Sind Sie in einer Chatgruppe mit Kurz und Blümel? "Natürlich nicht!"

Der grüne Vizekanzler Werner Kogler über ÖVP-Chats, Nervosität beim Regierungspartner, Erfolge seiner Partei in der Koalition und (un)mögliche Neuwahlen.

von Werner Kogler © Bild: News/Matt Observe

Wen würde der Anstand 2021 wählen?
Ich kann die Grünen empfehlen.

Die Grünen haben das bei der Wahl 2019 plakatiert. Heute wird dieser Slogan von der Opposition zitiert, wenn die Grünen im Parlament aus Koalitionsräson gegen ihre eigenen Werte stimmen.
Seit die Grünen Verantwortung im Justizministerium übernommen haben, sieht man, dass es überhaupt kein Rütteln an der Unabhängigkeit der Justiz gibt. Es war notwendig, dass man sich schützend vor die Justiz stellt und sie unbeeinflusst arbeiten lässt. Das tun wir. So einfach ist es. Und wenn wir uns die Forderungen der Opposition anschauen, etwa wenn es um die Berichtspflichten der Staatsanwälte geht: Wer hat hier Erleichterungen geschaffen, wer die Sektionen getrennt, damit die Weisungsketten transparenter sind? Stellen wir uns vor, es wäre noch Josef Moser Justizminister oder ein Blauer -da merkt man den Unterschied.

»Ich nehme an, dass diese Aussichtslosigkeit von Kurz antizipiert wurde«

Wie oft hat sich Sebastian Kurz bei Ihnen beschwert, als Sie in Vertretung von Alma Zadić Justizminister waren und gegen ÖVP-Politiker ermittelt wurde?
Das passiert nicht, weil völlig klar ist, dass dieses Unterfangen aussichtslos wäre. Ich nehme an, dass diese Aussichtslosigkeit von ihm antizipiert wurde. Das war schon bei den Koalitionsverhandlungen klar: Wir Grüne können Verantwortung in der aktuellen Regierung übernehmen, aber nicht für die Vergangenheit der ÖVP und deren Koalition mit der FPÖ.

Lesen Sie hier: FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker über türkise Skandale, neue Kickl-Ideen und die "staatspolitische Verantwortung" seiner Partei

Sie haben einen Koalitionspartner mit Vergangenheit und einschlägigen Problemen im Ibiza-U-Ausschuss. Nun hat man bei den Grünen den Eindruck, sie fahren eine Doppelstrategie: Verbindlichkeit in der Regierung, aber im Parlament schwingen die Grünen fast Oppositionsreden gegen die ÖVP.
Das liegt eher in den unterschiedlichen Rollen von Regierung und Parlament. Abgesehen davon kann man ja schon öfter Meinungsunterschiede zwischen den türkisen Kollegen und grünen Regierungsmitgliedern wahrnehmen. Gerade als es um die Justiz ging. Alma Zadić und ich verteidigen die Justiz nicht nur, wir haben bei den Budgetverhandlungen auch sehr viel mehr Ressourcen für das Justizressort und die Staatsanwaltschaften herausverhandelt. Der Vorgänger in der Übergangsregierung hat noch gesagt: "Die Justiz stirbt einen stillen Tod." Das wurde korrigiert und auch die Staatsanwaltschaften noch gestärkt. Insofern komme ich zu einer klaren Antwort: Es zählen die Ergebnisse.

Werner Kogler
© News/Matt Observe

Es wirkt so, als wollten die Grünen mit einer Doppelstrategie signalisieren: "Wir sind eh noch die, die ihr gewählt habt. Wir haben unsere Werte nicht an der türkisen Kabinettstür abgegeben."
Davon kann keine Rede sein. Wir waren früher in einer Oppositionsrolle, jetzt sind wir in einer Regierungsrolle, und da muss man liefern. Und da komme ich schon wieder auf die Justiz zurück. Noch nie hat es in einer derartigen Dichte Ermittlungen im politiknahen Bereichen gegeben. Die Wählerinnen und Wähler können sich davon überzeugen, dass umfänglich und tiefgehend ermittelt wird. Dass das nicht abgedreht wird, dass es den Raum dafür gibt, dafür sorgen wir. Ob das in der Öffentlichkeit immer gleich nachvollzogen wird, ist eine andere Frage.

Offenbar wird es nicht nachvollzogen. In einer aktuellen Umfrage liegen die Grünen nur bei zehn Prozent.
Also wenn es nach Umfragen gegangen wäre, hätten wir auch Mühe mit dem Einzug ins Europaparlament und in den Nationalrat gehabt. Damit halte ich mich jetzt nicht auf. Es zählen am Ende nur die Ergebnisse unserer Regierungsarbeit. Bei unserem Koalitionspartner drängt sich ja für viele die Frage auf: Reicht das Erzählte oder zählt das Erreichte? Natürlich ist die öffentliche Wahrnehmung wichtig, aber erst muss man auch tatsächlich etwas liefern.

Am 13. Juni trifft sich der grüne Bundeskongress. Werden Sie da unter Rechtfertigungsdruck geraten?
Die offenen Diskussionen über die Regierungsarbeit finden ja ohnehin laufend statt. Auch während der Pandemie haben wir ständig Videokonferenzen mit unseren Mitgliedern, die übrigens laufend mehr werden. Da wird über die Regierungsarbeit berichtet, es werden Fragen gestellt und Rückmeldungen gegeben. Aufgrund der einzigartigen Pandemie sind das natürlich insgesamt schwierige Zeiten für uns alle und ja, auch neue Erfahrungen für die Bundesgrünen. Da und dort gibt es -aber ohnehin bei mir auch -Fragezeichen, etwa über die türkise Kommunikation zur Justiz. Aber wenn man klarstellt, was wirklich passiert und vorangetrieben wird, gibt es auch viel Verständnis. Das funktioniert gut. Das Ergebnis ist immer, dass es die Mitglieder wichtig und sinnvoll finden, dass die Grünen regieren. Weil wir vorher über Umfragen gesprochen haben: Da sagen regelmäßig 80 bis 95 Prozent jener, die Grün wählen oder sich vorstellen können, es zu tun, dass sie wollen, dass die Grünen regieren.

Wie peinlich finden Sie die ÖVP-Chats?
Darüber können sich sowieso alle ein Bild machen. Es scheint in diesen Nachrichten schon eine eigenartige, verhaberte Sprache geherrscht zu haben. Aber ich bin kein Chatkommentator. Wichtig ist, wie wir jetzt arbeiten und was für die Zukunft rauskommt. Wir sind ja nicht in die Regierung eingetreten, um nur die Vergangenheit zu beleuchten. Dass die ablösenswert war, war ja klar. Deswegen haben wir uns ja auch zusammengerissen und einen g'scheiten Wahlerfolg zustande gebracht. Und es war klar, wenn es sich irgendwie ausgeht, sind wir nicht auf der Flucht, sondern treten in Koalitionsgespräche ein, weil dieses System mit den Blauen, das nun immer mehr zum Vorschein kommt, abgelöst werden musste.

»Es würde mich wundern, wenn es zwischen Grün und Türkis solche Chats geben sollte«

Es wurde aber nur der FPÖ-Teil abgelöst, die ÖVP um Kurz regiert unverändert.
Es würde mich wundern, wenn es zwischen Grün und Türkis solche Chats geben sollte. Wie sich die ÖVP untereinander unterhalten hat, mag zwar gewisse Einblicke geben. Aber wenn wir uns mit dem Koalitionspartner am Verhandlungstisch treffen, Entscheidungen aufbereiten und umsetzen, dann passen die im Großen und Ganzen, etwa bei der Pandemiebekämpfung. Auch bei der Bekämpfung der Wirtschafts-und Beschäftigungskrise geht es in Riesenschritten weiter, weil wir durch Modernisierungen und mit ökologischem Anspruch Veränderungen einleiten.

Sind Sie in einer Chatgruppe mit Kurz und Gernot Blümel?
Natürlich nicht! Ich bin sowieso kein Freak bei dieser Kommunikation. Da beschweren sich auch meine Mitstreiterinnen und Mitstreiter, dass das ein bissl von mir vernachlässigt wird, regelmäßig über Chats zu kommunizieren.

Man wirft den Grünen vor, Kurz und Blümel rund um ihre Justizcausae bei Misstrauensanträgen die Mauer zu machen.
Die Frage ist: Was sind die Alternativen? Ich schaue mir gerne an, was die zur Verfügung stehenden Mehrheiten eigentlich zustande bringen würden. So viele Möglichkeiten gibt es da ja nicht. Wenn ich mir die SPÖ herausgreife: Da verstehe ich die Zurufe immer weniger. Ihnen passt genau in den Bereichen nie etwas, wo sie selbst nichts zustande gebracht haben. Die SPÖ war lange genug in der Regierung, aber nie wurde ein Arbeitslosengeld erhöht, die Grünen haben das wenigstens in der Pandemie für sechs Monate erreicht. Die Mindestpension ist auf 1.000 Euro angehoben worden, auch das ist keine türkise Idee. Beim Kinderbonus haben wir erreicht, dass wirklich jedes Kind gleich viel bekommt. Und nicht die mittleren und vor allem höheren Einkommen mehr profitieren, während die, die wenig haben, wenig kriegen. Dazu haben wir noch die 700 Millionen für die Arbeitsstiftung ermöglicht. Das wird für Umschulungen in den Pflegebereich und für die Ökologisierung genutzt. Gerade im Bereich Klimajobs werden uns bald die Arbeitskräfte ausgehen. Das ist doch groß! Daran orientiere ich mich. Worüber man diskutieren kann, ist, ob das ausreichend viele wissen.

Der neue starke Mann der FPÖ, Herbert Kickl, wirbt für einen "cordon sanitaire" gegen Kurz. SPÖ, Grüne und Neos sollen regieren, die FPÖ stützt das Ganze im Parlament. Ist das denkbar?
Ich glaube, zwei Jahre nach Ibiza sind zu wenig Halbwertszeit, um die FPÖ ihrerseits wieder innerhalb des "cordon sanitaire" ansiedeln zu können. Das erübrigt sich von selber. Taktische Überlegungen sind legitim in der Politik, aber ich bin mir nicht sicher, ob das laute Geplärre des Herrn Kickl die ganzen Korruptionsanfälligkeiten seiner Truppe wirklich vertreibt.

Wie groß ist die Nervosität der ÖVP, wirkt sie sich auf die Regierungsarbeit aus?
Sie läuft jedenfalls anders, als es sich viele vorstellen würden. Die Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen geht gut voran. Bei den Ökologisierungsschritten ist schon viel passiert, mehr, als man jemals erwarten durfte. Insofern geht viel voran. Der Unterschied zu früher ist -das war schon bei den Regierungsverhandlungen klar -, dass es mit uns diese Art der Message Control nicht geben wird. Unterschiede werden ausgeflaggt, wenn sie auftauchen. Wichtig ist: Die Arbeit geht weiter, Entscheidungsmechanismen funktionieren und die Ergebnisse der Zusammenarbeit liegen zwischen brauchbar und sehr gut. Darauf kommt es letztlich an.

Wirklich liefern müssen die Grünen mit Maßnahmen gegen die Klimakrise.
Ich würde mich dagegen verwahren, dass es nur ein Thema gibt, weswegen man die Grünen wählt. Ich habe ja die unabhängige Justiz und die soziale Absicherung schon erwähnt. Aber die zentrale Mission ist natürlich die Bekämpfung der Klimakrise und die Chancen, die dort drinnenstecken. Es gibt dabei drei große Säulen: Regulative, also Gesetze, dann Förderungen im besten Sinne des Wortes und, als dritte, Eingriffe in Wirtschaftsmechanismen über Kosten und Preise. Da spielen die ökologisch-soziale Steuerreform und ein vernünftiger CO2-Preis hinein. Bei der zweiten Säule, den Förderungen, ist schon viel gelungen. Im Wahlkampf hat die SPÖ eine Klimaschutz-Milliarde gefordert und uns diese nicht zugetraut. Jetzt haben wir schon ein Vielfaches davon, weil wir nach Corona neben den Rettungsmaßnahmen in Riesenschritten Investitionen voranbringen. Das ist grüne Handschrift. Wir haben die ÖVP überzeugt, dass es besser ist, dafür eher mehr günstiges Geld in die Hand zu nehmen. Zwei Drittel davon gehen in die Ökologisierung. Das beginnt mit dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs, geht über das Gebäudemanagement mit Photovoltaik am Dach, die Sanierung der Gebäudestruktur bis zum Kesseltausch im Keller. Das sind eben die ökologischen Milliardeninvestitionen. Ich hatte zuletzt Kontakt zu Grünen in Deutschland, der Schweiz, Luxemburg und anderen Ländern. Die beneiden uns.

Sie zählen grüne Erfolge auf: Sind es schon genug, dass Sie sich im Fall von Neuwahlen vor Ihre Wählerinnen und Wähler stellen können und sagen: "Die Regierungsbeteiligung hat sich ausgezahlt"?
Das müssen die Wählerinnen und Wähler selber entscheiden. Abgesehen davon sind Neuwahlen kein Ziel, das werden demokratische Entscheidungen ergeben. Jetzt bin ich jedenfalls der Meinung, dass schon einiges gelungen ist, aber im ökologischen Bereich ist noch mindestens genauso viel zu tun und das Regierungsprogramm umzusetzen. Noch einmal: Ich bin viel unterwegs, seit das wieder geht. Nirgends hört man mehrheitlich, dass die Grünen die Regierung verlassen sollten. Im Gegenteil. Und Neuwahlen will auch keiner. Wenn sie unvermeidbar sind, ist es so. Wer sie anstrebt, soll es sagen. Außerdem ist die Pandemie noch nicht vorbei. Auch da gibt es noch genug zu tun.

Wie lautet Ihre Corona-Prognose für den Herbst? Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker meint, er verstehe die Euphorie der Bundesregierung nicht.
Wovon wir ausgehen dürfen, ist, dass der Sommer mit durchaus weitreichenden Öffnungen gelingen kann. Das passiert auf Basis des Austausches mit Wissenschaftlern der verschiedensten Disziplinen. Auch das ist ja im Übrigen grüne Handschrift: dass wir rasch zu faktenbasierten Entscheidungen gekommen sind. Die Lockerungen im Sommer sollen aber nicht zu Leichtsinn führen. Ich stimme mit Hacker überein, dass wir die Teststruktur aufrechterhalten sollten. Und dort, wo es in Innenräumen ein höheres Gefährdungspotenzial gibt, ist ein Mund-Nasen-Schutz weiter sinnvoll. Damit wir bei einer drohenden Welle im Herbst gewappnet sind, sollten wir uns nicht alles abgewöhnen, was wichtig und hilfreich ist. Die Gefahr einer weiteren Welle hängt nicht nur vom Impffortschritt ab, sondern auch von möglichen Mutationen. Da müssen die internationalen und nationalen Krisenstäbe ein Auge drauf haben.

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Zurück zur Regierung: Hätte eine Anklage gegen Kurz, gegen den die WKStA wegen Verdachts auf Falschaussage im U-Ausschuss ermittelt, Neuwahlen zur Folge?
Es stellt sich die Frage der Amtsfähigkeit, und die ist Schritt für Schritt zu bewerten. Die Grünen stellen zunächst einmal sicher, dass die Staatsanwälte und die Justiz unabhängig arbeiten können. Das Ganze ist ja auch ein mehrstufiger Prozess. Es ist darauf zu achten, dass dort alles für alle Beteiligten sehr korrekt abläuft.

Also: Sie entscheiden erst, wie es mit der Regierung weitergeht, wenn wirklich eine Anklage erhoben ist?
Dann ist zunächst einmal die ÖVP gefragt, wie sie die Amtsfähigkeit sieht. Es kann ja nicht so sein, dass wir Grüne für jedes Problem, das Blau und Türkis verursacht haben, verantwortlich sind. Wir waren ja in dieser Zeit nicht in der Regierung, nicht einmal im Parlament. Wir sind jetzt dafür zuständig dafür, dass nichts "derschlagen wird". Aber das hatten wir ja schon.

»Wir sind erprobt, mit wenig bis nichts einen Wahlkampf zu führen«

Wären die Grünen fit für einen Wahlkampf? Sie haben die Partei nach dem Debakel bei der Wahl 2017 mit einem Schuldenberg übernommen und mussten aufräumen.
Was soll uns diesbezüglich noch erschrecken? Wir sind erprobt darin, mit wenig bis nichts einen Wahlkampf zu führen. Insofern ist das beantwortet.

Ist die Partei saniert?
Wir haben natürlich keine riesigen Parteistrukturen. Aber wie gesagt, das schreckt uns nicht. Wahlkämpfen macht ja auch Spaß. Die Frage ist aber im Moment nicht, was Spaß macht, sondern was Sinn macht. Und den Sinn von Neuwahlen kann ich jetzt jedenfalls nicht erkennen.

Dieser Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe von News (22/2021) erschienen.