Grüne: Von der Straße
zurück ins Parlament

Jubel, Trubel, Heiterkeit - die Grünen formieren sich in bester Stimmung für den Nationalrat. Und plötzlich macht das Fiasko von 2017 sogar Sinn: Man kann sich nämlich ganz neu erfinden - ohne alte Rituale und Alphatiere.

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Politik - Grüne: Von der Straße
zurück ins Parlament

Irgendwo im Unterbewussten war die Entscheidung schon gefallen, bevor das SMS von Rudi Anschober bei Sibylle Hamann ankam. "Wir sollten reden", schrieb der oberösterreichische Landesrat der Journalistin. "Da hab ich schon gewusst, was er will, und mich entschieden gehabt." Denn am Anfang eines langen, heißen Sommers begann etwas, in Hamann zu arbeiten: "Es war die erste große Hitzewelle, und ich hab geschrieben, wie arg das ist, und ich weiß noch, dass ich mir dabei gedacht habe: Ich hab es gut erwischt. Ich sitze da in meinem schattigen Garten und hey, es geht mir total gut. Und dann hab ich gespürt, dass in mir etwas anklopft, das sagt, hey, das reicht nicht."

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Die Kinder sind groß, es gibt keine existenziellen Sorgen: "Ich hab also diese Sicherheit, die es mir erlaubt, aus meiner Komfortzone auszusteigen. Wer denn soll es machen, wenn nicht die Menschen, die sich sicher fühlen?" So fiel die Entscheidung, für die Grünen bei der Nationalratswahl anzutreten, denn darum ging es in dem SMS ja, schnell. Die Familie fand es gut -Hamanns Kinder sind bei den "Fridays For Future"-Demos dabei -, die grünen Funktionärinnen und Wählerinnen ebenso. Und so sucht Hamann nun im Nationalratsklub ihren Platz -nicht nur im Plenum, sondern auch, was Gruppendynamik und Aufgabenverteilung betrifft. Denn, so sind sich alle einig, die bald für die Grünen im Parlament sitzen: Nach dem Crash von 2017 wird alles neu, alte Strukturen, Rituale und Befindlichkeiten bleiben draußen. Es gibt -noch -keine Platzhirsche und keine festgelegten Rollen.

Leere Büros

Unter die Neulinge mischen sich auch Heimkehrer. Klubdirektor Wolfgang Niklfeld musste vor zwei Jahren den Auszug aus dem Nationalrat organisieren, inzwischen war er als Anwalt tätig, nun übernimmt er wieder die geschäftliche Leitung des Parlamentsklubs. Sein Job derzeit: mit anderen Parteien über Sitzplätze und Büroflächen verhandeln, neue Mitarbeiter anstellen, Möbel und Computer kaufen. Und das alles ohne Geld, denn erst wenn das Parlament auch formal seine Arbeit aufnimmt, gibt es ein Budget, erzählt er. Rund 3,5 Millionen Euro jährlich wird Niklfeld verwalten, der dann auch der Chef der Büromitarbeiter sein wird. 60 Vollzeitstellen gab es früher, ähnlich viele - oder etwas mehr Teilzeitstellen -könnten es wieder sein. "Es melden sich manche von damals wieder", sagt Niklfeld. Auch in dieser Frage setzt man auf behutsames Vorgehen. Fix ist nur: 26 grüne Abgeordnete, das sind so viele wie noch nie.

Hamann, aus der Generation der Aubesetzer von Hainburg, gehört zu jenen, die ganz neu sind in der Politik. "Wann hat man schon die Möglichkeit, mit 53 einen neuen Beruf zu erlernen? Ich freue mich darauf, die Dinge jetzt von der anderen Seite zu sehen."

Erster Grüner

Neu im Parlament ist auch der Niederösterreicher Süleyman Zorba. Der 26-Jährige ist der Jüngste im Klub, hat aber schon Erfahrung in der Politik. Seit 2015 ist er einziger grüner Gemeinderat in Traismauer. In der roten Stadt fehlte ein Jugendzentrum, und Zorba wollte sich engagieren, erzählt er. "Da hab ich bei der Landespartei angerufen und gesagt, ich würde gerne mit den Grünen in Traismauer in Kontakt kommen. Und sie haben gesagt: Die gibt es noch gar nicht." Zorba gründete also seine Ortspartei einfach selbst und wurde gewählt. Im Gemeinderat gibt es noch immer eine rote Absolute, "die Mandatare kennen sich seit 20 Jahren. Es ist ähnlich wie heute: Ich bin einfach ins kalte Wasser gesprungen, nur diesmal ist die Bühne ein bissel größer." Lampenfieber gesteht er ein: "Bei meiner ersten Rede im Parlament wird's mich super reißen." Was er in den grünen Klub mitbringt? "Ich bin jung und seh die Dinge ein bissel anders." Der gelernte IT-Techniker ist mit der Bahn nach Wien gependelt. Mit der Bahn will er auch weiterhin fahren, der Gespräche wegen: "Ich führe im Zug ja auch politische Diskussionen. Und ich hab mich immer gefragt, ob die Leute im Parlament diese Feedbackschleifen eigentlich noch haben." Der letzte Zug nach Traismauer, "da ist etwas Positives passiert, der geht jetzt erst um 22 Uhr." Für lange Plenarsitzungen ist das immer noch zu früh. "Da werd ich mir wohl etwas überlegen müssen. Ich hab mich ja lang geweigert, den Führerschein zu machen, weil ich gesagt habe, das muss doch auch so möglich sein. Ich hab Stunden in Zügen und Bussen verbracht. Jetzt hab ich den Schein, aber ich denke mir als Politiker: Warum geht das nicht besser?"

Landestheater und Staatsoper

Bahnpendler wird demnächst auch der Oberösterreicher Stefan Kaineder. Die Familie mit drei kleinen Kindern zieht ihn allabendlich zurück nach Dietach bei Steyr, zudem hat der Chef der oberösterreichischen Grünen ein Büro in Linz. "Der Zug nach Wien fährt ja im Stundentakt, ich bin heute um dreiviertel sechs aufgestanden, da ist man um acht Uhr in Wien." Die halbe Woche will er in seinem Bundesland verbringen. Auch, weil er hier die Diskussion sucht. "Ich bin gerne und viel unterwegs, im letzten Jahr war ich in 30 Wirtshaussälen und habe über Essen, Ernährung und Landwirtschaft diskutiert. Die Leute interessiert das brennend." Auf Tour habe er den Aufwind für die Grünen gespürt: "Ich habe das Gefühl, dass unsere Inhalte und Maßnahmen, die wir vorschlagen, mehrheitsfähig sind."

Seit 2015 ist Kaineder Landtagsabgeordneter, er zählt damit zu den parlamentarischen Routiniers der Grünen. Trotzdem hat er vor dem Wechsel nach Wien Lampenfieber: "Ein bissel schon. Der Nationalrat ist nicht irgendein Arbeitsplatz. Es ist ein unglaubliches Privileg, dort am Rednerpult stehen zu dürfen. Das ist schon eine andere Liga als der Landtag. Ein bisschen wie Landestheater und Staatsoper."

Ob erfahren oder neu, in einem Punkt geben sich die grünen Mandatare durch die Bank abgebrüht und auf Linie: wenn sie zu Klubzwang und heiklen Abstimmungen im Fall einer Regierungsbeteiligung befragt werden. Sigrid Maurer, neben Werner Kogler und Alma Zadic eine mit Nationalratserfahrung, sagt: "Ich seh die Sondierungsgespräche recht pragmatisch, es wird sich an Inhalten entscheiden, man wird sehen, was sich ausgeht." Klubzwang? Gemeinschaftliches Abstimmen mit der ÖVP? Die Befragten geben sich gelassen. "Die Eigenständigkeit der Fraktionen muss schon erhalten bleiben, und das tut sie auch. Aber ich hab nicht das Gefühl, dass das dann zu einem Einheitsbrei verkommt", sagt Maurer, "natürlich ist das eine Herausforderung, eine Koalition ist keine Einbahnstraße."

Stefan Kaineder meint: "Jetzt warten wir einmal die Sondierungsgespräche ab, mit Türkis gibt es schon inhaltliche Differenzen, die man abklopfen muss. Aber ich hab das große Vertrauen, dass, wenn es soweit kommt, dass wir in Verhandlungen eintreten, diese vom Klub auch breit getragen werden. Ich habe die Grünen noch nie so geschlossen erlebt." Für Zorba gibt es ohnehin nur eine rote Linie: "Mit der FPÖ komm ich nicht zusammen." Aber diese Frage stellt sich nicht. Und Sibylle Hamann meint: "Von Klubzwang war nie die Rede, als wir über mein Antreten gesprochen haben. Jeder von uns weiß, wenn man etwas gestalten will, dann kann man nicht nur die reine Lehre, das eigene Programm durchziehen. Es wird Situationen geben, wo das Prinzip mit den Notwendigkeiten kollidiert. Aber wir sind sicher nicht so drauf, dass wir die Ersten sind, die sofort aufspringen und alles platzen lassen, weil irgendein Teil nicht nach unserem Kopf ist." Einen gewissen Widerspruch sieht die Quereinsteigerin: "Man hat uns nicht dafür gewählt, dass wir da jetzt persönliche Eitelkeiten austragen, andererseits aber schon dafür, dass wir Persönlichkeiten sind, die sich am Ende treu bleiben." Die Grünen des Jahres 2019 geben sich geschlossen. Auch dass die Wiener Grünen das Verhandeln mit der ÖVP schwierig machen, will Maurer, die selbst auf der Wiener Landesliste kandidiert hat, nicht so sehen. "Dieser Widerspruch, der da konstruiert wird, den kann ich nicht nachvollziehen. Dass die Wiener dagegen sind, ist genauso ein Mythos wie das Schreckgespenst Sigi Maurer."

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Als solches fühlt sich Maurer, die in Wort und Bild streitbar ist und zuletzt mit einem Prozess wegen sexistischer Beleidigungen in sozialen Medien, denen sie ausgesetzt ist, Aufsehen erregt hat, missverstanden. "Ich kann mir das negative Bild von mir nicht ganz erklären." Sie hat nach dem Rauswurf der Grünen 2017 als Wissenschaftlerin am IHS gearbeitet, "doch als das Ibiza-Video gekommen ist, war mir klar: Das heißt Neuwahlen, ich muss da wieder rein."

Und nach der Wahl? "Es ist eine unbändige Freude", sagt Maurer. "Ich spüre eine große Verantwortung, dafür zu sorgen, dass nun alles in gute Bahnen kommt."

Der Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (42/2019) erschienen.