Gernot Blümel: Doppelter Balanceakt in Opposition

Die SPÖ ist in die Mitte gerückt und wird wahrscheinlich einen Partner links von ihr wählen. Da bleibt viel Platz für rechte Opposition. Wie werden die ÖVP und Gernot Blümel diesen Platz nutzen? Eine Analyse von Kathrin Stainer-Hämmerle.

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Wien-Wahl - Gernot Blümel: Doppelter Balanceakt in Opposition
Kathrin Stainer-Hämmerle ist Politik- und Rechtswissenschaftlerin und Professorin für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Kärnten

Die wahre Volkspartei hieß am Wahlsonntag Michael Ludwig. Der Stadtchef stand wie ein Fels in der Brandung für alle Wienerinnen und Wiener mitten im politischen Feld. Bereits im Wahlkampf verteilte er großzügig Gutscheine und Versprechen an alle. Parteipolitik in der Stadt oder im Bund? Das tangiert doch keinen echten Bürgermeister. Dafür gibt es Personal: Gesundheitsstadtrat Peter Hacker etwa oder Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner. Wer das Sagen hat, darüber ließ Ludwig dennoch keine Zweifel aufkommen. Weder im Bund noch in der Stadtpartei. So breitbeinig er in Diskussion seinen Platz einnahm, so breit sollten sich alle von ihm vertreten fühlen und vertrauen können. Und so selbstbewusst wird er seinen gut abgesicherten Platz eins sowohl in der Stadt als auch in der Bundespartei machtstrategisch zu nützen wissen.

Das Feld in der politischen Mitte für Ludwig überließen die Türkisen mit ihrem anständigen Mitte-Rechts-Ruck. Um Stimmen von der skandalgebeutelten FPÖ einzusammeln meinten sie gar, es brauche nicht einmal einen Spitzenkandidaten mit echten Wien-Ambitionen. Viele enttäuschte FPÖ-Wähler blieben aber lieber zu Hause statt zur neuen ÖVP zu wechseln. Gewarnt hätte die ÖVP von ihren Erfahrungen 2010 sein können. Damals verlor Christine Marek mit Burkaverbot und Arbeitspflicht für Langzeitarbeitslose beinahe fünf Prozentpunkte. Gernot Blümel startete vorteilhaft vom historischen Tiefpunkt. Dennoch konnte er seinen Freund Sebastian Kurz nicht übertrumpfen. Auf das Wienergebnis der ÖVP bei der Nationalratswahl fehlen immer noch sechs Prozentpunkte. Doch von Platz vier auf Platz zwei mit dem größten historischen Zuwachs für die Partei ist ohne jeglichen Zweifel ein Erfolg. Sie ist jedenfalls die beste Voraussetzung mit dem großen Wählermarkt Wien Platz eins im Bund abzusichern. Insofern ist der Freundesdienst von Blümel geglückt.

Den größten historischen Verlust erlitt die FPÖ 2013 in Kärnten mit einem Absturz von 45 auf 17 Prozent. Die Begleitumstände ähnelten sich verblüffend. Jörg Haider trennte sich mit seinem Wahlverein BZÖ von seiner Heimatpartei und hinterließ Kärnten mit der Hypo-Landesbank einen Milliardenskandal. Dagegen muten das Oligarchinnenwerben und die Familienspesen seines Nachfolgers beinahe niedlich an. Das Muster bleibt das gleiche: Rechtspopulisten werden aufgrund von Versäumnissen anderer (meist Regierungs-)Parteien groß und sprengen sich dann selbst ohne Not in die Luft. Aus Sicht der FPÖ trägt Heinz-Christian Strache die Verantwortung für die Schlusslaterne. Spitzenkandidat Dominik Nepp und Parteichef Norbert Hofer muss für die Parteigremien allerdings mehr einfallen. Nach dem honigsüßen gegenseitigen Dank am Wahlabend folgt meist ansatzlos das Messerwetzen im Morgengrauen.

Einen Gefallen hat Strache seiner Altpartei jedenfalls erwiesen. Das war sein letztes Aufbäumen gegen die Politpension. Es war der letzte Wahlkampf, in dem er auf Augenhöhe in den Medien als Kandidat mitreden durfte. Es ist ein kleiner Trost für die FPÖ, dass mit Strache die Erinnerung an Ibiza und Spesenposten zumindest aus der tagesaktuellen Aufmerksamkeit verschwindet.

Bleiben noch die Grünen und die Neos, die beiden aussichtsreichsten Koalitionspartner. Die einen 2018 als politischer Lazarus gefeiert. Die anderen noch im Sommer wegen ihres Nobody an der Spitze belächelt. Birgit Hebein wurde ihr mangelndes rhetorisches Talent im Wahlkampf verziehen, Christoph Wiederkehr sein Strategiewechsel. Hat er doch zunächst eine Koalition zur Abwahl des roten Bürgermeisters ausgerufen und sich dann plötzlich als Juniorpartner angedient. Nun wird es darauf ankommen, ob Michael Ludwig das verzeiht. Oder den Grünen ihren Paarlauf mit der ÖVP für eine verkehrsfreie Innere Stadt. Koalitionsverhandlungen beginnen immer mit Inhalten und scheitern meist an mangelnder persönlicher Vertrauensbasis.

Die SPÖ ist in die Mitte gerückt und wird wahrscheinlich einen Partner links von ihr wählen. Da bleibt viel Platz für rechte Opposition. Über 100.000 enttäuschte FPÖ-Wähler sind zu Hause geblieben. Da gibt es in fünf Jahren wieder viel zu holen und das Konkurrenzfeld hat sich zugunsten der ÖVP verkleinert. Doch Oppositionsparteien sind stark von der Performance der Regierenden abhängig. Nur wenn die Wähler eine negative Bilanz ziehen, entsteht die nötige Wendestimmung. Doch Wien steht auch für Bundespolitik und als Kanzlerpartei kann die ÖVP hier rasch in eine Doppelmühle geraten, vor allem wenn ein Kandidat auf beiden Hochzeiten tanzt. Zudem lassen sich die Wiener ihre Stadt nicht schlechtreden, schon gar nicht gepaart mit Angstmache und Hetze. Es wird also ein doppelter Balanceakt für die Türkisen, doch die Voraussetzungen sind ähnlich gut wie für die SPÖ als Regierungspartei. Ludwig entscheidet, ob er die Reibungsfläche zum Bund mit Rot-Pink erhöhen will oder lieber mit den in ihrer dortigen Juniorpartnerrolle gefesselten Grünen den bewährten Weg fortsetzt.

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