So durchschaut man die Sprache der Politiker

Politiker reden in der Regel viel -und sagen ziemlich oft wenig. Welcher Politiker ist rhetorisch talentfrei und wer hat seine Gesichtsmimik nicht im Griff? Sprachprofilerin Tatjana Lackner hat die Antworten.

von Karl Nehammer, ÖVP-Bundeskanzler © Bild: IMAGO images/SEPA.Media

Frau Lackner, wie agiert der Politiker in Zeiten wie diesen am besten: unaufgeregt, viel Storytelling und noch mehr Stehsätze? Oder besser immer einen flotten Sager auf den Lippen -und das Ganze im feinsten Dialekt?
Beides klingt nicht verbal charismatisch. Storytelling und sprachliche Bilder sind nicht verkehrt, aber sie müssen zielgruppenorientiert ausgewählt und verwendet werden. Klar brauchen Pensionisten andere Szenarien und bildhafte Vergleiche aus ihrem Erlebnishorizont als die Generation Y.

Aber ohne Floskeln geht es bei Politikern offensichtlich nicht. Welche gehören in den Papierkorb?
"Ein herzliches 'Grüß Gott'" - so begann beispielsweise Heinz-Christian Strache seine Comebackrede. "In Zeiten wie diesen " Echt? So platt und inflationär? Das Füllwort "sozusagen" nervt immer. Die Phrase "Sag ich einmal" wirft gleich drei Probleme auf: Der Redner hat nicht wirklich darüber nachgedacht und "sagt eben einmal irgendwas". Das Gegenüber ist ihm auch gar nicht wert, konkreter nachzudenken, und Drittens: bei x-maliger Verwendung wird es schlicht peinlich. Weg gehört auch "das müssen wir andenken". Andenken gibt es in Maria Taferl...

»Sigi Maurer hat kein Pokerface«

Werfen wir einen Blick auf die aktuelle Regierungsriege: Wer ist echt? Wer versteckt sich hinter Mimik, Gestik, oder gar dem Outfit?
Christine Aschbacher versteckt sich/man aktuell sowieso noch. Susanne Raab versteckt ihre Kompetenzen, wovon man sich im brillant geführten Interview von Alexandra Wachter ("News"-Moderatorin, Puls 4; Anm.) kürzlich überzeugen konnte. Sigi Maurer hat immer wieder Schwierigkeiten, ihre Laune zu verbergen. Sie hat kein Pokerface. In ihrem Gesicht kann man lesen wie in einem offenen Buch. Das ist zwar menschlich und "echt", aber nicht professionell. Karl Nehammer hingegen scheint überzeugt von seinen Worten, das zeigt er auch durch seine Körpersprache. Gernot Blümel hat hingegen Schwierigkeiten, andere für "seinen Ideen" zu begeistern. Seine Mimik und Gestik sind selten beziehungsorientiert. Und bei der FPÖ beispielsweise wissen wir bereits, dass hinter dem freundlichen Norbert ein Hofer steckt. Da ist wahrscheinlich Herbert Kickl noch "echter", denn er sagt unverblümt, was er denkt.

Wie echt darf man überhaupt sein?
Politik ist ein hartes Geschäft, bei dem es immer darum geht, Mehrheiten zu finden. Natürlich ist nicht egal, wem wir glauben. Aber viele Politiker, denen in der Geschichte geglaubt wurde und die man für "echt" gehalten hat, waren charakterlich wenig überzeugend. Und umgekehrt: Haider war "echt", aber war er gut für Kärnten? Bei Bill Clinton beispielsweise war vieles inszeniert, aber war es deshalb schlecht? Schlechter als bei Trump? Denn der ist im Vergleich wieder ganz "echt", wenn er um vier Uhr morgens auf der Toilette lostwittert.

»Sprache ist alles. Ohne sie ist Politik nichts«

Welche Rolle spielt die Sprache in der Politik?
Sprache ist alles. Ohne sie ist Politik nichts. Warum? Sprache formt Wirklichkeit. Ein Beispiel: Es war für mich bereichernd, in den frühen 1990ern einige Stunden alleine mit dem Kybernetiker und Philosophen Heinz von Foerster zu reden. Ich zeichnete damals verantwortlich für die Betreuung hochkarätiger Speaker und in seinem Fall hat mir meine Arbeit besonders viel Spaß gemacht. Er war davon überzeugt: "Wir machen uns völlig falsche Hoffnungen in Bezug auf die Wahrheit. Sie ist die Erfindung eines Lügners." Sein Beispiel war einleuchtend: "Nimm diesen Apfel beispielsweise, Tatjana. Für dich ist er rot. Für mich ist er gemessen an den Äpfeln zu Hause in Pescadero ziemlich grün. Ein Vogel nimmt seine Farbe ultraviolett wahr. Unsere Sinneseindrücke beeinflussen die Realität, wie wir sie erleben. Das hat mit Wahrheit per se gar nichts zu tun. Jeder konstruiert seine subjektive Wahrheit und betrachtet die Welt mit einem Objektivitätsanspruch."

Bundeskanzler Sebastian Kurz schweigt ja gern, wenn heikle Vorgänge zu kommentieren wären. Ist das auch eine Art der Rhetorik?
Nein, Rhetorik ist die Kunst der freien Rede. Wenn ein Politiker absichtlich schweigt, dann nennt man das maximal eine Strategie. "Gras über eine Sache wachsen zu lassen" und nicht im Affekt oder im Moment der größten Aufregung zu agieren, kann situativ sinnvoll sein. Diesen Bogen zeitlich zu überspannen, schadet.

Wie ist es generell um das rhetorische Niveau unserer Politiker bestellt?
Das politische Personal unseres Landes ist sprachlich überschaubar talentiert - verglichen beispielsweise mit dem deutschen Bundesparteitag. Sogar in der Bevölkerung macht sich deshalb das Gefühl der "Auswechselbarkeit in den Ministerien" breit und man hört immer öfter Sätze wie: "Na bitte, mittlerweile kann wirklich jeder Minister werden." Das schadet dem Berufsstand der Politiker, und umgekehrt werden sich den knochenharten Job immer weniger Menschen antun wollen. Aber die Bevölkerung hat recht: Die großen verbalen Charismatiker sitzen nicht im Hohen Haus. In vielen Wohnzimmern werden weniger Grammatik-und Aussprachefehler gemacht als im Parlament. Wenn ein Politiker rhetorisch talentfrei ist, dann halten wir ihn auch fachlich seltener für kompetent. Wogegen: Wenn sich jemand gut ausdrücken kann, dann unterstellen wir sofort Fachexpertise. Interessant ist, dass bei brillanten Rhetorikern die Sache wieder kippt. Wer zu geschliffen ist, der kommt zwar immer noch gut an, aber dieser Person werden dann hinterlistige Tricks und Manipulation unterstellt. Zudem zweifeln viele an Charakter und Werteverständnis.

»Sympathie wird völlig unterschätzt«

Welche Rolle spielt es, wie sympathisch ein Politiker rüberkommt?
Sympathie wird völlig unterschätzt. Viele glauben, dass Kompetenz, Zahlen, Daten und Fakten reichen. TV-Duelle verkommen zur Politunterhaltung und umso mehr geht es darum, die Emotionen der Zuschauer zu gewinnen. Bei manchen TV-Formaten mit 20-Sekunden-Antworten zählen nicht Inhalte, sondern rhetorische Kniffe. Einen Gedanken zu erläutern - ohne permanente Zwischenfragen, die manchmal dem Verständnis dienen, oft aber auch nur dem Ego des Journalisten - gelingt noch am ehesten in den Sommergesprächen.

Apropos Kniffe. NLP ist so ein Schlagwort, das gerne in einem Atemzug mit Rhetorik genannt wird. Es gibt Zauberwörter, wenn man die einsetzt, dann ist man erfolgreich. Stimmt das?
Am Wegrand des Politzirkus und der Rhetorik wuchert Geldmacherei ohne Ende. Wenn NLP so super funktioniert, warum machen das dann nicht alle? Es boomen Management-Voodoo-Kurse für die Funktionärsetage, rechts gibt es NLP, für die, bei denen gar nichts mehr geholfen hat. Daneben beliebte Spin-Patentlösungen für eine 08/15-Entwicklung aus der Positivdenker-Ecke. Auf der anderen Seite der Überzeugungsstraße werden gruselige "Superbusinesskrieger" für den Wahlkampf ausgebildet, um zu lernen, wie man besser im Gedächtnis bleibt. Dabei ist es so einfach: Was die Schule des Sprechens heute ist, war im ersten Jahrhundert vor Christus Apollonius Molons Rednerschule - die erste Adresse für Rhetorik. Rhetorisch betrachtet steht Europa in der Schuld der Griechen. Verbal geschult zu sein, galt in der Antike als Grundvoraussetzung, um überhaupt studieren zu dürfen. Damit zählt dieses Handwerk, dessen Zunft eher das Mundwerk bedient, zu den ersten Studieneignungstests der Geschichte - den sogenannten niederen Künsten. Die Rednerschule des Griechen Apollonius Molon war eine Kaderschmiede für Rhetoriker. In Rhodos-Stadt gründete der antike Anwalt Molon seine Rhetorikschule und hatte klingende Referenzen. Viele Promis der damaligen Zeit ließen sich von ihm trainieren: Cassius, Cato, Brutus, Pompeius und Lukrez. Auch Cicero und sogar der junge Cäsar waren seine Schüler.

»Prozentwerte sprechen die Zuschauer nicht an«

Beim TV-Zuschauer drängt sich dennoch das Gefühl auf: alle Politiker sind trainiert, gecoacht, glatt gespült...
Zahlen, Daten und fachliche Expertise sind wichtig für den Faktencheck nach einem Interview und die Zustimmung aus der Branchenblase, aber Prozentwerte sprechen die Emotionen der Zuseher nicht an. Den Wunsch nach mehr Authentizität höre ich oft bei meinen Kunden. Authentisch muss jedoch nicht immer gut bedeuten - wir lassen die Zähne unserer Kinder auch nicht schief stehen, sondern wir kümmern uns um eine Zahnspange. Man sollte natürlich bleiben und sich dennoch optimieren.

Und wie gut sind Politiker geschult?
Ich finde nicht, dass allzu viele Politiker gut beraten bzw. rhetorisch trainiert sind. Wenn beispielsweise Rendi-Wagner gecoacht wäre, dann frag ich mich, was ist ihr Coach von Beruf? Im Wahlkampf gab es ja sogar einige Spezialisten, die mutmaßten, sie sei "übercoacht". Das Gegenteil ist anhaltend der Fall, und das ist der eigentliche Skandal. Es ist schließlich keine Schande, wenn ein Politiker reden kann, sein Eigenmarketing in die Hand nimmt und moderne Kommunikationsstrategien tankt, um Wähler zu überzeugen. Im Vergleich zu anderen Ländern stecken wir hier noch sehr in unserer Geschichte fest. Vor 60 Jahren hat natürlich auch schon die Nase vorne gehabt, wer gut reden konnte. Aber es gab auch scheue, introvertierte Menschen, die viel stärker geduldet waren als heute. Mangelnde rhetorische Fitness war noch nicht kriegsentscheidend auf dem Arbeitsmarkt oder in der Politik. Logisch und aus der Historie erklärbar: Schließlich war gerade der deutschsprachige Raum nach der NS-Diktatur kommunikationstechnisch in einer Schockstarre und gute Rhetoriker sicherheitshalber von vornherein suspekt. Genau denen und ihren Worten ging man ja noch bis vor Kurzem auf den Leim.

© Matt Observe/News

Zur Person: Tatjana Lackner Ihr Auge erfasst Menschen. Ihr Ohr hört persönliche Details aus jeder Stimme und kleinste Verhaltensaspekte erkennt sie sofort: Tatjana Lackner, die Gründerin der Schule des Sprechens, gehört zu den führenden Kommunikations-und Verhaltensprofilern des Landes. Die "Trainerin des Jahres" ist Politikercoach, sechsfache Bestsellerautorin, zweifache Mutter und sogar junge Oma. www.sprechen.com

Der Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 6/2020) erschienen!