur, Theater und Museen sind Bereiche gesellschaftlichen Diskurses. Es sollte auch Konsens sein, dass Kultur ihren Freiraum braucht und sie kein Instrument der Politik ist. Museen denken in langen Zeithorizonten. Wir blicken auf eine lange Geschichte zurück, und wenn Sie in ein Museum schauen, schauen Sie immer auch in die Zukunft eines Landes und treffen auf sein gesellschaftliches Klima.

In Berlin werden gerade 30 Millionen vom Kulturbudget eingespart. Wie sieht es denn in der Albertina mit der Basisabgeltung aus?

Die Basisabgeltung von 12,9 Millionen ist ungefähr deckungsäquivalent mit unseren Ausgaben fürs Personal. Unsere Bilanzsumme liegt aber bei 95 Millionen Euro. Daher hat ein Museum wie dieses einen hohen Erfolgsdruck, weil wir Geld verdienen müssen. Aber ich habe schon in Berlin immer Mittel und Wege gefunden, zum Beispiel mit dem sehr aktiven Freundesverein und mit Kooperationen von Kopenhagen bis Chicago, um auch international beachtete große Shows nach Berlin zu bringen. Das sind Möglichkeiten, die jenseits der unerlässlichen staatlichen Subventionen liegen. Ich empfinde das nicht als Hypothek und Belastung, sondern als einen Appell, den kreativen Spielraum im wirtschaftlichen zu nutzen.

Brauchen Sie mehr?

Man braucht bei wachsendem Aufgabenspektrum perspektivisch immer mehr Mittel.

Und wenn Sie weniger kriegen?

Hier müssen wir die Politik in die Pflicht nehmen, damit wir als zeitgemäßes Museum unseren gesellschaftlichen Auftrag erfüllen können. Wir bemühen uns unsererseits auch weiterhin darum, individuelle Förderer für Einzelprojekte zu gewinnen. 

Verraten Sie uns zum Abschluss, wie lang Sie im Voraus planen?

Ich bin jetzt bei 2028. Sie können sich dann auf eine große Dürer-Retrospektive freuen.

Auf Wiedersehen beim Hasen also.

Ich hoffe doch, Sie besuchen uns schon früher.

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Kommende Ausstellung: Arbeiten von Matthew Wong wie "The space between Trees" werden Werken von Vincent van Gogh gegenübergestellt.

 © Collection of Judith and Danny Tobey © 2025 Matthew Wong Foundation / Bildrecht Wien, 2025

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.05/2025 erschienen.

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