Türkises Leid und blaue Freud

Je mehr die ÖVP in den Fokus des Ibiza-U-Ausschusses gerät, desto bequemer für die FPÖ

FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker über türkise Skandale, neue Kickl-Ideen und die "staatspolitische Verantwortung" seiner Partei.

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Hafenecker im Interview - Türkises Leid und blaue Freud

Der Ibiza-U-Ausschuss geht, nachdem ÖVP und Grüne seine Verlängerung abgelehnt haben, in die letzten Runden: Sieben Termine stehen noch auf dem Programm, der Abschlussbericht soll am 17. September beschlossen werden. Die Fraktionsführer der Parteien entwickelten sich -zumindest in den letzten Wochen -zu einigen der medial präsentesten Politiker des Landes, Hauptdarsteller in jenem (Trauer-)Spiel "Opposition gegen ÖVP", das in den letzten Wochen für viel Aufregung und manch Schulterzucken gesorgt hat. Hier der salbungsvolle Kai Jan Krainer, dort die nüchtern-sachliche Stephanie Krisper. ÖVP- Vertreter Andreas Hanger gab, seitdem er Ende April Wolfgang Gerstl abgelöst hatte, den wütenden Verteidiger, während FPÖ-Mann Christian Hafenecker zunehmend tiefenentspannt wirkt.

ÖVP-U-Ausschuss

Originell eigentlich, immerhin untersucht der U-Ausschuss die mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung. Die Beteiligung der FPÖ geriet dabei allerdings zunehmend aus dem Fokus. Die WKStA ist beispielsweise mit der Auswertung von Chatprotokollen von ÖBAG-Chef Thomas Schmid so ausgelastet, dass rund 19.000 Nachrichten des ehemaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache im U-Ausschuss wohl gar nicht mehr Thema werden - die Staatsanwaltschaft geht bei der Auswertung streng nach Einlangen der Anträge vor. Sehr zum Ärger der ÖVP.

Ist wenigstens FPÖler Hafenecker froh, dass der U-Ausschuss abgedreht wird, weil damit auch die Strache-Chats unter den Tisch fallen? "Nein", versichert der, "wir hätten auch die gerne noch gesehen, um diesen Themenkomplex abzuschließen. Das Problem war nur, dass die ÖVP mit ihrer offensichtlichen Korruptionsneigung die Justiz mittlerweile hoffnungslos überlastet hat. Aber ich gehe davon aus, dass Straches Nachrichten ohnehin im Zuge des Gerichtsverfahrens an die Öffentlichkeit kommen werden. Wir fürchten uns nicht." Dass sich der im Jänner 2020 eingesetzte U-Ausschuss zunehmend zu einem ÖVP-U-Ausschuss entwickelt hat, hänge damit zusammen, meint Hafenecker, "dass man durch die zunehmenden Aktenlieferungen darauf gekommen ist, was die ÖVP alles gemacht hat. Beziehungsweise -besonders spannend für mich als ehemaliger Generalsekretär -, was sie sich hinter unserem Rücken ausgemacht hat."

So entfernt sich der Untersuchungsgegenstand immer mehr vom eigentlichen Anlass, dem Ibiza-Video und seinen Protagonisten Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus. Unschöne Bilder, aber nicht viel dahinter, argumentiert die FPÖ heute und sieht erste Reihe fußfrei zu, wie die ÖVP in Bedrängnis gerät. Die mächtige Kanzlerpartei habe versucht, Institutionen des Staats zu unterwandern, gießt man noch kräftig Öl ins Feuer: "Wir sprechen von einem ,Tiefen Staat'. Das ist jetzt nicht so dahingesagt, wenn man sich anschaut, wie die ÖVP wesentliche Schaltstellen in der Republik besetzt hat oder an gewisse Vorgänge im Justiz-und Finanzministerium denkt. Ein anderer interessanter Punkt ist die COFAG, die Finanzierungsagentur für Coronahilfen, in die zwar wahnsinnig viel Geld hineingeflossen ist, die aber als ausgelagerter Betrieb der parlamentarischen Kontrolle entzogen ist. Der Vorgang der Gründung der COFAG wäre auch ein Punkt, den man sich in einem U-Ausschuss anschauen muss."

Ist es glaubwürdig, wenn ausgerechnet die Ibiza-Partei FPÖ der ÖVP mit solchen Vorwürfen kommt? "Ibiza-U-Ausschuss ist ja nicht der amtliche Begriff, es geht im Originaltitel um die mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Regierung. Man hat sich anfangs mit möglichen Korruptionsfällen in der FPÖ auseinandergesetzt, und bei den Fällen in der ÖVP ist es halt griffiger geworden. Das haben auch die beiden Parteien, die den U-Ausschuss einberufen haben, SPÖ und Neos, rasch bemerkt."

Verzögerung

Die Grünen argumentieren ihre Zustimmung zur Beendigung des U-Ausschusses damit, dass die Opposition jederzeit einen neuen einrichten kann. Das klinge vordergründig nachvollziehbar, stimme aber so nicht, widerspricht Hafenecker: "Wenn man weiß, dass alle Akten, und das sind 1,5 Millionen Seiten, in die Ministerien zurückgehen, dass die Beamtenschaft die Akten neu zusammenstellen und liefern muss und dass wir jedes Papierl vor dem Verfassungsgericht erstreiten müssen, weiß man auch, dass es wahrscheinlich ein halbes Jahr dauert, bis wir weiterarbeiten können. Und das entspricht natürlich der Doktrin der ÖVP, wonach es um Verzögerung und Zeitgewinn geht. Indem die Grünen sich das gefallen lassen, machen sie sich zu Beitragstätern zur Verdunkelung." Ein neuerlicher U-Ausschuss, an dessen Installierung die FPÖ diesmal mitwirken möchte, könnte sich auch neuen Themen widmen. Hafenecker: "Man wird darüber reden müssen, welche Dinge man aus dem derzeitigen U-Ausschuss herausnehmen kann, weil sie nicht mehr relevant sind."

Neue U-Ausschuss-Themen

Jene, die mit der FPÖ zu tun haben, vielleicht? "Alles, wo noch Fragen offen sind, soll in den neuen U-Ausschuss einfließen, auch wenn sie die FPÖ betreffen, da bin ich jetzt nicht wehleidig. Und dann müssen wir dringend weitere Themen dazu einbringen. Ich glaube, dass man den grundsätzlichen Bereich Korruption aufrechterhalten kann, dazu würde passen, sich mit der Beschaffungsproblematik im Zuge der Corona-Krise auseinanderzusetzen, Stichworte Hygiene Austria, Masken-und Testankauf, Impfungen. Man muss über die halbe Milliarde Euro reden, die für Medienkauf verwendet worden ist, und - auch wenn es die Grünen betrifft -sich vielleicht auch die Causa Chorherr noch anschauen." Ein Corona-U-Ausschuss?"Nein, es geht um einen ÖVP-Korruptions-UAusschuss, von dem Corona ein Teil sein wird."

Die FPÖ fordert, dass Kurz zurücktreten müsse, falls er wegen Falschaussage im U-Ausschuss angeklagt wird. Einen ähnlichen Fall gibt es auch in den blauen Reihen: Gegen Norbert Hofer ermittelt die Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen des Verdachts der Geschenkannahme rund um die Bestellung eines Asfinag-Aufsichtsrats. Der Bundespartiobmann legte inzwischen jedoch sein Amt - aus anderen Gründen - zurück.

Keine Koalition mit Kurz

Der FPÖ-Parlamentsklub hatte sich im April gegen einen fliegenden Wechsel in eine Koalition mit der ÖVP ausgesprochen, was Gerüchte befeuerte, es habe entsprechende Verhandlungen gegeben. Wäre nach allfälligen Neuwahlen eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ denkbar?"Es gibt sicherlich keinen fliegenden Wechsel in der laufenden Legislaturperiode. Was nach allfälligen Neuwahlen passiert, muss man den Gremien überlassen. Ich will darüber kein Urteil abgeben. Man muss sich anschauen, wer dann in der Führungsriege der ÖVP ist, und gibt es Sebastian Kurz noch? Mit Kurz sehe ich aus heutiger Sicht, ehrlich gesagt, keine Möglichkeiten. Wir konnten im U-Ausschuss herausarbeiten, wie uns die ÖVP tagtäglich in der Regierung hintergangen hat, und mit jemandem, der derartigen Vertrauensbruch begangen hat, halte ich eine Zusammenarbeit für sehr, sehr unwahrscheinlich. Sie dürfen nicht vergessen: Es war Sebastian Kurz, der Herbert Kickl ohne Grund aus dem Amt gedrängt hat. Allein das zeigt ja, dass hier eine Latte gelegt ist, die für die FPÖ nicht zu überspringen ist."

Vier-Parteien-Allianz

Wenn schon nicht mit, dann könnte man vielleicht gegen die ÖVP regieren. Kickl brachte jüngst die Idee eines "Cordon Sanitaire" ins Spiel, also einer parteiübergreifenden Allianz, die kraft ihrer parlamentarischen Mehrheit die ÖVP aus dem Amt befördert und dann das Land regiert -als Vierer-Koalition, Dreier-Koalition mit der Unterstützung der FPÖ oder via Expertenregierung. Keine gute Idee, befand Damals-Noch-Parteichef Hofer via Twitter. U-Ausschuss-Fraktionsführer Christian Hafenecker sagt: "So ein Bündnis wäre deswegen wichtig, weil wir jetzt ein Bild davon haben, wie sich die ÖVP in diesem Staat festgesetzt und breitgemacht hat. Es gibt eine gewisse staatspolitische Verantwortung über die Parteigrenzen hinweg, entsprechend gegenzusteuern."

Regierungsreif?

Von der Ibiza-Video-Partei zu den Staatsrettern vom Dienst in nur zwei Jahren, ein verblüffend schneller Heilungsprozess. Ist die FPÖ schon wieder regierungsreif? "Man muss die grundsätzliche Frage stellen: Was ist in Ibiza eigentlich passiert? Nichts strafrechtlich Relevantes, und die FPÖ hat im Unterschied zur ÖVP insofern für politische Hygiene gesorgt, als es zwei Rücktritte gegeben hat. Das ist auch der Grund dafür, warum die FPÖ sich durch klare Ansagen auch in Umfragen erholt hat und wieder Richtung 20 Prozent geht." Davor wird jedoch noch zu klären sein, wer die Partei künftig führen soll.