"Die Koalition wird
nicht so weitergehen"

Der Grüne Abgeordnete Michel Reimon, der für ÖVP-kritische Äußerungen bekannt ist, hat sich auch im Konflikt um die Abschiebungen von Minderjährigen mit scharfer Kritik am Koalitionspartner zu Wort gemeldet. "Die Koalition wird so nicht weiter gehen können wie bisher, das ist ganz klar", in gewisser Art und Weise reiche es schon, sagte Reimon auf "Puls 24" Mittwochabend. Es sei "völlig inakzeptabel", wie sich Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) zu diesem Thema geäußert habe.

von Asylpolitik - "Die Koalition wird
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"Wir haben nicht den Eindruck, dass die ÖVP fair und kooperativ war. Jetzt müssen wir es so machen, dass die Sprache, die die ÖVP versteht, auch von uns gesprochen wird." Die Grünen hätten bei viele Dingen im Hintergrund kritisiert, jetzt werde man aber in die Öffentlichkeit gehen. "Der Ton in der Koalition wird sich deutlich ändern, so wie es bisher gelaufen ist, geht es nicht mehr", sagte Reimon.

Erklärung der Wiener Grünen

Zuvor haben die Wiener Grünen am Mittwochnachmittag Im Zusammenhang mit dem türkis-grünen Zwist auf Bundesebene nach vollzogener Abschiebungen von Schülerinnen eine "Erklärung" veröffentlicht. Darin ist neben einer Auflistung eigener Grundsätze auch davon die Rede, dass die ÖVP "rote Linien überschritten" habe.

Der Wunsch nach einem Koalitionsbruch sei dies aber keinesfalls, sagte Interims-Parteichef Peter Kristöfel. "Von Anfang an war klar, eine Koalition mit der in den letzten Jahren deutlich nach rechts gerückten ÖVP wird nicht leicht. Dennoch haben viele zu Beginn die Hoffnung in uns Grüne gesetzt, der türkisen Politik etwas entgegenhalten zu können", heißt es in der via OTS publizieren "Wiener Erklärung". Und weiter: "Unsere Regierungsmitglieder und unsere Abgeordneten im Nationalrat setzen sich Tag für Tag dafür ein."

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Die grüne Handschrift sei auch sichtbar geworden, verweist die Landespartei auf mehr Geld etwa für Klimaschutz, Frauen und Öffis. Dennoch müsse man sich nach einem Jahr Regierungsbeteiligung fragen: "Reicht, was wir erreichen?" Denn Grüne und Menschenrechte gehörten untrennbar zusammen. "Deshalb schmerzt es ganz besonders, dass der Koalitionspartner die Rettung von 100 Familien aus der Hölle von Moria blockiert. Damit und mit der Abschiebung von in Österreich geborenen und aufgewachsenen Kindern hat die ÖVP der gesamten Regierung ein unmenschliches Antlitz verpasst. Damit wurden klar rote Linien überschritten."

Mehr Druck auf die ÖVP gefordert

Auf Nachfrage verhehlte Kristöfel nicht, dass große Teile der Kernwählerschaft "das, was (ÖVP-Innenminister Karl, Anm.) Nehammer hier abgezogen hat, unmenschlich" fänden. Deshalb wolle man mit der - mit Blick auf die Sondersitzung des Nationalrats am heutigen Donnerstag veröffentlichten - Erklärung die grüne Basis zum Zusammenhalt aufrufen, um die eigenen Leute in der Regierung bzw. im Nationalrat zu unterstützen, damit der Druck auf die ÖVP wachse und grüne Positionen besser durchgesetzt werden könnten. Denn: "Regieren ist kein Selbstzweck. Regieren beinhaltet den Auftrag zu verändern", wie es im Text heißt.

Die Wiener Landespartei fordert u.a. ein "Abschiebeverbot für in Österreich geborene und aufgewachsene Kinder und Jugendliche sowie die Wiedereinführung von Härtefallkommissionen auf Länder- und Gemeindeebene zur Erteilung eines humanitären Bleiberechtes", wobei während der Corona-Pandemie Abschiebungen generell ausgesetzt werden sollten.

Anschober setzt auf Kalmierung

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat sich in Sachen Koalitionskonflikt äußerst kalmierend geäußert. Die türkis-grüne Regierung sei durch die Pandemie in einer sehr schwierigen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Situation gestartet und er erlebe die Zusammenarbeit in diesen Bereichen als gut, konstruktiv und stabil. Dass man im Bereich Migration unterschiedlicher Meinung sei, habe man von Beginn an gewusst.

Das sei auch so im Koalitionsabkommen festgehalten, sagte Anschober. Nichtsdestotrotz würden sich die Grünen "mit voller Kraft für eine menschliche Lösung einsetzen". Er hoffe sehr, dass "wir etwas bewegen und sich etwa ändern wird". "Es ist oft das Bohren sehr, sehr dicker Bretter. Aber man darf nicht aufgeben", so der Gesundheitsminister, der sich als oberösterreichischer Landesrat jahrelang gegen die Abschiebung von Lehrlingen eingesetzt hatte.

Auch Burgenlands Grüne sprachen sich am Donnrestag für eine Fortsetzung der türkis-grünen Koalition auf Bundesebene aus. "Es macht überhaupt keinen Sinn, jetzt alles hinzuhauen", stellte Landessprecherin Regina Petrik fest. Würden die Grünen die Zusammenarbeit jetzt aufkündigen, würde dies nur der ÖVP in die Hände spielen, zeigte sie sich überzeugt.

Für Fortführung der Koalition

"Es gibt ein Programm und man muss sich in der Koalition einigen und täglich verhandlungsbereit sein", so Petrik. Am meisten erreiche man für die Bürger in der Koalition, wenn diese platzt, wäre niemandem geholfen. Es gelte viel eher, Kompromisse zu finden, auch die ÖVP müsse Kompromisse eingehen und habe dies in der Vergangenheit bereits getan. Aber irgendwer werde immer enttäuscht sein, räumte die burgenländische Landessprecherin ein.

"Wenn man die Koalition verlässt, überlässt man das weitere Geschick der ÖVP und das kann nicht im Interesse der Grünen und der Grün-Wähler sein." Jetzt gehe es darum, in Verhandlungen Dinge weiter zu bringen und es der ÖVP nicht so leicht zu machen, indem man die Koalition aufkündigt, meinte Petrik weiters.

Grüne wollen keinen Koalitionsbruch riskieren

Die Grünen legen es im Konflikt mit der ÖVP über die Asylpolitik nicht auf einen Koalitionsbruch an. Klubchefin Sigrid Maurer kündigte in einer Stellungnahme an, den Anträgen von SPÖ und NEOS in der Sondersitzung am Donnerstag nicht zuzustimmen. Allerdings seien die Grünen "fest entschlossen", die Rechte von Kindern in Österreich besser zu schützen. Diesbezüglich soll Vizekanzler Werner Kogler am Nachmittag "weitere Schritte" bekanntgeben, sagt Maurer.

ÖVP-Klubobmann August Wöginger sah allerdings vorerst keinerlei Grund hier Änderungen vorzunehmen. "Wir halten uns an das Regierungsprogramm, dort ist nichts dergleichen verankert", so Wöginger. Die Zusammenarbeit mit den Grünen bezeichnet er als "gut", er gehe auch davon aus, dass die Koalition die heutige Nationalratssitzung überstehen werde. Dass ÖVP und Grüne beim Migrationsthema "unterschiedliche Positionen haben, ist bekannt".

"Der Grüne Klub wird nicht für einen folgenlosen Entschließungsantrag stimmen, der ohnehin keine Mehrheit erreicht", kündigte Maurer an. Die Anträge, die jüngst nach Georgien und Armenien abgeschobenen Mädchen wieder nach Österreich zurückzuholen, wertet Maurer als Versuch der SPÖ, "parteipolitisches Kleingeld zu wechseln". Das sei ein durchsichtiges Manöver, zumal die SPÖ in ihrer Regierungszeit selbst zahlreiche Verschärfungen der Asylgesetze mitbeschlossen habe.

Kogler: "Uns geht es um Lösungen"

Wie die Grünen in dieser Causa weiter vorgehen wollen, will Parteichef und Vizekanzler Kogler am Nachmittag bekanntgeben. "Uns geht es um Lösungen: Wir sind fest entschlossen, die Rechte von Kindern in Österreich besser zu schützen", betont Maurer. Diese Linie - inklusive der Ablehnung des rot-pinken Antrags - haben die Grünen Abgeordneten ihren Angaben zufolge bei einer Klubsitzung am Mittwochabend vereinbart.

Während der grüne Abgeordnete Michel Reimon die ÖVP massiv kritisiert und ihr mit einem schärferen Ton in der Koalition gedroht hatte, äußerte sich Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) kalmierend. Er lobte die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Pandemie als gut, konstruktiv und stabil. Dass man im Bereich Migration unterschiedlicher Meinung sei, habe man von Beginn an gewusst und im Koalitionsabkommen festgehalten, so Anschober bei einer Pressekonferenz. Nichtsdestotrotz würden sich die Grünen "mit voller Kraft für eine menschliche Lösung einsetzen", so der Gesundheitsminister, der sich als oberösterreichischer Landesrat jahrelang gegen die Abschiebung von Lehrlingen eingesetzt hatte.

In der Sondersitzung des Nationalrates werden heute, Donnerstag, (unverbindliche) Entschließungsanträge von SPÖ und NEOS erwartet mit dem Ziel, die jüngst abgeschobenen Mädchen aus Georgien und Armenien wieder zurückzuholen bzw. bei Bleiberechtsentscheidungen wie in früheren Jahren die lokalen Behörden einzubinden. Beides lehnt die ÖVP ab und wird von den Grünen befürwortet. Die Zustimmung der Grünen zu diesen Anträgen wäre durch eine Ausnahmeklausel im Koalitionspaket zwar grundsätzlich gedeckt, würde aber wohl zu einer starken Belastungsprobe für die Regierung führen.

Schüler appellieren in Brief an Regierung

Schüler und Schülerinnen aus mehr als 50 Einrichtungen in Österreich haben sich in einem gemeinsamen Statement gegenüber der Bundesregierung "für eine menschliche Abschiebungspolitik" ausgesprochen. "Wir setzen diesen Schritt, weil wir die menschenfeindlichen Abschiebungen als Schüler*innen nicht mittragen können und werden", hieß es dazu in einer Aussendung am Donnerstag. Anlass dafür waren die jüngsten Abschiebungen von Schülerinnen in den vergangenen Tagen.

"Wer Tina und weitere aus ihrem Leben reißt, der reißt auch einen Teil von uns heraus", bezogen sich die Schüler in ihrem gemeinsamen Brief an die Regierung auf den jüngsten Anlassfall, bei dem eine Wiener Gymnasiastin nach Georgien abgeschoben worden war. "Wer sie angreift, der greift uns alle an." Politisch fordern sie darin für derartige Fälle die Wiedereinsetzung einer unparteiischen und unabhängigen Härtefallkommission.