Ein Jahr Türkis-Grün:
Die Corona-Koalition

Vor einem Jahr wurde die türkis-grüne Regierung angelobt. Angekündigt war "das Beste aus beiden Welten", tatsächlich plagte sich die Koalition fast ausschließlich mit Pandemiebekämpfung herum. Drei Politexperten bilanzieren.

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Politik - Ein Jahr Türkis-Grün:
Die Corona-Koalition

Am 7. Jänner 2020 ist die Welt noch in Ordnung. Nach monatelangen Verhandlungen, die sich diesmal auch über die Weihnachtsferien erstreckt haben, wird die erste türkis-grüne Bundesregierung der Geschichte Österreichs angelobt: "Das Beste aus beiden Welten" soll diese neue politische Partnerschaft bringen. Also: einen gegenüber der Wirtschaft freundlichen und in Migrationsfragen harten Kurs seitens der ÖVP, Klimaschutzimpulse von den Grünen. Fernsehaufnahmen zeigen die Ministerriege in der Hofburg. Ganz links der Gesundheitsminister, dann die Verteidigungsministerin, der Innenminister usw. Angemessen ernsthafte, teils freudige Gesichter. Die Austria Presse Agentur bringt an diesem Tag keine einzige Meldung über dieses neuartige Virus, das in China grassiert. Zehn Tage später berichtet die Nachrichtenagentur: Das Ausmaß der mysteriösen Lungenkrankheit sei womöglich größer als angenommen. Zwei Monate später ist klar, dass dieser neuen türkis-grünen Bundesregierung die historisch einmalige Aufgabe zukommen wird, Österreich durch die verheerendste Pandemie der letzten hundert Jahre zu führen. Eine Aufgabe, die Regierungschefs auf der ganzen Welt fordert, ja: überfordert.

Wie schlägt sich Österreichs türkis-grüne Bundesregierung? News wollte von Politik-Experten wissen, wie ihre Bilanz ein Jahr nach der Angelobung aussieht.

"Das Beste aus beiden Welten" - das heißt von Anfang an eben auch: zwei Welten. Dass es zwischen Türkisen und Grünen etwa in der Migrationsfrage Meinungsverschiedenheiten geben würde, war programmiert. "Es war immer eine Marketinggeschichte", sagt der Politikberater Thomas Hofer. "Eine gut gemachte Marketinggeschichte, man konnte sich die dramatischen inhaltlichen Differenzen schönreden. Aber ich habe von Anfang an gesagt, dass zusammenwächst, was nicht zusammenpasst. Das hat aber insofern eine Verschlechterung erfahren, als das Misstrauen bezüglich der täglichen Zusammenarbeit dazugekommen ist." Diese Zusammenarbeit, meint Hofer, sei nicht ernsthaft gefährdet, "aber man fühlt sich ein bisschen an die Zeiten der rot-schwarzen Koalition erinnert, wo man, wenn man einen Gesetzesentwurf von der Gegenseite bekommen hat, drei Mal nachgeschaut hat, ob der eh nichts hineingeschwindelt hat, was er einem nicht gesagt hat." So ähnlich sei es jetzt. "Wir haben schon über den Sommer darüber geredet, dass es unterschiedliche Auffassungen zwischen Kanzler und Gesundheitsministerium gibt, damals hat man noch darüber hinweggelächelt. Die haben sich deutlich vertieft, das ist eine sehr, sehr schwierige Arbeitsbeziehung."

Stark anfangen, stark nachlassen

Die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle unterteilt die Pandemiebekämpfung der türkis-grünen Bundesregierung in drei Phasen: "Im Frühjahr ist es gut gelaufen, im Sommer wurden die Dinge leider eher verschlafen, und im Herbst ist es dann verworren geworden. Ich glaube, das liegt schon auch daran, dass die Unterschiedlichkeit dieser Partner zutage getreten ist. In der Corona-Krise ging es nicht um das Beste aus beiden Welten, sondern nur um ein Thema, aber natürlich ist klar, das ÖVP und Grüne in den meisten Politikbereichen weit voneinander entfernt sind. Wir haben noch nicht erlebt, ob sie es schaffen, sich gegenseitig Freiräume zu lassen." Das würde bedeuten: dem Partner Erfolge gönnen, zulassen, dass die Türkisen rechts und die Grünen links der Mitte Punkte machen, um die Zustimmung zur Koalition -und damit ihre Stabilität -zu erhöhen. Gar keine schlechte Idee, wenn es Befindlichkeiten und Eitelkeiten zulassen. Ein Blick auf die Umfragen zeigt: die Österreicherinnen und Österreicher sind grosso modo zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Nach einem kurzen Höhenflug im Frühling haben die Werte sich jetzt wieder auf dem - vor allem für die ÖVP hohen - Anfangsniveau eingependelt. 55 Prozent gaben bei einer Umfrage, die der Meinungsforscher Peter Hajek Mitte Dezember für APA und ATV durchgeführt hat, an, mit der Arbeit der Regierung zufrieden zu sein: Der höchste Wert seit 2009. Besonders gut schlägt sich in den Umfragen Parteichef und Kanzler Sebastian Kurz. "Das heißt", analysiert Hajek, "Kurz ist die Lebensversicherung für die ÖVP. Weil er einfach so viele Menschen mehr an sich bindet, als eigentlich die ÖVP wählen würden."

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Für Kathrin Stainer-Hämmerle ist Kurz derzeit konkurrenzlos: "Es gibt niemanden anderen, von dem die Österreicher sich vorstellen könnten, ihn zum Bundeskanzler zu wählen, und auch die Partei liegt weit vorne auf Platz eins. Das ist eindeutig. Ich glaube, das ist nicht nur seine eigene Leistung oder die Leistung der ÖVP, sondern auch ein bisschen das Versagen der anderen Parteien." Auch Thomas Hofer sieht einen der Gründe für diese hohe Zustimmung am Mangel an Alternativen. Und ergänzt: "Was dieses Jahr auch interessant war, das ist noch nicht gefährlich für Kurz, weil er unumstritten ist und den größtmöglichen Rückhalt in der Partei hat, aber: Es gab -auch öffentliche -Unmutsäußerungen. Es für mich eine Überraschung, dass es zwischen der Bundes-ÖVP und der so wichtigen niederösterreichischen ÖVP ein bisschen geknarrt hat im Gebälk."

Der Kanzler und die Umfragen

Seinem Image als kompromissloser Macher konnte Kurz 2020 nur bedingt gerecht werden. Hofer erklärt: "Es ist nun einmal so, dass der Herr Bundeskanzler keine Richtlinienkompetenz hat. Da kann er einen Tanz am Ballhausplatz aufführen, wenn der Anschober das so nicht will, passiert das so nicht, das stellt man sich gemeinhin einfacher vor. Aber natürlich, nach außen hin ist das als Schlingerkurs wahrgenommen worden, als nicht so klare Linie wie im Frühjahr." Dazu komme, dass Kurz "sehr datengetrieben" sei in seinem politischen Handeln. "Das heißt, er schaut sehr stark auf Umfragen, und da ist es natürlich deutlich unübersichtlicher geworden. Es sind mit der Pandemiesituation, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen mehrere Bälle in der Luft, das ist schon alles eine unglaubliche Belastung. Das muss man immer dazu sagen, es ist einfach ganz, ganz schwer, da durchzumanövrieren. Das ist ein Faktum.

Nicht nur die ÖVP, auch die Grünen bleiben in den Umfragen stabil. Die harte Haltung der ÖVP zum Thema Aufnahme von Flüchtlingen, gegen die die Grünen vergeblich protestierten, hat ihnen also offenbar nicht geschadet. Zumindest noch nicht. "Vorderhand reicht es einmal aus, dass die Grünen sich für dieses Thema einsetzen und die Schuld auf den Koalitionspartner schieben," sagt Peter Hajek. "Weil, was ist denn die Option? Die Regierung aufzulösen? Es ist immer noch besser, die eigene Partei in der Regierung zu haben, als nicht." Und, so sagen die Experten, einige Duftmarken konnten die Grünen bereits setzen, etwa im Justizbereich unter Alma Zadicć. Umweltministerin Leonore Gewesslers Ressort stand pandemiebedingt weniger im Fokus als geplant, hatte aber auch Erfolge vorzuweisen -über das grüne Leuchtturmprojekt, das 1-2-3-Ticket, wird noch verhandelt.

Kathrin Stainer-Hämmerle bringt den Grundkonflikt der türkis-grünen Koalition so auf den Punkt: "Wenn Kurz weiterhin die Mitte-rechts-Wähler halten möchte, muss er sich inhaltlich mit seinem Koalitionspartner reiben, Stichwort Kara Tepe. Das ist schon ein bisschen heikel, wenn es sogar in der eigenen Partei Unmut darüber gibt. Ich verstehe oft nicht, warum sich Kurz so schwertut, einmal auch seine Haltung zu revidieren. Das ist sicher das Dilemma der ÖVP: Ihr Erfolg beruht sehr stark auf der Schwäche der FPÖ und dem Festhaltenmüssen an einem Law-and-Order-Kurs, der sich mit dem grünen Partner nicht gut verträgt."

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Die Umstände binden das ungleiche politische Paar aneinander: Neuwahlen ausrufen mitten in der Pandemie? Undenkbar. Und die Alternativen sind rar. Mit wem sollte Kurz sonst koalieren: SPÖ? Neos? Der FPÖ gar?"Ich halte die Koalition nicht aus Zuneigungsgründen, sondern aus Mangel an echten Alternativen für relativ stabil," analysiert Thomas Hofer. "Ich glaube weder, dass Sebastian Kurz als die schwarze Witwe, die binnen dreieinhalb Jahren drei Koalitionspartner verbraucht, in die innenpolitische Geschichte eingehen will, noch, dass die Grünen nach dem Schock von 2017 jetzt schon wieder die Beteiligung in der Bundesregierung riskieren wollen."

Allerdings, die Themenlage dürfte 2021 für die Koalition schwieriger werden. Kathrin Stainer-Hämmerle: "Eine Regierung wird nie platzen, solange sie Geld zu verteilen hat. Dazu haben sie sich jetzt entschlossen und können ein bisschen fighten, wer seiner eigenen Klientel mehr gibt oder weniger, aber wenn das Motto ist, koste es was es wolle, dann wird es immer funktionieren. Der Knackpunkt kommt dann, wenn sich die Frage stellt, wer jetzt nichts mehr kriegt oder wo wir es uns wieder zurück holen." Dann könnten auch die ideologischen Unterschiede zwischen den beiden Parteien wieder voll aufbrechen, Stichwort Vermögensbesteuerung und Verteilungsfrage.

Noch einmal zurück zu den Meinungsumfragen. Die Zustimmung zur Regierungsarbeit ist hoch, aber nicht überschwänglich, sagt der Meinungsforscher Peter Hajek. Denn eines hat sich in den letzten Monaten verändert: "Wenn wir sagen, 80 Prozent der ÖVP-Wähler sind zufrieden mit der Arbeit der ÖVP, dann war es im Frühling noch so, dass 40 Prozent angegeben haben, sie sind sehr zufrieden und 40 Prozent, sie sind eher zufrieden. Heute sagen 20 Prozent, dass sie sehr und 60 Prozent, dass sie eher zufrieden sind. Man ist also zufrieden, aber die Zufriedenheit hat eine leichte Trübung erfahren." Für Kurz bedeute das: "Wenn das Licht am Ende des Tunnels im ersten Quartal noch immer sehr weit weg ist, dann könnte es ein Problem werden."

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Und noch eine interessante Diskrepanz sei in Österreich zu beobachten, meint Hajek: Das Vertrauen in die Regierung sei zwar generell hoch, dennoch seien gewisse Bevölkerungsgruppen nicht bereit, den Vorgaben der Politik zu folgen. "Bei Massentests und Impfungen haben wir rund 20 Prozent, die den Empfehlungen der Bundesregierung Folge leisten wollen. Das ist auch in den vulnerablen Zielgruppen nicht anders -nur 30 Prozent der über 65-Jährigen wollen sich impfen lassen. Da hat die Regierung nicht den Draht zur Bevölkerung, den sie gerne hätte. Ganz offensichtlich kann sie gewisse Problematiken nicht oder vielleicht nicht mehr übersetzen."

Blaue Stunde

In Hinblick auf die geplanten Massentests Mitte Jänner -sollten sie tatsächlich umgesetzt werden wie geplant -komme das einem "politischen Showdown" gleich, meint Hajek: "Jetzt haben die Freiheitlichen ein Momentum. Von jetzt an können sie sagen, jetzt kommt der Zwang, sie wollen euch kontrollieren. Und: Was passiert, wenn bei diesem Test nur 50 Prozent teilnehmen? Dann hat die Bevölkerung der Regierung die Gefolgschaft bei einer Verpflichtung verweigert. Außerdem ist es auch nicht zu kontrollieren. Kleine Boutiquen, die ums Überleben kämpfen und dann Kunden nicht hineinlassen? Das schaue ich mir an."

Gut möglich, dass die politische Kraftprobe "Massentest" doch nicht ganz so kommt wie vor Weihnachten angekündigt. Die offene Auseinandersetzung zwischen den ÖVP-Ministern Köstinger und Nehammer über die Frage, wer diese Kontrollen nicht durchführen soll - Polizei oder Gastronomen -könnte darauf hinweisen

367 Tage war die Regierung am 8. Jänner 2021 bereits im Amt. Mehr als 300 davon befand sie sich im Dauereinsatz unter Hochdruck im Pandemiebekämpfungs-Ausnahmezustand. Dafür, sagt Hajek, habe sich die türkis-grüne Regierung wacker geschlagen. "Wenn die Infektionszahlen sinken, wenn insbesondere im Sommer relativ klar ist, dass man ab Herbst wieder ein stabiles Leben ohne größere Einschränkungen leben kann und wenn die wirtschaftlichen Folgeschäden sich in Grenzen halten, so, dass man sagt, wir werden das in den nächsten zwei bis drei Jahren in den Griff bekommen und den Schuldenberg abbauen, dann sehe ich keinen Grund, warum uns diese Koalition nicht länger bleiben sollte."

Das Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News (01/2020) erschienen!