Wer kann Kickl schlagen?

Im Zuge der Mitgliederbefragung trifft die SPÖ auch die wichtige Entscheidung, wie sie bei der Nationalratswahl 2024 wieder Nummer eins werden will. Mit den drei Kandidaten stehen drei unterschiedliche Strategien zur Wahl: Weiter so wie bisher, ein Ruck nach rechts – oder lieber doch mehr Orientierung nach links.

von Wer kann Kickl schlagen? © Bild: IMAGO/SEPA.Media

Seit 24. April läuft die spannendste oder zumindest unberechenbarste Wahl dieses Jahres: Knapp 150.000 SPÖ-Mitglieder dürfen bis 10. Mai darüber abstimmen, wer Vorsitzender und Spitzenkandidat ihrer Partei werden soll. Zur Wahl stehen die amtierende SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner, Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil und Andreas Babler, Bürgermeister der niederösterreichischen Stadt Traiskirchen. Die drei Kandidaten müssen vor allem auf eine Frage die richtige Antwort geben können: Wie kann die SPÖ bei der Nationalratswahl 2024 wieder zur Nummer eins werden? Wer kann einen Kanzler Herbert Kickl verhindern?

Verluste in Salzburg

Die gerade geschlagene Landtagswahl in Salzburg zeigt das Problem: Die FPÖ legte stark zu, während die SPÖ erneut Stimmen verlor und jetzt nur mehr bei knapp 18 Prozent hält. Es gibt unterschiedliche Erklärungen dafür, an wen die SPÖ in Salzburg Stimmen abgeben musste. Das Sora-Institut sieht die größte Gruppe zur KPÖ plus abwandern; laut Untersuchung der Salzburger Landesstatistik verlor die SPÖ viele Stimmen ans Nichtwähler-Lager.

So oder so: Dem Salzburger SPÖ-Spitzenkandidaten David Egger, einem deklarierten Doskozil-Unterstützer, gelang es im Wahlkampf nicht, plausible Lösungen für drängende Probleme anzubieten. Auch Versuche, FPÖ-Wähler anzusprechen – Egger hatte sich in einer Wahlkampfdebatte offen dafür gezeigt, rechtswidrige Coronastrafen zurückzuzahlen – fruchteten nicht. Die Wählerstromanalysen von Sora und Landesstatistik zeigen übereinstimmend, dass kaum FPÖ-Wähler zur SPÖ wechselten.

Ob die SPÖ unter Pamela Rendi-Wagner, Hans Peter Doskozil oder Andreas Babler bei Nationalratswahlen die besten Chancen gegen die Kickl-FPÖ hätte, darüber streiten sich Anhänger der drei Kandidaten seit Wochen erbittert.

Die Meinungsforschung hat dazu auch nichts allzu Erhellendes beizutragen. Es sei zum Beispiel viel weniger klar, als oft kolportiert, dass Doskozil in der Gesamtbevölkerung besser ankomme als Rendi-Wagner, sagt Matthias Rohrer, Autor einer aktuellen Meinungsumfrage über die SPÖ (siehe Grafik).

© News Zum Vergrößern klicken

Während Doskozil in Nichtwähler-, ÖVP- und FPÖ-Kreise hineinstrahlt, punktet Rendi-Wagner bei Menschen, die auch Grüne oder Neos wählen würden. "Die könnten verloren gehen, wenn Doskozil das Rennen macht", sagt Rohrer. "Doskozil würde es umgekehrt schaffen, anderswo dazuzugewinnen. Die große Frage ist aber, ob das so viel mehr ist, oder ob wir unterm Strich wieder über ein ähnliches Wählerpotenzial sprechen, das sich aber aus anderen Pools schöpft. Und es ist auch nicht klar, ob die Wähler, die jetzt ihre Sympathien für Doskozil äußern, ihn dann auch tatsächlich wählen würden."

Zersplitterung links der Mitte

Er sehe auf die SPÖ ein ganz anderes Problem zukommen, über das zu wenig diskutiert werde, sagt Rohrer. "Links der Mitte tut sich auch einiges. Da ist einerseits die Bier-Partei, die noch immer, wenn sie in Umfragen mit abgefragt wird, bei Sonntagsfragen vier, fünf Prozent erreicht. Und wir sehen eine wiedererstarkende KPÖ. Es kann also leicht passieren, dass man links der Mitte nicht nur SPÖ, Grüne und Neos hat, die gemeinsam auf über 50 Prozent kommen, sondern dass man über Viererkoalitionen nachdenken müsste. Und das sehe ich in Österreich nicht.“ Eine Ampelkoalition, wie Doskozil und Babler sie sich vorstellen, wäre dann also nicht möglich.

Die große Unbekannte in den Umfragen zur SPÖ ist Andreas Babler. Viele Befragte kennen den Bürgermeister von Traiskirchen (noch) nicht. Hätte er eine Chance, enttäuschte Nicht-und FPÖ-Wähler zur SPÖ zurückzuholen? Warum nicht, meint Meinungsforscher Rohrer. "Jemand, der es geschafft hat, in einer Kleinstadt mit mehr als 70 Prozent zum Bürgermeister gewählt zu werden, muss es auch dort geschafft haben, mehr als die SPÖ-Kernklientel anzusprechen. Traiskirchen ist ja keine linke Akademiker-Bobo-Stadt. Und Babler hat durch seine Unbekanntheit vielleicht die Chance, ohne Vorbelastung in bestimmte Milieus hineinzugehen und als Anti-Establishment-Kandidat zu funktionieren."

Lehren aus Salzburg

Welche Lehren aus der Salzburg-Wahl für die SPÖ-Mitgliederbefragung gezogen werden können, darüber herrscht Uneinigkeit. Zeigt der Erfolg der KPÖ, dass die SPÖ nach links rücken muss, wie Babler-Unterstützer meinen? Würde ein Linksruck die Chancen der SPÖ, in breiten Wählergruppen zu punkten, verkleinern, wie Doskozil-Fans vermuten? Sind Doskozil und Babler schuld an Eggers schlechtem Abschneiden, wegen öffentlicher Insubordination, oder Rendi-Wagner, weil die Partei unter ihrer Führung wenig Strahlkraft entwickelt hat? Wenn die SPÖ 2024 gegen die FPÖ den Hauch einer Chance haben will, sollte sie diese Fragen rasch beantworten.

PAMELA RENDI-WAGNER

Parteigranden und Frauen stützen sie

Es ist Samstagfrüh und der Platz vor "Stage 3", einer Halle im 3. Bezirk, füllt sich. Die Wiener SPÖ-Frauen halten hier ihre Frauenkonferenz 2023 ab. Bürgermeister Michael Ludwig ist überpünktlich, schon um 8.30 Uhr trifft er bei den Genossinnen ein. Ein Auftritt bei ihnen ist immer Pflicht. Diesmal geht es dem Wiener SPÖ-Chef aber nicht nur darum, einer wichtigen Teilorganisation Anerkennung zu zollen. Er führt hier einen Wahlkampf - jedoch nicht für sich selbst.

Kurz darauf fährt Pamela Rendi-Wagner vor. Wenn später bei der Konferenz von Frauensolidarität und dem Kampf um Gleichberechtigung die Rede ist, geht es immer auch um sie. Sie beginnt Hände zu schütteln, eilt irgendwann doch an der Schlange der Delegierten vorbei in die Halle. Dort schart sie ihre Unterstützerinnen um sich. Nicht alle der Anwesenden sind in ihrem Lager, wie sich bei den Standing Ovations zeigt, die zögerlich beginnen und nicht vollständig auf die Sitzreihen mit den Vertreterinnen aller Bezirke übergreifen. "Es wäre gelogen, würde ich sagen, alle unsere Mitglieder stehen bedingungslos hinter Pamela Rendi-Wagner", bestätigt Bundes-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner später im Gespräch. Wie im Rest der SPÖ ist das Bild gemischt: Es gibt auch hier Unterstützerinnen von Hans Peter Doskozil und Andreas Babler.

Auf wen Rendi-Wagner zählt

In den Tagen vor Beginn der Mitgliederbefragung dirigiert Rendi-Wagners Team einen Chor prominenter Unterstützer. Parteigranden im Ruhestand sollen der amtierenden Parteichefin die nötige Gravität verschaffen: Die roten Alt-Kanzler von Franz Vranitzky bis Werner Faymann appellieren an die SPÖ-Mitglieder, für Rendi-Wagner zu stimmen (Christian Kern, der sie in die Politik geholt hat, hat sich am Mittwoch auf Facebook mit Verweis auf die besseren Chancen gegen die FPÖ für Doskozil ausgesprochen). Alt-Bürgermeister Michael Häupl gibt ein Doppelinterview mit ihr. Alt-Bundespräsident Heinz Fischer meldet sich zu Wort. "Die Leisen, die Anständigen, die schweigende Mehrheit" wolle man damit erreichen, heißt es aus dem Umfeld Rendi-Wagners. Und eben die Frauen.

»Es kann mir nicht egal sein, wie mit Frauen in unserer Bewegung umgegangen wird«

Eva-Maria Holzleitner, Bundesfrauenvorsitzende der SPÖ

"Ich freue mich, euch alle zu spüren", beginnt Rendi-Wagner ihre Rede. "Das gibt mir Kraft, auch in diesen Zeiten weiterzugehen." Sie spricht "über die Regierung, die von einer Krise in die nächste stolpert", hebt die besondere Betroffenheit der Frauen hervor, spannt den Bogen von der Teuerung über niedrigere Fraueneinkommen und mangelnde Kinderbetreuung zur "absurden Idee" von Arbeitsminister Martin Kocher, bei "Teilzeitarbeit Sozialhilfen zu streichen. Ich habe ihm im Parlament gesagt, wenn Sie glauben, das umsetzen zu können, wird unser Widerstand bisher nur ein kleines Lüfterl gewesen sein." Weiter geht es mit der Mehrfachbelastung und den Frauen als Krisenmanagerinnen, "auch in der Partei. Auch da haben Frauen mehr verdient, als nur den Dreck wegzuräumen von den Männern."

Die Abrechnung mit ihren Herausforderern geht weiter: In den vergangenen viereinhalb Jahren sei sie "mit Querschüssen von ausschließlich männlichen Genossen" konfrontiert gewesen. Und: "Einige Männer haben explizit der ersten weiblichen Parteivorsitzenden ihre Solidarität vom ersten Tag an verweigert. Das ist schmerzvoll." Das Umfragehoch im vergangenen Sommer sei in eine Phase gefallen, "als die Querschüsse weniger waren. Das zeigt, welches Potenzial in uns steckt." Und Rendi-Wagner sagt: "Es geht nicht um mich, und es würde vielen guttun, nicht an sich zu denken. Weniger Egotrips, mehr Solidarität."

© Ricardo Herrgott/News Pamela Rendi-Wagner beim Kongress der Wiener SPÖ-Frauen. Deren Spitze und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig erklären sich "klar solidarisch" mit ihr

Nach der Parteichefin tritt Holzleitner ans Rednerinnenpult: "Als Frauenvorsitzender kann es mir nicht egal sein, wie mit Frauen in unserer Bewegung umgegangen wird", sagt sie. "Wir sind klar solidarisch mit Pamela Rendi-Wagner. Es ist meine Aufgabe als Bundesfrauenvorsitzende, an der Seite von Frauen zu stehen." Die Frauenorganisation hat Fragebögen zur Frauenpolitik ausgeschickt. Wer an die Spitze der SPÖ kommen will, tut gut daran, sie ernsthaft zu beantworten (nachzulesen unter www.frauen.spoe.at). Gab es Überraschungen aus Frauensicht? Holzleitner: "Es ist nicht unerwartet, dass Hans Peter Doskozil nicht so viel mit Frauenquoten anfangen kann. Aber man findet sich dann wieder beim kommunalpolitischen Programm." Insgesamt gebe es bei allen dreien viel Zustimmung zu frauenpolitischen Themen, die Herangehensweise sei aber im Burgenland vielleicht anders als in Wien.

Wien und die Länder

Rendi-Wagner ist die Kandidatin der Wiener SPÖ, der parteiinterne Wahlkampf ist dadurch auch zu einem Geplänkel Bundesländer versus Bundeshauptstadt geworden. "Ich habe ein Problem mit dem Umgang parteiintern", grollt denn auch Michael Ludwig in seiner Rede: ",Elitäre Blase' und ,die Partei den Mitgliedern zurückgeben', das müssen wir uns nicht nachsagen lassen." Selbstkritisch merkt Ludwig an, dass "wir lang zugeschaut haben", als sich SPÖ-intern die Kritiker formierten. "Wir haben eine gute Frau an der Spitze, die sollten wir unterstützen. Nicht nur, weil Du eine Frau bist, sondern weil Du inhaltlich gut bist", sagt er, und zerpflückt Doskozils Politik der Mindestlöhne und der "Privatisierung der Wohnbauförderung". In der Wiener SPÖ setzt man auf Umfragen, die zeigen sollen, dass die SPÖ in der Bundeshauptstadt bei Nationalratswahlen am besten mit Rendi-Wagner abschneiden würde. Am zweitbesten würde es mit Andreas Babler laufen. Dann erst kommt Doskozil. "Es ist ein Irrtum, dass er die FPÖ-Stimmen anlockt", heißt es.

Eine Oppositionspolitikerin, "die es geschafft hat, Druck auf die Bundesregierung aufzubauen", und den Führungsanspruch für ihre Partei stellt, urban und weltgewandt. Das ist das Bild, das Rendi-Wagner von sich zeichnet. Freitagmittag hat sie einen Auftritt im gediegenen Ambiente der Diplomatischen Akademie in Wien. Dimitar Kovacevski, sozialdemokratischer Ministerpräsident von Nordmazedonien, hält einen Vortrag. Rendi-Wagner spricht in gepflegtem Englisch einleitende Worte. Sie verweist auf Bruno Kreiskys Leistungen in Südosteuropa und fordert eine EU-Beitritts-Perspektive für die Westbalkanländer. In der Rolle der Staatsfrau fühlt sich Rendi-Wagner sichtlich wohl. Der Austausch mit Kovacevski, sagt sie nachher, war eine willkommene Abwechslung von der Causa prima, die sie dieser Tage beschäftigt. Die SPÖ-Mitgliederbefragung.

HANS PETER DOSKOZIL

Der Kandidat der Nichtwiener

Sonntagabend in Knittelfeld. Im Fernsehen laufen die ersten, für die SPÖ unerfreulichen Hochrechnungen aus Salzburg. Doch für Hans Peter Doskozil geht es hier um Wahlkampf in eigener Sache. Knittelfeld ist fast ein Heimspiel. Max Lercher, der diesen Wahlkampf organisiert, ist Regionalparteivorsitzender der SPÖ Obersteiermark-West. Und strahlt. Denn der Saal im Kulturhaus füllt sich, zusätzliche Sessel müssen herangeschafft werden. Laute Musik soll die Wartezeit verkürzen. "Love Is in the Air", "You Are the One That I Want", und als der burgenländische Landeshauptmann erscheint: "Glory Days".

Kandidat der Bürgermeister:innen

Die Rollen sind klar verteilt. Doskozil gibt den Erklärer. Für Pathos und Wuchteln ist Lercher zuständig. Und, hier in Knittelfeld, auch der Bürgermeister, Harald Bergmann. "Das Bild, das die Partei abgegeben hat, war nicht so gut", sagt er und: "Wer was dagegen sagt, ist ein Nestbeschmutzer und ein Heckenschütze." Er zielt damit auf Rendi-Wagners Lager ab, das Doskozil so tituliert. "Die Partei gehört den Mitgliedern, nicht den Leuten in Wien, den paar", sagt Bergmann und erntet Zwischenapplaus.

Doskozil setzt auf jene, die sich von "den Wienern" eben nicht vertreten fühlen. "Man sieht ganz klar, er hat die stärkste Zustimmung aus der kommunalen Basis, also von den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, den Ortsparteivorsitzenden, von der mittleren Funktionärsschicht, den Ehrenamtlichen, den Betriebsrätinnen und Betriebsräten und von vielen Mitgliedern", erklärt Max Lercher im Gespräch mit News. "Ich glaube, dass der Hans Peter ganz stark in der schweigenden Mehrheit dieser Partei vertreten ist. Das merken wir, je länger diese Tour dauert, ganz stark."

»Diese Auseinandersetzung lässt sich nicht darauf reduzieren, dass hier ein Mann eine Frau mobbt«

Max Lercher, Doskozil-Unterstützer und ehemaliger SPÖ-Bundesgeschäftsführer

Dass Rendi-Wagners Lager bei Doskozil Illoyalität und Frauenfeindlichkeit sieht, kontert Lercher so: "Diese Auseinandersetzung lässt sich nicht darauf reduzieren, dass hier ein Mann eine Frau mobbt. Das stimmt so nicht. Wir haben eine sehr, sehr starke inhaltliche Auseinandersetzung und Klärung vor uns, die schon vor Rendi-Wagner und Doskozil an vielen Fronten der Sozialdemokratie begonnen hat und nie zu Ende geführt wurde. Das steht uns jetzt bevor. Bei allen Fehlern, die in der Vergangenheit passiert sind, würde ich trotzdem dafür plädieren, dass wir uns jetzt an den Inhalten abarbeiten und nicht mehr an den Befindlichkeiten."

Drinnen im Saal klingt das von Lercher dann so: "Man spürt die Kraft, die ihr gebt. Wir werden uns nicht mit Mitbewerbern beschäftigen, weil darum geht es nicht." Und: "Sind Fehler gemacht worden? Ja! Sind sie von einer Person gemacht worden? Nein! Die Sozialdemokratie hat sich in der Vergangenheit gescheut, eine klare Linie für sich zu definieren. Wir sind weit weg von jenen, für die wir gegründet wurden, das müssen wir jetzt geraderücken."

"Er kann gewinnen"

Doskozil wird von den Seinen nicht nur als Kandidat der Nichtwiener gepusht, sondern auch als der, der Kickl schlagen kann. "Stimmen aus dem schwarz-blauen Block, die bekommt nur einer, der Hans Peter", ruft Lercher ins Publikum. Er sei der "Macher", der die Leute versteht und die ihn verstehen. Auf die Frage, warum er sich dem Doskozil-Lager angeschlossen habe und nicht selbst in den Ring gestiegen sei, sagt Lercher: "Weil ich einen Menschen erlebe, der Substanz lebt, viel inhaltlicher in der Politik ist als manche andere, der nicht nur Schwarz und Weiß sieht, sondern ganz viele Grautöne herausarbeitet und alles tut, um etwas zu verändern. Er kennt und kann die politische Tat." Dass das Partei-Establishment Doskozil demonstrativ nicht unterstützt? "Das ist Wahlkampf. Das sind wir in der SPÖ nicht gewohnt. Aber das Gute bei der Befragung ist, auch die sogenannten Prominenten haben nur eine Stimme. Da sind wir alle gleich."

© Ricardo Herrgott/News Hans Peter Doskozil tourt durch die Bundesländer, um seine Politik zu erklären und um Stimmen zu werben. An seiner Seite: Max Lercher

Dann gehört die Bühne Doskozil. Ein Moderator, Parteifunktionärinnen und das Publikum stellen Fragen. Überraschend ist wohl keine für ihn, so oft hat er seinen Weg schon erklärt. Mehr als zwei Stunden redet er, vielleicht auch eine Demonstration, dass seine Stimme einen Wahlkampf durchhalten kann. Er erklärt sein Mindestlohnmodell, erzählt von seinem Fahrer, einem Jugendfreund, der früher Fliesenleger war, von seinem Vater, der mit seinem Lohn als Arbeiter in den 1970er-Jahren ein Haus bauen konnte, was heute kaum mehr möglich ist. "Da stimmt doch etwas nicht", sagt er oft. Und dass es auch anders gehen muss. Zur Kritik, seine Idee schwäche die Gewerkschaften, sagt er: "Ich würde mir starke Bande mit der Gewerkschaft wünschen." Und dass diese Mindestlöhne durchsetzt -mit dem Argument: "Sonst gibt es da einen verrückten Burgenländer, der macht den Mindestlohn gesetzlich."

Biowende, Vollspaltenböden, Zwei-Klassen-Medizin, Pflege, Kindergrundsicherung - viele Details. "Da stimmt doch etwas nicht." Lösung. Oder so.

Es kommt die Frage nach dem Außengrenzschutz. "Das ist jetzt vielleicht nicht attraktiv: Aber was wir derzeit machen, wird das Problem nicht lösen. Das sind Maßnahmen, um die Bevölkerung zu beruhigen." Klare Regeln und einen starken Staat brauche es, der diese Regeln umsetzt. "Wenn von jenen, die kein Asyl bekommen, 90 Prozent nicht abgeschoben werden, verstehe ich, dass die Bevölkerung das nicht versteht. Aber wenn man das sagt, ist man gleich ein rechter Politiker", so Doskozil, der sich zum Asylrecht bekennt und "Scheinheiligkeit in unserer Partei" anprangert.

Nicht mit ÖVP und FPÖ

Dann kommt die Gretchenfrage, Koalition mit der FPÖ, ja oder nein? "Ich möchte noch die Wohnbaupolitik ansprechen, weil mir die wirklich am Herzen liegt", antwortet Doskozil, und es folgt eine weitere detailreiche Erklärung. Doch dann kommt's: "Ich will weder mit der ÖVP noch mit der FPÖ in eine Koalition gehen." Die Aufgabe sei, Wähler von FPÖ und ÖVP zurückzuholen. "Ein Fehler der Vergangenheit war es, die Blauen auszuschließen und dabei auch ihre Wähler ins rechte Eck zu stellen. Man muss ihnen aber ein Angebot machen. Die Zeit ist reif und war noch nie so günstig: Wir müssen über 30 Prozent kommen. Und dann einen Fehler nicht machen: Uns einlullen lassen von einer Großen Koalition und der ÖVP das Finanz- und das Innenministerium geben."

Die Absage an die ÖVP gefällt dem Publikum mindestens so gut wie jene an die FPÖ. "Ein Hoch auf das, was vor uns liegt, ein Hoch auf uns", tönt am Schluss Andreas Bourani aus den Lautsprechern.

ANDREAS BABLER

Der Hoffnungsträger der SPÖ-Basis

Ein Gemeindebau im dritten Wiener Gemeindebezirk. Hunderte Menschen haben sich bei Dosenbier und Punsch -es ist zwar Frühling, aber kalt-versammelt, um Andreas Babler zu sehen und zu hören. Der Bürgermeister von Traiskirchen tourt wochenlang durch das Land, absolviert teilweise vier Termine pro Tag, um sich und seine Ideen zu präsentieren. Babler, schon länger eine Ikone der Parteilinken, gilt bei der SPÖ-Mitgliederbefragung als Mann der Basis. Er bemüht sich, bei seinen Auftritten ein Momentum zu erzeugen. Aufbruchsstimmung. Jetzt, beschwört er seine Fans, alteingesessene wie neu beigetretene, sei der Zeitpunkt gekommen, um der Bewegung neuen Schwung zu verleihen! Um zu den wahren Werten der Sozialdemokratie zurückzukehren!

In seiner gut einstündigen, weitgehend frei gehaltenen Rede spannt Babler einen Bogen von der Gleichstellung über die Teuerung bis zur Pflege. Er findet auch schlüssige Antworten auf Fragen, mit denen sich die SPÖ normalerweise schwertut. Der Klimawandel ist für ihn ein soziales Problem, bei dem es darum gehe, die Lebensgrundlage der vielen zu sichern. Arbeitsmigration sei notwendig, "weil es sonst finster und schmutzig wird in diesem Land". Ausländer sieht Babler nicht als dunkle Bedrohung, sondern als "unsere Leit", die - gewerkschaftlich organisiert - daran mitwirken, alles am Laufen zu halten.

»Es ist nicht die Aufgabe der SPÖ, bei bürgerlichen Wählern anzukommen«

Nikolaus Kowall. Der stv. Vorsitzende der SPÖ Alsergrund gilt als "Parteirebell" und unterstützt Andreas Babler

Babler beendet seine Rede mit der Abwandlung eines Willy-Brandt-Zitats: "Mehr Sozialdemokratie wagen." Danach wird er von Menschen bestürmt, die ein kurzes Gespräch und ein Foto wollen. Babler, der Polit-Rockstar, der, von der Basis getragen, die verkrusteten Parteistrukturen aufbricht und die Sozialdemokratie wiederbelebt. Ist es das, was gerade passiert? Oder zerplatzt die Seifenblase, wenn das Ergebnis der Mitgliederbefragung bekannt gegeben wird?

Bei FPÖ-Wählern punkten

Unklar ist auch, bei welchen Wählerinnen und Wählern Babler als SPÖ-Chef punkten könnte. Aktuelle Umfragen zeigen, dass er bei Grün- und Neos-Wählerinnen besonders gut ankommt. Nikolaus Kowall, stellvertretender Vorsitzender der SPÖ Alsergrund und Babler-Unterstützer der ersten Stunde, ist aber überzeugt davon, dass Babler bei entsprechender Bekanntheit FPÖ-und Nichtwähler ansprechen könnte - wichtige Voraussetzung für eine Ampelkoalition. Rendi-Wagner und die Wiener SPÖ würden darauf setzen, innerhalb des erweiterten progressiven Lagers Stimmen zu gewinnen, sagt Kowall, aber nicht versuchen, Stimmen von der FPÖ und Nichtwählern zurückzuholen. "Doskozil und Babler wollen das beide und haben da ganz unterschiedliche Zugänge. Der Doskozil-Zugang ist, sich an rechts anzubiedern, das halte ich aber nicht nur für weltanschaulich falsch, sondern auch für strategisch unintelligent. Dann hat man nämlich drei rechtspopulistische Parteien: einen blauen Super-Schmied, einen türkisen Halb-Schmied und einen roten Schmiedl mit Mindestlohn. Das bringt nichts aus wahltaktischer Sicht. Babler und alle um ihn herum wollen die FPÖ-Wähler und die Nichtwähler auch zurück, aber eben mit einem ganz anderen Zugang. Für diesen Zugang kann man sich von einem Dankl mehr abschauen als von einem Kickl."

© Ricardo Herrgott/News Babler tritt in FC-St.-Pauli-Jacke in einem Wiener Gemeindebau auf. Rund 400 Zuhörer frieren, trinken Dosenbier und bejubeln Bablers Rede

Ein starker Fokus auf soziale Fragen, ein ungewöhnlicher Zugang zum Thema Migration (hier macht ihm keiner so schnell etwas vor, in Traiskirchen steht Österreichs größtes Flüchtlingslager), das ist der Kern von Bablers Politik. Und viel Authentizität. Babler, der in jungen Jahren selbst ein paar Jahre am Fließband gearbeitet hat, betont seine Herkunft aus einer Arbeiterfamilie und inszeniert sich als Gegenmodell zu aalglatten Politikern in Slim-Fit-Anzügen, die, von Spindoktoren gesteuert, nur am eigenen Machterhalt interessiert sind. Diese persönliche Glaubwürdigkeit und der engagierte Einsatz für die weniger Privilegierten würde zur FPÖ abgewanderte SPÖ-Wähler zurückbringen, sind Bablers Anhänger überzeugt.

"Rot-blaue Kampfzone"

Ob Babler auch bei Bürgerlichen ankommt, sei dagegen egal, meint Kowall. "Wozu? Wenn wir es ernst nehmen mit der rot-blauen Kampfzone und den Nichtwählern, dann ist es doch vollkommen egal, ob wir fünf Prozent bürgerliche Wähler an Neos und Grüne verlieren. Wenn wir dafür zehn Prozent von Nichtwählern und FPÖ gewinnen. Das ist die einzige Möglichkeit für die Ampelmehrheit, das muss endlich einmal klar werden. Es ist nicht die Aufgabe der SPÖ, bei bürgerlichen Wählern anzukommen. Es ist viel wichtiger, bei denen anzukommen, die eine kleine Pension haben und das Gefühl, dass sich keiner um sie kümmert, außer die FPÖ, die vermeintlich einzige Retterin der Entrechteten. Das ist der Kampf. Alles andere ist irgendwas."

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 17/2023.