Nina Tomaselli über "finstere
Ecken" von Türkis-Blau

Die Fraktionsführerin der Grünen im Ibiza-U-Ausschuss im Interview

In der Regierung kooperieren die Grünen meist mit der ÖVP. Im Ibiza-U-Ausschuss will die grüne Fraktionschefin Nina Tomaselli hingegen alles über die früheren türkis-blauen Netzwerke wissen. Aus Koalitionsräson weggeschaut wird dabei nicht, sagt sie.

von  Nina Tomaselli © Bild: Ricardo Herrgott/News

Bundeskanzler Kurz soll den Grünen im Ministerrat kürzlich gesagt haben, sie müssten sich entscheiden, ob sie Regierung oder Opposition sein wollen. Haben Sie sich entschieden?
Zwei Sachen gibt es mit den Grünen immer nur im Doppelpack, und das seit 35 Jahren: saubere Umwelt und saubere Politik. Die ÖVP wusste, wen sie sich in die Regierung holt. Und wir werden den Teufel tun und auch nur eine Sekunde wegschauen, wenn es Korruptionsvorwürfe gegen den Koalitionspartner gibt.

Sie sind Fraktionsführerin der Grünen im Ibiza-U-Ausschuss. Gibt es da Versuche der ÖVP, den Koalitionspartner einzuhegen?
Die ÖVP hat natürlich eine bestimmte Erwartungshaltung an die Grünen das beruht im Übrigen auf Gegenseitigkeit. Aber wir lassen uns davon nicht beirren und leuchten im U-Ausschuss jede finstere Ecke aus. Wir haben ja auch schon zahlreiche Belege dafür gefunden, welches politische System unter Türkis-Blau geherrscht hat. Man wollte still und heimlich die Republik umbauen. Es hat ein System regiert, das vor allem den wohlhabenden Freundinnen und Freunden und Spenderinnen und Spendern gedient hat und weniger den Bedürfnissen der Bevölkerung. Das zeigen wir auf, ohne uns irgendein Blatt vor den Mund zu nehmen. Das ist auch das, was die Menschen von uns erwarten.

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Was hat Sie im U Ausschuss bisher hinsichtlich der ÖVP am meisten überrascht?
Wir sind letztes Jahr mit der Frage gestartet: "Können sich Reiche Gesetze kaufen?" Dieser Vorwurf stand nach den Aussagen von Heinz Christian Strache und Johann Gudenus im Ibiza Video im Raum. Erst die Ermittlungen zum Ibiza Skandal haben uns die Möglichkeit verschafft, hinter die Kulissen des türkis-blauen Systems zu blicken. Wir haben eine Fülle von Belegen für dieses heimliche Parallelsystem gefunden. Vor allem das Finanzministerium spielt eine wesentliche Rolle, etwa bei Privatisierungsplänen für das Bundesrechenzentrum - die "Operation Edelstein" - oder fragwürdigen Immobiliendeals. Wir haben auch entdeckt, dass es die zunächst nur vermutete Nähe zwischen der türkis blauen Regierung und der Versicherungswirtschaft wirklich gegeben hat und sie sich auch in Gesetzen niedergeschlagen hat. Man denke nur an den Privatklinikfonds und das geänderte Rücktrittsrecht bei den Lebensversicherungen. Und man sieht auch, wie die ÖBAG (österreichische Beteiligungsagentur) aus der Kontrolle des Parlaments herausgeschält worden ist, wie der jetzige Chef bestellt wurde und wie dort Entscheidungen getroffen worden sind.

Nina Tomaselli
© Ricardo Herrgott/News Nina Tomaselli

Die ÖVP sagt zu Postenbesetzungen, dieses System habe es bei früheren Regierungen auch gegeben.
Es ist völlig normal, dass Parteien in Regierung und Opposition versuchen, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, wie sie ihrer Meinung nach am ehesten dem Wohl der Bevölkerung dienen. Aber bei Türkis-Blau mussten wir leider feststellen, dass diese Pläne nie öffentlich gemacht worden sind. Es ging immer darum, alles still und heimlich im Hinterzimmer zu machen.

Wer waren die Nutznießer?
Wir sind im U Ausschuss gerade dabei, einzelne Ecken auszuleuchten. Es gibt eine Fülle von Hinweisen. Ein Nutznießer wäre René Benko, der durch einen Mietvertrag mit der BIG (Bundesimmobiliengesellschaft) die alte Postsparkasse um das 2,3-Fache aufwerten konnte. Schönes Geschäft für ihn, ohne viel tun zu müssen. Als er das Leiner-Gebäude auf der Mariahilfer Straße gekauft hat, wurde extra in den Weihnachtsferien das Bezirksgericht für den Grundbucheintrag geöffnet. Da frage ich mich: Gibt es noch andere Personen in diesem Staat, die so einen speziellen Bürgerservice bekommen würden?

Mittlerweile richtet sich der Scheinwerfer des U-Ausschusses viel stärker auf die ÖVP als auf die FPÖ, deren Parteichef auf Ibiza schwadronierte. Zu Recht?
Das Video hat den Stein ins Rollen gebracht. Es war der Anstoß für Ermittlungen. Nehmen wir den Fall Peter Sidlo und den Postenschacher bei den Casinos Austria. Wenige Tage nach dem Ibiza-Video ist dazu eine anonyme Anzeige bei der Staatsanwaltschaft eingetroffen, Ermittlungen haben begonnen und die SMS und WhatsApp-Nachrichten, die wir mittlerweile alle kennen, stammen aus diesen Ermittlungen. Aber das ist nur ein Teil. Im U-Ausschuss beschäftigt uns immer wieder die Frage: Wer beeinflusst wen - das Glücksspiel die Politik oder die Politik das Glücksspiel? Dass dieser Bereich immer wieder bei Korruptionsvorwürfen auftaucht, ist für uns nicht ganz zufällig. Das Glücksspiel ist zu hundert Prozent auf den guten Willen der Politik angewiesen. Die Politik kann mit der Vergabe nur einer Lizenz den Profit eines Glücksspielkonzerns um Milliarden erhöhen. Daher bin ich auch froh, dass die Erkenntnisse des U-Ausschusses direkt in die politische Arbeit einfließen: Beim neuen Antiglücksspielpaket, auf das sich Grüne und ÖVP geeinigt haben, werden die drei noch offenen Casinolizenzen und die Bundeslizenz für Spielautomaten einfach gestrichen.

Hat es diesen Beschluss beschleunigt, dass die ÖVP wegen einer Hausdurchsuchung bei Finanzminister Gernot Blümel unter Druck steht?
Dass die Glücksspielindustrie versucht, die Politik zu korrumpieren, wissen wir nicht erst seit zwei Wochen. Das ist ein jahrelanger Prozess. Was wir jetzt geschafft haben, ist, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Bisher hat man in Österreich Spielerschutz gerne mit dem Kampf gegen das illegale Glücksspiel gleichgesetzt. Tatsächlich können Menschen aber auch von legalem Glücksspiel abhängig gemacht werden. Jetzt ist klargestellt: Glücksspiel ist ein Geschäft auf Kosten von Süchtigen, und Süchtige sind per definitionem kranke Menschen. Es wurde also bei Spielerschutz und Antikorruptionsmaßnahmen ein kompletter Paradigmenwechsel eingeläutet. Das freut uns.

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Die Frage war: Ging es bei der ÖVP jetzt schneller?
Wir haben schon im Regierungsprogramm entsprechende Punkte skizziert. Etwa, dass die Glücksspielbehörde aus dem Finanzministerium ausgelagert werden soll. Aber für uns Grüne war das nicht genug. Wir wollten die Berührungspunkte zwischen Politik und Glücksspiel wirklich auf ein Minimum beschränken. Das heißt neben dem Auslagern der Glücksspielagenden, dass Aufsicht und Regulierung sowie die Lizenzvergabe völlig unabhängig sind. 2026, wenn die nächste Lizenzvergabe ansteht, wird erstmals ein richterlicher Senat entscheiden.

Der nicht durch politische Parteien besetzt wird?
Nein, das wird ein richterlicher Senat, der auf Grundlage von objektiven Kriterien entscheidet und nicht aufgrund einer Nähe oder Nichtnähe zu einem Unternehmen.

Wie schwierig war es eigentlich für Sie, Gernot Blümel beim Misstrauensantrag im Parlament aus Koalitionsräson das Vertrauen auszusprechen?
Generell ist es in der Politik unerheblich, wie es mir persönlich mit einer Entscheidung geht. Es geht darum, wie es der Bevölkerung mit politischen Entscheidungen geht. Ich glaube, dass es im Moment wichtig für die Pandemiebekämpfung ist, dass die Regierungsgeschäfte mit ruhiger Hand weitergeführt werden. Wir sind mitten in einer Krise und noch längst nicht am Ende angelangt. Andererseits ist es auch so, und das ist mir wichtig zu betonen: Der Vorwurf, der gegen Gernot Blümel im Raum steht, und dass er als Beschuldigter geführt wird, ist die Sache von Blümel und die Sache der ÖVP. Ich werde die ÖVP und ihn an zwei Dingen messen: erstens, ob er es ernst meint mit seinem Versprechen, alles dafür zu tun, die Sachlage aufzuklären. Und zweitens, ob die ÖVP eben auch die richtigen Schlussfolgerungen zieht, damit Korruption in Zukunft gar nicht entstehen kann.

Das entscheidet, ob die Suppe der Ermittlungen im Fall des Ministers aus Sicht der Grünen dünn oder dick ist?
Ich habe die Ermittlerinnen und Ermittler der WKStA, zu denen wir im U-Ausschuss natürlich einen besonderen Zugang haben, in ihrer Aktenarbeit und in ihren Aussagen vor dem Ausschuss als besonders standhafte Juristinnen und Juristen wahrgenommen, die sich in den Dienst der Republik stellen, um die Korruption in diesem Land auszumerzen. Ich bin froh über ihre Arbeit.

»Die ÖVP denkt wohl, Angriff ist die beste Verteidigung. Das Problem an der Strategie ist, dass sie ziemlich durchsichtig ist«

Die ÖVP hat massive Angriffe auf die WKStA gestartet und umstrittene Reformpläne für die Justiz in petto, wie etwa für Medien ein Zitierungsverbot aus Akten.
Die ÖVP denkt wohl, Angriff ist die beste Verteidigung. Das Problem an dieser Strategie ist allerdings, dass sie ziemlich durchsichtig ist. Ich halte die Angriffe der ÖVP auf die WKStA und diese verqueren Reformvorschläge schlicht weg für Nebelgranaten, um von den eigenen Verfehlungen abzulenken und auch von den Verfehlungen der angesprochenen wohlhabenden Freundinnen und Freunde. Mir wäre es lieb, wenn alle einmal ein bissl zur Ruhe kommen und die Ermittlerinnen und Ermittler ihre Arbeit machen lassen. Das bedeutet: Wenn ein Verdacht im Raum steht, dann müssen sie Beweise sammeln, sowohl für die Schuld als auch für die Unschuld. Und noch einen Satz: Ich finde es gut, dass die WKStA eben keinen Unterschied macht, wer der Beschuldigte ist - ob das ein einfacher Bürger oder ein Wirtschaftsboss ist oder eben ein Regierungsmitglied. Das ist die Aufgabe der Justiz.

Der U-Ausschuss bekommt auch SMS zwischen Strache und Kurz geliefert. Welche neuen Erkenntnisse erwarten Sie daraus?
Was wir schon wissen, ist, dass diese SMS keine strafrechtlich relevanten Sachverhalte beinhalten, da sie von der Staatsanwaltschaft nie zu einem Strafakt dazu genommen worden sind. Aber wir im U-Ausschuss klären ja nicht strafrechtlich relevante Dinge, das ist Aufgabe der Justiz. Wir schauen uns an, ob diese SMS politische Relevanz haben. Ich bin mir sicher, dass wir über diese SMS wieder einen neuen Einblick in die Regierungsgeschäfte von Türkis-Blau und noch mehr Hinweise bekommen, wie dieses System versucht hat, heimlich und am Parlament vorbei die Republik umzubauen.

Was soll eigentlich am Ende dieses Ibiza-Untersuchungsausschusses stehen? Welche Gesetze und Reformen müssen es mindestens sein?
Das Antiglücksspielpaket haben wir ja gerade auf den Weggebracht. Aber das ist mir als Parlamentarierin nicht genug. Wir müssen dieses Sittenbild, das bei Türkis-Blau geherrscht hat, diese Berührungspunkte zwischen Politik und den Wünschen der Freunde, Gönner und Spender auflösen. Etwa indem wir neue Regelungen zur Parteienfinanzierung aufstellen. Die sind gerade in Verhandlung zwischen allen Fraktionen des Parlaments.

Die Regierung soll sich hier nicht einmischen?
Wenn es nach mir geht, sollte das im besten Fall einstimmig im Parlament beschlossen werden. Es ist ja wichtig, dass sich alle in den Regeln wiederfinden und sie auch ernst nehmen. Ein weiterer Schritt sind Antikorruptionsmaßnahmen. Wir sehen durch die Ibiza-Affäre, dass das Strafrecht noch nicht alle Facetten der Korruption erfasst. Was auf Ibiza geschehen ist, fällt derzeit noch nicht unter das Strafrecht. Das muss man ändern,weil auch die Anbahnungsschritte zur Korruption strafbar sein müssen. Es ist ein Irrglaube, dass Korruption nur darin besteht, dass ein Mensch eine Tasche voll Geld zu einem anderen trägt, das auch noch beurkundet und im besten Fall ein Foto gemacht wird.

»Wir müssen die Strafbarkeit der Korruption an die Realität des politischen Geschäfts anpassen«

So klar ist es so gut wie nie.
Diese Art von Korruptionsfällen gibt es nur im Bilderbuch. Deshalb müssen wir die Strafbarkeit an die Realität des politischen Geschäfts anpassen. Und als dritte Säule: Informationsfreiheit und Transparenz sind uns wichtig. Wir haben letzte Woche das Informationsfreiheitsgesetz auf den Weg gebracht. Es ordnet das Verhältnis zwischen Bürger und Staat neu und bringt auch bei ausgelagerten Unternehmen ganz neue Einschaurechte. Hier reicht jetzt eine staatliche Beteiligung von 25 Prozent. Wenn das Informationsfreiheitsgesetz so kommt, dann haben wir es geschafft, Österreich von der internationalen Schmuddelliste auf Topniveau zu bringen.

In der Slowakei erlangen öffentliche Aufträge erst Rechtskraft, wenn sie im Internet für alle einsehbar sind. Kommt das in Österreich auch?
Nein, das wird bei uns nicht so sein. Wir haben den Weg gewählt, dass jeder Bürger und jede Bürgerin sowie Medien das Recht auf Information haben, wenn sie danach fragen. Bei der Vergabe von öffentlichen Mitteln hingegen, insbesondere in politischen Bereichen wie bei der Parteienförderung, sollen ungefragte Transparenz und eine strenge Veröffentlichungspflicht herrschen. Der Rechnungshof muss bei Parteien Einschau in alle Unterlagen haben. Mir ist unverständlich, warum das bisher noch nicht der Fall ist.

Haben Sie das Ibiza Video eigentlich in voller Länge angesehen?
Ganz ehrlich: hab ich nicht. Ich weiß, viele denken, das ist ein aufregender Kinofilm. Aber wir haben das akustisch nicht bearbeitete Material bekommen. Ich halte mich an jenes Transkript, das die Ermittler für ihre Arbeit erstellt haben. Dieses Video ist zwar Startpunkt für den U-Ausschuss, aber ich kann versichern, für unser tägliches Kontrollbusiness spielt es eine eher untergeordnete Rolle. Wir schauen uns an, ob das, was auf Ibiza gesagt wurde, nur besoffenes Geplänkel war oder die Wahrheit. Bisher wissen wir: Viele Ankündigungen, die Strache auf Ibiza gemacht hat, sind umgesetzt worden. Meistens nicht von ihm. Dafür viel professioneller.

Dieser Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe von News (09/2021) erschienen.