Im Auftrag der Königin

Sie zählen Schwäne, schneidern Kleider mit Botschaften und duellieren sich für Elizabeth II. Die außergewöhnlichen Angestellten der Queen arbeiten nach Jobbeschreibungen, die teilweise ins Mittelalter zurückreichen. Ein faszinierender Blick hinter royale Kulissen

von
Royals - Im Auftrag der Königin

Nach stundenlangem Schnürlregen hatten sich die Wege durch das Moor und Heideland rund um Schloss Balmoral matschig gesoffen. So auch der Boden, über den die Queen im Mantel des Distelordens schritt. Mitten in ihrem heiligen Schottland-Urlaub hatte sie das schwere Samtgewand aus mehreren Schichten samt Tiara angelegt und war für dieses Foto eine halbe Stunde durch die Wildnis gefahren.

"Ja, machen Sie nur", sagte sie zum Fotografen auf dessen charmante Frage, ob er vorübergehend das Kommando übernehmen dürfe. Sie hob oder senkte das Kinn. Bewegte den Mantel, der sie als höchste Würdenträgerin des ranghöchsten schottischen Ritterordens ausweist. Oder drehte den Kopf. Je nachdem, was Julian Calder benötigte. Für die britische Monarchin ist der Fotograf kein Unbekannter. Er porträtierte Elizabeth II. schon am Schreibtisch ihres Vaters George VI. im Wohnzimmer von Schloss Balmoral sowie gemeinsam mit Prinz Philip zu verschiedenen Jubiläen. Und doch wusste Calder, als die Queen im sumpfigen Nass zum Land Rover zurückstapfte, den Mantel hinter sich herziehend, dass Außergewöhnliches gelungen war. "Wir haben ein Foto gemacht, das kaum jemand für möglich gehalten hatte", beschreibt es Alastair Bruce, britischer Generalmajor und Gouverneur von Schloss Edinburgh, im Vorwort zu Calders neuem Buch. Es seien die Akribie, die Vorstellungskraft und die Liebe zum Detail, die Calder als Fotokünstler ausmachen, so Bruce.

Es mag an diesen Attributen liegen, dass die Queen dem Fotografen nach ihrem Porträt als naturverbundene schottische Königin für sein jüngstes Projekt Vertrauen und ihre Zustimmung schenkte.

Dudeln unterm Fenster der Königin

Julian Calders Vorhaben war mehr als ambitioniert. Obwohl die Queen umgehend ihre Erlaubnis für das Projekt erteilt hatte, sollte es satte vier Jahre dauern, bis es in Buchform gegossen werden konnte. Unter dem Titel "Queen's In Their Name" zeigt Calder aufwendig inszenierte Porträts von königlichen Dienstnehmern, deren Berufsbezeichnung "The Queen's" als Job Description beinhaltet.

Da ist der ranghöchste Dudelsackspieler der Queen, er heißt "The Queen's Piper" und spielt jeden Morgen 15 Minuten lang unter dem Fenster der Königin - egal, ob in London, Windsor oder Schottland.

Der Mann, der sich um 250 königliche Brieftauben kümmert, ist "The Queen's Loft Manager" und liefert monatlich einen Bericht über den Zustand der Zucht. Während des Lockdowns war darin zu lesen, dass die Tauben sich beim Training ungewöhnlich weit und lange entfernten, was der sauberen Luft zugeschrieben wurde.

Nur nicht größer sein als die Queen

Es gibt vier Buben, die unter dem Titel "The Queen's Pages Of Honour" in roten Jacken mit Goldkordeln die Schleppe der fünf Meter langen Staatsrobe tragen, wenn die Queen darin an der Parlamentseröffnung teilnimmt. Im Mittelalter wurden diese Burschen in der Falknerei und im Kampf ausgebildet, bevor sie ihren Dienst antreten durften. Heute reicht es, lange Zeit stillstehen zu können und die Queen an Körpergröße nicht zu überragen.

"The Queen's Pages Of The Backstairs", sind vier Bedienstete, von denen stets einer in der Nähe der Queen weilt, um ihr Mahlzeiten zu servieren, die roten Boxen der Regierung zu bringen oder die Corgis zu füttern.

Und da sind die 17 Mann umfassenden "The Queen's Messengers", die im königlichen Auftrag rund um den Globus unterwegs sind, um vertrauliche, diplomatische Post persönlich zuzustellen.

Auch interessant: Jobs bei Queen Elizabeth II.: Wird man royal bezahlt?

© imago images/i Images Queen Elizabeth mit "The Queen's Racing Manager" John Warren

Indes kümmert sich "The Queen's Bloodstock Advisor" um die Pferdezucht und die Leistungen der Rennpferde im Gestüt der Queen.

Und dann ist da der Mann, der weiß, welche der über 150 verschiedenen Flaggen gehisst werden muss, wenn die Queen in einem Commonwealth-Land zu Besuch ist, das nicht zum Königreich gehört. (Es ist die persönliche Flagge der Queen, die ein "E" samt Krone und Rosen zeigt.)"The Queen's Flag Sergeant" hisst die berühmte Union Flag, wenn die Königin nicht im Palast weilt. Er ist über Funk mit der Polizei verbunden und tut dies auf die Minute genau. Die jeweilige Größe der Flagge stimmt er auf die herrschenden Windverhältnisse ab.

Ein Denkmal für 100 Jahre

Es sind die geschichtlichen Hintergründe der Positionen und ihrer Entwicklung in der modernen Monarchie, die bislang ungehörte royale Anekdoten zu Tage bringen. Den Protagonisten setzt Calder so ein Denkmal, bevor "The Queen's " für mindestens hundert Jahre aus dem Sprachgebrauch verschwinden wird. Mit Prinz Charles, seinem Sohn William und dessen Spross George wird es nur noch Titel geben, die "The King's " beinhalten. Diese Erkenntnis war es, die Julian Calder ursprünglich zum Buch inspirierte hatte. Obwohl die britische Monarchie auch hier komplex ist.

Einige Titel werden immer nach der Königin heißen, etwa "The Queen's Nurses", da sie auf Königin Victoria zurückgehen. Ganz wie "The King's Scholars at Eton" nach Heinrich VI. immer nach dem König benannt bleiben werden.

Neues Buch

Fotograf Julian Calder schuf mit "Queens In Their Name" ein Denkmal für außergewöhnliche Dienstnehmer der Königin voll persönlicher und historischer Geschichten.

Das Buch "Queen's in their Name" gibt es hier*

ER LEITET DEN REITSTALL DER QUEEN

Terry Pendry, The Queen's Stud Groom

Wenn die Queen im Windsor Great Park zu einem Ausritt aufbricht, ist er an ihrer Seite. Pendry managt seit 24 Jahren ihren Reitstall und brachte allen Enkeln der Queen das Reiten bei. Die Liebe zu Pferden verbindet den 77-Jährigen und die 95-Jährige. Die Königin bekam zum vierten Geburtstag ihr erstes Pony namens Peggy und reitet leidenschaftlich gern aus. Zuletzt wurden beide vor fünf Jahren beim gemeinsamen Ausritt fotografiert. Pferde spielen im königlichen Zeremoniell eine große Rolle, etwa bei der Geburtstagsparade für die Queen, an der 250 Militärpferde teilnehmen. Das Gestüt in Windsor, das Pendry managt, beherbergt heute rund 90 Pferde sowie sämtliche Kutschen der königlichen Familie. Einige der Lieblingspferde der Familie haben dort auch ihre letzte Ruhestätte, etwa Burmese, das Pferd, mit dem die Königin 18 Jahre lang die Militärparade zu ihrem Geburtstag abgenommen hat. Pendry zeigt auf dem Foto drei der Fell-Ponys der Königin, George, Murthwaite Dawn Chorus und Emma. Diese besondere Ponyrasse gilt als robust und stammt aus dem nordenglischen Gebirge. Sie begleitet die Königin seit ihrer Kindheit.

ER ZÄHLT DIE SCHWÄNE

David Barber, The Queen's Swan Marker

Der ebenso geheimnisvoll wie skurril scheinende Titel des Schwanbegutachters geht auf eine jahrhundertealte Tradition zurück. Einst galten alle Schwäne, die ohne Markierung im Königreich auf offenem Gewässer schwammen, als Eigentum des Palastes. Der Hintergrund dieser Regel war der Schutz der Schwäne, denn diese galten damals als vorzügliches Essen. Heute gibt es drei Unternehmen, die neben der Queen Schwäne besitzen. Beim sogenannten "Swan Upping", einem mehrtägigen Event auf der Themse im Juli, werden die Schwäne noch heute unter Leitung des Swan Markers überprüft und mit einem Ring markiert. Nur die Schwäne der Queen tragen bis heute keine Markierung. Seit 1985 die schockierende Zahl von nur noch sieben Brutpaaren gezählt wurde, ist die Position des Swan Markers als Beschützer und Erhalter der britischen Schwanpopulation noch wichtiger geworden. Beim jährlichen "Swan Upping"-Event bringt er vor allem Schulklassen das Verständnis für die bedrohte Art näher.

© 2017 Getty Images Schwanenbegutachter Barber in offizieller Uniform, zu der auch diese Positionierung der Feder an der Mütze zählt

ER FÜHRT DURCHS WATTGEBIET

Cedric Robinson, The Queen's Guide to the Sands

Es war 1501, als die Krone nach Hunderten Ertrunkenen auf die Gefahren des 305 Quadratkilometer großen Wattgebiets in Morecambe Bay im Nordwesten Englands aufmerksam wurde. Damals ernannte sie offiziell den ersten Führer durch die Bucht, durch die bis zum Bau einer Eisenbahn 1857 eine wichtige Transportroute führte. Der erfahrene Fischer Robinson bewarb sich 1963 um den Posten und führte in 56 Dienstjahren nicht nur Prinz Philip, sondern auch Tausende Besucher durch das Watt. Als 25. Guide to the Sands erhielt er traditionell ein Jahresgehalt von 15 Pfund sowie das Wohnrecht im 700 Jahre alten Landhaus "Guide's Cottage" in Kents Bank, das sich im Besitz der Queen befindet. Zuletzt wurde Robinson 2019 im Alter von 86 Jahren vorgeschlagen, einen Nachfolger zu benennen. Seitdem ist der 47-jährige Shrimps-Fischer Michael Wilson offizieller Guide to the Sands.

SIE STYLT DIE KÖNIGIN

Angela Kelly, The Queen's Dresser

Seit bald 20 Jahren ist Kelly persönliche Beraterin, Kuratorin und Designerin der Queen in Modefragen. Das macht die 63-Jährige aus Liverpool zur einzigen Person, die die Queen abseits der eigenen Familie berühren darf. Kleideranproben wären sonst unmöglich. Bei der Auswahl der Roben legt Kelly großen Wert auf deren Farbe, da die Queen bei Auftritten in einer Menge gut sichtbar bleiben muss. Darüber hinaus muss Kelly stets die richtige Balance zwischen Tradition und Moderne sowie zwischen Nahbarkeit und Formvorschriften finden, denn viele Botschaften der Queen sind aus ihren Roben, dem Schmuck und Insignien abzulesen. Als die Queen etwa 2011 als erste regierende britische Monarchin seit 100 Jahren Irland besuchte, trug sie eine mit handgestickten Kleeblättern verzierte Seidenrobe. Das in den Stoff eingearbeitete irische Symbol übermittelte ohne Worte den Respekt der Queen. Wegweisend für Tierschützer wie für Modebranche war auch Kellys Ankündigung 2019, dass die Queen fortan nur noch Kunstpelz tragen werde. Für den Fotografen Calden posierte Kelly mit den Mänteln Ihrer Majestät des Distelordens und des Hosenbandordens sowie mit der Samtrobe of State und dem George-IV.-State-Diadem, das mit 1.333 Diamanten funkelt.

ER DUELLIERT SICH FÜR DIE QUEEN

Francis Dymoke, The Queen's Champion

Seit dem 14. Jahrhundert sind es die Männer der Familie Dymoke, die sich für das aktuelle gekrönte Haupt duellieren. Der Titel "The Honourable Queen's Champion" wird seit damals in Dymokes Familie vererbt und zeichnet jenen Mann aus, der jeden zum Duell fordern darf, der dem Monarchen das Recht auf die Regentschaft abspricht. Nötig wurde dies aufgrund der Tatsache, dass König oder Königin sich nur mit Herausforderern auf Augenhöhe messen dürfen. Dem 65-jährigen Wirtschaftsprüfer Dymoke blieb das zweifelhafte Vergnügen bislang erspart. Nach moderner Auffassung ist er "nur noch" ehrenvoller Fahnenträger für die Krönung. Einst hätte das Zeremoniell verlangt, dass er als 34. Lord of the Manor of Scrivelsby zur Krönung in voller Rüstung nach Westminster Hall reitet und jeden zum Duell fordert, der dem Monarchen den Thron verweigert. Der letzte seiner Vorfahren tat dies 1838 bei der Krönung von Queen Victoria, der Ururgroßmutter der regierenden Queen. Hilfsmittel dazu ist der Stoffhandschuh, der einst ein Duell einleitete, Dymoke zeigt ihn am Foto.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 34/21