Landarzt: "Meine Patienten nehmen medizinisch Schaden"

Warum die strikten Maßnahmen eine Illusion sind und wir zu einer Normalität mit dem Virus finden müssen

Der niederösterreichische Landarzt Dr. Günther Loewit hat gegenüber News.at zu Beginn der Corona-Krise in Österreich Ende Februar noch gesagt: „Für Angst und Panik besteht kein Grund“. Wir haben den Arzt noch einmal befragt, wie er inzwischen dazu steht, ob er Corona noch mit der Grippe vergleichen würde – und wie sein Alltag als niederösterreichische Landarzt mit Covid-19 derzeit aussieht.

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Arzt KOffer © Bild: iStockphoto/Diane Diederich

News.at: Dr. Loewit, Sie haben Ende Februar gesagt „Für Angst und Panik besteht kein Grund“. Sehen Sie das noch immer so?
Günther Loewit: Für Angst und Panik ist weiterhin kein Grund. Angst und Panik machen den Einzelnen nur noch anfälliger.

Und wenn Sie sich die Bilder aus Spanien, Italien und so weiter ansehen?
Wir erleben leider eine Pandemie. Die hat es immer wieder gegeben. Zu verharmlosen ist das sicher nicht. Das habe ich aber auch davor nicht getan. Die uns gezeigten Bilder sind schreckliche Einzelschicksale, aber sie sollten uns den Blick auf das Große und Ganze nicht verstellen. Immerhin sterben Tag für Tag weltweit ca. 140.000 Menschen. Da nimmt sich die Gesamtzahl der bisherigen COVID-Opfer (ca. 80.000) doch anders aus.

Ich merke bei meiner täglichen Arbeit, dass diese Angst und Panik so tief in den Menschen sitzt, dass diese oft die körperliche Untersuchung brauchen, um beruhigt zu sein. Viele Patienten sagen sogar von sich aus: Es könnte sein, dass meine Atemnot von der Panik kommt – und es stimmt oft auch.
Deshalb würde ich dafür plädieren, dass man es ein bisschen ent-emotionalisiert. Und auch jene Zahlen berichten – was inzwischen auch mehr passiert - die die Leute beruhigen, wenn sie hören, dass es in Italien etwa zurückgeht.

» Je länger wir die Durchseuchung nieder halten umso länger muss die Risikogruppe aufpassen.«

Ich würde also immer noch so sagen, für Angst und Panik besteht kein Grund – für den allergrößten Teil der Bevölkerung. Was ich aber auch immer gesagt habe: Die Risikogruppe muss aufpassen. Und das gilt nach wie vor. Und je länger wir die Durchseuchung nieder halten umso länger müssen die aufpassen.

© Lukas Beck Dr. Loewit

Sie sagten damals auch, „Es handelt sich um eine besondere Form des Grippevirus. Demnach wird auch nicht viel mehr passieren als bei einer uns bekannten schweren Grippewelle.“ Sehen Sie das noch immer so?
Ich überlege mir tatsächlich oft, ob ich immer noch hinter diesen Worten stehen kann. Die Sterbezahlen in Österreich liegen bis jetzt jedenfalls deutlich unter denen einer schweren Grippewelle. Oft frage ich mich: Was ist eine Grippe? Grippe sind jene Symptome, die der Körper bietet, wenn er gegen einen Virus immunologisch ankämpft. Insofern ja, handelt es sich um eine besonders schwere Form einer grippalen Reaktion des Körpers – wobei dieser Virus aber offensichtlich das „Severe Acute Respiratory Syndrome“ (schweres akutes Atemwegssyndrom – SARS) auslöst und das ist sicher gefährlich. Aber das kriegt nicht jeder. Beatmete Grippepatienten gibt es übrigens jeden Winter.

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Waren die strengen Maßnahmen, die die Regierung gefasst hat, wie Ausgangsbeschränkungen, Schulschließungen und so weiter, richtig?
Ich habe das am Anfang zu 100 Prozent befürwortet, weil es in dieser Unsicherheit, die wir hatten, keine andere Möglichkeit gab, als ganz schnell die Notleine zu ziehen. Einfach einmal zu retten, was zu retten ist.

Und jetzt?
Ich erlebe jetzt schon in meinem ärztlichen Alltag, dass Patienten wirklich medizinisch Schaden nehmen, weil sie nicht adäquat diagnostiziert oder behandelt werden aus Rücksicht auf allfällige Corona-Patienten oder weil eine Operation zwar durchgeführt werden könnte aber zum Beispiel der Aufwachraum wegen eines beatmeten Corona-Patienten nicht zugänglich ist. Ich erlebe, dass Krebsoperationen nicht durchgeführt und verschoben werden. Ich telefoniere im Moment in einem noch nie dagewesenem Ausmaß, um sicher zu stellen, dass für meine Patienten die Chromtherapie weitergeht. Das sind existenzielle Ängste der Patienten!

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Kommt so etwas oft vor?
Österreichweit bin ich ein einzelner Landarzt aber bei mir kommt es jeden Tag ein bis zwei Mal vor. Österreichweit kämen wir sicher auf eine beachtliche Zahl an Patienten, die wegen des eingeschränkten Medizinbetriebes auf Lebenszeit werden verzichten müssen.

»Wir müssen zu einer Normalität mit dem Virus finden müssen«

Was wäre Ihr Vorschlag, um die ärztliche Versorgung sicherzustellen?
Ich muss dafür ausholen: Ich habe heute mit einem Amtsarzt telefoniert, weil ich doch zunehmend Kontakt mit positiv auf Corona getesteten Patienten habe. Ich habe keinen Schutzanzug, ich bekomme keinen, ich kann mit einer FFP3-Maske nicht arbeiten, weil ich keine Luft bekomme. Und selbst wenn: Ich bekomme keine Maske. Das sind alles Dinge, die nicht funktionieren. Es geht einfach nicht. Ich glaube also, dass diese strikten Maßnahmen eine Illusion sind und dass wir zu einer Normalität mit dem Virus werden finden müssen.

»Wir larvieren zwischen „Ende mit Schrecken“ und „Schrecken ohne Ende.“«

Wie könnte diese Normalität mit dem Virus aussehen?
Das, was bei uns läuft, ist sicher nicht schlecht. Dass es einige Spitäler gibt, die nur positiv Getestete nehmen und andere nur negative. Aber es funktioniert auch nicht ganz, weil etwa Patienten nach einem negativen Test aufgenommen wurden und vier Tage später positiv waren. Ich glaube, die Dunkelziffer ist wesentlich höher als wir wissen. Es verbreitet sich einfach. Wir werden es nicht wirklich stoppen und aufhalten können, nur verlangsamen. Wir larvieren zwischen „Ende mit Schrecken“ und „Schrecken ohne Ende.“

Und was ich leider immer noch sage, ist: Wir werden leider einige ältere oder vorerkrankte Patienten, an tödlichen Komplikationen verlieren, die wir ohne diese Infektionswelle nicht oder nicht jetzt verloren hätten. Auf das werden wir uns einstellen müssen, da führt kein Weg vorbei. Selbst, wenn ich selbst dazu gehören sollte.

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Die Zahlen gehen in Österreich seit Tagen zurück. Denken Sie, ist damit das Schlimmste überstanden und die langsame Lockerung vieler Maßnahmen sinnvoll?
Ich halte die Lockerung aus psychologischen Gründen für gut. Ich habe heute wieder einen Patienten mit Polizeieinsatz gehabt. Die häusliche Gewalt nimmt definitiv zu. Ich halte eine vorsichtige Entwicklung zurück zur Normalität für gut, auch wenn es sein kann, dass dann noch ein bisschen mehr kommt…
Es ist schwer zu sagen, wir haben aber sicher italienische Verhältnisse abfangen können.

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Die rückläufigen Zahlen…
Lassen Sie mich etwas zu den Zahlen sagen: Die Zahlen sind sehr einseitig. Es ist immer die Frage, wer wird getestet? Brisant etwa: Wenn ich bei der Hotline anrufe, um einen Patienten testen zu lassen, wird mir gesagt: „Nein, gehört nicht zum Risiko.“ Und es ist mir schon drei Mal passiert, dass dieser Mensch dann doch positiv getestet wurde!

» Jeder verwendet das Zahlenmaterial für die Intention seiner Aussage. «

Wir haben sicher ganz massiv dort getestet, wo Kranke zu vermuten waren und haben wahrscheinlich ein bisschen ein überzeichnetes Bild. Auch die Toten, die uns vorgezählt werden, sind zwar Corona-positiv getestet, aber ob sie deswegen daran gestorben sind, weiß kein Mensch. Es ist eine Frage der Darstellung und der Verwendung des Zahlenmaterials und ich will niemanden beschuldigen, aber jeder verwendet das Zahlenmaterial für die Intention seiner Aussage. Das gilt ehrlicherweise wohl auch für mich.

Ich glaube, es gibt in Sachen Coronavirus-Zahlen und -Ausbreitung keine absolute Wahrheit. Das wird auch später sehr schwer sein, zu sagen: so war es wirklich. Die klaren Fakten sind sehr wenige. Ja, es gibt diesen Virus, ja es gibt eine Pandemie, ja, SARS ist eine scheußliche Erkrankung gegen die wir kein Medikament haben - aber alles darüber hinaus ist schwer verifizierbar im Sinne einer absoluten Gültigkeit.