Schlaglichter aus Süditalien

Kampanien, das Armenhaus Europas

von Santa Maria di Castellabate © Bild: iStockphoto.com/gun75

In einem schattigen Eck vor dem Hotel Sonia im Badeort Santa Maria di Castellabate, zwei Stunden südlich von Neapel, saßen drei Männer mit roten Bärten und dichtem Haar, schwitzend, laut streitend mit einem Dialekt, der sie entweder aus Irland oder Schottland hierher verschlagen hatte. Als ich vorbeiging, fragten sie mich in stotterndem Italienisch, wo sie ein Bier bekommen könnten, ohne weit gehen zu müssen. Sie reagierten begeistert auf mein Englisch, redeten alle gleichzeitig, einander unterbrechend. Was ich hier tun würde in dieser gottverlassenen Ecke Italiens, verrückt heiß und nichts, absolut nichts könne man an diesem Ort unternehmen, es gäbe nur Nudeln und Pizza, keine Sehenswürdigkeiten und absolut null Nachtleben.

Mozzarella

Lachend versuchte ich, ihnen diesen Teil Italiens zu erklären, diese fruchtbare, langgezogene Bucht südlich von Neapel mit ihren schwarzen Rindern, aus deren Milch der berühmte "Mozzarella di Buffala" hergestellt werde. Es sei das Planschbecken der einfachen Italiener, die hier ihren Sommerurlaub verbringen würden. Ein Strand reihe sich an den anderen, hässliche Städte und Dörfer im Hintergrund und kontrollierte Strandabschnitte mit unterschiedlich teuren Sonnenschirmen, die man mit mehreren Liegen mieten könne.

"Das ist ja die Frechheit", unterbrach mich einer der Bärtigen. "Es heißt doch, die Strände sind frei zugänglich!""Sind sie auch", antwortete ich. "Nur für Schirm und Liegen zahlt man.""Lauter Betrüger, alles wird wahrscheinlich von der Mafia kontrolliert", mischte sich der andere ein.

Erstens gebe es hier keine Mafia, sondern in Kampanien kontrolliere die Camorra den Alltag, antwortete ich ihm, und zweitens seien die Schirme am Strand keine Ausnahme, denn fast alles von den Tomaten am Gemüsestand bis zur Wasserversorgung werde von der Camorra kontrolliert. Es betreffe keine einzelnen Ganoven, sondern mehr oder weniger sei die gesamte Bevölkerung involviert.

Camorra

Sie vergaßen für einen Moment ihren Ärger. Die Camorra, erklärte ich ihnen, sei die größte italienische Verbrecherorganisation. Auf jedes sizilianische Mafia-Mitglied kämen zwei der Camorra. Die Bezeichnung wäre übrigens von der Polizei erfunden worden. Die Gruppe arbeite lieber mit dem Begriff "Familie", der die einzelnen familiären Strukturen erfasse, in der absolute Loyalität gefordert und jede Abweichung mit dem Tod bestraft werde. Während eines Prozesses im Jahr 2004 wurde nachgewiesen, dass die Hälfte aller Geschäfte in Neapel Abgaben an verschiedene "Familien" zahlen müssten.

Ich bereute plötzlich die Erklärungen, meine drei neuen Freunde aus Irland -ich lag nicht so falsch mit meiner Vermutung - bestanden darauf, mich zu einem Glas Bier einzuladen. Es war Mittagszeit, unerträglich heiß, und ich wollte eigentlich nur zum Wasser, wo meine Familie bereits den obligaten Schirm gemietet hatte.

Pizza Napoli

Wir gingen in die einzige Straße des Dorfes mit ein paar Lokalen. In den Vorgärten saßen Familien mit braungebrannten, halbnackten Kinder, und alle aßen Pizza, das Nationalgericht Süditaliens. Wer in Neapel oder weiter südlich je Pizza gegessen hat, wird nie wieder wo anders eine versuchen. Wie ein Kunstwerk liegt es auf dem Teller in den verschiedensten Varianten, mit aufgeblasenem, dickem, knusprigem Teigrand. Von der einfachen Pizza Napoli mit Sardellen, Oliven und Kapern, die man für drei bis vier Euro bekommt, bis zur teuersten, der mit Trüffeln bedeckten Pizza Truffula, die auch nicht mehr als 14 oder 15 Euro kostet. Tagelang wird der Teig vorbereitet mit einem besonderen Mehl, das einen hohen Proteingehalt hat. Jedes Lokal hat seine eigenen Spezialitäten und kombiniert die verschiedensten Zutaten bis zur Pizza Chocolate, die mit Schokolade belegt als Nachtisch serviert wird.

Die drei Iren tranken Bier, ich bestellte ein Mineralwasser, sie fragten und fragten, bis ich wissen wollte, warum sie überhaupt hier wären. Sie hätten das Hotel über ein Reisebüro gebucht, inklusive Flug und Vollpension. Es sei so unglaublich billig gewesen, dass sie es riskieren wollten. "Hier habt ihr die Antwort auf alle eure Fragen", sagte ich. Kampanien, das südlich von Rom noch vor Neapel beginnt, sei die billigste und ärmste Gegend Italiens mit der höchsten Arbeitslosigkeit in Europa, in vielen Gegenden liege sie bei über 20 Prozent.

Teilung Italiens

Würde Italien tatsächlich einmal in den reichen Norden und armen Süden geteilt werden, wäre der Fluss Garigliano im Norden von Kampanien zwischen Rom und Neapel die nördliche Grenze Süditaliens. Warum ich hierher kommen würde, fragte mich einer der Iren. "Ich mag die Gegend", antwortete ich. "Es ist das einfache, ursprüngliche Italien, keine ausländischen Touristen, eine schöne Küste und herrliches Essen."

Ob sie nach Pompei fahren sollten, fragte mich einer. Ich zuckte mit den Achseln und sagte, Pompei sei ein Symbol für die ganze Provinz. 1943 von den Alliierten irrtümlich bombardiert, 1980 zerstört durch ein Erdbeben, nach jedem Regenguss zerfalle eine der künstlich aufgebauten Mauern. Der Großteil der Wertgegenstände und Schätze sei lang vor den Ausgrabungen bereits im 18. Jahrhundert gestohlen worden. Spanische Ingenieure durchwühlten die Felder und versorgten die Adeligen in Neapel mit wertvollen Antiquitäten. Und dennoch schleppen sich Tausende Touristen durch die Ruinen, in denen es nur wenig zu sehen gäbe. Ein Drittel der Stadt liege noch unter der Erde und werde wohl nie ausgegraben werden.

Sie trinken und schweigen, die drei Männer aus Irland. Meine Beschreibungen haben ihnen nicht Mut gemacht. Ich versuchte, die Stimmung zu retten, und schlug ihnen vor, im Norden die Inseln Capri und Ischia zu besuchen und vor allem die Amalfi-Küste, auch das sei Kampanien. Von Salerno mit dem Auto rund um die Halbinsel Sorrent mit den Dörfern an den steilen Klippen, die aussehen, als würden die Häuser langsam ins Meer rutschen, den winzigen Stränden zwischen den Felsen und den wunderbaren Hotels. Eines der schönsten Hotels, das Le Sirenuse in Positano, auf mehrere Etagen verteilt mit einem Schwimmbad auf einer Terrasse, bietet den Badenden einen eigenen Lift, der sie hinunter zum Strand bringt. Üppige Villen direkt am Meer gäbe es hier zu mieten mit eigenem Bootssteg und Pools. Man könne diese herrliche Gegend jedoch ebenso bei einem Teller Mafalde, einer Pasta, nach Prinzessin Mafalda von Savoy benannt, mit Tomatensoße auf der Terrasse einer einfachen Pension etwas weiter weg vom Strand genießen.

Neapel

"Was ist mit Neapel?", fragte mich der Kleinste der drei. "Ich weiß nicht", sagte ich zögernd. "Diese größte Stadt Kampaniens lässt mich immer wieder ratlos zurück." Manche versuchen, die Klischees aus Filmen einer aufregenden Stadt zu finden, doch es ist sinnlos. Hier gebe es kein historisches Zentrum, keine eindrucksvollen Paläste, keine einladenden Boulevards. Ein Gewirr von Straßen, die im alten Teil der Stadt auf dem Hügel weiter weg vom Hafen immer enger und steiler werden mit dem lauten Brummen der Motorroller, deren Fahrer sich zwischen Autos und Fußgänger drängen. Die Wäsche vor den Fenstern und der Kübel mit Lebensmitteln, der von der Straße auf den Balkon gezogen wird, mögen nette Motive für Fotos bieten. Dahinter verbirgt sich bittere Armut, ein oft kümmerliches Leben auf engstem Raum.

Ich verabschiedete mich von den drei Iren, die immer schweigsamer wurden. Zurück am Strand nach der Abkühlung im Meer saß ich im Café bei einem Espresso und beobachtete im Sand spielende Kinder, ältere Frauen in Kleidern, die bis zu den Knien im Wasser standen und sich unterhielten, Männer die auf einer umgedrehten Bierkiste Karten spielten, und Mütter, die ihre Babys eincremten. Stolze, schöne Frauen, die, wo das Wasser den Sand erreicht, auf und ab gingen und nach Zurufen junger Männer lächelnd sich wegdrehten. Ich fühlte mich wie in einem italienischen Film, mir fehlte hier nichts. Höchstens, dass Sofia Loren aus einem offenen Fenster mir zuwinken würde.