Mikl-Leitner geht zu weit

Mit der türkis-blauen Koalition überschreitet Niederösterreichs Landeshauptfrau eine rote Linie, die sie selbst gezogen hat. Im Hinblick auf die Nationalratswahl ist das riskant für die ÖVP.

von Politische Analyse - Mikl-Leitner geht zu weit © Bild: Privat

Analyse

Seit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in seiner Rede zur Zukunft der Nation gefordert hat, Sozialleistungen für Migranten zu kürzen, und seit Klubobmann August Wöginger (ÖVP) eine Koalition mit der FPÖ von Herbert Kickl nicht mehr ausschließt, ja vor allem seit sich die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in St. Pölten auf einen Pakt mit der extrem rechten FPÖ eingelassen hat, stehen die Zeichen auf Türkis-Blau oder Blau-Türkis nach der nächsten Nationalratswahl. Einerseits. Andererseits könnte es erst recht dazu führen, dass alles ganz anders kommt.

Mikl-Leitner hat mit ihrem Paket zunächst eher einen Beitrag zur Verhinderung einer solchen Konstellation auch auf Bundesebene geleistet: Vom Boden- bis zum Neusiedlersee sind selbst türkise Funktionäre irritiert darüber, was sie mit der FPÖ vereinbart hat.

Für die ÖVP gab es bisher immer wieder eine rote Linie: Was Richtung Rechtsextremismus im Allgemeinen und Antisemitismus im Besonderen ging, galt als Grenzüberschreitung. In Vorarlberg hat man die Freiheitlichen 2009 nach 35 Jahren aus der Landesregierung geworfen. Grund: Ihr damaliger Chef, Dieter Egger, weigerte sich, die Aussage zurückzunehmen, Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems, sei "ein Exiljude aus Amerika". 2018 stellte sich Mikl-Leitner selbst gegen ihren künftigen Landeshauptfrau-Stellvertreter Udo Landbauer, weil sich dieser nicht von einem NS-Liederbuch in seiner Burschenschaft distanzierte. Ihr Vorgänger Erwin Pröll (ÖVP) sah die Bundesregierung gefordert: Es sei eine gemeinsame Aufgabe, sich vom Schatten der Vergangenheit zu befreien. Im Jahr darauf kündigte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Koalition mit den Freiheitlichen auf – nicht nur wegen der Ibiza-Affäre, sondern auch aufgrund von "Einzelfällen", zu denen das Liederbuch zählte. Selbst wenn man unterstellt, dass die rote Linie nicht konsequent beziehungsweise nur bei "passenden" Umfragewerten gezogen wurde, ist das eine Botschaft: Es weist darauf hin, dass es im Sinne einer Mehrheit war.

Nichts mehr sicher

Jetzt geht Mikl-Leitner ausgerechnet mit Landbauer sowie Vertretern der FPÖ Niederösterreich ein Bündnis ein, die "stolz den Hitlergruß zeigen", "in Facebook-Gruppen mit Shoah-Leugnern sind" und "Nationalsozialisten huldigen", wie Oskar Deutsch, Präsident der Jüdischen Kultusgemeinde, im "Standard" schrieb: Das ist Parteifreunden nicht mehr egal.

Ihre Sorge ist groß: Sehr viele Österreicher sind für Rechtspopulismus zu haben, nicht aber für Rechtsextremismus. Diesbezüglich hat die ÖVP ab sofort Erklärungsbedarf. In ihrem Fall scheint nichts mehr sicher. Das belastet auch Karl Nehammer mit Blick auf die Nationalratswahl, die er spätestens im Herbst 2024 für die Partei zu schlagen hat: Er kann nicht mehr so einfach behaupten, gegen Extremismus, in welcher Form auch immer, zu sein.

Zahl

Vorteil Doskozil

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat den Wahlkampf um den Parteivorsitz mit einer Absage an eine Koalition mit der FPÖ eröffnet. Das unterscheide sie von ihrem Kontrahenten, dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Dieser sei gegen eine Zusammenarbeit mit Herbert Kickl, nicht aber gegen eine solche mit den Freiheitlichen insgesamt.

Für die Sozialdemokratie ist das zweischneidig: Zugespitzt formuliert definiert sie sich gerne allein durch eine Ablehnung der FPÖ. Für eine Mehrheit bei der Mitgliederbefragung über den Parteivorsitz könnte das reichen. Das ist auch die Hoffnung von Rendi-Wagner. Bei einer Nationalratswahl wäre es sehr wahrscheinlich jedoch zu wenig, um auf Platz eins kommen zu können.

Acht von zehn Wählern sehen sich im politischen Spektrum weder links noch rechts, sondern in der Mitte. Das heißt nicht, dass keiner von ihnen für die FPÖ zu haben wäre. Im Moment sind es sogar sehr viele, und das erklärt auch den Höhenflug von Kickl und Co. Zuvor war Sebastian Kurz und der Volkspartei Ähnliches gelungen.

Will die SPÖ stärkste Partei werden, muss sie einem größeren Teil dieser Wähler ein überzeugendes Angebot machen. Eine ausschließliche Absage an die Freiheitlichen reicht nicht aus. Damit würde man diesen Leuten lediglich mitteilen, dass sie zurzeit den Falschen nachlaufen. Das hört niemand gern.

Doskozil versucht es im Burgenland mit einer populären Politik, die von einem Mindestlohn bis zu einem Anstellungsmodell für pflegende Angehörige reicht. Er ist insofern erfolgreich damit, als er Tausende Wähler, die er 2020 der FPÖ abgenommen hat, ganz offensichtlich halten kann: Die SPÖ liegt bisher bei über 50 Prozent im Land. Rendi-Wagner fehlt ein vergleichbarer Erfolgsausweis: Als die FPÖ bei der Nationalrastwahl 2019 abstürzte, hatte die SPÖ unter ihrer Führung nichts davon. Sie verlor ebenfalls.

© News

Bericht

Beschränkte Freiheit

Seit Jahren soll das Amtsgeheimnis abgeschafft und durch Informationsfreiheit ersetzt werden. Die türkis-grüne Regierung möchte bis zum Sommer einen neuen Entwurf vorlegen. Immerhin geht es dabei auch um Korruptionsbekämpfung. Was sich abzeichnet, ist jedoch eine Farce: Aus einem Amtsgeheimnis mit Ausnahmen könnte eine Informationsfreiheit mit so weit reichenden Beschränkungen werden, dass sich nichts ändert.

Grundsätzlich soll "jedermann" das Recht auf Zugang zu staatlichen Informationen erhalten. Allerdings: Gemeinden etwa sollen Begehren zurückweisen können, wenn sie finden, dass es zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder "zur Vorbereitung einer Entscheidung" erforderlich ist. Das kann alles und nichts sein. Die Kommunen sollen sich außerdem durch die Datenschutzbehörde beraten lassen können. Diese soll dafür eigens personell aufgestockt werden.

Unter diesen Umständen könnte es schwierig werden für Bürgerinnen und Bürger, ihr Recht durchzusetzen. Nur die wenigsten verfügen über das nötige Fachwissen. Eine Person, die ihnen helfend zur Seite stehen könnte, ist nicht vorgesehen. Damit gemeint ist eine Informationsfreiheitsbeauftrage oder ein Informationsfreiheitsbeauftragter, wie er zum Beispiel in Deutschland selbstverständlich ist: Er kann von jeder und jedem angerufen werden, wenn das Recht auf Zugang zu Information verletzt gesehen wird. In Streitfällen kann er zumindest vermitteln und die Verweigerung von Auskünften beanstanden. Das entspricht ernst gemeinter Informationsfreiheit.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at