Florian Scheuba: "Humor ist eine Notwehrwaffe"

Das System Kurz hat auf dem Weg der Telekommunikation Zentner hochexplosiver Satire ausgeworfen. Für Profis ist es schwer geworden, dagegenzuhalten. Florian Scheuba bewältigt die Herausforderung in einer bravourösen Neuerscheinung

von Florian Scheuba: "Humor ist eine Notwehrwaffe" © Bild: Trend Lukas Ilgner

Dass die Realpolitik das Kabarett mit unbeabsichtigter Pointenwucht vor sich hertreibt, ist neu. Florian Scheuba, 57, ergreift Gegenmaßnahmen: In der Publikation "Wenn das in die Hose geht, sind wir hin" spinnt er die "Chats", an denen sich die halbe Regierung erwürgt hat, zu Gold.

Herr Scheuba, seit Sie Ihr Buch veröffentlicht haben, erreicht sein Titel unerbetene Aktualität, denken wir an den Intellektuellenstreit um die deutschen Waffenlieferungen. Würden Sie den Brief von Alice Schwarzer unterschreiben? Oder eher den Gegenbrief?
Die Argumentation, wir dürfen aufgrund der Situation in der Ukraine nicht den Pazifismus verraten, ist richtig. Man darf aber auch nicht den Antifaschismus verraten. Putin bedient sich faschistischer Methoden und einer faschistischen Ideologie. Das ist ein Faktum, und das muss ich moralisch in Betracht ziehen, wenn ich gegen Waffenlieferungen stimme. Das hieße doch: Ukrainer hört endlich auf, euch zu wehren.

Also der Gegenbrief? Oder gar keiner?
Ich habe den Gegenbrief unterschrieben.

»Gergiev braucht man nicht zu verteidigen. Der war Teil eines kriminellen Systems«

Auch der Kulturbetrieb ist in Aufruhr. Was halten Sie denn davon, dass Sänger und Dirigenten sanktioniert werden wie Oligarchen oder die Putin-Geliebte?
Da muss man differenzieren: zwischen solchem Schwachsinn wie Dostojewski-Cancelling und der Verteidigung eines Dirigenten wie Gergiev. Den braucht man nicht zu verteidigen, der war Teil des kriminellen Systems von Wladimir Putin. Studiert die Panama Papers! Da kann man nachverfolgen, wie Sergej Roldugin, ein Cellist und enger Freund Putins, dafür gesorgt hat, dass Putin sein Vermögen in Steueroasen verräumen konnte, und bei dem ist Gergiev massiv angedockt. Das heißt, er unterstützt ein kriminelles System.

Dann lassen Sie uns zur Sache im engeren Sinn kommen. Sie stellen in Ihrem Buch fest, dass die Politik dem Kabarett folgt. Früher war es bekanntlich umgekehrt. Was bleibt unter dem Übermaß an Realsatire noch für Ihr Programm?
Die Möglichkeit, sie satirisch zu kommentieren. Es gibt schon einen Unterschied zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Komik. In meinem Buch bezieht sich das auf den konkreten Versuch eines Politikers, lustig zu sein: Herbert Kickl verordnete, dass die Erstaufnahmezentren für Flüchtlinge in "Ausreisezentren" umbenannt werden. Das ist eine zynische Pointe, so, als würde ich sagen, ein Sterbehospiz heißt jetzt Pensionssystemssicherungsanstalt.

Wollte Kickl damit denn wirklich lustig sein?
Das ist die extrem zynische Form von Humor, ein Tabubruch, noch mehr als das, was man von den von ihm geschriebenen Aschermittwochreden kennt. Es wurde tatsächlich ein Schild mit der Aufschrift "Ausreisezentrum" an einem Erstaufnahmezentrum angebracht. Das ist eine Eskalationsstufe. Wenn hingegen etwa Frau Schramböck erklärt, dass die Veröffentlichung der Chats den Wirtschaftsstandort Österreich gefährdet, dann will sie damit nicht lustig sein. Oder wenn sie sagt, was beim "Kaufhaus Österreich" funktioniert hat, war der Bekanntheitsgrad: Da folgt die Politik dem Kabarett unfreiwillig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schramböck so etwas als Pointe zu Hause vorbereitet.

Täusche ich mich oder hat seit "Schau'n Sie sich das an" von Karl Farkas kein Kabarettist mehr ein geflügeltes Wort erfunden? Dagegen "Wo war mei Leistung?" oder "Zack, zack, zack"! Was kann der Kabarettist so einer Punktgenauigkeit noch entgegensetzen?
Ich kann voll Stolz erklären, dass auch ich etwas Neues kreiert habe. Paul Lendvai hat neulich einen Preis für sein Lebenswerk bekommen. Vorher schrieb er mir ein Mail, weil ihm das Buch so gut gefällt, und er verwendete in seiner Dankesrede ein Wort, das ich kreiert habe, nämlich "Zudeckungsjournalismus".

Aber wo ist heute denn die Grenze zwischen Aufdeckung und Denunziation? Wenn Mikl-Leitner 2016 per Privat-SMS die SPÖ ein Gsindl genannt hat, was partiell vermutlich auf die gesamte Parteienlandschaft zutrifft: Was hat das denn in der Öffentlichkeit verloren?
Das ist ein Musterbeispiel für eine Nebelgranate, es geht nicht um den Gebrauch von Schimpfwörtern. Den gleichen Spin hat die ÖVP versucht, als Sebastian Kurz' Beschimpfungen Richtung Mitterlehner bekannt wurden. Warum? Weil es vom eigentlichen Skandal ablenken soll, dass nämlich Kurz gegen seine eigenen Parteiobmann ein Intrige laufen ließ, um eine Gesetzesänderung zu verhindern, die für alle gut gewesen wäre. Das sagt mir etwas über den Charakter des Politikers. Es ist nicht strafbar, aber auch darum geht es ja nicht.

In welche Kategorie fällt denn dann das Folgende? Der Oberstaatsanwalt Fuchs hat offensichtlich eine Kollegin von der "Presse" davor warnen lassen, dass die WKStA gegen sie eine Klage wegen unliebsamer Berichterstattung vorbereitet. Wenn ich das nun als ehrenwerten Vorstoß für die von Ihnen stets emphatisch eingemahnte Pressefreiheit bezeichne? Aber vor Gericht steht Whistleblower Fuchs.
Schon wieder eine Nebelgranate. Fuchs hat Akten auf seinem Schreibtisch fotografiert und verbotenerweise an Christian Pilnacek weitergeschickt, leider so, dass man seinen Schreibtisch auf den Fotos erkannt hat. Es geht längst um was anderes als den Fall der "Presse"-Journalistin. Zum Beispiel darum, dass die WKStA von der Polizei überwacht werden sollte.

Jetzt wankt der Vorarlberger Landeshauptmann Wallner, weil ihn ein anonymer Brief beschuldigt, einem Unternehmer Vorteile gegen ein Inserat zugesagt zu haben. Ich halte anonyme Briefschreiber für Schurken, deren Beschuldigungen in der Öffentlichkeit nichts verloren haben, bevor sie von einem ordentlichen Gericht bewertet wurden. Odr, wie die Vorarlberger sagen?
Auch hier sollte man differenzieren. Der wesentliche Aspekt der Causa Wallner offenbart, was Strache auf Ibiza beschrieben hat: nämlich, wie man Parteien Geld spenden kann, ohne dass es der Rechnungshof und die Öffentlichkeit merken. Und jetzt apern diese Konstruktionen langsam heraus. Das Vorarlberger Beispiel ist mustergültig dafür, wie es gelaufen ist. Völlig unabhängig davon, ob Wallner selber auch noch Druck wegen Inseraten gemacht hat, das System gibt es. Und jetzt kommen die nächsten Fälle. Der "Wiener Pressverein" produziert eine ÖAAB- Zeitschrift, hat aber angeblich nichts mit der ÖVP zu tun. Dieser Verein hat aber die gleiche Telefonnummer und Adresse wie die ÖVP. Es ist absurd.

© Trend Lukas Ilgner

Da frage ich mich allerdings, ob das nicht jahrelange Gepflogenheit in den Grauzonen aller Parteien war. Es gibt ganze Zeitungen, die von politischen Inseraten leben. Wann ist denn das Land nicht mehr regierbar, wenn jeder Politiker, der einmal ein dubioses Inserat geschaltet hat, weg ist?
Der Satz "Es sind doch eh alle Gauner" ist die größte Freude, die man den tatsächlichen Gaunern machen kann. Diese Form der verdeckten Parteienfinanzierung gibt es bei ÖVP, SPÖ und FPÖ. Diese Parteien haben tatsächlich ein Problem, wenn das auffliegt. Wenn man beim Schnellfahren auf der Autobahn gestoppt wird und dem Polizisten sagt, die anderen fahren auch zu schnell, kann man nicht damit rechnen, dass der Polizist sagt, Sie haben Recht, fahren S' weiter.

Wann erwischt es dann die SPÖ?
Einiges kommt bei mir im Buch vor, einiges ist ja schon bekannt, und es wird hoffentlich noch mehr bekannt, weil das System gehört abgestellt. Es geht einfach nicht, dass wir alle so etwas mitzahlen, das uns absolut keinen Nutzen bringt. Zum Beispiel das Hefterl "Preview", das der Verlag des ÖFB-Präsidenten Gerhard Milletich produziert: Da steht nichts anderes drinnen als von Webseiten der Stadt Wien herunterkopierte Texte und ganz viele Inserate. Niemand liest das, aber die Gemeinde Wien hat dafür über 170.000 Euro gezahlt.

Aber dieses System, jemanden einmal vorsorglich anzuzeigen, und wenn er kaputt ist, war vielleicht gar nichts? Derzeit ist Johnny Depp dran ...
Es wird leichter zu klären sein, ob Markus Wallner selber Inserate gekeilt und selber auf Leute Druck ausgeübt hat, als was zwischen Johnny Depp und seiner Frau gelaufen ist. Bei Kevin Spacey haben sich auch viele zu Wort gemeldet. Man könnte auch weiter zur katholischen Kirche gehen. Man kann alles nur Fall für Fall betrachten, jeden, der beschuldigt wird. Im Kern aber geht es darum, dass Parteienfinanzierung transparent gemacht werden muss. Sicher gibt es auch Medien, die Schutzgeld nehmen. Da wird Pressefreiheit mit Erpresserfreiheit ver wechselt. Soll man dagegen nichts tun?

Wie beurteilen Sie überhaupt die Arbeit der Korruptionsstaatsanwaltschaft? Man muss sich doch irgendwie auf die Justiz verlassen können! Es kann doch nicht sein, dass in der Justiz bürgerkriegsartige Fraktionen gegen einander aufreiben und man ins Gefängnis geht, wenn man der Schützling der falschen Fraktion ist. Oder?
Auch hier muss man differenzieren, wer was gemacht hat und wer was versucht hat. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft versucht, gewisse Dinge aufzuklären. In Teilen der österreichischen Justiz, die als "System Pilnacek" bekannt wurden, versucht man, dagegenzuhalten. Dort geschieht das Pendant zum Zudeckungsjournalismus, nämlich die Zudeckungsjustiz. Gäbe es die WKStA nicht, würde der Inseratenkorruptions-Skandal vermutlich genauso "daschlogn" werden wie der Eurofighter-Skandal.

Und wieso geht Thomas Schmid frei seinen Geschäften nach, während Sophie Karmasin 14 Tage lang einsitzen musste?
Das kann man durchaus hinterfragen. Karmasin kam wegen Tatbegehungsgefahr in Untersuchungshaft.

Glauben Sie im Ernst, ihre Aussichten als Meinungsforscherin bei der Regierung wären intakt gewesen?
Schwer zu sagen. Die Unverfrorenheit, mit der mancherorts einfach weitergemacht wird, dieses Phänomen kennen wir doch in Österreich. Es hat jedenfalls keinen Sinn, alles gegeneinander aufzurechnen. Klar könnte man auch Thomas Schmid in Untersuchungshaft nehmen. Aber das ist die Entscheidung des Untersuchungsrichters, wann er wen behält. Man kann nur hoffen, dass es Gerechtigkeit gibt.

Wie erklären Sie sich, dass Christine Aschbacher wegen Plagiatsvorwürfen in Ihrer Dissertation aus dem Amt scheiden musste und Alma Zadic, in deren Diss 74 plagiatsverdächtige Passagen überprüft werden, ihr Amt als Justizministerin weiterführen kann? Aschbacher wurde sogar rehabilitiert.
Bitte, wer kommt denn auf die Idee, Aschbacher sei rehabilitiert?

Durch ein Gutachten des akademischen Senats.
Das ändert nichts an der Tatsache, dass sie einen Dissertation mit dadaistischen Satzkombinationen wie "Vielleicht, daher ist es seltsam, dass, wenn es irgendeine eine Phrase, die garantiert wird, um mich auf den Weg, es ist, wenn jemand zu mir sagt: 'Okay, fein. Du bist der Chef!'" eingereicht hat, die uns klar vor Augen führen, dass den Text niemand gelesen hat. Nicht einmal sie selber. So etwas gibt man nicht ab.

Da muss ich kurz unterbrechen. Die Seepocken sind doch eine blitzsaubere Metapher! Sie kleben an einem Schiff und verlangsamen dessen Fahrt.
Sehr originell.

Gehen wir ins größere Ganze weiter. Elon Musk hat Twitter gekauft und die freie Rede versprochen. Wird ihnen da nicht angst?
Ich bin nicht sehr aktiv auf Twitter, aber die Verwechslung von Redefreiheit und Meinungsfreiheit ist schlecht. Wenn dann dort nur noch der Wahnsinn herrscht, wenn die ärgsten Nazis oder QAnon-Leute dort aktiv sind, beruhigt das nicht.

Eine Grundsatzfrage noch an den Kabarettisten zum Wirken des Kollegen Chris Rock bei der Oscar-Verleihung: Der hat sich über die kranke Frau von Will Smith lustig gemacht und von ihm dafür ein paar meines Erachtens verdiente Watschen gefangen. Ist es nicht an sich Konsens, sich über Behinderungen nicht lustig zu machen?
Das ist Sache der Vereinbarung. Wir haben dafür ein Beispiel in Österreich: Auch Oliver Baier leidet an Alopezie, einem übermäßigen Haarausfall. Er will das nicht tabuisieren und hat nichts dagegen, wenn man darüber scherzt. Aber was man in Hollywood gesehen hat, war ein schlechter Scherz, gefolgt von einer noch schlechteren Reaktion. Es ist nie in Ordnung, auf einen Scherz mit körperlicher Gewalt zu reagieren.

Wie ist das überhaupt mit Krieg und Moral? Wann wird man dem Kabarettisten die Witze verübeln, während anderswo unermessliches Leid herrscht?
Lachen ist doch auch eine Form von Notwehr. Es ist wichtig, Putin auszulachen in seiner unfassbaren Eitelkeit. Auch Humor ist eine Notwehrwaffe und gehört eingesetzt.

ZUR PERSON

Florian Scheuba wurde am 5. April 1965 in Wien geboren. Er begann seine kabarettistische Karriere als Gründungsmitglied der immens erfolgreichen Hektiker (mit Mini Bydlinski, Wolfgang Pissecker und Werner Sobotka). Im Fernsehen verantwortete er u. a. "Dorfers Donnerstalk","Die 4 da" und "Wir Staatskünstler". Sein Soloprogramm "Folgen Sie mir auffällig" setzt nach wie vor Maßstäbe. Er ist verheiratet und hat drei Kinder

Das Buch

Dass private Austauschungen auf elektronischem Weg einmal die Regierung nachhaltig ins Wanken bringen würde, war nicht vorauszusehen. "Wenn das in die Hose geht, sind wir hin" * zieht die Bilanz des Untergangs. Zsolnay, € 18,95

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Das Interview ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 19/2022 erschienen.