Peter Pilz: "Sind die Einzigen, die nichts mit Kurz zu tun haben wollen"

Der Listengründer über den "Pilz-Stachel im Kurz-Hintern", die "Sozis am Wühltisch" und das Interessante an Ibiza

Peter Pilz ist seit über 30 Jahren im österreichischen Nationalrat vertreten, mit der Liste Jetzt droht ihm laut Umfragen im Herbst das Ausscheiden. Warum das keine Option ist und es "einen Pilz-Stachel im Kurz-Hintern braucht", wie es um die mögliche Kooperation mit den Grünen steht und ob Ibiza ein Sittenbild der österreichischen Politik zeigt, beantwortet der parlamentarische "Dinosaurier" im Interview mit News.at.

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Interview - Peter Pilz: "Sind die Einzigen, die nichts mit Kurz zu tun haben wollen"

News.at: In drei Monaten wählt Österreich. Was ist Ihr Ziel?
Peter Pilz: Die Wahlen gewinnen, weil uns nichts anderes übrig bleibt. Stellen Sie sich einen österreichischen Nationalrat ohne uns vor. Das wäre der erste Nationalrat seit 1986 ohne echte Opposition. Die Kanzlerfrage ist entschieden: Kurz wird Kanzler. Ich finde das zwar schrecklich, aber es ist hoffentlich das letzte Mal. Die Frage ist: Wer wird das Beiwagerl von Kurz? Die FPÖ, Grün und Pink oder vielleicht sogar die Sozis, weil die bekommt man inzwischen wirklich am Wühltisch.

Wir sind die Einzigen, die nichts mit Kurz zu tun haben wollen, weil wir nichts gemeinsam haben. Ich will bei dieser Wahl einen starken Gegenpol zum Rechtsblock im Parlament begründen und zwar viel besser als das, was wir bis jetzt gemacht haben. Und bei der Wahl darauf will ich die große Wende, eine neue Mehrheit gegen den Rechtsblock.

»Wenn es uns nicht gäbe, wäre Kurz nach wie vor Bundeskanzler.«

Realistisch sehen Sie Umfragen derzeit allerdings bei etwa einem Prozent…
Jetzt steigen wir wieder! Wir haben 1,5 Jahre vieles falsch gemacht und einiges gut gemacht. Das waren so typische Kinderjahre. Da kann man viel daraus lernen und allein die Arbeit der letzten Wochen trägt Früchte. Wenn es uns nicht gäbe, wäre Kurz nach wie vor Bundeskanzler. Ich habe die SPÖ persönlich überzeugt, dass man Kurz stürzen kann. Nur haben sie dann einen Sturzrausch gekriegt und haben gleich, was ein großer Fehler war, die ganze Regierung hinausgeschmissen.

Sollte sich ein Wiedereinzug in den Nationalrat nicht ausgehen, wie geht es dann weiter?
Das weiß doch ich nicht, aber das werden wir dann überlegen, ich bin da ganz entspannt. Ich habe immer politisch etwas probiert und sehr oft haben Leute gesagt, das kann nicht gehen. Aber dafür sind wir Spezialisten: Wenn etwas nicht geht, dann zeigen wir, wie das geht. Ich glaube, dass sehr viele Leute verstehen, dass es eine verlässliche Opposition geben muss gegen die nächste Kurz-Regierung, denn es wird den Kurz-Hintern geben. Die Frage ist, ob es den Pilz-Stachel im Kurz-Hintern geben wird.

»Die Grünen sind immer zu uns gekommen.«

Nach der EU-Wahl sprachen Sie über eine mögliche, gemeinsame Kandidatur mit den Grünen. Ist das noch Thema?
Die Grünen sind immer zu uns gekommen. Der Werner Kogler ist immer zu uns gekommen und hat gesagt: Setzen wir uns zusammen, verhandeln wir.

Und, haben Sie verhandelt?
Ja, es hat zwei Treffen gegeben und es hat Versuche gegeben, mich zu treffen. Ich habe aber gesagt, ich stehe für offizielle Gespräche zur Verfügung aber nicht Geheimgespräche.
Das lustige ist: Werner Kogler hat immer wieder mit mir Gespräche geführt hat und uns dann 1:1 kopiert. Ich sage seit fünf Jahren: Oppositionsbank, Regierungsbank, Anklagebank – jetzt sagt der Werner das dauernd.

Klingt nicht so, als könnten Sie zusammenfinden?
Das Zusammenfinden ist eine andere Geschichte. Prinzipiell finde ich es wichtig, dass die Grünen wieder reinkommen. Und ich finde es auch gut, dass sie zwei bis drei ökologisch wirklich qualifizierte Leute aufstellen. Dafür haben sie sonst auf ihren Listen eher sonderbare Leute leider, Tugendwächterinnen wie Sigi Maurer aber keine hochqualifizierten JuristInnen und Anwälte. Das schaut leider wieder ein bisschen aus wie die Grünen, die 2017 abgewählt worden sind.

»Eine gemeinsame Liste geht nicht, es sind zwei verschiedene Projekte. Aber wir sind mit Sicherheit keine Feinde.«

Also keine gemeinsame Sache?
Das geht nicht! Bei Fragen wie dem politischen Islam, dem Kopftuch oder ob Frauenrechte unteilbar sind, kommen wir nicht zusammen. Außerdem sind die Grünen eine Milieupartei, die es sich nicht zutraut, einfache Protestwähler zu gewinnen und der FPÖ wegzunehmen. Ich sage aber: Wir müssen da mitten rein. Deswegen machen wir jetzt Zackzack, das kommt auch im Gemeindebau an. Und wenn wir uns das aufteilen und sich die Grünen um das grüne Milieu kümmern, werden wir das unterstützen. Wenn sie aber mit Kurz über die Bildung einer Regierung verhandeln, werden wir sicher nicht dabei sein. Und deshalb geht eine gemeinsame Liste nicht, es sind zwei verschiedene Projekte. Aber wir sind mit Sicherheit keine Feinde.

Zackzack, das ist Ihr „Aufdeckermagazin“ das sie letzte Woche präsentiert haben. Wie läuft es?
Es fahrt wie die Feuerwehr! Am ersten Tag ist der Server zusammengebrochen. Wir sind die ersten, die auf der Linken einen Medienverbund aufbauen, der mit dem der Rechten vergleichbar ist. Wir müssen Seiten wie „Unzensuriert“ oder „Alles Roger“ etwas entgegensetzen.

Sie sind der Herausgeber von Zackzack. Ist das Ihr Plan B, sollte es mit dem Wiedereinzug in den Nationalrat nicht klappen?
Nein, das ist der Plan A. Das ist Teil des Plans A.

Seit 2017 ist die Liste Jetzt im Parlament vertreten. Was war ihr größter Erfolg?
Der Misstrauensantrag. Kurz ist nämlich mit 200 km/h auf der Überholspur dahingerast und alle sind am Pannenstreifen gekniet haben gesagt: Um Gottes willen, den hält keiner auf. Mit seinem Sturz hat er aber die Kanzlerbühne und damit unglaublich viel verloren. Seitdem holpert er über den Pannenstreifen und hat ein Problem nach dem anderen: Sich statt in Brüssel mit Staatsoberhäuptern im Pinzgau mit Jungbauern zu treffen, ist eben etwas anderes. Und ohne die Gratis-Kanzler-Berichterstattung in der ZiB hat er bereits 15 Prozent Minus eingefahren.

»Geben Sie einem führenden Sozi eine Hose und die einzige Garantie, die sie haben ist: Binnen zehn Minuten ist sie voll. «

Aber trotzdem wird er wieder Kanzler?
Ja, aus einem einfachen Grund: Der vollkommenen Kopflosigkeit der SPÖ. Sie vermasselt jede Chance. Geben Sie einem führenden Sozi, einem Bundesgeschäftsführer, eine Hose und die einzige Garantie, die sie haben ist: Binnen zehn Minuten ist sie voll.

Aber auch abseits der Fehler, die die SPÖ macht, ist Kurz nach wie vor sehr beliebt. Warum denken Sie, ist das so?
Das ist eine Mischung aus Talent, aus perfekter PR-Maschine und aus Beginn der Gleichschaltung der Medien.

Die ÖVP-Parteispenden sorgten in den letzten Tagen für Aufruhr. Konkret ging es um eine Stückelung dieser, um sie nicht offenlegen zu müssen. Das ist aktuell nicht verboten…
Die Stückelung war illegal, das ist eine Umgehung dieses Offenlegungs-Prozesses. Aber es ist noch nicht kriminell, weil es kein strafbares Delikt ist.

Würde hier mehr Transparenz genügen oder was bräuchte es noch, um dagegen vorzugehen?
Erstens: Eine Transparenzpflicht. Wie ein Finanzamt müsste der Rechnungshof überall reinschauen können, in jeden Beleg, aber das dürfen sie nicht. Zweitens: Eine Begrenzung der Einzelspende. Drittens: Empfindliche Strafen bei Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenzen. Das muss man aber so teuer machen, dass die ÖVP das spürt. Eine einfache Lösung wäre etwa eine Strafe in Höhe der gesamten Wahlkampfkosten.
Außerdem müsste Spendenwäsche als Straftatbestand definiert werden und es müsste ein Verbot von Spenden von öffentlichen Unternehmen oder Unternehmen die öffentliche Aufträge haben, geben.

»Das ist Österreich: Dass zwei nach Ibiza fahren müssen und sich sinnlos ansaufen, damit wir so erfahren, was wir eh schon gewusst haben. «

Machen wir einen Schritt zurück: Dass Kurz überhaupt gestürzt ist, hängt natürlich mit dem Ibiza-Video zusammen. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie es gesehen haben?
Ich habe mir einerseits gedacht, dass ich dem Gudenus immer zugetraut habe, dass er so blöd ist – dem Strache weniger - und andererseits, dass das genau die Kassen sind, von denen wir immer gesprochen haben. Das ist Österreich, dass zwei nach Ibiza fahren müssen und sich sinnlos ansaufen, damit wir so erfahren, was wir eh schon gewusst haben.

Überrascht hat es Sie also nicht?
Es hat mich überrascht, dass die so deppert sind. Aber auch nicht sehr. Das Interessante an Ibiza war, dass sie endlich einmal die Wahrheit gesagt haben.

Zeigt das Video ein Sittenbild der österreichischen Politik?
Nicht der österreichischen Politik sondern von FPÖ und ÖVP. In der illegalen Parteienfinanzierung gibt es zwischen den beiden keinen Unterschied, nur: Ein Ibiza-Video mit Kurz und Blümel ist undenkbar, weil das sind Profis. Und die Profis sind in Wien gesessen und haben mit dem Video die Regierung platzen lassen und die Amateure sind in Ibiza gesessen und haben betrunken Geständnisse abgelegt.

» In Österreich kannst du Politik und Gesetze kaufen und brauchst dazu gar nicht so viel Geld. «

Wie sehen Sie das ganze sechs Wochen danach: Hatte das Video auch etwas Gutes, weil dadurch jetzt vieles im Umbruch ist?
Jedes Geständnis ist gut. Es hat zum Beispiel auch das Geständnis vom Karl Nehammer (Generalsekretär der ÖVP) über die Spender der ÖVP zur Folge gehabt. Und dem werden noch viele Geständnisse folgen. Österreich hat nämlich eines der korruptesten Systeme Europas, davon bin ich überzeugt. In Österreich kannst du Politik und Gesetze kaufen und brauchst dazu gar nicht so viel Geld.

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Heinz-Christian Strache stellte auf Ibiza auch alles Mögliche zum Verkauf in Aussicht. Trotzdem wird er wohl früher oder später in die Politik zurückkehren…
Dann werden wir darüber reden müssen und dann werden wir darüber streiten müssen und dann werden WählerInnen entscheiden müssen, ob sie das in Ordnung finden. Strache und Gudenus können meiner Meinung nach, nach allem was sie getan haben, bestenfalls Bürgermeister vom Schneeberg werden.

Ein anderes Thema: Sie selbst haben sich ja als Aufdecker und im Zuge vieler U-Ausschüsse einen Namen gemacht. Ist Österreich hier gut gerüstet mit Nachwuchs? Gibt es jemanden, der Ihnen da einmal nachfolgen könnte?
Enorm stark war zum Beispiel im Eurofighter-Ausschuss die Daniela Holzinger, die beißt sich da rein, die wird gut. Aber ja, ich gehe schon auf ein hohes Alter zu, ich weiß nicht, wie lange ich das noch mache. Ich habe mir auch schon öfter die Frage gestellt, warum es nur dieses Büro hier gibt, dass das macht. Das hat zwar auch mit mir zu tun aber im Grunde liegt es wohl daran, dass wir Möglichkeiten haben, die andere nicht haben. Wir sind das einzige Projekt, das aus investigativer, journalistischer Recherche und parlamentarischer Kontrolle besteht. Die Grünen etwa haben auf ihrer Kandidatenliste niemanden, der Kontrolle wirklich kann, auch nicht Werner Kogler. Und die anderen haben nie einen Wert darauf gelegt.

Sie sind seit über 30 Jahren - mit Unterbrechungen- im Nationalrat. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Relativ viel. Als ich ins Parlament gekommen bin, ist es zwar hart zugegangen, aber dass man versucht, sich mit möglichst vielen Details aus dem Privatleben fertig zu machen, war undenkbar. Da hatte ich aber auch meine ganz persönlichen Erlebnisse, das war schon außerordentlich…

»Die größte Veränderung in der Politik ist, dass plötzlich wieder alles denkbar wird. «

Ich bin als Abgeordneter zudem aufgewachsen in einer Zeit, wo wir alle überzeugt waren, dass die Grenzen verschwinden, dass Europa zusammenwachst, dass kein Krieg mehr möglich ist. Das glauben wir nicht mehr. Die größte Veränderung in der Politik ist, dass plötzlich wieder alles denkbar wird. Wir leben, wie es der Erik Hobsbawm gesagt hat, in „interessanten Zeiten“, in denen alles möglich ist.
Und in solchen krisenhaften Situationen bedeutet große Politik, Chancen zu erkennen. Dann kann unterm Strich auch mehr Freiheit, mehr Klimaschutz, mehr Gerechtigkeit,… herauskommen. Aber wir können eben auch in einem Maß verlieren, das wir uns alle nicht vorstellen können.

Ihre außerordentlichen, persönlichen Erlebnisse, die Sie ansprechen, sind nach wie vor vielen Menschen im Kopf. Wie gehen Sie damit um?
Indem ich inzwischen alle warne, falsche Vorwürfe zu erheben. Ich habe damals etwas gemacht, was ich wieder machen würde, nämlich möglichst respektvoll und sensibel damit umgehen und eine rechtsstaatliche Untersuchung nicht nur ermöglichen sondern auch unterstützen.

Aber wir müssen eine Kultur finden, wo auch ganz klar sanktioniert wird, wenn falsche Vorwürfe erhoben werden. Kann man das einfach tun und dann zur Tagesordnung übergehen? Kann man einfach sagen „Rechtsstaatlich ist das zwar geklärt, aber wir verdächtigen dich“? Das passiert nämlich überall.

Und dann gibt es jetzt eine Partei –darüber werden wir noch öffentlich reden – in der ich den Eindruck habe, dass zumindest ein paar den halben Schneeberg weggeschnupft haben und gleichzeitig Höchststrafen für Drogendealer verlangt haben.

Man muss also einerseits aufpassen, dass die persönliche Integrität von Menschen nicht verletzt und zerstört wird und andererseits muss man aufpassen, dass nicht alles doppelbödig ist.

Zum Abschluss: Sie versuchen sich auch als Musiker. Welches Lied würde die österreichische Politik im Moment gut beschreiben?
Ein sehr frühes von Bob Dylan: „The times they are a changin‘“.