Wie krisenfest ist die Regierung?

Corona, Ukraine-Krieg, Inflation: Die Zeiten sind schwierig, die Herausforderungen groß. Wie gut ist Österreichs türkis-grüne Bundesregierung für die Bewältigung dieser vielfältigen Krisen aufgestellt? Welche Regierungsmitglieder ihren Aufgaben gewachsen scheinen und wer die Schwachstellen in Karl Nehammers Kabinett sind.

von Regierung © Bild: IMAGO/SEPA.Media

Ukraine-Krieg, Energiekrise, Preissteigerungen in nahezu allen Segmenten des täglichen Bedarfs und natürlich auch noch die Corona-Pandemie: Die Regierung kommt nicht aus dem Krisenmodus, kann auf die aktuellen Entwicklungen eigentlich nur noch reagieren. Zuletzt etwa mit einem gut zwei Milliarden Euro schweren Hilfspaket gegen die Belastungen durch die hohen Energiepreise. "In Wahrheit sind wir seit 2015 von der Krise dominiert", analysiert der Politikberater Thomas Hofer. "Zuerst die Migrationskrise, dann haben wir ein Jahr lang den Bundespräsidenten gewählt. 2017 und 2019 gab es ungeplante Neuwahlen, und dann kam Corona. Wir sind eigentlich nur mehr fremdgesteuert."

An die regierende türkis-grüne Bundesregierung stellt das ganze besondere Herausforderungen. Die aber auch zu besonderen Leistungen anspornen können. "Im Krisenmodus reagiert man meist exakter, schneller und dringlicher", sagt Regina Maria Jankowitsch, Coach für Political Leadership und Krisenmanagement.

Was von Kanzler und Regierungsmitgliedern derzeit am meisten gefordert ist? "Was Spitzenpolitiker auszeichnen muss: Entscheidungsfreudigkeit und Leadership", sagt sie. "In einer Krise ist es das Allerwichtigste, Entscheidungen zu treffen, auch wenn mit diesen nicht jeder einverstanden ist. Entscheidungen sind immer noch besser als keine Entscheidungen." Unter politischer Leadership versteht Jankowitsch "die Willigkeit und Fähigkeit, gesellschaftliche Veränderungen zu gestalten, fernab von Eigennutz und Klientelpolitik, immer im Interesse der Menschenrechte und unter Einbindung der Involvierten."

Sachlich und professionell

Legt man diese Maßstäbe an die aktuelle türkis-grüne Regierung unter Karl Nehammer an, so fällt die Trainerin zunächst einmal über ihn und seine Krisenkommunikation gar kein schlechtes Urteil: "Was er sagt, klingt nach sachlicher Politik. Er lässt mehrere Varianten diskutieren, das ist eine professionelle Vorgangsweise. Bei Sebastian Kurz gab es immer nur eine Entscheidung, deren Zustandekommen zudem nicht transparent gemacht wurde."

Nehammer hingegen sei kein Selbstdarsteller, wirke wesentlich fundierter, "fast schon philosophisch, es tut gut, auch kluge Dinge von einem Regierungschef zu hören." Das Tandem mit dem grünen Vizekanzler Werner Kogler wirke "relativ beruhigend in der gegenwärtigen Situation". Der Grüne sei mittlerweile eine "tragende Säule und ein Ruhepol" dieser Regierung, zudem habe er rund um die Ablöse von Sebastian Kurz im Interesse des Landes ein Risiko für seine Partei in Kauf genommen.

Auch Thomas Hofer stellt dem Krisen-Kanzler Nehammer ein eher gutes Zeugnis aus. "Was die Ukraine-Krise betrifft, hat er bisher keine schlechte Figur gemacht. Er wirkt authentisch und hat sich eindeutig positioniert." Das täusche aber darüber hinweg, "dass es in anderen Bereichen -Stichwort Wirtschaftspolitik zum Beispiel keine wirklich wahrnehmbaren Aktionen gegeben hat. In diesen Bereichen hat er deutlich Aufholbedarf. Darauf wird es jetzt aber ankommen."

»Ich wünsche mir, dass ihre parteipolitischen Reflexe aufhören, niemand will ihre inhaltsleeren Stehsätze hören.«

Weit härter urteilt Leadership-Expertin Jankowitsch über die Ministerinnen für Wirtschaft und Landwirtschaft: "Ich wünsche mir, dass ihre parteipolitischen Reflexe aufhören, niemand will ihre inhaltsleeren Stehsätze hören. Dieses Parteisoldatische ist immer weniger gefragt in der Spitzenpolitik." Weder von Elisabeth Köstinger noch von Margarethe Schramböck habe man bisher strategisch relevante Aussagen gehört, wie sich Österreich wirtschaftlich positionieren soll. Ein Mangel, der in Krisenzeiten umso stärker ins Gewicht fällt. "Man sieht diese Ministerinnen nur Preise und Urkunden überreichen."

Sowohl Köstinger als auch Schramböck haben mit Imageproblemen zu kämpfen. Vor allem Schramböck ist seit dem "Kaufhaus Österreich"-Flop angeschlagen. Allerdings, sagt Politikberater Hofer, verfüge ihr Ressort nur über geringe Kompeten zen. "Ich glaube nicht, dass im Wirtschaftsressort die Wirtschaftspolitik gemacht wird. Der Name ist möglicherweise irreleitend. Viel mehr als Symbolpolitik kann Schramböck nicht machen."

Auf welche Regierungsmitglieder kommt es in den Zeiten der multiplen Krisen also wirklich an? Jedenfalls auf Finanzminister Magnus Brunner. "Er ist allerdings, wie seine Vorgänger in diesen Krisenzeiten, nur Passagier, der zunächst einmal damit beschäftigt sein wird, irgendwelche Hilfspakete zu schnüren", schränkt Hofer ein. "Zu einer aktiven, in die Zukunft gerichteten Budgetpolitik kommt in diesen Zeiten niemand." Zudem sei noch offen, welches Standing sich Brunner im parteiinternen Machtgefüge erarbeiten werde. "Aber klar ist, es wird wohl so massiv in Richtung einer möglicherweise europaweiten Rezession gehen, dass seine Rolle in den nächsten Monaten ganz entscheidend sein wird."

»Gewessler war bisher wesentlich dafür verantwortlich, dass die Grünen für eine allfällige nächste Wahl etwas auf dem Speisezettel stehen haben «

Mühen der Ebene

Auch Klima-und Energieministerin Leonore Gewessler kommt eine zentrale Funktion zu. "Sie war bisher wesentlich dafür verantwortlich, dass die Grünen für eine allfällige nächste Wahl etwas auf dem Speisezettel stehen haben", meint Hofer. "Aber sie wird natürlich Kompromisse machen und darauf schauen müssen, dass nächsten Winter genug Gas da ist. Ohne den Krieg in der Ukraine hätte ich gesagt, jetzt kommen die Mühen der Ebene. Jetzt muss sie über diesen Berg drüber, um zu den Mühen der Ebene zu kommen."

Das grüne Gesundheits-und Sozialministerium, erst seit wenigen Wochen mit Johannes Rauch besetzt, befindet sich seit zwei Jahren ohnehin im Auge des (Corona-)Sturms. "Die Regierung hat rund um die Impfpflicht viel an Glaubwürdigkeit verspielt", urteilt Jankowitsch. "Die Spielregeln der Krisenkommunikation werden noch immer nicht beherzigt, und die Führung, die die Politik vorgeben sollte, ist noch immer nicht da. Jeder ist sein eigener Maßstab, es herrscht in der Pandemie Individualismus nach US-System. Dass der Staat etwas Positives ist, dieser Wert erodiert ausgerechnet in einer Zeit, in der wir multiple Bedrohungen erleben." Und Rauch persönlich? Habe zwar bessere Chancen als sein Vorgänger, das Megaressort Gesundheit und Soziales zu stemmen, sagt Politikberater Hofer, "er kennt die Länder, das ist sein Vorteil. Aber auf dem bundespolitischen Parkett ist er unerfahren."

»Die Bundesregierung unter Karl Nehammer hat das Covid-Missmanagement zwar geerbt, aber was in den letzten Wochen passiert ist, ist eine Bankrotterklärung. «

Der Meinungsforscher Peter Hajek befindet: "Die Bundesregierung unter Karl Nehammer hat das Covid-Missmanagement zwar geerbt, aber was in den letzten Wochen passiert ist, ist eine Bankrotterklärung. Nicht nur von der Regierung, sondern von allen Teilnehmern am Corona-Krisenmanagement."

Wie gut ist diese Regierung also für die derzeitige Situation gerüstet? Hajek sagt: "Sie ist sicher nicht so gefestigt, wie man es sich wünschen würde. Das hat einerseits mit dem Zustand der ÖVP zu tun, andererseits damit, dass man auch nach zwei Jahren Pandemie nicht wirklich Tritt gefasst hat. Diese Regierung ist zwar krisenerprobt, aber nicht krisengestärkt. Wir haben vor einem Monat die Zufriedenheit mit der Arbeit der Bundesregierung abgefragt. Und die ist auf einem echten Tiefstand angekommen." Auch eine Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut IFDD für News durchgeführt hat, kommt zu dem Schluss: Das Vertrauen der Menschen in die Politik ist im Keller.

Dennoch gibt es derzeit keine echten Alternativen. Denn von Neuwahlen raten eigentlich alle unabhängigen politischen Beobachter ab. Hajek: "Ich halte Neuwahlen für absolut entbehrlich, um nicht zu sagen: für Wahnsinn. In Zeiten wie diesen sind Neuwahlen durch nichts zu rechtfertigen, weil nicht klar ist, ob es danach genau so stabile Verhältnisse gibt wie jetzt."

Es liegt also, so die Koalition nicht an inneren Spannungen zerbricht, an Türkis- Grün, Österreich durch diese turbulenten Zeiten zu manövrieren. Luft nach oben gibt es immer. Die Kommunikationsexpertin Regina Maria Jankowitsch schlägt vor: "Ich würde mir wünschen, dass die Regierung analog zu börsennotierten Unternehmen jedes Jahr eine Leistungsbilanz legt. Mit einem Ausblick auf die Vorhaben des kommenden Jahres und einer Beurteilung, was sie von ihren Zielen geschafft hat. Politik funktioniert nicht nach klassischen Leistungskriterien. Aber Zuckerln zu verteilen und dafür Sympathien zu erhoffen, das ist oldschool."

Die Bewertung der Regierungsmitglieder im Überblick:

Margarethe Schramböck

Die Wirtschaftsministerin müsste in Zeiten wie diesen eine zentrale Rolle spielen, sollte man meinen -aber die Agenden ihres Ministeriums wurden so zurechtgestutzt, dass ihr nicht viel mehr als Symbolpolitik bleibt. Dass Margarethe Schramböck schon seit geraumer Zeit auch öffentlich schlecht angeschrieben ist -Stichwort "Kaufhaus Österreich" -, ist somit nicht ganz so schlimm.

Gerhard Karner

Bisher hat sich der Innenminister, nachdem die ersten Wochen seiner Amtszeit von Dollfuss- Diskussionen geprägt waren, als Mann der Tat, aber eher unauffällig positioniert. Die großen Herausforderungen kommen aber erst auf ihn zu. Derzeit ist die Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen aus der Ukraine sehr groß. Aber was, wenn die Stimmung kippt? Und wer kümmert sich um die Versorgung und Integration der geflüchteten Menschen?

Alexander Schallenberg

Als Kurzzeitkanzler eine Fehlbesetzung geht Alexander Schallenberg in seiner wiedergefundenen Rolle als Außenminister voll auf. Dabei geht es weniger um große Auftritte -die absolviert Kanzler Nehammer -als um das Strippenziehen im Hintergrund, etwa was die Abstimmungs-und Koordinierungsarbeit im Vorfeld von Regierungsspitzentreffen betrifft. Die Rolle im Hintergrund steht dem Diplomaten mit Hang zu undiplomatischen Aussagen besser.

Elisabeth Köstinger

Die Landwirtschaftsministerin ist auch Rohstoffministerin, wie wir seit einigen Wochen wissen. Und in beiden Funktionen wichtig für die Herausforderungen, die auf Österreich zukommen. Elisabeth Köstinger muss jetzt zwischen Versorgungs-und ökologischen Interessen klug die Waage halten. Und kommunikativ weniger offensiv auftreten als zuletzt, um ihr Standing nicht mit unnötigen Auseinandersetzungen zu untergraben.

Werner Kogler

Der Buddha hinter den Kulissen ist vor allem für den Koalitionsfrieden wichtig, und somit auch für die stabile Krisenarbeit der Regierung. Die Fehlbesetzung Mückstein, keine Kleinigkeit, geht auf seine Kappe, er versucht, ihn jetzt mit dem politischen Profi Rauch wieder gut zu machen. Vizekanzler Werner Kogler ist im Krisenmodus stark: Er zeigt Herz und bemüht sich gleichzeitig um eine neutrale Beurteilung der Fakten.

Johannes Rauch

Nach Rudi Anschober und Wolfgang Mückstein muss sich mit Rauch schon der dritte grüne Gesundheitsminister an der Pandemiebekämpfung abarbeiten. Kein leichtes Erbe. Zudem ist sein Ressort in Sachen Gesundheitsagenden eigentlich nicht besonders mächtig. Seine Rolle als Sozialminister wird in den nächsten Monate in den Vordergrund rücken -Stichworte Teuerungen und Flüchtlinge. Er bräuchte für diese Mega-Aufgaben einen Staatssekretär.

Leonore Gewessler

Klima-und Energieministerin Leonore Gewessler hat für ihre Partei schon manchen Punktesieg eingefahren. Sie steht klar für Klimaschutz, musste Anfang März aber trotzdem auf die arabische Halbinsel fliegen, um über die Zukunft von Österreichs Gasversorgung zu verhandeln. Die grüne Kronprinzessin muss jetzt Kompromisse machen, ohne das übergeordnete Ziel, die Energiewende, dabei aus den Augen zu verlieren.

Magnus Brunner

Bisher lieferte er solide Arbeit ab, die großen Herausforderungen kommen auf den neuen Finanzminister aber erst zu. Er wird zunächst allerdings mehr damit beschäftigt sein, Hilfspakete zu schnüren, als proaktive Budgetpolitik zu machen. Brunner, der eher ruhig und unauffällig auftritt, ist eine Gegenthese zu manch schillerndem Amtsvorgänger. Wie stark sein Standing innerhalb seiner Partei ist wird sich erst zeigen.

Karl Nehammer

Der Kanzler hat die Ukraine-Krise bisher ansprechend gemanagt. Er punktet mit transparentem Kommunikationsstil, der ihn deutlich von seinem Vorfänger Sebastian Kurz unterscheidet. Das täuscht aber darüber hinweg, dass es in anderen Bereichen jede Menge Probleme gibt. Stichwort U-Ausschuss und Korruptionsvorwürfe. Und der Kanzler muss erst zeigen, dass er auch in den drängenden wirtschaftspolitischen Fragen sattelfest ist.