Rufer in der Wüste

Für den Bundespräsidenten ist es schwierig geworden, den Erwartungen seiner Wähler gerecht zu werden: Entscheidende Teile der Politik pfeifen auf das, was er sagt.

von Politische Analyse - Rufer in der Wüste © Bild: Privat

Analyse

Vor einem halben Jahr fand Bundespräsident Alexander Van der Bellen deutliche Worte. Nachdem neue Vorwürfe gegen die Clique von Exkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bekannt geworden waren, hatte er genug. Er sprach von einem "Wasserschaden", der der Republik zugefügt worden sei, und forderte eine "Generalsanierung". Wie? Durch konsequente Korruptionsbekämpfung und eine ernstgemeinte Abschaffung des Amtsgeheimnisses etwa. Im Detail ausgeführt hat er das nicht. Man kann es sich jedoch denken. Experten haben schon oft erklärt, was nötig wäre.

Allein: Seit der Rede, die Van der Bellen am 20. Oktober 2022 hielt, ist nichts Wesentliches passiert. Es ist da und dort gewerkelt, aber keine Generalsanierung angegangen worden. Und daran wird sich auch in absehbarer Zeit kaum etwas ändern. Informationsfreiheit mag das Amtsgeheimnis ablösen, sie droht jedoch mit so weitreichenden Beschränkungen versehen zu werden, dass sich wenig ändert, sodass zu vieles im Dunkeln bleibt, es also weiterhin beste Voraussetzungen für üble Machenschaften geben wird.

Der Bundespräsident wird ignoriert. Für die Grünen, die er einst geführt hat, mag das unangenehm sein. Sie beugen sich jedoch einer ÖVP, die all die Affären vergessen machen möchte, so gut es geht, und daher keine Ambitionen mehr zeigt, aufzuräumen.

Van der Bellen kann da nichts machen: Er ist abhängig davon, dass seine Appelle wirken. Tun sie es nicht, könnte er die Regierung entlassen. Damit würden jedoch erhebliche Risiken einhergehen: Im Nationalrat gibt es eine türkis-blaue Mehrheit. Kommt es zu einer Neuwahl, würde es sehr wahrscheinlich dabei bleiben. ÖVP und FPÖ würden lediglich die Plätze tauschen. Herbert Kickl würde als Chef der stärksten Partei den Anspruch auf den Regierungsbildungsauftrag erheben. Dann hätte Van der Bellen ein viel größeres Problem: Wenn Blaue und Türkise entschlossen sind, ein Bündnis einzugehen, ist es am Ende des Tages unmöglich für ihn, sich dagegenzustellen. Es gibt Insider, die meinen, dass er eher zurücktreten als ein solches hinnehmen würde. Bestätigen würde er das nie.

Das Staatsoberhaupt kann nur reden. Was nicht nichts ist. Im Gegenteil: Als er im März die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leiter (ÖVP) angelobte, die sich mit einer extrem rechten FPÖ zusammengetan hatte, beschämte er sie. Und zwar, indem er betonte, dass Grundrechte genauso außer Streit zu stehen hätten wie die EU-Mitgliedschaft und dass aufgrund ihrer Partnerwahl von ihr erwartet werde, "sehr genau hinzusehen und alles zu tun, um antidemokratische und die Würde des Menschen verletzende autoritäre Tendenzen rechtzeitig und entschlossen zu stoppen". Es waren denkwürdige Worte. Van der Bellen kann jedoch nur hoffen, dass sich Mikl-Leitner daran hält. Im Falle des Falles hätte er nicht einmal die Möglichkeit, sie als Landeshauptfrau zu entlassen.

Zahl

Gelebte Willkür

Die Regierungsparteien haben ein Gesetz beschlossen, das mehr Transparenz bei öffentlichen Inseraten bringen soll. Dass das etwas bringen wird, ist fraglich. Doch dazu später. Fakt ist, dass der Handlungsbedarf groß wäre. So geht die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) davon aus, dass in den vergangenen Jahren über ÖVP-geführte Ministerien versucht worden ist, wohlwollende Berichterstattung zu erkaufen, und zwar durch Inserate insbesondere in Tageszeitungen, die dem Boulevard zugerechnet werden. Das Ganze soll im Sinne des ehemaligen Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) erfolgt sein. Alle Beteiligten weisen die Vorwürfe zurück.

Medienforscher wie Andy Kaltenbrunner betonen schon lange, dass Regierungsinserate alles in allem nach nicht nachvollziehbaren Kriterien vergeben werden. Tatsächlich scheint jedes Ressort seine eigene Strategie zu verfolgen, je nachdem, wie’s gefällt.

Drei Extrembeispiele verdeutlichen dies: Für das Innenministerium von Gerhard Karner (ÖVP) wird für das vergangene Jahr ein Inseratenvolumen von 2,6 Millionen Euro ausgewiesen. Fast zwei Drittel davon gingen an "Kronen Zeitung", "Heute" und "Österreich – oe24". Beim Klimaschutzministerium von Leonore Gewessler (Grüne) handelte es sich – bei einem deutlich größeren Gesamtvolumen (6,5 Millionen Euro) – um nicht einmal ein Zehntel. Beim Bildungsministerium von Martin Polaschek (ÖVP) waren es überhaupt nur sechs Prozent von vergleichsweise bescheidenen 1,1 Millionen Euro.

Künftig sollen detailliertere Angaben zu all dem veröffentlicht werden müssen. Das Korruptionsrisiko wird dadurch jedoch nicht kleiner: Es gibt weiterhin keine Obergrenze. Und vor allem ist auch keine wirkungsvolle Kontrolle vorgesehen: Niemand wird den Auftrag erhalten, die Daten auszuwerten und allfällige Missverhältnisse aufzuzeigen. Daran hat die Regierung kein Interesse.

© News Zum Vergrößern klicken

Bericht

Kogler fehlt ein Double

Vizekanzler und Grüne-Chef Werner Kogler hat die Absicht, seine Partei in die kommende Nationalratswahl zu führen. Der 61-Jährige tritt damit Spekulationen entgegen, Klimaschutzministerin Leonore Gewessler werde das tun. In einem Interview betonte er unlängst, bis 2025 bestellter Parteisprecher zu sein und das als Antrieb zu sehen, es zu machen.

In Wirklichkeit ist es eher ein Stück Not, das Kogler zwingt, sich beim Urnengang, der bereits heuer, nicht erst im nächsten Herbst stattfinden könnte, den Wählern zu stellen. Für die Grünen stehen die Zeichen auf Opposition. In dieser Rolle hat er Erfahrung. Gewessler kennt die Politik von innen dagegen ausschließlich als Regierungsmitglied. Das ist ein Manko.

Auch für Kogler dürfte die Aufgabe allerdings sehr schwierig werden: Er ist Vizekanzler, und das ist ein 24/7-Job, der noch dazu voller Mühen ist. Türkise lassen ihm und den Seinen so gut wie keine Luft mehr zum Atmen. Sie sind ganz damit beschäftigt, freiheitliche Wähler zu umwerben, die ihnen Sebastian Kurz einst beschert hat. Zugeständnisse an die Grünen wären dabei nur störend aus ihrer Sicht.

Neben Kogler fehlt den Grünen freilich ein politischer Kopf, der weder in der Regierung noch auf parlamentarischer Ebene in der Koalition gefangen ist. Darunter leiden sie. Sie vernachlässigen dadurch sich selbst. Ein Funktionär meint, dass Kogler ein Double bräuchte. Damit gemeint ist ein Generalsekretär in der Partei, der über seine Erfahrung verfügt, aber viel eher als er grüne Akzente setzen könnte, um für die Nationalratswahl zu mobilisieren.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at