Alf Poier: Schluss mit lustig

Es ist ein Bierzelt-Hit mit Ansage: Im Schlager "Die Lieder unserer Jugend" besingt Alf Poier die "megacoolen" alten Zeiten. Gemeint ist das freilich als bitterböse Kritik. Worum geht es Poier? Der Künstler, der chronisch zwischen Provokation und Unverstandensein changiert, erklärt sich.

von Bitterböse Kritik - Alf Poier: Schluss mit lustig © Bild: Ricardo Herrgott

Man kann die neue Single einfach als perfekten Festzelt-und Regionalradio- Schlager hören. "Die Lieder unserer Jugend" führen uns zurück in unbeschwertere Zeiten, in denen wir, wie es im Refrain so herzerwärmend heißt, "jung und megacool" waren. Man kann das Fehlen von Inhalten -mit Ausnahme der Aufzählung früherer Hits und Stars -aber auch so verstehen, wie es Alf Poier eigentlich meint: als Weckruf. "Wenn die Auswüchse der Cancel Culture so voranschreiten, wird uns Kabarettisten bald nichts anderes übrigbleiben, als Schlager zu produzieren und die heile Welt zu besingen." Nachdenklicher Zusatz mit betonter Doppeldeutigkeit: "Dann ist endgültig Schluss mit lustig."

»Ich entspreche verbal nicht dem Konsens. Die Reaktion ist oft Drohung mit Gewalt«

Alf Poier sagt, was er denkt, und wurde auf offener Bühne angegriffen

Dabei, sagt der 54-jährigen Steirer, gehe es ihm ja eigentlich immer nur darum, Menschen zu unterhalten. "Der Sinn des Lebens liegt für mich darin, sein Wesen zu erkennen und zum Erblühen zu bringen. Ich kann auf der Kabarettbühne mein kreatives Wesen leben." Einer breiten Öffentlichkeit wurde er nicht zuletzt dank seiner anarchisch-dadaistischen Kabarettauftritte bekannt: Beim Songcontest 2003 in Riga landete Alf Poier mit seinem Liedchen über die kleinen Haserln mit den kurzen Naserln auf Platz sechs.

© Ricardo Herrgott In seinem Kelleratelier spricht Poier mit News, zeigt seine Bilder und offenbart Ungeahntes: Seine Kappe trägt er auf der Bühne mit dem Schirm nach hinten gedreht. Am Schirme vorne getragen erkennt man den Privatmann Poier

Der Songtitel "Weil der Mensch zählt" war im Jahr davor ein SPÖ-Wahlslogan und brachte Österreich die beste Platzierung seit Thomas Forstner 1989 (Platz fünf mit "Nur ein Lied") - und den größten Erfolg bis zu Conchita Wursts Triumph elf Jahre danach. An den Hype denkt Poier ungern zurück: "Ich werde jedes Jahr daran erinnert. Dann treten meine posttraumatischen Belastungsstörungen wieder in den Vordergrund", sagt er mit einem Augenzwinkern. Spricht man von Alf Poier und dem Songcontest, spricht man natürlich auch von seinem medial hochgepushten Wickel mit Conchita alias Tom Neuwirth. Poiers Bemerkung über die "verschwulte Zumpferl-Romantik" hängt ihm bis heute nach. "Ich habe Tom nie getroffen, ich finde ihn künstlerisch nicht interessant. Ich habe diese Aussage damals nicht so schlimm empfunden. Ich bin Kabarettist, die Leute fragen mich etwas, und ich antworte eben in meinem Stil." Die heftigen Reaktionen irritieren ihn immer noch: "Ich habe niemanden bedroht. Umgekehrt passiert das sehr wohl - ausgerechnet von Seiten der Toleranten. Ich entspreche verbal nicht immer dem Konsens, und die Reaktion darauf ist oft die Drohung mit körperlicher Gewalt."

Mit "Kami-Katze" zum Erfolg

Tatsächlich blieb es nicht bei Drohungen gegen den Künstler, der die Unterstützung seiner Kollegen vermisst. Im Gespräch in seinem Wiener Kelleratelier zitiert er die englische Voltaire-Biografin Evelyn Beatrice Hall: "Ich mag verdammen, was du sagst. Aber ich würde mein Leben dafür geben, dass du es sagen darfst."

»Wenn Cancel Culture voranschreitet, dann besingen Kabarettisten bald in Schlagern die heile Welt«

Alf Poier erklärt die Provokation seiner neuen Single "Die Lieder unserer Jugend"

Gegen Poier gab es immer wieder Drohungen. "2010 sind bei einem Auftritt in Melk 16 Autos mit Säure übergossen worden, und in St. Pölten hat mich - während einer Live-Aufzeichnung für Ö1 -ein Mann auf der Bühne attackiert, und die Securitys haben zugeschaut, weil sie dachten, das wäre Teil meiner Show. Erstaunlicherweise ist kein einziger Kollege jemals aufgestanden und hat gesagt:'Ich vertrete nicht die Meinung des Herrn Poier, aber er muss es sagen dürfen'", wundert sich der Künstler. Umso mehr ärgern ihn aktuelle Entwicklungen der Political Correctness: "Das geht mittlerweile viel zu weit! Diese Cancel Culture ist der Tod der Kultur! Früher wurde diskutiert, jetzt wird nur noch boykottiert. Man will die Leute nicht nur mundtot machen, sondern wirtschaftlich ruinieren."

© Ricardo Herrgott

Zumindest vor Letzterem hat Alf Poier keine Angst. Dank eines weiteren Talents, das er in den vergangenen Jahren forciert hat, der Malerei. Seine Gemälde und Zeichnungen tragen -durchaus treffend beschreibende - Titel wie "Kami-Katze", "Ein Pferd geht durch ein Mädchen durch und grüßt nicht einmal" oder "Der dadaistische Teufel reist extrig nach Brüssel, um dort vor dem Europäischen Parlament ein eingerolltes Schuppentier mit Firn-Zuckerl zu bewerfen". Dass seine erste Verkaufsausstellung in der renommierten Wiener Innenstadt-Galerie Kaiblinger, wo normalerweise Arbeiten von Kunstgrößen wie Gottfried Helnwein und Herbert Nitsch gehandelt werden, im vergangenen Herbst ein großer Erfolg war, hat ihn aber selbst ein wenig überrascht: "Es war nie meine Absicht, Kunst zu produzieren."

Nein zum Ferrari

Ausgesorgt hatte der HAK-Maturant schon, ehe ihn der lukrative Kunstmarkt entdeckt und seine originellen Arbeiten im fünfstelligen Euro-Bereich verortet hatte. Poier hat früh begonnen, seine Gagen geschickt in Immobilien zu investieren. "Der Punkt, an dem ich finanziell unabhängig war, hat mich zwar freier gemacht, gleichzeitig wurde ich aber zum Sklaven meines Besitzes. Mir waren materielle Dinge nie wichtig. Ja, mein Fahrrad bedeutet mir etwas. Aber außer Büchern sehe ich nichts in einer Auslage, das ich haben möchte. Früher haben die Leute gesagt: Alf, du schimpfst über all diese Dinge nur, weil du sie dir nicht leisten kannst. Heute kann ich sie mir leisten und schimpfe trotzdem darüber. Im vergangenen Sommer war ich in Velden, und dort fahren alle mit ihren Ferraris herum. Ich habe überlegt, mir einen zu kaufen und im Nachbar-in-Not-oder Caritas-Outfit zu gestalten. Aber ich würde mich zu Tode schämen, ernsthaft so ein Auto zu fahren."

»Heute bin ich finanziell unabhängig und schimpfe trotzdem. Materielles war mir nie wichtig«

Alf Poier könnte nie "ernsthaft" Ferrari fahren

Nachtwächter, Außenseiter, Dadaist

Schon als Schüler hat Poier sein Taschengeld gemeinsam mit Bruder Stefan (heute Flugzeugtechniker und nebenbei Texter für Volksmusikgrößen wie Hansi Hinterseer, die Paldauer und die Edelseer) an den Wochenenden in Tanzmusikkapellen aufgebessert. Sein Debüt als Kabarettist gelang 1995 mit Platz zwei beim Grazer Nachwuchswettbewerb "Kleinkunstvogel", zu dessen Siegern etwa Michael Mittermaier und Paul Pizzera gehören. Damals arbeitete er als Nachtwächter bei einer Antiquitätenmesse. "Davor hatte ich schon mehr als 40 verschiedene Jobs gekündigt. Ich wollte ja immer nur auf die Bühne."

© Ricardo Herrgott

Im Kabarettbetrieb ist der frühere Langstreckenläufer in den zwei Jahrzehnten seither ein Außenseiter geblieben. Er versteht sich grundsätzlich als Kulturpessimist, dem konservative Werte wichtig sind: "Wir brauchen einen starken gesellschaftlichen Konsens, damit ein Zusammenhalt und eine Richtung erkennbar sind. Integration benötigt ein gemeinsames Märchen. Momentan kämpft jeder gegen jeden, jede Dogmatik beansprucht für sich, die Wahrheit gepachtet zu haben."

In seinem aktuellen Programm "Humor im Hemd" beschäftigt er sich mit der Frage, was man denn heute überhaupt noch sagen dürfe: "Durch eine kleine, medial sehr bestimmende Gruppe von Meinungsmachern hat sich die gesellschaftliche Mitte verschoben. Ich habe meine Grundansichten in den vergangenen Jahren nicht verändert. Ich stamme von Bauern ab und sage: Wer etwas leistet, soll etwas bekommen. Wer nichts leistet, soll nichts bekommen - außer er kann nicht, dann soll er vom Sozialstaat unterstützt werden. Aber mit solchen Ansichten wird man heute als 'Rechter' beschimpft."

Der Avantgardist wuchs bodenständig in der 800-Seelen-Gemeinde Rothenthurm bei St. Peter ob Judenburg auf. Seine Mutter, heute rüstige 89, war Hausfrau, sein Vater, 84, gelernter Maurer und arbeitete in einem Möbelhaus: "Meine Eltern", erinnert sich Alf, "waren sehr gläubig, mein Onkel war sogar Pfarrer. Ich konnte damit nichts anfangen. Der Zen-Buddhismus und die Mystik waren interessant, haben aber keine Werte vorgegeben. Ich war erfolglos aus der Suche nach irgendeiner begrifflichen Sicherheit. Die gab es nicht, und ich bin aus metaphysischer Verzweiflung zum Totalverweigerer geworden. Daraus hat sich mein Hang zum Dadaismus entwickelt: In meinem Wahnsinn habe ich Polarfüchse mit integrierten Pizzaöfen gezeichnet. Das hat mir gutgetan."

»Ist halt eine dritte Freundin dazugekommen. die Frauen wissen voneinander. Es gibt keine Eifersucht«

Alf Poier zählt drei Freundinnen in unterschiedlichen Ländern

In der Liebe: Ein Freigeist

So konservativ Alf in seinen moralischen Werten ist, so freigeistig lebt der "physisch, psychisch und sexuell konstant unterforderte" Künstler in Liebesangelegenheiten. Freundin Jenny, eine frühere Miss Lateinamerika, die sechs Sprachen spricht, lebt in Costa Rica, eine zweite romantische Bekanntschaft wohnt in der Slowakei - und weil die beiden nicht immer wunschgemäß für ihn da sein konnten, "ist halt eine dritte dazugekommen. Die Frauen wissen alle voneinander. Es ist nicht einfach, aber wenn man mit jemandem herzverbunden ist, gibt es keine Eifersucht."

Die Beziehung zu Jenny weist Poier einen möglichen Weg in die Zukunft: "Ich habe mir in der Nähe von Cartago im Hochland von Costa Rica ein Grundstück gekauft. Dort wachsen meine eigenen Bananen und Guaven. Und vielleicht ziehe ich mich so wie damals Paul Gauguin zurück und schicke meine Gemälde nur noch mit der Post aus dem Dschungel."

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 22/2021.