Florian Wirtz wurde eben zum sechstteuersten Spieler der Fußballgeschichte. Die Transferzeit ist im Fußball längst mehr als eine Überbrückung bis zur nächsten Saison. Sie bringt Spannung und bietet faszinierende Einblicke in das Spiel mit Millionen und Emotionen. Wer zieht im Hintergrund die Fäden und was hat ein Journalist mit 37 Millionen Followern damit zu tun?
Florian Wirtz wechselt von Bayer Leverkusen zum FC Liverpool – der erste große Transfer des Sommers ist vollbracht. Der Deutsche verdrängt Cristiano Ronaldo aus den Top Ten der teuersten Transfers aller Zeiten, mit einer kolportierten Ablösesumme von 130 Millionen Euro stürmt er in diesem Ranking auf den sechsten Rang. Was wird in den kommenden Wochen noch passieren? Wen holt Titelverteidiger Sturm Graz für die nächste Saison? Geht Manchester City wieder auf Einkaufstour? Wen darf Xabi Alonso als neuer Trainer von Real -Madrid in seinem Team begrüßen? Kommt -Marko Arnautović nach Österreich?
Nach dem Ende der Fußballsaison folgt kein ödes Warten auf die nächste Spielzeit mehr. Die Transferphase im internationalen Fußball ist längst so spannend wie viele Spiele von Bundesliga, Champions League und Cup. Um das hektische Geschehen abseits des Rasens ist eine eigene Industrie entstanden Nicht nur Klubs und Spieler, auch Vermittler, Medien und Sponsoren partizipieren am Tratsch, hinter dem handfeste wirtschaftliche Interessen stecken. Spieler und ihre Berater versuchen mit geschickt lancierten Gerüchten, das Interesse und den möglichen Kaufpreis sowie zukünftige Gehälter in die Höhe zu treiben; die Klubs wollen sich ihrerseits als beste Adressen für Stars und aufstrebende Kicker positionieren.


Ein Transferkarussell mit Showmaster
Zwei Transferfenster – je eines im Winter und im Sommer – gibt es im Jahresverlauf. Wegen der Klub-WM gab es heuer eine Extra-Phase. Die aktuelle Transferzeit wird in Kürze offiziell eröffnet. Ab 1. Juli starten die Wechselspielchen. Das Ende markiert der sogenannte Deadline Day, der finale Tag der jeweiligen Transferperiode, an dem meist noch hektisch die letzten Deals abgeschlossen werden. Dieser ist in Österreich und Deutschland für den 1. September angesetzt. Experten wie Fabrizio Romano laufen in den kommenden Wochen zur Höchstform auf. Der italienische Journalist hat sich als angeblich zuverlässigste Quelle für anstehende Transfers etabliert (Slogan: „Here We Go!“). Mehr als 37 Millionen Follower hat er auf Instagram und jedes seiner Worte wird von anderen Medien wiedergekäut. Unumstritten sind seine Aktivitäten nicht, denn die Grenzen zwischen objektiver Berichterstattung und Vermarktung verschwimmen zunehmend.
Romano wurde zum Showmaster des Transferkarussells, das sich immer rascher dreht und in dem die Summen immer wahnwitziger werden. Vor allem die englische Premier League treibt die Preise in die Höhe. Für Spieler wird oft das Zwei- bis Dreifache des Marktwerts bezahlt, nur um die Konkurrenz im eigenen Land oder potenzielle Interessenten aus Spanien und Italien auszustechen.


„Profifußball war immer Kapitalismus“
Neu ist das spannende Transferkarussell nicht wirklich. In seinem Buch „Deadline Day“ widmet sich der deutsche Sportjournalist Max Ropers der Faszination des Spielermarkts und greift diese Fehleinschätzung auf. „Eine Motivation für das Buch war die oft gehörte Meinung, der Fußball verliere wegen der Transfers seinen Anstand und hohe Ausgaben für Transfers habe es früher nicht gegeben“, sagt er. Dabei ging es immer schon ums Geld: „Die Vereine wollten stets wenig ausgeben und hohe Erträge schaffen.“ Früher war vergleichsweise weniger Geld im Umlauf, doch es gab kein anderes oder faireres Mindset. „Generell war früher nicht alles besser, so gab es schon in den 1990ern die Drohungen mit einer Super League. Profifußball war immer schon Kapitalismus“, konstatiert Ropers.
Die größten Transferflops
Nicht alle Transfers bringen den gewünschten sportlichen Erfolg. Hier einige Flops aus dem europäischen Fußballgeschäft:
Ousmane Dembélé: Der Franzose wechselte um 105 Millionen Euro von Borussia Dortmund zum FC Barcelona und sollte Neymar ersetzen. Disziplinarprobleme und Verletzungen warfen ihn aus der Bahn. Heuer gewann Dembélé jedoch mit PSG die Champions League.
Eden Hazard: 100 Millionen Euro überwies Real Madrid für den Belgier an den FC Chelsea. Hazard überzeugte u. a. wegen Gewichtsproblemen nie.
Philippe Coutinho: Barcelona ließ sich die Dienste des Brasilianers inklusive Boni fast 160 Millionen Euro kosten, der Erfolg war überschaubar.
Neymar: Der Stürmer folgte 2023 dem Ruf des Geldes nach Saudi-Arabien. Bei Al Hilal brachte er es nur auf sieben Spiele, sein Vertrag wurde aufgelöst. Transfersumme: rund 90 Millionen Euro.
Antony: Der Brasilianer kostete Manchester United 2022 rund 95 Millionen Euro, außer peinlichen Tricks gab es wenig zu sehen. Er wurde nach Spanien verliehen, blühte dort wieder auf. Uniteds Abstieg zum Mitläufer in der Premier League liegt auch in solchen Harakiri-Transfers.
Romelu Lukaku: Der bullige Stürmer aus Belgien wurde von Inter Mailand um mehr als 100 Millionen Euro an Chelsea verkauft, war aber nicht erfolgreich und wurde mehrmals verliehen. Inzwischen steht Lukaku in den Diensten des SSC Neapel und wurde dort heuer italienischer Meister.
Paul Pogba: Für den Mittelfeldspieler, der 2018 mit Frankreich Weltmeister wurde, ging es nach dem Transfer 2016 von Juventus Turin zu Manchester United bergab. 2022 landet er wieder bei Juventus. Nach längerer Dopingsperre ist er vereinslos, soll aber beim AS Monaco unterschreiben.
Nicolas Pépé: 80 Millionen Euro gab Arsenal 2019 für den Franzosen aus, doch wenige Lichtblicke waren zu wenig. Schließlich wurde er verliehen und 2023 ablösefrei in die Türkei abgeben. Heute spielt Pépé in Spanien.


Bosman-Urteil als Gamechanger
Eine Zäsur in der Geschichte des Transfermarkts stellt die sogenannte Bosman-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 1995 dar. Dabei wurde festgelegt, dass Spieler nach Vertragsende ablösefrei innerhalb der EU wechseln dürfen; außerdem wurden Beschränkungen für Ausländer in Fußballmannschaften aufgehoben, soweit es sich um EU-Bürger handelt. Auslöser war eine Klage des belgischen Spielers Jean-Marc Bosman, der sich durch eine zu hohe Ablösesumme in seiner Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeschränkt sah. Nach mehreren Instanzen wurde der Fall dem EuGH vorgelegt, der entschied, dass Fußballer „normale“ Arbeitnehmer sind und ihnen die im EU-Recht verankerte Freizügigkeit zusteht. Ablösesummen nach Vertragsende wurden daher für unzulässig erklärt. Das Urteil veränderte die Transferpolitik grundlegend: Vereine verloren eine wichtige Einnahmequelle und mussten versuchen, Spieler mit höheren Gehältern bei sich zu halten. Bosman, dem Fußballprofis stark gestiegene Gagen verdanken, erhielt erst Jahre später eine Entschädigung.
Nie versiegende Geldquellen
Danach holte Real Madrid während der ersten Präsidentschaft des Unternehmers Florentino Pérez ab 2000 einen Star nach dem anderen in die spanische Hauptstadt, unter anderem Ronaldo und Zinédine Zidane. Später sorgte der FC Chelsea mit dem russischen Oligarchen Roman Abramowitsch für immer höhere Ablösesummen. Schließlich brachten sich die arabischen Golfstaaten ins Spiel: Katar finanziert Paris Saint-Germain (PSG), Abu Dhabi unterstützt Manchester City; in beiden Fällen brauchte es etwas Anlaufzeit, bis sich der Erfolg einstellte. Und die Geldquellen versiegen nicht, so hält der saudische Staatsfonds PIF inzwischen die Mehrheit an Newcastle United.
Es war der brasilianische Ballkünstler Neymar, für den 2017 alle finanziellen Grenzen überschritten wurden. Sein Kaufpreis wurde vom FC Barcelona auf 222 Millionen Euro festgesetzt – unter der Annahme, das könne ohnehin niemand zahlen. PSG konnte. – Dank der erwähnten Millionen aus Katar. „Dass dieser Betrag gezahlt wurde, hatte Folge-Effekte. Heute kostet jedes Top-Talent bereits 50 Millionen“, analysiert Ropers. Das bedeutet auch, dass andere Klubs beim Wettrüsten mitziehen müssen, manche nicht mithalten können und aussteigen.
Zahlen, Fakten und Gerüchte
Sinnbildlich für die wirtschaftliche Bedeutung der Fußballtransfers und des Transferfensters ist das Fußballportal transfermarkt.de, das heuer sein 25-jähriges Jubiläum feiert. Es wurde von Matthias Seidel als Forum für Gerüchte um Transfers gegründet. Das Timing des Werder-Bremen-Fans war gut, er nutzte das steigende Interesse an der fußballfreien Zeit zwischen den Saisonen. Heute hat das Unternehmen rund 140 Mitarbeiter und listet mehr als 1,3 Millionen Spielerinnen und Spielern von rund 120.000 Klubs auf. 27 Länderausgaben von Transfermarkt gibt es inzwischen, auch in Österreich. Seit 2007 ist transfermarkt.at für die rot-weiß-rote Fußballgemeinde die wichtigste Anlaufstelle für Transferinformationen. Weltweit stöbern 5,6 Millionen Besucher täglich auf dem Portal nach Gerüchten, vollzogenen Deals und Spielberichten. Schwarmintelligenz wird klug genutzt: Die Marktwerte beruhen neben redaktionellem Know-how auch auf den Schätzungen der Nutzer – die sorgen zudem für laufende Updates zu potenziellen Deals. Sogar große Klubs berufen sich auf die hier angegebenen Spielerwerte. Inzwischen hält der Springer-Verlag (Bild-Zeitung) die Mehrheit am Unternehmen; Gründer Seidel hat sich vor Kurzem aus der Geschäftsführung zurückgezogen, die nun aus dem Österreicher Thomas Lintz und Simon Torrico besteht. Dank des ungebrochenen Transferfiebers ist ein Ende der Erfolgsstory nicht abzusehen. Apropos: Am vielzitierten Deadline Day steigt das Interesse der Fußballfans sprunghaft an, dann sind es bis zu acht Millionen, die nach letzten Meldungen suchen.
Wer oder was ist SO viel wert?
Kann ein Mensch denn einen dreistelligen Millionenbetrag wert sein? Ropers meint: „Man muss den Faktor Mensch rausziehen. Es geht um seinen Körper, seine Beine, sein Gehirn. Es ist wie ein Firmendeal, so wie Facebook Instagram gekauft hat.“ Dazu gehört, dass sich Spieler als Marken inszenieren, etwa Kylian Mbappé oder Jude Bellingham. „Früher war es David Beckham. Vereine und Spieler sind Joint Ventures, die sich auf eine gewisse Zeit zusammentun.“
Finanzielle Vorgaben werden weitgehend ignoriert. „Die Regeln von UEFA und Premier League haben in der Realität kaum Auswirkungen“, meint Ropers. Auch da gibt es ein Wettrüsten – wer hat die besten Anwälte und wer hat die Ausdauer, vor jedes Gericht zu gehen? Außerdem umgehen die Klubs Vorgaben mit Tricks wie Leihen. „Bestraft werden nur die kleinen Vereine“, meint der Buchautor. Als Folge werden die großen Klubs immer mächtiger, jetzt haben sie auch noch die Einnahmen der Klub-WM. „Irgendwann ist die Champions League dann ein geschlossener Wettbewerb, wie die Ligen in den USA“, prognostiziert Ropers. Klubs wie Bayern München, Manchester City und PSG könnten diesen Wettbewerb fast gar nicht mehr verpassen. „Und wenn ein Klub wie City in Gefahr ist, dann kaufen sie einfach um 200 Millionen neue Spieler.“ Die UEFA sei schwach, die FIFA wolle nur ihre Kühe melken, sagt der Autor.
Ein kleiner Trost: Mit Geld allein ist es nicht getan – es braucht auch eine clevere Strategie. Zwei Milliarden soll PSG seit der Übernahme durch Qatar Sports Investments 2011 in Spieler investiert haben. Die Champions League wurde heuer ausgerechnet ohne Neymar und Mbappé gewonnen. PSG sei ein gutes Beispiel, dass es darauf ankommt, sein Geld clever zu investieren, meint Ropers. Tatsächlich kamen die Mittelfeldspieler Vitinha, Neves und Ruiz nicht als Weltstars, ergänzen sich aber prächtig. „PSG hat erkannt: Ausgewogene Kader sind besser als einzelne, sehr teure Spieler.“
Bleibt die Frage, was Klubs kleinerer, weniger finanzstarker Ligen ausrichten können? „Das Ziel kleinerer Ligen wie jener in Österreich kann sein, als Sprungbrett für größere Ligen zu fungieren, wie das die belgische Liga macht“, meint Ropers. Sturm Graz mache das aktuell sehr gut, auch das Ausleihen von Spielern sei eine gute Möglichkeit.
Text: Robert Prazak
Klub-WM in den USA
Beim Zusammentreffen mit den Fußballprofis von Juventus Turin übertraf US-Präsident Donald Trump seine skurrilsten Momente: Ob in ihrem Team auch Frauen spielen dürften, fragte er die verblüfften Kicker. – Er wollte eines seiner Lieblingsthemen ins Spiel bringen. Nebenbei brachte er noch den Krieg im Nahen Osten zur Sprache. Was hat ein italienischer Fußballklub überhaupt im Weißen Haus zu schaffen? Bei der derzeit stattfindenden Klub-WM in den USA treten Klubs aller Kontinenten gegeneinander an; aus Österreich ist Red Bull Salzburg dabei. Es ist ein Herzensprojekt von FIFA-Präsident Gianni Infantino, der damit eine weitere Einnahmequelle erschließt und zugleich dem europäischen Fußballverband UEFA eines auswischen will. Die Wirtschaftsmacht der europäischen Klubs mit ihrer weltweit beliebten Champions League ist Infantino ein Dorn im Auge.
„Football unites the world“ – Infantino überreichte Trump ein Shirt mit dem Aufdruck und es war ihm nicht einmal peinlich. Die FIFA, die politische Statements von Zuschauern und Spielern explizit verbietet, lässt sich das Turnier u. a. vom saudischen Staatsfonds PIF finanzieren, der auch politische Ziele verfolgt. Zwar sind einige Spiele – vor allem jene mit Beteiligung südamerikanischer Klubs – gut besucht, doch läuft das Turnier ohne große Anteilnahme der US-Bevölkerung. In Europa überwiegt die Kritik: Die großen Klubs werden dank der Einnahmen (der Sieger erhält eine Prämie von 125 Millionen Euro) noch mächtiger, zugleich erhöht das Turnier den Druck: Statt sich auf die nächste Saison vorzubereiten, müssen sie noch vor dem Sommer diese Spiele absolvieren. Das wiederum bedeutet, dass die Kader von Klubs wie Bayern München, Real Madrid und Manchester City noch größer werden müssen, um die Mehrfachbelastung abfedern zu können – zur Freude von Spielervermittlern. Wegen der Trump-Infantino-Festspiele wurde heuer sogar ein extra Transferfenster eingebaut.
Buchtipp
„Deadline Day. Die Machtspiele hinter dem Transfermarkt“
Sportjournalist und Ex-Transfermarkt.de-Mitarbeiter Max Ropers erklärt die Mechanismen hinter Fußballtransfers mit Fokus auf Deutschland, doch auch internationale Entwicklungen nimmt der Autor unter die Lupe. (Ullstein, Paperback, € 16,99)
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 26/25 erschienen.