Thomas Bubendorfer:
Zum Bergprediger geläutert

Er vollzog die schwierigsten Aufstiege ohne Seil. Im vergangenen März stürzte Thomas Bubendorfer in einer eher harmlosen Wand ab und verletzte sich schwer. Jetzt arbeitet der Extrembergsteiger in Monaco an seiner Fitness und einer neuen Lebenseinstellung

von Alpinist - Thomas Bubendorfer:
Zum Bergprediger geläutert © Bild: Jean-Pierre Amet für News

Den Monegassen muss der angeblich einem Hundekopf ähnliche Bergfels "Tête de Chien" als Hausberg genügen, obwohl man ihn über eine verwinkelte Straße von La Turbie aus bequem mit dem Auto bezwingt. Um den Hundskopf, wie man in Österreich ein wenig derb sagen würde, ranken sich viele Geschichten. Etwa diese: Antoine de Saint-Exupéry, der fliegende Schriftsteller und Autor des "Kleinen Prinzen", soll von hier aus 1944 das letzte Mal in seiner Lockheed gesehen worden sein, bevor er spurlos verschwand. Vor allem aber - ein Grenzstein zeugt davon - war genau hier das Ende des Römischen Reichs.

Für den professionellen Alpinisten Thomas Bubendorfer - so lautet die Berufsbezeichnung in seinen monegassischen Dokumenten - ist der Berg, der sich 550 Meter über Monaco in den Himmel reckt und von dessen Gipfel man einen atemberaubenden Blick auf die steuerschonende Millionärsoase hat, ein Neuanfang. Oder genauer gesagt, ein Prüfstein, den er natürlich nicht im Auto, sondern in der Direttissima nimmt. "Hier trainiere ich fast täglich mindestens drei Stunden mit Seil, um meinen Fuß wieder an das Felsklettern zu gewöhnen", erklärt er, während er sich oben auf dem plateauartigen Bergspitz niederlässt und an das Sprunggelenk des rechten Fußes fasst. "Der Schmerz außen ist weg, aber innen nervt's mich noch."

Zurück ins Leben

Anfang März letzten Jahres war von orthopädischen Imponderabilien weniger die Rede. Bubendorfer war beim Eisklettern in den Dolomiten in einer relativ harmlosen Wand abgestürzt, hatte sich Leber-und Milzriss, mehrere Knochenfrakturen und den Bruch fast aller Rippen zugezogen. Eine von ihnen durchbohrte die Lunge, die daraufhin in sich zusammenfiel. Sechs Tage lag Bubendorfer im künstlichen Koma. Aber vier Wochen nach dem Unfall saß der wie ein Aikido-Kämpfer durchtrainierte Alpinist wieder am Hand-Ergometer, trainierte mit Zwei-Kilo-Hanteln und bezwang an der Krücke lange Stiegen. "Komischerweise haben mir diese drei Übungen an den Rippen nicht wehgetan", erinnert sich Bubendorfer. Die Ärzte erzählten ihm schmunzelnd, dass man normale Patienten frühestens nach einem halben Jahr zu solchen Aktivitäten prügeln müsse. Einer wie er aber denkt darüber nicht lange nach. "Der fängt einfach an und steigert die Wiederholungen der Übungen." Denn krude Gedanken, dass er seinen Job nicht mehr ausüben hätte können, seien ihm nie gekommen. Selbstverständlich betreibt ein Profibergsteiger von der Reputation Bubendorfers Ursachenforschung. Und deren Ergebnisse verblüffen nicht wenig. "Es passiert ja nicht zufällig, dass du hoppala aus heiterem Himmel wo runterfällst. Das hat ja immer eine Vorgeschichte", reflektiert er und findet die Ursache in der Mythologie: "Ich war ein wenig wie Ikarus, der immer näher an die Sonne geflogen ist, aber seinen Schatten nicht gekannt hat." Sein Schatten war die Müdigkeit. Nicht nur vom Trainieren, aber auch. Vor allem von den mannigfaltigen Verpflichtungen, denen er nachkommen muss und will, "denn vom Klettern allein kannst ja nicht leben. Höchstens, du arbeitest als Bergführer." Genau diesen Job wollte Bubendorfer nie machen.

Großvaters guter Rat

Der 55-jährige Salzburger, in St. Johann im Pongau aufgewachsen, hat das Extrembergsteigen mit seinen seilfreien Alleingängen in den höchsten und schwierigsten Wänden der Welt revolutioniert. 1983 stürmt er in vier Stunden und 50 Minuten auf das 1.800 Meter hohe Kalkmonument der Eiger Nordwand im Berner Oberland. Spätestens ab da ist der sportlich Erfolgreiche auch berühmt. Die 23-stündige Nonstop-Begehung des Fitz Roy (1986) oder die erste seilfreie Begehung der Aconcagua-Südwand in einem Tag (1991) machen ihn zum Medienstar. Bubendorfer trägt viel zum Hype bei: Er heiratet eine um 20 Jahre ältere Ärztin ("Ich versteh mich noch heute gut mit ihr"), klettert bei den Salzburger Festspielen für karitative Zwecke im Smoking, geht zum Wiener Opernball. "Ich hielt das damals für wichtig, beim 'Adabei' zu stehen. Aber das ist längst vorbei", sagt er heute.

Bubendorfer entstammt einer gutbürgerlichen Familie ohne alpinistische Ambitionen. Er genoss eine humanistische Ausbildung und wurde vom Großvater auf den literarischen Pfad befördert. Als der junge Thomas, vom Klettervirus längst infiziert, dem geliebten Opa seine Trainingsleistung offenbarte ("35 Kilometer Laufen plus 300 Klimmzüge"), reagierte der, wenig beeindruckt, mit einer Gegenfrage: "Und was hast du für deinen Kopf getan?"

»Ich bin wie Ikarus immer näher an die Sonne geflogen, kannte aber meinen Schatten nicht«

Bubendorfer folgt dem Rat des Großvaters, verschlingt reihenweise moderne Klassik (Salman Rushdie, Cormac Mc-Carthy), liest sich in die Fachliteratur ein.

Vor allem die Bücher von Reinhold Messner begeistern ihn so, dass er fortan seinem Jugendidol ("Irgendwann war er das dann nicht mehr") nacheifern will: "Bergsteigen, Bücher schreiben, Vorträge halten."

Wenig überraschend wird er tatsächlich einer der wenigen deutschsprachigen Bergsteiger seit Messner, die von der Vermarktung ihrer Profession leben können. Bubendorfer, gutaussehend, mehrsprachig und gewandt in Wort und Aktion, kommt gut an und wird eines Tages von IBM angefragt: "Was geht in Ihrem Kopf vor, und was können wir von Ihnen lernen?", wollen die IT-Manager wissen und buchen ihn als Vortragenden. Just in Monaco.

Manager richtig dirigieren

Das Fürstentum an der Côte d'Azur fasziniert ihn ("Herrliches Wetter und tolle Möglichkeiten zum Klettern und Schwimmen"), sodass er dort 1985 Wohnsitz nimmt und später mit neuer Partnerin samt den beiden Kindern lebt. Bis Russen und Kasachen nachziehen, "mit deren Kindern die deinen lieber nicht in Berührung kommen", sagt er. Bubendorfer pendelt zwar oft ins heimatliche Salzburg, wohnt nun aber allein im 24. Stockwerk eines Hochhauses mitten in Monaco, ist "Resident privilégié" und zahlt, wie er betont, auch Steuern. Schließlich hat er sieben Bücher verfasst, die sich wie sein Erstling ("Der Alleingänger") gut verkaufen. Sein letztes, "Das Leben ist wie das Bergsteigen", ist nur in China erschienen.

Das aus Fachliteratur und Belletristik plus Klettererfahrung gewonnene Knowhow setzt er später gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Ueli Schweizer in die "Intelligent Peak Performer"-Methode um. Die soll Führungskräften aus der Wirtschaft in Seminarform zeigen, wie sie sich von ihren mentalen Höchstleistungen erholen und ins Gleichgewicht kommen können. "Das Problem ist die andauernde Überlastung, das fehlende Gegensteuern der Überlastung und als Folge davon die mangelnde Regenerationsfähigkeit. Viele Unternehmen in Europa unterschätzen, im Gegensatz etwa zu Apple oder Google, das Potenzial, das im Stärken der Erholungsfähigkeit liegt."

Ganz offensichtlich steigt aber die Zahl der Firmen, die ihre Führungskräfte von Bubendorfer so aufstellen lassen wollen, dass sie eine höhere Leistung bei gleichzeitig weniger Verschleiß erbringen. Bubendorfer konnte sich vor seinem Unfall kaum vor Aufträgen retten. Neben hartem Training hielt er Vorträge in Englisch und Französisch quer über den Erdball und ließ sich als Porsche-Markenbotschafter zu einer Präsentation ins ferne China verpflichten.

"Ich habe Wasser gepredigt und Wein kübelweise gesoffen", gesteht Bubendorfer, der Besserung gelobt, zumal der Unfall in der Marmolata sein bereits zweiter war. Schon 1988 war er in der Liechtensteinklamm bei Werbeaufnahmen folgenreich abgestürzt.

Strikte Vorsätze

In seinem bisherigen Leben sei er ohne Urlaube, ja, selbst ohne freie Wochenenden ausgekommen. Das ist ab sofort passé: "Am siebenten Tag werde ich künftig ruhen und absolut nix machen." Ein ehedem undenkbares Szenario, bei dem er als weitere Konsequenz des Unfalls laut großväterlichem Rat das Schwergewicht auf geistige Tätigkeiten legen und sein erstes Buch in englischer Sprache verfassen will. "Es ist ein autobiografischer Bildungsroman, in dem ich mich selbst von außen betrachte." Der Grund für die doch ungewohnte Genrewahl ist einerseits verblüffend - "Alle Bergbücher sind langweilig" -, andererseits eine besondere Herausforderung: "Ich weiß, dass ich noch viele Eis-Erstbesteigungen in Patagonien machen werde, aber ich habe keine Ahnung, ob ich mein englisches Buch je beenden werde." Wer Bubendorfer kennt, weiß: Er wird.