Können die Grünen regieren?

Vor zwei Jahren flogen die Grünen aus dem Nationalrat. Heuer kämpfen sie um die Rückkehr. Aber viele Wähler sehen Werner Kogler schon in einer türkis-grün-pinken Koalition.

von Politik - Können die Grünen regieren? © Bild: News/Herrgott

Samstagvormittag auf dem Kaiser-Franz-Josef-Markt in Graz. Das Wetter ist freundlich. Die Stimmungslage ist es auch. Jedenfalls für jenen Mann, der hier mit einem Buschen Sonnenblumen im Arm das Gespräch mit den Wochenendeinkäufern sucht. Werner Kogler, Bundessprecher der Grünen und Dauerwahlkämpfer in diesem Wahljahr 2019, wirbt in seiner Heimatstadt um Unterstützung für das Projekt "Wähl die Grünen wieder rein". Noch vor zwei Jahren kämpften seine Parteifreundinnen und -freunde auf verlorenem Posten. Das Image der moralinsauren Besserwisser und die Abspaltung von Peter Pilz mit einer eigenen Liste beförderte die Grünen aus dem Parlament und in eine tiefe Krise. Kogler übernahm die Sanierung der Partei. Im ursprünglichen Plan vorgesehen: Im EU-Parlament bleiben -und dann weiterschauen, wie man es bis zur Nationalratswahl, plangemäß 2022, schafft.

Es kam anders: Nach einem bemerkenswerten Erfolg bei der EU-Wahl (14,1 Prozent) blieb der damalige Spitzenkandidat Kogler gleich weiter im Wahlkampf. Als Spitzenkandidat bei der Nationalratswahl nämlich, die durch den Ibiza-Skandal der FPÖ doch viel schneller kam als gedacht. Und auch wenn er tiefstapelt -in den Umfragen scheint der Wiedereinzug ins Hohe Haus ausgemachte Sache und nur die Höhe des Wahlergebnisses noch offen. Dazu kommt aber etwas für den gstandenen Grünen völlig Neues: Viele der älteren Herrschaften am Markt (laut grünem Begleittross eher ÖVP-Klientel) fordern Kogler regelrecht dazu auf, in eine Koalitionsregierung zu gehen, wenn sich die Möglichkeit in den Wochen nach der Wahl ergeben sollte.

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Natürlich schmeichelt das und Kogler ist entsprechend gut drauf. In einem Gastgarten geht er hinter dem Rosmarin im Blumenkistl in Deckung: "Da sieht man, wofür das grüne Gstauder gut ist." Und möglicherweise beschreibt das sogar ein wenig jene Überlegungen, die es in türkisen Kreisen gibt, wenn es um die Koalitionsoptionen für Sebastian Kurz geht. Türkis-Rot nach der Wahl hält man dort nämlich für unwahrscheinlich. Zu groß sind die Animositäten der wichtigsten Funktionäre beider Parteien, zu gut erinnert man sich an das quälende Gezänk früherer Zusammenarbeit und vor allem: Eine solche Konstellation sähe "alt" aus, heißt es.

Bei einer Neuauflage von Türkis-Blau hingegen, weiß man zwar von inhaltlicher Übereinstimmung beider Parteien, im Umfeld von Kurz fürchtet man allerdings, dass die "Einzelfälle" der FPÖ wohl schon ab Tag zwei einer solchen Regierung wieder das Bild trüben könnten. Sorgen macht man sich dabei vor allem um das Image des Wohl-Wieder-Kanzlers auf internationaler Ebene. Peinliche Fragen der Amtskollegen will Kurz nicht schon wieder beantworten müssen.

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Bleibt also eine Koalition mit Grünen und Neos. War eine solche Konstellation bisher immer mit dem Hinweis, es sei zu schwierig, drei Partner zusammenzuhalten, rasch beiseitegeschoben worden, hat sie heuer plötzlich Charme. In Umfragen können sich mehr Menschen mit einer solchen Regierung anfreunden als mit anderen Varianten. Und nicht unwichtig für Kurz: Auch seine eigenen Anhänger neigen immer öfter zu einer Regierung mit grünen und pinken Ministern und Ministerinnen. In türkisen Kreisen überlegt man sogar schon, welche Ämter man den Juniorpartnern überlassen würde: den Neos jedenfalls die Bildung, den Grünen natürlich ein Klimaschutzministerium. Ein älterer Herr am Markt will von Kogler wissen, wie die Chancen dafür stehen: "Aus Sicht von Umwelt und Wirtschaft wäre das jedenfalls die Konstellation, wo am meisten weitergeht", sagt Kogler. Das klingt ganz anders als zu Beginn des Wahlkampfs, als Kogler bestenfalls "nicht auf der Flucht sein" wollte, wenn es um Sondierungsgespräche geht.

Wo sich die ÖVP bewegen soll

"Es müssen die Türkisen scho a bereit sein zur Veränderung", gibt Kogler seinem Gesprächspartner am Markt noch mit. Doch was heißt das nun? Wo sind die grünen Linien, die man für eine Koalition nicht überschreiten darf? Und wo müsste sich die ÖVP bewegen? "Das ist eindeutig benennbar", sagt Kogler im News-Gespräch. "Das ist sicher einmal im Bereich, wo man Umwelt und Wirtschaft unter einen Hut bringen muss. Ich sag das gleich so, weil nur so kann sich die ÖVP bewegen. Das Feld ist riesig: Es gibt in ganz Österreich so viele Firmen und Forschungszentren, die lechzen geradezu danach, in diese Richtung zu gehen." Dazu kommt für die Grünen naturgemäß noch das Thema "Umsteuern", also die Belastung umweltschädlichen und Entlastung umweltfreundlichen Verhaltens. "Diese Klima-Umsteuerung kann man locker sozial organisieren. Diese Wahlkampfpolemik, wer da mehr bezahlt, dient ja nur dazu, das bisherige Nichtstun der ÖVP zu rechtfertigten." Es gehe dabei nicht nur um Steuern, sondern auch um das Umleiten klimaschädlicher Subventionen etwa in den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel.

Nächster Punkt im grünen Anforderungskatalog an einen Koalitionspartner: "Korruptionsbekämpfung. Es reicht uns Grünen wirklich, wie unsauber da durchaus zu viele Millionen hin und her geschoben werden. Kurz ist ja selber ein Beispiel dafür. Er ist nicht frei davon, dass er Politik für jene macht, die ihm die Millionen zugesteckt haben. Ich sag das in der Offenheit, wenn ihm das nicht passt, soll er etwas anderes sagen, oder sich halt von uns fernhalten." In diesem Bereich, so Kogler, "muss sich etwas ändern: Durchaus auch zum Schutz der Etablierten."

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Doch -ein aktuell nötiger Einwand - just in der Endphase des Wahlkampfs kommt den Grünen selbst die Frage großer Spenden in die Quere. Denn dieser Tage kocht ein zwei Jahre altes Thema wieder hoch, nämlich dass nach Anzeigen gegen den früheren grünen Gemeinderat Christoph Chorherr und acht weitere Personen ermittelt wird. Der Hintergrund: Chorherr hat vor Jahren einen Verein gegründet, der Schulen in Südafrika gebaut hat und betreibt. Zu den Spendern für den guten Zweck zählen Personen aus der Immobilienbranche, mit denen Chorherr als Planungssprecher der Grünen zu tun hatte. Chorherr selbst hat stets vehement die Vermutung zurückgewiesen, dass Gelder seine politischen Entscheidungen beeinflusst hätten. Aus der aktiven Politik hat er sich Anfang des Jahres zurückgezogen. Nun müssen Kogler und die Wiener Grünen-Chefin Birgit Hebein die Causa schupfen. Sie tun das offensiv. "Gott sei Dank wird da ermittelt", sagt Kogler im Puls4-Duell mit Kurz. "Wenn es etwas aufzuklären gibt, dann bitte her damit." Hebein wiederum lud in ihr Büro, um die Fakten offenzulegen und Kritik am ehemaligen Kollegen zu üben. So will man eine unangenehme Debatte einfangen, denn, das weiß man spätestens seit dem 2017er-Wahlkampf, Grün-Wähler sind streng, vor allem auch mit ihrer Partei.

Doch zurück zum Wunschkatalog an die ÖVP: Auf diesem findet sich auch das Thema Gerechtigkeit. "Aber von den Christlichen in der ÖVP kommen eh immer mehr raus, mit denen geht schon was." Konkret gehen sollen Änderungen bei der neuen Mindestsicherung, die bei Mehrkindfamilien ansetzt. "Die Mindestsicherung soll das Mindeste zum Leben geben und in Wahrheit hat die letzte Regierung dieses Mindeste zumindest für das dritte und vierte Kind torpediert." Aber: "Das kann man sicher sanieren. Und dann muss man auch noch schauen, dass man, wenn man schon das starre Schulsystem nicht so schnell ändern kann, doch wenigstens im Vorschulalter und der Volksschule Maßnahmen im Bildungssystem setzt, die mehr Chancengerechtigkeit erzeugen." Also, meint Kogler, "ein paar Sachen gehen schon, ohne ideologisch borniert zu sein".

Wo sich Grüne bewegen müssen

Doch auch die Grünen werden irgendwo nachgeben müssen, nur wo? Da wird Kogler schon etwas weniger konkret. "Das kann man nicht voraussagen. Aber wir sehen ja, wo wir regieren, Demokratie ist immer ein Kompromiss und wir dürfen den Kompromiss in der Demokratie nicht denunzieren." Er selbst habe intern bei den Grünen immer für Sondieren geworben. "Die Frage beim Regieren ist am Ende immer auch: Gibt es irgendwo Bereiche, wo etwas schlechter wird gegenüber dem, wenn wir nicht regieren? Dann braucht's dich nur zu kümmern, was wird besser und um wie viel. Dann musst du noch den möglichen Imageschaden abwägen gegenüber den tatsächlichen Verbesserungen. Das kann eine Entscheidungsgrundlage sein." Allerdings schränkt der Parteichef ein: "Das wird sehr schwierig, glaube ich, dass ein Ergebnis rauskommen könnte, das wirklich tragfähig ist und bei dem man sagt, die Grünen werden dadurch für fünf oder zehn Jahre gestärkt. Darauf muss ich ja auch noch schauen. Deshalb sind ja vorab Sondierungsgespräche so wichtig."

Interne Erklärungsnot

Was immer das grüne Verhandlungsteam in Regierungsgesprächen herausholen würde, Kogler muss damit erst einmal durch seine eigenen Parteigremien kommen. Grüne aus den westlichen Bundesländern sehen ein Bündnis mit der ÖVP entspannter, weil sie selbst mit dieser -allerdings in schwarzer statt türkiser Ausprägung -regieren. Die Wiener Grünen, in einer Koalition mit der SPÖ, gehen indes deutlicher auf Distanz. Birgit Hebein präsentierte am Mittwoch Wahlkampfforderungen ihrer Partei, vom Umsteuern bis zu einer Milliarde Euro für Fahrradinfrastruktur. Die Politik müsse aufhören "das Falsche zu tun", erklärte sie gemeinsam mit der Listenzweiten Leonore Gewessler und dem Wiener Kandidaten Lukas Hammer vor dem Umweltministerium. Ob sich das in einer Regierung leichter bewerkstelligen ließe?"Es ist eine Frage der Vernunft, ernsthafte Sondierungsgespräche zu führen", sagt Hebein, "aber ich bin sehr skeptisch, was dabei herauskommt. Wir wissen ja auch gar nicht, was Kurz nach der Wahl tun wird. Er feiert ja schon Verlobung im Vorfeld mit der FPÖ."

Georg Willi hat den Grünen nach dem Desaster von 2017 das erste Erfolgserlebnis beschert und damit auch die Stimmungslage für seine Partei verbessert. Er wurde Innsbrucker Bürgermeister und regiert in einer Vierer-Koalition mit "Für Innsbruck", der ÖVP und der SPÖ. "Natürlich kommt bei unseren Verhandlungen nicht immer eine grüne Lösung heraus", gibt er zu, "aber die Stimmung ist gut. Es ist alles ein bissl chilliger geworden." Zur Frage einer Koalition mit der ÖVP auf Bundesebene meint Willi: "Kurz ist nicht der Chef einer ÖVP, wie wir sie aus den Bundesländern kennen. Vom Christlichen ist da schon sehr viel abgebröckelt. Da gibt es inhaltliche Probleme. Außerdem ist die Schnittmenge zwischen Kurz und der FPÖ schon sehr hoch." Aber, so betont der Grüne der ersten Stunde: "Ich saß neben dem damaligen Parteichef Alexander Van der Bellen, als es um die Frage ging, ob wir nach der Wahl 2002 mit der ÖVP unter Wolfgang Schüssel verhandeln sollen. Er hat damals zu den Zweifeln gesagt: Irgendwer wird wohl dieses Land regieren müssen." Für Willi ist in den Verhandlungen wichtig: Wie soll man mit Menschen umgehen, die in Asylverfahren sind und eine Lehre machen. "Die sollen jedenfalls den Lehrabschluss machen dürfen. Und für die vielen, die seit Jahren auf den Ausgang ihres Verfahrens warten, braucht man eine schnelle Lösung. Etwa: Wer einen Wohnort und eine Arbeitsstelle hat und gut integriert ist, darf auch bleiben." Natürlich brauche man Regeln für die Zuwanderung, sagt Willi, er hoffe, dass in den Gesprächen mit der ÖVP beim Umgang mit diesen Menschen etwas herauskomme, das "unserem humanistischen Anspruch entspricht. Bei dem, was die ÖVP heute vorgibt, sind die Kirche und die Industriellenvereinigung ja sogar auf Seiten der Grünen." Aber: Wenn man "alles ganz pragmatisch durchgeht, findet man auch Lösungen", sagt der Bürgermeister.

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Und falls nicht, sagt Kogler Richtung grüner Zweifler: "Wir sind ja auch damals nach der Wahl 2002 vom Verhandlungstisch aufgestanden, weil sich die ÖVP unter Schüssel überhaupt nicht bewegen wollte. Das würden wir auch wieder machen. Da braucht keiner Sorgen zu haben."

Im Zweifel nämlich ist man auch zufrieden, wenn man das ursprünglich vorgegebene Wahlziel erreicht: in den Nationalrat kommen. Hinter Kogler hat sich eine Liste mit vielen neuen Gesichtern gesammelt. Mit dem Chef in Graz unterwegs sind Alma Zadic, die von der Liste Pilz zu den Grünen gewechselt ist, und der Bundesratsabgeordnete David Stögmüller, der nun für den Nationalrat kandidiert. Der schwärmt vom neuen Team und von neuem Elan der grünen Truppe: "Wir werden das Parlament rocken." So schmerzhaft die Grünen 2017 geschrumpft sind, so schnell müssen sie nun im Fall eines Wahlerfolges auch wieder wachsen. Und dabei, so sind sich alle Beteiligten einig, nicht wieder in alte Muster verfallen. Die Krise, so sagt man bei den Grünen, war ja auch eine Chance, Entscheidungsstrukturen, die festgefahren waren, aufzulösen.

Der Chef persönlich hängt sein berufliches Wohlbefinden jedenfalls nicht an ein Ministeramt: "Was mich persönlich betrifft: Ich bin ja eher der Parlamentarier und es wird Klubobleute auch noch brauchen, gerade bei einer etwaigen Koalition. Was interessant wäre, wäre diese Idee Wirtschaft und Umwelt miteinander zu steuern, das ist ja auch mein ganzer Werdegang. Aber, wie gesagt, wir reden da dauernd über etwas, das vielleicht 90 Prozent der Menschen wollen, das aber nur fünf Prozent Wahrscheinlichkeit hat."

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (38/2019) erschienen