Parteimedien online: Die Auferstehung der Parteizeitungen?

Mit Grünen und Neos arbeiten nun zwei weitere Parlamentsparteien an eigenen Internetmedien. Alle anderen erreichen damit jetzt schon ein beachtliches Publikum. Warum schätzt dieses die klare Parteilichkeit offenbar ebenso wie professionelle Distanz? Eine Nachforschung.

von Parteimedien © Bild: Elke Mayr

Eine derart breite Berichterstattung über Kernthemen der Partei gab es zur Freude der SPÖ schon lange nicht mehr. Und trotzdem: Weder Obfrau Pamela Rendi-Wagner noch die Abgeordneten im Nationalrat oder die roten Landeshauptleute hatten etwas damit zu tun. Vielmehr war es ein kleines Team weitgehend unbekannter Männer und Frauen, das Anfang des Jahres das halbe Land dazu brachte, kritisch über jene zu berichten, die sie im Slang der Parteibasis manchmal auch "die G'stopften" nennen.

Gegen die Reichen und Mächtigen

Der dazugehörige Website-Aufmacher hatte alles, was eine echte Coverstory ausmacht: einen Titel, der empört, und ein Foto, das die Empörung in die gewünschte Richtung lenkt. Also wurde die Schlagzeile "42 Milliarden Euro: Wer die meisten Corona-Hilfsgelder in Österreich erhält" mit den Porträts dreier Personen unterlegt, die im Ideenuniversum der SPÖ für viele Fehlentwicklungen im Land stehen, nämlich: der Immobilienmilliardär René Benko, Glücksspielkönig Johann Graf (Novomatic) und Nachtgastronom und Sebastian-Kurz- Freund Martin Ho. Willkommen in der Welt der Parteimedien. Willkommen in der Welt von "kontrast.at".

Das siebenköpfige Team um Chefredakteurin Patricia Huber landete mit der Geschichte über die Verteilung der Hilfsgelder der Regierung einen echten Coup. Die APA, das Fernsehen, zahlreiche Webmedien und die größte Zeitung im Land, die "Krone", wo die Gründerfamilie Dichand einen erbitterten Kampf gegen Neomiteigentümer Benko führt, berichteten über die "Kontrast"-Recherche.

Dabei hatte Hubers Team, das aus Mitarbeitern des SPÖ-Parlamentsklubs besteht, nichts anderes getan, als die jedermann zugängliche Transparenzdatenbank der EU auszuwerten. Was sie von allen anderen Redaktionen unterschied: Sie taten es auch. Und setzten damit ein Thema. Bundesweit. Eine Fähigkeit, über die künftig alle im Parlament vertretenen Parteien verfügen wollen. Österreich erlebt gerade die digitale Wiederauferstehung der Parteizeitungen.

Info-Bypass zu den Wählern

Nach FPÖ, SPÖ, Liste Pilz und ÖVP arbeiten -ganz aktuell -auch Grüne und Neos an ihrer eigenen und ideologisch eindeutig zuordenbaren Nachrichtenwelt. Allen Publikationen gemein ist, dass sie im Internet erscheinen. Zumindest einige von ihnen erzielen dort inzwischen Reichweiten, von denen traditionelle Medienhäuser manchmal nur träumen. Gut messen lässt sich das durch Auswertung der Accounts in den sozialen Medien. Doch wer sind die Macher? Was treibt sie an? Und warum entschieden die Parteien, Inhalte künftig auch abseits der Filter traditioneller Redaktionen zu erzählen?

Frechheit siegt

Die Geschichte der neuen Parteimedien scheint vor allem die Geschichte einer immer konfliktfreudigeren Öffentlichkeit zu sein. Einer Öffentlichkeit, die sich zusehends polarisiert. Warum das ausgerechnet den neuen Parteimedien hilft?"Weil das Publikum diese klaren Standpunkte auch dort lesen will, wo sie herkommen", glaubt "Kontrast"-Chefin Huber. In traditionellen Medien würden diese Diskussionen oft stark verengt geführt. Mit angezogener Handbremse. Im Netz, dem Revier von "Kontrast" und anderen, könne man sich schlichtweg mehr erlauben, mehr trauen, weniger auf Konventionen achten, kurz: frech sein.

Huber und ihr Team leben dieses Motto, ecken auch gerne mit Kollegen aus Medien ohne ausdrücklich erwähnten Parteihintergrund an. Zum Beispiel? Ende Jänner wurde bekannt, dass der SPÖ-nahe Thinktank "Moment-Institut" großzügig von der Arbeiterkammer gefördert wird. Dazu äußerte sich "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk via Twitter, schrieb, dass die Öffentlichkeitsarbeit von Thinktanks und Parteien "kein ,Journalismus'" sei. Die Frage, ob das auch auf "kontrast.at" anzuwenden sei, beantwortet Huber mit einer Gegenfrage: "Warum fragen Sie das nicht auch die Chefredakteure von "ZiB 1","Presse" oder "Kurier"?

Die "Krone" und die SPÖ

Tatsächlich haben Presse und Parteien in Österreich eine lange gemeinsame Geschichte. Diese gründet jedoch nicht nur auf den klassischen Parteizeitungen, die im Lauf der vergangenen Jahrzehnte entweder eingestellt wurden oder in der Bedeutungslosigkeit verschwanden. So spielte ausgerechnet bei der Gründung der größten Zeitung des Landes, der "Kronen Zeitung", eine Partei oder, genauer: einer ihrer prominentesten Vertreter eine bedeutende Rolle.

Der ehemalige Innenminister und Gewerkschafter Franz Olah half einst "Krone"-Gründer Hans Dichand, den für sein Vorhaben notwendigen Kredit zu bekommen. "Offenbar, indem Sparbücher der von ihm geführten Bau-und Holzarbeiter-Gewerkschaft bei der Zentralsparkasse als Besicherung hinterlegt wurden", schrieb der verstorbene Hugo Portisch in seiner Autobiografie.

Als Olah dafür später vor Gericht stand, wurde er in Bezug auf den vermuteten Einsatz von Parteigeldern jedoch freigesprochen. Gänzlich aufgeklärt wurde die Episode zwischen der "Krone" und der SPÖ nie. Dichand, der Olah um nicht einmal ein Jahr überlebte, schrieb in einem Nachruf: "Ich bin Franz Olah großen Dank schuldig. Aber er wusste, dass sie (die "Kronen Zeitung", Anm.), um Erfolg zu haben, unabhängig sein musste."

Motto: selber machen

Heute, viele Jahre später, ist das Verhältnis zwischen traditionellen Medien und Parteien von gegenseitiger Abhängigkeit einerseits -Stichwort: Inseratenkorruption - und tiefem Misstrauen andererseits geprägt. Deshalb begannen die ersten Fraktionen vor über einem Jahrzehnt, ihre eigenen Medienkanäle aufzubauen. Was daraus wurde, war damals jedoch nicht abzusehen.

Übersicht über die Parteimedien in Österreich:

kontrast.at Start im Jahr 2015. Wird vom Parlamentsklub der SPÖ betrieben
unzensuriert.at Firmenrechtlich abseits der FPÖ, aber mit starken personellen Verflechtungen
exxpress.at Kein Parteihintergrund, aber ÖVP-nahe Eigentümerin
FPÖ TV Ging 2012 auf YouTube online. Finanzierung mit Mitteln der Partei
zur-sache.at Gründung 2021. Finanzierung aus Parteimitteln
ZackZack Mit Mitteln der Liste Jetzt gegründet. Inzwischen ohne Partei im Hintergrund, aber mit Peter Pilz als Herausgeber
NEOS: in Planung soll 2022 online gehen
Die Grünen: in Planung soll 2022 online gehen

"unzensuriert.at" und "FPÖ TV": Pionierarbeit

Die Pionierarbeit dafür leisteten die Freiheitlichen mit "unzensuriert.at" und "FPÖ TV", das als Ausspielkanal die von Google betriebene Videoplattform YouTube nutzt. Wobei "Unzensuriert" - laut Eigendefinition "demokratisch, kritisch, polemisch und selbstverständlich parteilich" - nicht unmittelbar auf die FPÖ als Partei, sondern auf das Büro des ehemaligen dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf zurückgeht.

Alexander Höferl, der heute im FPÖ-Parlamentsklub für Kommunikation verantwortlich ist, war auch bei der " Unzensuriert"-Gründung dabei. Er bezeichnet die im Frühling 2009 umgesetzte Idee heute als "kommunikative Notwehraktion für Martin Graf". Und erzählt die Geschichte so:

Journalistischer Denkfehler?

Seinerzeit, als Graf als dritter Nationalratspräsident wegen vermeintlicher Besetzung von Topjobs im Forschungszentrum Seibersdorf mit Burschenschaftern und wegen Verbindungen von Büromitarbeitern in ebendiese Szene in der öffentlichen Kritik stand, seien Graf und die Partei mit ihren Botschaften und Stellungnahmen nur noch verkürzt und unvollständig durchgedrungen. "So entstand die Idee, uns unmittelbar und direkt ans Publikum zu wenden."

Ein Grundgedanke, der drei Jahre später auch zur Gründung von "FPÖ TV" führte: der direkte Transport von Inhalten vom Absender zum Empfänger. Verstärkt durch die Wirkmacht der Bilder.

Während Kritiker oder klassische Redaktionen diesen Ansatz nicht selten mit Parteienpropaganda beschreiben, erklärt ihn die FPÖ -sie erzielt damit inzwischen die größten Reichweiten aller Parteien - aus einer anderen Perspektive. Höferl ist nämlich überzeugt davon, dass sich im traditionellen Journalismus im Lauf der vergangen Jahre "ein großer Denkfehler eingeschlichen hat". Er nennt ihn "Einordnungsjournalismus". Für ihn ist dieser das ständige Bestreben von Redaktionen, dem Publikum zu erklären, was ein Politiker mit einer Äußerung "wirklich" sagen wolle. "Für mich kommt das der Entmündigung des Publikums nahe, schließlich kann die Bevölkerung selbst beurteilen, was sie davon zu halten hat."

© Grafik: Sebastian Mayer/News

"Kontrast": Versuchslabor der SPÖ

Zumindest das Publikum scheint diesen Standpunkt zu schätzen -ganz unabhängig davon, ob man sich der Ideologie der Freiheitlichen zugehörig fühlt oder nicht. Gemeinsam bringen es die Webmedien der Freiheitlichen auf über 200.000 Fans und eine halbe Million "Interaktionen" im Monat. Damit sind "Likes", Kommentare und geteilte Beiträge gemeint.

"Unzensuriert", vor allem aber das erfolgreiche "FPÖ TV" animierten später Mitarbeiter aus der SPÖ, "Kontrast" als sozialdemokratische Gegenerzählung zu positionieren. Dies auch, um der "bürgerlichen Medien-Hegemonie in Österreich" etwas entgegenzuhalten, erzählt Chefredakteurin Patricia Huber. Dabei war man im SPÖ-Klub 2015 bewusst leise in das Projekt gestartet, um es bei einem möglichen Misserfolg genauso unspektakulär wieder einstellen zu können.

Doch dazu kam es nie. Heute sind Huber und ihr Team fester und vor allem erfolgreicher Bestandteil des Teams. In der Wahrnehmung von Beobachtern womöglich erfolgreicher als die Partei selbst, die zuletzt immer wieder mit internen Streitigkeiten und der Interpretation der Oppositionsrolle in die Schlagzeilen geriet.

"zackzack.at": Strache-Spruch als Namengeber

Mit dem Einstieg der SPÖ schien die Gründerstimmung innerhalb der österreichischen Parteienlandschaft zunächst vorbei zu sein. Vier Jahre lang tat sich nichts, bis im Mai 2019 jenes heimlich aufgenommene Video öffentlich wurde, auf dem Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mit den Worten "Zack, zack, zack" davon träumte, kritische Journalisten im Land zu entfernen. Der Sager stand Pate für "zackzack. at", das auf die Liste Jetzt des ehemaligen Grünen-Mandatars Peter Pilz zurückgeht. "ZackZack" brachte mit seiner lautstarken und unbequemen Berichterstattung im Umfeld von ÖVP und FPÖ frischen Wind in die damals noch eher kleine Welt der digitalen Parteimedien.

Wobei: Als ebensolches sieht Chefredakteur Thomas Walach die Plattform heute gar nicht mehr, will Fragen zur Gründungsgeschichte deshalb weder hören noch beantworten. Dabei kandidierte er im Herbst 2019 selbst auf Platz sieben der Jetzt-Bundesliste für den Nationalrat.

Mit den Wahlen ging Pilz, Walach und "ZackZack" dann zwar die Partei verloren, in der Medienlandschaft konnte sich die Redaktion jedoch etablieren. Schwerpunkt sind Geschichten, die der ÖVP weh tun und die regelmäßig von traditionellen Medien übernommen werden. So stellte die Redaktion große Aktenteile aus den Ermittlungen gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid zum Download zur Verfügung. Darunter Hunderte Seiten überwiegend belastendes Material. Entlastendes hingegen weniger.

© Grafik: Sebastian Mayer/News

Grüne und Neos ziehen nach

Die hohe Aufmerksamkeit für "ZackZack" führte zu einem bis heute anhaltenden Gründer-Boom. Wobei die Zuordenbarkeit nicht in allen Fällen eindeutig ist. So stammt das in Sachen Reichweite bisher mäßig erfolgreiche "zur-sache.at" direkt aus dem Klub der ÖVP. Die Boulevardplattform "exxpress.at" hingegen ist formal unabhängig. Mehrheitseigentümerin ist aber Eva Schütz, eine ehemalige Mitarbeiterin von Ex-ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger. Schütz' Ehemann Alexander Schütz (Vermögensverwaltung C-Quadrat) war zudem ÖVP-Großspender.

Fehlen mit Grünen und Neos also noch die beiden kleinsten Parlamentsparteien. Beide arbeiten derzeit intensiv an der Gründung ihrer Medien. Neos-Kommunikationschef Julian Steiner spricht davon, dass es bereits ein erstes Konzept gebe, in dem Debatten um liberale Kernideen eine zentrale Rolle spielen. "Ein weiteres Medium, auf dem ein paar Mitarbeiter Parteipropaganda veröffentlichen und die politischen Mitbewerber anpatzen, wollen wir aber nicht gründen." Deshalb werden weder er noch andere Personen aus dem Presseteam das neue Medium mit Inhalt füllen. Dennoch: Zweck der Plattform sei - natürlich -, die eigene politische Sache voranzubringen.