Konstantin Wecker: "Die
Welt muss weiblich werden"

Er sieht das Patriarchat am Ende, den Neoliberalismus sowieso. Unseren stürmischen Zeiten hält Liedermacher und Poet Konstantin Wecker seine Vorstellung einer herrschaftsfreien Welt, "Utopia", entgegen

von Menschen - Konstantin Wecker: "Die
Welt muss weiblich werden" © Bild: imago images/Future Image

Es waren Briefe und Mails voll Anschuldigungen, die Konstantin Wecker zuletzt erreichten. Bitter enttäuschte Fans schrieben und wütend-aggressive Hörer machten ihren Gefühlen Luft. "Bist für mi gstorbn", schrieb dem Münchner Liedermacher ein Mann, der ihn bezichtigte, zum Handlanger der Regierung geworden zu sein, weil er an keinen rechtsbelasteten Corona-Demos teilnehmen wollte. Andere forderten ihn wiederum auf, seine Kritik an Innenminister Seehofer und Ministerpräsident Söder bleiben zu lassen. - Ja, was denn nun?

Die Welt des kritischen Sängers und Poeten bietet durchaus Raum für derart gegensätzliche Kritik, geht sie doch weit über jedes Schwarz-Weiß-Denken hinaus. Gerade in stürmischen Pandemiezeiten scheint das für manche komplex und anstrengend zu sein. Ja zu Demonstrationen, aber nicht mit Nazis. Ja zur Impfung, aber auch Ja zu allen, die sich aus Sorge dagegen verwehren. Anstrengend? Seine Gedanken legt Wecker, der gerade seinen 74. Geburtstag gefeiert hat, nun in zwei Werken offen (siehe unten). Und beweist, wie sehr er sich und seiner Vision einer herrschaftsfreien Welt die Treue hält. Auf dem Album "Utopia" kritisiert er ebenso zornig ("Schäm dich Europa"), wie er übermütig an das Gute glaubt ("Wir werden weiter träumen") und leidenschaftlich zur Selbsterkenntnis ermuntert. Bei Letzterem habe ihm die Poesie stets geholfen, sogar das Leben gerettet, sagt Wecker im News-Gespräch. Wir erreichten ihn in der Toskana beim Krafttanken für die anstehende Tour.

Herr Wecker, zuletzt haben Ihnen manche Fans die Freundschaft aufgekündigt. Interessanterweise aus völlig gegensätzlichen Gründen. Die einen warfen Ihnen vor, zum "Herrschaftsmegafon" geworden zu sein, den anderen war hingegen Ihre Kritik an der Politik zu laut. Ist es für Sie ein Grund zur Sorge, wenn es nur noch Pro oder Contra gibt?
Es ist ein Zeichen der Zeit. Angriffe bin ich mein Leben lang gewöhnt. Das ist okay, denn ich habe eine Meinung, die ich laut verkünde. Dabei ist klar, dass es auch in meinem Publikum Leute gibt, die nicht meiner Meinung sind. Alles andere wäre auch langweilig. Bis jetzt hat mein Publikum und mich die gleiche grundsätzliche Sehnsucht nach einer herrschaftsfreien Welt geeint. Die Sehnsucht nach einer Gesellschaft, die anders miteinander umgeht, als es uns der Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten gelehrt hat. Jetzt ist es aber so gekommen, dass manche Menschen in schweren Zeiten glauben, Kritik bestünde einzig und allein darin, sich auf Mythen zu verlegen. Das ist es, was mir Angst macht. Denn ich kenne mich ziemlich gut mit Faschismus aus. Ich weiß nicht erst seit Wilhelm Reichs Werk "Massenpsychologie des Faschismus", dass sich der Faschismus aus Mythen nährt. Mit vernünftigen Gedanken wäre er ja rational widerlegbar.

Sie fürchten die Spaltung der Gesellschaft also vor allem, weil sie Nährboden für Faschismus bietet?
Das sehe ich wirklich als Gefahr, ja. In ganz Europa haben sich in den Parlamenten rechte Parteien festgesetzt. Ich rede auch hier in Italien mit vielen Leuten, und die haben die gleichen Ängste.

Möglicherweise haben manche es missverstanden, dass Sie im Mai des Vorjahres zur Demonstration vor dem Bayerischen Innenministerium gerufen haben?
Das war unsere Demonstration "Break Isolation" gegen den unmenschlichen Umgang des Staates mit alten und pflegebedürftigen Menschen: isolieren und einsperren! Ein Wahnsinn. Sonst war ich auf mehreren Antikriegs-und Antirassismusdemonstrationen, aber ich würde doch nie mit Nazis an einer Demo teilnehmen. Die von den "Identitären" so bejubelten rechtsoffenen Demos sind eine große Gefahr.

Warum ist es denn so schwer geworden, komplexe Diskussionen zu führen, die über ein Dafür oder Dagegen hinausführen? Denken Sie nur an die Kunstaktion #allesdichtmachen
In Deutschland habe ich überhaupt das Gefühl, seit dem letzten Herbst ist Kultur so etwas Ähnliches wie der Kegelclub oder das Fitnesscenter, eine Freizeitbeschäftigung. Das ist es nicht! Kultur ist Nahrung für die Seele. Die Menschheit braucht Kultur. Ohne Kultur würden wir nicht mehr existieren. Die Kultur hat immer darauf hingewiesen, dass es noch etwas anderes gibt als Herrschaft und Wirtschaft. Von Tolstoi über Dostojewski bis zur "Odyssee" ist die Sehnsucht nach einer liebevollen Welt in der Kultur verankert. Da sind wir bei Utopia, der Idee einer herrschaftsfreien Welt

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Nach dieser Idee heißt auch Ihre neue CD "Utopia". Darauf führen Sie auch aus, warum der Neoliberalismus am Ende ist. Ist das nur ein Grund zur Freude? Folgt nicht jedem Ende ein Chaos?
Das haben wir ja im Moment, das Chaos. Mit dem Neoliberalismus ist übrigens auch das Patriarchat am Ende. Wir erleben gerade ein hoffentlich letztes Aufbäumen alter, autoritärer Männer. Lukaschenko, Trump, Orbán, Bolsonaro Und es gibt auch viele junge Machos, wie Herrn Kurz.

Was halten Sie denn von unserem Bundeskanzler Sebastian Kurz?
Ich halte ihn für gefährlich, wirklich gefährlich. Ich halte Herrn Kurz für einen machtbesessenen Opportunisten. Das ist meine Einschätzung.

Und was wünschen Sie Deutschlands Politik für die Wahl zur Ära nach Angela Merkel?
Dass sich die Grünen wieder darauf besinnen würden, was sie einmal für eine widerständige, antiautoritäre und pazifistische Bewegung waren.

Im Lied "Kein Recht auf Gehorsam" geht es um ein Dasein ohne Herrschaft. Wie weit geht denn diese Freiheit? Gilt sie auch für jene, die sich gerade nicht impfen lassen möchten, weil sie diesbezüglich Sorgen haben?
Wenn jemand Sorge hat, hat er ein Recht auf diese Sorge. Ich würde nie für eine Impfpflicht eintreten. Ich persönlich habe mich impfen lassen, aber ich bin jetzt 74 Jahre alt und habe in meinem Leben so viel Blödsinn zu mir genommen, dass ich glaube, die Impfung ist noch das Harmloseste.

Die Freiheit über alles?
Natürlich. Für mich liegt die Gefahr im bedingungslosen Gehorsam. Aber dem gegenüber steht die freiwillige Zurücknahme von Freiheiten zum Wohl anderer. Für die können wir uns entscheiden. Im Moment wünschen sich aber viele Menschen den einfachen Weg: dass ihnen irgendein Anführer sagt, was zu tun sei. Das macht mir Angst. Wissen Sie, Pazifismus wurde mir in die Wiege gelegt: Mein Vater hat in der NS-Zeit den Kriegsdienst verweigert und wie durch ein Wunder überlebt. Meine Eltern wurden in die Weltwirtschaftskrise geboren und verbrachten ihre Jugend im Zweiten Weltkrieg. Und wir jammern jetzt, weil wir ein paar Tage nicht feiern dürfen wie gewohnt? Man muss auch die Verhältnismäßigkeit sehen.

Sie sprechen auch vom Ende des Patriarchats. Worin erkennen Sie das?
Ganz einfach: Die Menschheit wird nicht überleben, wenn sie im Sinn des Patriarchats weitermacht, das nie eine echte Gleichheit von Mann und Frau zugelassen hat. Was haben wir denn erreicht in Tausenden Jahren der Herrschaft völlig psychopathischer Männer von Caligula bis Trump? Die Erde zerstört, die Tierwelt kaputt gemacht. Die Welt muss weiblich werden, es gibt keine andere Möglichkeit.

Auf der CD "Utopia" geht es - wie in Thomas Morus' gleichnamigem Roman -um die Idee des Zusammenlebens ohne Privateigentum und Geldwirtschaft. Geht das denn, eine Gesellschaft ohne Hierarchien?
Es ist das Wesen des Neoliberalismus, uns einzureden, dass der Mensch schlecht ist. Denn nur dann braucht er einen Herrscher. Dem ist aber nicht so, das zeigen wissenschaftliche Forschungen, und auch mein bewunderter Freund, der jüdische Psychologe Arno Gruen hat gesagt, dass der Mensch ein gutes Wesen ist, das nur von der Gesellschaft anfangs negativ beeinflusst wird. Was wäre denn, wenn wir jetzt mit 20 Menschen in eine Wohngemeinschaft ziehen würden? Glauben Sie, wir würden einen Führer wählen? Nein, wir bräuchten keinen, der uns sagt, was zu tun ist. Wir wären im schönen Sinn des Wortes anarchisch: eine Ordnung ohne Herrschaft. Ich weiß, dass diese Idee für viele Realisten naiv klingt, aber es ist das Wesen der Kunst, Träume und Ideen weiterzutragen. Goethe hat geschrieben: "In der Idee leben heißt das Unmögliche behandeln, als wenn es möglich wäre." Damit beschreibt er die Aufgabe von Kunst.

Ist eine anarchische Haltung auch das Werkzeug, mit dem wir die junge Generation für die Zukunft rüsten sollten?
Auch, und unsere Kinder brauchen vor allem bedingungslose Liebe. Liebe, ohne etwas dafür zu erwarten. Das habe ich durch meine Kinder gelernt, als sie klein waren. Das Zweite, das ich ihnen immer gesagt habe, ist: Pfeift auf jede Art von Wettbewerb, auf diesen Wahn, immer siegen zu müssen. Und auch heute rate ich meinen Studenten, Tagebuch zu führen. Ein Tagebuch, das niemand liest, das man vor den Eltern versteckt. Da lernt man sich wirklich kennen, nicht durch Likes und Herzchen. Bei diesem Instagram-Geschreibsel verkauft man seine Seele für Likes.

Es geht Ihnen in Ihren Gedichten stark um das Ich-Werden. "Sich selbst begegnen scheint mir des Alters Pflicht", heißt es da. Wen treffen Sie heute dabei und wie stark ähnelt er dem jungen Wecker?
Meine Gedichte zeigen mir vieles über mich, und es macht mich froh, dass sich in diesem Liederzyklus ein Großteil der Gedichte mit dem Alter beschäftigt. Es wäre peinlich, wenn ich mit 74 tun würde, als wäre ich 40. Manchmal fühle ich mich so. Aber in der Tiefe meiner Seele spielt die Auseinandersetzung mit dem Alter auch eine schmerzhafte Rolle. Sie ist nicht schön in dieser Gesellschaft, in der man nicht alt sein darf. Aus meinen Gedichten habe ich aber immer viel gelernt.

Was zum Beispiel?
Sie waren in meiner Drogenzeit wichtig für mich, als es mir nicht gut ging. Da habe ich geglaubt, alles ist großartig, die ganze Welt ist toll. Deswegen nimmt man ja auch Drogen, um das zu glauben. Gleichzeitig habe ich Gedichte geschrieben, die mir gezeigt haben, wie es wirklich um mich steht. Gott sei Dank habe ich sie zugelassen. Ich glaube, die Poesie hat mir damals sehr geholfen. Man kann sich in der Poesie wirklich kennenlernen, weil sie in die Tiefe des wirklichen Selbst reicht. Und deswegen nochmal: Deswegen ist die Kultur so wichtig!

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Die Liebe beschreiben Sie sehr differenziert in "Was uns am Leben hält". Hat sich Ihr Blick auf die Liebe mit den Jahren verändert?
Das Lied ist der Versuch, der Liebe auf die Spur zu kommen. Worte sind ja doch nur Symbole. Wenn sie mit 16 Jahren Rilke gelesen haben und dann zwanzig Jahre später lesen, dann sind es noch immer dieselben Worte, aber es ist ein anderes Gedicht. So ist es für mich mit der Liebe. Wenn man das Wort Liebe auf diese Art betrachtet, entdeckt man, was noch alles in diesem schönen Wort verborgen ist.

Männern haben Sie einmal empfohlen, Liebende zu werden. Was müssen Männer dafür noch lernen?
Dass sie nicht in erster Linie nur geliebt werden wollen! Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Früher, als junger Mann, fiel es mir leichter, die Poesie zu lieben und die Menschheit zu lieben, als wirklich ein Liebender im persönlichen Bereich zu sein. Ich wurde in einer Generation von alten Machos geboren. Auch die 68er-Generation war eine Männerbewegung. Wir haben den Feminismus zwar zugelassen, weil er politisch wichtig war, aber wir sind dabei Machos geblieben. Viele junge Männer heute - wie meine Söhne -agieren und sprechen dagegen völlig machofrei. Da hat sich viel geändert.

Psychologinnen wie Esther Perel meinen, Männer hätten es durch den Wandel im Männerbild aktuell sogar schwerer als Frauen.
Das kann durchaus sein, weil sie noch immer mit diesen herrschenden Alt-Machos konfrontiert sind und dieses Männerbild auch permanent verbreitet wird von erzkonservativen Politikern, die behaupten, dass es den Klimawandel nicht gibt, und die Frauenbewegung schlechtreden. Aber ich sehe auch, dass sich da viel geändert hat. "Fridays for Future" ist eine weibliche Bewegung, und die jungen und engagierten Männer dieser Bewegung haben da überhaupt kein Problem damit.

Ihr Buch "Poesie und Widerstand in stürmischen Zeiten" thematisiert auch unseren Umgang mit dem Tod und erzählt davon, wie Sie Ihre Eltern am Sterbebett begleitet haben. Beschäftigt Sie die eigene Sterblichkeit?
Klar beschäftigt man sich mit der eigenen Sterblichkeit. Vor allem, wenn man ein Leben geführt hat wie ich. Ich habe über Jahrzehnte hinweg so getan, als hätte ich einen unsterblichen Körper. Völlig wahnsinnig. Im Rückblick fällt mir natürlich noch stärker auf, dass ich schon auch ein Riesennarr gewesen bin. Das Einzige, das mich immer am Leben gehalten hat, waren meine Poesie und das Glück, dass ich arbeiten durfte. Nach dem Lied "Willy" 1977 habe ich diese Erwartungshaltung gespürt, dass mein Publikum wieder genau so ein Lied will. Da bin ich auf die Bühne gegangen und habe als Einleitung gesagt: "Ich bin's nicht! Ich bin auf keinen Fall der oder das, was Sie erwartet haben! Ich singe, weil ich ein Lied hab -nicht weil es euch gefällt " Das habe ich Gott sei Dank immer durchhalten können. Das ist wichtiger als aller Ruhm und Geld. Ich war eine Zeit lang ziemlich berühmt, und das war auch lästig. Das sage ich auch meinen Studenten: "Hier mit mir seid ihr, weil ihr ein Lied habt. Wenn ihr reich und berühmt werden wollt, müsst ihr zu Dieter Bohlen."

Inwieweit haben Sie an Ihrer Berühmtheit gelitten?
Es war die Tatsache, dass ich pauschal und nur noch aus einem Blickwinkel gesehen wurde. Dadurch wird einem kreativen Menschen die ganze Freiheit genommen, sich immer wieder neu zu erschaffen.

In der Zeit Ihrer Berühmtheit sind Sie mit Ihrem Privatleben sehr offen umgegangen. Heute halten Sie sich über Privates bedeckt. Warum?
Das war ein Lernprozess. Nach meiner Drogenaffäre habe ich gedacht, es ist am besten, wenn ich ganz offen darüber rede. Dann kam der Anruf eines Boulevardblatts. Da wurde mir mitgeteilt, dass es eine mehr oder weniger erfundene Skandalgeschichte über ein verwüstetes Hotelzimmer geben würde, und mir wurde zynisch gesagt, ich könne ja tags darauf dazu Stellung beziehen. "Gar nichts sage ich dazu", war meine Antwort. In dieser Zeit habe ich mich entschieden, meinen Mund zu halten, nur noch inhaltlich zu sprechen und nur mit Menschen, mit denen man inhaltlich überhaupt reden kann.

Dieses Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News (23/2021) erschienen.