Escobars
schönste Zeugin

Auch 25 Jahre nach seinem Tod bestimmt Pablo Escobar das Leben seiner Ex-Geliebten Virginia Vallejo. Die Netflix-Serie „Narcos“ macht den Drogenbaron zum Star, Vallejo kämpft im Exil gegen korrupte Politiker. Mit News sprach sie über ihre Affäre mit dem romantischen Kriminellen

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Kriminalität - Escobars
schönste Zeugin

Pablo Escobar konnte sehr romantisch sein. Das attestiert dem Drogenbaron seine Ex-Geliebte Virginia Vallejo. „Er schrieb mir Liebesgedichte, überhäufte mich mit Cartier-Uhren und luxuriösen Designer-Handtaschen. Jedes Wochenende schickte er mir seinen Privatjet, damit ich von Bogotá nach Medellín fliegen konnte, um bei ihm zu sein“, erzählt die 69-Jährige im Interview mit News. Während der fünf Jahre ihrer Affäre habe er sie mit „tausend Orchideen“ überhäuft, sagt sie auch. Pablo war damals verheirateter Familienvater – und einer der grausamsten und blutrünstigsten Verbrecher des 20. Jahrhunderts. Mehr als fünftausend Menschen ließ der kolumbianische Kokainkönig in den 80er- und 90er-Jahren im Kampf gegen den Staat und konkurrierende Drogenkartelle ermorden und hinrichten. Feinde warf er gern den Krokodilen vor, Leichen ließ er mittels Säure verschwinden. Um seine Macht und den milliardenschweren Kokain-Export in die USA abzusichern, ordnete er regelrechte Massaker an, bevor ihn Spezialeinheiten der kolumbianischen Polizei 1993 auf der Flucht erschossen.

Ein Terrorist als Star

Heute, 25 Jahre nach seinem Tod, gibt es einen sonderbaren Hype um den Drogenbaron. Dutzende Filme erzählen von seinem Reichtum, seinen Verbrechen, seinem Größenwahn. Sein Leben hat Hollywood-Potenzial. Javier Bardem und Penélope Cruz sind die Stars im Film „Loving Pablo“, der Escobars Liebesgeschichte mit Virginia Vallejo erzählt. Das Drehbuch basiert auf Vallejos Buch „Ich liebte Pablo und hasste Escobar“. Tom Cruise spielt in „American Made“ Escobars Drogenkurier Barry Seal. „Breaking Bad“-Star Bryan Cranston stellt in „The Infiltrator“ einen verdeckten Ermittler dar, der für Pablo Escobar Geld wäscht. Der Film beruht auf der wahren Geschichte des US-amerikanischen DEA-Beamten Robert Mazur. Absoluter Publikumsliebling bleibt aber die Netflix-Serie „Narcos“, die mit ihrem Mix aus Action, Intrigen, wilden Schießereien, Verfolgungsjagden und heißen Frauen einen weltweiten Erfolg feiert. Drei Staffeln erzählten vom Aufstieg und Fall Escobars in Kolumbien, die vierte Staffel widmet sich ab 16. 11. dem mexikanischen Drogenhandel und beleuchtet, wie das Guadalajara-Kartell in den 1980ern an die Macht gelangte.

Mit dem globalen Hype um Escobar entwickelten sich in dessen Heimatstadt Medellín touristische Routen, die auf die Spuren des Drogenkönigs führen. Urlauber können Tassen, Kühlschrankmagnete, Kaffee und Schlüsselanhänger mit seinem Antlitz erwerben. An seine Gräueltaten wird selten erinnert.

Ein blutiges Märchen

Virginia Vallejo hat für diesen neuen Escobar-Hype kein Verständnis. „Er war ein Monster, das Tausende von Menschen umbringen ließ und Hunderttausende drogenabhängig machte. Leider kommen diese beiden Aspekte im ekelhaften Geschäft nur am Rande vor. Netflix macht mit seiner weltweiten Apologie des Drogenhandels ein Milliardengeschäft und Escobar nebenbei zur Legende“, erklärt sie im Gespräch mit News. Fans der Serie „Narcos“ kennen die Kolumbianerin als TV-Journalistin und Escobar-Geliebte Valeria Vélez, die von Feinden des Unholds ermordet wird. Vallejo ist nicht gut auf „Narcos“ zu sprechen. „Man stellt mich als pervertierte Hure und Komplizin von Pablo Escobar dar, die Politiker bestach und einem Terroristen half“, beschwert sie sich. Das sei alles Lüge, sagt sie. Sie habe auch niemals mit Escobar über seine Geschäfte gesprochen, schwört die Ex-Geliebte. Schon gar nicht über seine Morde. Was jedoch stimmt: „Ich war eine in Gesellschaft und Politik gut vernetzte und bekannte Journalistin und er hegte politische Ambitionen, wollte sogar Präsident werden. Er wäre allerdings ein brutaler, skrupelloser Tyrann geworden. Doch das wusste ich damals noch nicht.“

Die attraktive Kolumbianerin, seinerzeit die vielleicht berühmteste TV-Reporterin des Landes, beschreibt die Affäre mit Escobar als eine Art Neuauflage von „Die Schöne und das Biest“. „Ich war die schönste Frau der High Society Kolumbiens. Ich hätte jeden haben können. Er war eigentlich hässlich. Aber Pablo vergötterte mich. Hätte er das nicht getan, wäre ich einem anderen wichtigen, eleganten, reichen und attraktiven Mann in die Arme gefallen. Pablo legte mir aber die Welt zu Füßen“, erklärt sie die Anziehungskraft zum mordenden Drogenkönig.

Macht und Geld machen also attraktiv? Das steht für Vallejo außer Frage. Und von beidem hatte Escobar im Überfluss. Auch das ist klar. Er war der ungekrönte König Kolumbiens, der so viele Dollarscheine besaß, dass er sie in Kisten vergraben ließ und sogar das Kaminfeuer mit ihnen ansteckte. Für Vallejo war er damals „einer der reichsten Männer des Landes und noch nicht der meistgesuchte Terrorist der Welt“.

Verliebt in die Macht

Die beiden lernten einander 1982 auf Escobars Hacienda Nápoles kennen. Vallejo war mit einer Gruppe einflussreicher Kolumbianer auf dem riesigen Anwesen mit Helikopterplatz und dem größten Zoo Südamerikas eingeladen. Escobar hatte sich Raubtiere und Nilpferde aus Afrika kommen lassen. „Ich badete während des Besuchs auf der Hacienda im Fluss, während die anderen am Ufer feierten. Plötzlich geriet ich in eine Strömung. Pablo sprang sofort ins Wasser. Er rettete mein Leben, während mein damaliger Lebenspartner kokste und sich betrank. Schon damals zeigte Pablo, was er bereit war, für mich zu tun“, erzählt Vallejo.

Als ihre Affäre ein Jahr später begann, war Vallejo noch mit dem argentinischen Schriftsteller und Regisseur David Stivel verheiratet. Sie lebten zwar getrennt, doch wollte Stivel sich nicht scheiden lassen. Escobar schickte ihm einen seiner Killer nach Buenos Aires. „Am nächsten Tag hatte ich die unterschriebenen Scheidungspapiere“, erinnert sich Vallejo. Hatte sie denn gar keine moralischen Probleme damit, fünf Jahre an der Seite eines Drogenbarons und Mörders zu glänzen? „Natürlich. Und ich verließ ihn mehrere Male. Aber immer wieder schaffte er es, dass ich zu ihm zurückkam“, sagt sie.

Flucht vor dem Terror

1987 beendete sie die Beziehung endgültig, denn Escobars Brutalität wuchs damals ins Unermessliche. „Er heuerte einen Spezialisten der baskischen Terrorbande ETA an, um Bomben zu bauen. Sein Kampf gegen den kolumbianischen Staat wurde immer brutaler. Er wollte sogar einen Deal mit Fidel Castro machen, um von Kuba aus die USA zu bekämpfen. Er wurde größenwahnsinnig“, erinnert sie sich.

Im Jahr 1989 verübte Escobar tatsächlich einen Bombenanschlag auf ein Linienflugzeug, um den damaligen Präsidentschaftskandidaten César Gaviria Trujillo zu töten. – Trujillo war nicht an Bord, bei dem Anschlag starben 110 Menschen. Das war der Anfang von Escobars Ende und möglicherweise Vallejos Chance, ihm zu entkommen. Nach dem Attentat war er es nämlich, der den Kontakt zu ihr nicht mehr halten konnte.

„Alle waren ihm auf den Fersen“, erinnert sich die Ex-Geliebte. „Die kolumbianische Regierung, das FBI, die CIA, die DEA. In diesem brutalen Kampf gegen den Staat wollten seine Partner in Medellín nicht mitmachen und desertierten. Gleichzeitig hatte es das Cali-Kartell auf ihn abgesehen, das mit dem kolumbianischen Präsidenten Ernesto Samper befreundet war und auch acht Millionen US-Dollar für dessen Wahlkampagne gespendet hatte. Das Kartell ließ viele seiner engsten Freunde und Partner töten. Die Regierung schaute weg. Pablo wusste, dass das Cali-Kartell meine Telefone abhörte und mich beschattete, um ihn aufzuspüren. Er musste also den Kontakt zu mir aufgeben.“

Zudem wollte Escobar sie in Sicherheit wissen, ist sich Virginia Vallejo sicher. Obwohl sie ihn, den „Padrón“, verlassen hatte und viel über ihn und seine Geschäfte wusste, erwartete er, dass sie zu seiner finalen Legendenbildung beitrug, meint sie. „Ich sollte seine Biografie schreiben, seinen Aufstieg vom armen Bauernsohn zum Multimillionär. Er wusste, dass ich als Einzige die Wahrheit schreiben und seine Legende festigen würde“, sagt sie zu News.

Ewig in Pablos Bann

Das Buch, das Virginia Vallejo schrieb, dürfte freilich weder Escobar noch seinen Feinden gefallen haben. In „Ich liebte Pablo und hasste Escobar“ (Bastei Lübbe, € 10,30) erzählt sie nicht nur von ihrer turbulenten, nicht immer gewaltlosen, Liebesgeschichte mit Escobar und dessen ambivalenter Persönlichkeit. Sie beschreibt auch, wie dieser sein Drogen­imperium Dank eines Netzwerks aus Verbrechern und Politikern aufbaute.

Ein amerikanischer Verlag kam 2006 auf sie zu, nachdem sie von der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA aus Kolumbien ausgeflogen worden war, um in Miami als Kronzeugin gegen Kolumbiens Drogenkartelle und korrupte Politiker auszusagen. So brachte sie Kolumbiens ehemaligen Justizminister Alberto Santofimio hinter Gitter: Sie konnte beweisen, dass Santofimio Escobar gebeten hatte, seinen Gegner im Rennen um das kolumbianische Präsidentenamt, Luis Carlos Galán, zu ermorden. Dafür wurde Santofimio 2011 in Kolumbien zu 24 Jahren Haft verurteilt.

Vallejos im Herbst 2017 auf Deutsch erschienenes Buch diente auch als Vorlage für den ebenfalls seit Kurzem bei Netflix laufenden Film „Loving Pablo“ mit den spanischen Hollywood-Stars Javier Bardem und Penélope Cruz in den Hauptrollen. „Mein Buch zeigt den wahren Pablo Escobar. Deshalb nahm Netflix auch nicht die Darstellungen seines Sohnes als Vorlage oder die seines Sicarios, sondern meine“, ist sie sicher. Aber sie will nicht weiter über den Film sprechen. Ihre Anwälte raten ihr davon ab. Es laufen Klagen.

Warum? 2013 kauften Javier Bardem und seine Partner die Filmrechte. Doch laut Vallejo wurden Abmachungen nicht eingehalten. „Dann stieg auch noch die kolumbianische Produktionsfirma Dynamo in das Projekt ein, und das war es“, sagt sie und erklärt, dass Dynamo der Familie des ehemaligen kolumbianischen Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Juan Manuel Santos gehöre – laut Vallejo „eine Sippe von Korrupten, Dieben und Betrügern, die mich lieber tot als lebend sieht“. Vor allem mit Blick auf ihre kommenden Bücher, die den verflossenen vier Präsidentenfamilien Schaden zufügen könnten.

Escobars langer Atem

Die Santos-Familie, die über ihre Produktionsfirma Dynamo auch die Serie „Narcos“ mitproduziert hat, kontrolliere ein Medien-Imperium in Kolumbien. Von dort solle sie fertiggemacht werden, versichert sie. „Durch die negativen Darstellungen in den Serien will man meine Glaubwürdigkeit als Person und Expertin für politische Korruption schädigen“, so Virginia Vallejo. Das Motiv liegt auf der Hand, wie sie meint: „Ich hatte durch meine Stellung beim Fernsehen, in der Gesellschaft und vor allem als Freundin von Escobar tiefe Einblicke in die damaligen Geschehnisse.“ Escobar, aber auch die anderen Drogenbosse seien Dank ihrer Zusammenarbeit mit den heute noch mächtigen und einflussreichen Familien der letzten Präsidenten zu Multimillionären geworden. So habe – meint zumindest Virginia Vallejo – der ehemalige Präsident Álvaro Uribe als Leiter der nationalen Luftfahrtbehörde bis 1982 Escobars Flugrouten für den Kokainschmuggel geschützt.

„Santos und Uribe haben mehrmals versucht, mich umbringen zu lassen“, sagt sie. Das letzte Mal 2009 auf dem Weg ins kolumbianische Konsulat in Miami, um neue Aussagen gegen korrupte Politiker zu machen. Deshalb habe sie auch 2010 politisches Asyl in den USA erhalten. Sie fürchtet immer noch um ihr Leben, lässt sich ungern im Exil in Miami fotografieren.

Heute wollen alle an Pablo Escobars Legende mitverdienen. Allen voran Escobars Bruder Roberto, der Netflix auf eine Milliarde US-Dollar wegen der Verletzung angeblicher Urheberrechte verklagt haben soll. Und auch Virginia Vallejo will ihren Teil vom Kuchen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 46 2018