Wölfe: Warum der Abschuss den Bauern nichts nützt

Die Politik ist auf den Wolf gekommen. In Bundesländern wird der Abschuss von "Problemtieren" beschlossen. Wolfexperte Kurt Kotrschal erklärt, wie Bauern ihre Schafe schützen können. Warum für jeden geschossenen Wolf neue Tiere zuwandern. Und warum gerade in Österreich "am lautesten geschrien" wird, wenn der Wolf kommt.

von Porträt eines Wolfes © Bild: iStockphoto.com/Andyworks

Die Politik ist auf den Wolf gekommen. Fast täglich hören wir von Abschuss-Genehmigungen, die Tiere sind Wahlkampfthema vor Landtagswahlen. Sind das Ablenkungsmanöver der Politik von den wahren Problemen oder sind es wahre Probleme, die wir mit dem Wolf haben?
Hundert Jahre lang konnte man auf Almen relativ sorglos wirtschaften und die Schafe beim Haus nur windig einzäunen. Jetzt kommen die Wölfe zurück und das geht nicht mehr. Die Aufregung der Weidetierhalter ist verständlich. Wenn man einmal gesehen hat, wie ein paar halbzerfetzte Schafe herumliegen, dann ist das nicht schön, vor allem, wenn es die eigenen sind. Eine andere Geschichte ist aber, wenn plötzlich der Wolf der Totengräber der Almwirtschaft sein soll. Wenn man sich die Zahlen der Betriebsaufgaben der letzten Jahrzehnte ansieht, dann hat das eher mit einer verfehlten Landwirtschaftspolitik in Österreich und der EU zu tun als mit dem Wolf.

»Der Wolf ist Neuankömmling und bekanntlich sind in Österreich die Zuwanderer an allem schuld«

In Österreich sind die meisten Halter Nebenerwerbsbauern, die nichts damit verdienen, die machen das als Lifestyle oder damit sie die günstige steuerliche Einstufung als landwirtschaftlicher Betrieb nicht verlieren. Da ist der Wolf ein Problem. Im Moment wird der Wolf im politischen Kontext instrumentalisiert. Auch im bayerischen Wahlkampf geht Herr Söder auf Wolfsjagd. Der Wolf ist ein Neuankömmling, und bekanntlich sind in süddeutschen Landen und auch in Österreich die Zuwanderer an allem schuld.

Wolfexperte Kurt Kotrschal
© Petra Ries/OTS
Nach dem Biologiestudium in Salzburg hat sich Kotrschal auf Verhaltensforschung spezialisiert. Er leitete die Konrad Lorenz Forschungsstelle für Ethologie in Grünau im Almtal und ist Mitbegründer des Wolf Sciene Center in Ernstbrunn. Er ist Sprecher der Arbeitsgruppe Wildtiere im Forum Wissenschaft & Umwelt. Er hat mehrere Bücher über den Wolf und über die Beziehung Mensch-Hund verfasst. Zudem ist er Initiator des derzeit laufenden Volksbegehrens für ein bundeseinheitliches Jagdgesetz.

Warum sind vor allem konservative und rechte Politiker hier so aktiv? Liegt das auch daran, dass der Bauernbund eine starke Teilorganisation der ÖVP ist?
Sicher. Aber wenn man überlegt, was zu tun wäre und was getan wird, gibt es eine gewaltige Diskrepanz. Standesvertreter und konservative Politiker erwecken den Anschein, als ob ein erleichterter Abschuss des Wolfs Probleme lösen könnte. Das ist nicht der Fall. Die einzige Lösung ist konsequenter Herdenschutz. Sie können Wölfe abschießen, so viel Sie wollen, legal oder illegal -in Österreich passiert das bisher meistens illegal -, aufgrund der wachsenden Populationen an unseren Grenzen kommen die nächsten Wölfe nach. Wenn man in der Zwischenzeit keinen wolfsicheren Zaun aufstellt - was im Flachland und in Hausnähe nicht so aufwendig ist -, dann hat man bald die nächsten Verluste.

Das heißt, solche Zäune aufzustellen, wäre nicht so kompliziert. Aber sind sie für den Landwirt auch leistbar?
Man weiß, wie es geht. Kompliziert ist Herdenschutz nur im Gebirge, auf Almen. Im Flachland muss ich einfach einen anderen Zaun aufstellen, dafür gibt es auch Förderungen und Hilfen. Es gibt eigentlich keine Ausrede. Ein Gutteil der Risse der letzten Jahre sind überdies im Tal, in der Nähe der Häuser passiert und nicht auf der Alm. Dort kann man schützen. Landwirte haben laut Tierschutzgesetz sogar die Verpflichtung, ihre domestizierten Tiere vor Unbill, dazu gehören auch Raubtiere, zu schützen. Es gibt im Bereich der EU aber auch gut gefüllte Töpfe, durch die sogar auf den Almen der Aufwand des Behirtens abgegolten wird. Die Landespolitik und die Standesvertreter müssten das Geld nur abholen in Brüssel. Das Problem ist: Sie tun es nicht.

Warum?
Ich habe das Gefühl, es traut sich keiner, aus der bisherigen Linie auszuscheren.

Weil man dann sehen würde, dass das Wolfsproblem auch so lösbar ist?
Ein Problem ist der Wolf ja nur für diese Leute. Sonst haben wir kein Wolfsproblem. Aber solange sich nicht die Ansicht durchsetzt, dass man andere Maßnahmen als einen Abschuss setzen muss, lässt man die Bauern wirklich im Regen stehen. Und schreit: "Wolf! Haltet den Dieb!" Mir ist wichtig, dass die Leute, die Weidetiere halten, sich nicht verlacht vorkommen. Aber sie müssen einsehen, dass sie sich auf den Wolf einstellen müssen. Da muss man Druck auf die Politik machen, dass sie ein bissl vom Gas steigt bei der Instrumentalisierung des Wolfes für politische Zwecke und in Richtung Sachorientierung geht.

»Wenn das Rudel lernt, dass es von Schafen leben kann, hat man ziemlich verloren«

Sie sagen, für jeden abgeschossenen Wolf wandern neue Tiere zu. Wäre es klüger, die Rudelbildung zuzulassen, weil ein Rudel keine anderen Tiere im Revier zulässt?
Absolut. Wölfe haben eine sehr effiziente, dichteabhängige Regulation. Wenn sich ein Rudel etabliert, sprechen wir von vielleicht sechs Wölfen pro 300 Quadratkilometer. Das ist nicht viel. Was die an Rehen und Hirschen reißen, beeinflusst nicht einmal unsere viel zu hohe Schalenwild-Dichte. Und vor allem verteidigt ein Rudel sein Revier gegen andere Wölfe, verhindert, dass die Dichte zu hoch wird, und wehrt Zuwanderer ab. Das hat also einen positiven Effekt - wenn man in der Gegend auf Herdenschutz setzt. Wenn das Rudel nämlich lernt, dass es von Schafen leben kann, hat man ziemlich verloren. Dann bleibt einem über kurz oder lang nichts anderes übrig, als das Rudel zu entnehmen, weil die Elterntiere ihren Jagdmodus ja an die Nachkommen weitergeben. Die gewöhnen sich dann das Nutztierfressen an.

Also, wenn der Wolf lernt, dass er sich die Schnauze am Elektrozaun verbrennt, gibt er das weiter. Wenn er lernt, dass er die Schafe vor seiner Nase haben kann, fühlt er sich wie im Supermarkt und gibt das auch weiter?
Daten, die wir aus Ligurien haben, wo sich in den letzten Jahrzehnten an der Küste eine ganze Menge Wolfsrudel gebildet haben, zeigen, dass sich die am Anfang stark an Nutztieren vergriffen haben, vor allem an Ziegen. Das hat abgenommen. Denn die Leute haben besser aufgepasst und die Wölfe haben sich auf Wildtiere, vor allem Wildschwein, umgestellt. Wenn sich Rudel bilden und man sagt denen einigermaßen konsequent, lasst's die Schafe in Ruhe, dann beruhigt sich die Lage.

Gibt es regionale Unterschiede, wie die Leute den Wolf wahrnehmen? Gibt es in Gegenden, wo die Menschen durch Legenden, Fabeln, Märchen vom bösen Wolf geprägt sind, mehr Angst?
Dort, wo der Wolf nie weg war, ist er kein Aufreger. Wenn Sie in den Karpaten jemanden fragen, ob er sich vor dem Wolf fürchtet, kriegen Sie einen schiefen Blick. Deutschland ist interessant: Vor 25 Jahren gab es keine Wölfe, jetzt gibt es um die 2.000, das ist die am schnellsten wachsende Wolfspopulation der Welt. Und was ist passiert? Nichts, null! Es ist kein Mensch zu Schaden gekommen. Man hat auch nur ganz wenige Tiere entnehmen müssen, und zwar, weil die vorher angefüttert wurden und die Distanz zum Menschen verloren haben. Das ist dann wirklich kritisch. Mein Eindruck ist: Wo bei der Ankunft des Wolfs irrsinnig laut geschrien wird und große Panik ausbricht, das ist in Bayern, Österreich und in Südtirol. Ein bisschen war das auch in der Schweiz so, aber die haben das mit der ihnen eigenen Akribie gemanagt. Heute haben wir aus der Schweiz die genausten Wolfsdaten in Europa.

Warum regieren diese Länder so?
Das hat etwas mit Kontrollzwang zu tun. Als hier der Adel noch das Jagdprivileg hatte, war der Wolf nicht sehr beliebt, denn er ist das einzige Tier, das man nicht wirklich kontrollieren kann. Einen Bären hat man relativ schnell lokalisiert und getötet, bei einem Wolf hat man da viel größere Probleme. Und das Thema Kontrolle ist im Zusammenhang mit Wölfen psychologisch sehr wichtig. Das ist wahrscheinlich auch heute der wichtigste Faktor bei den Bauern, die ihre Schafe verlieren.

Warum setzt man nicht gerade deshalb auf Herdenschutz, also auch eine Form von Kontrolle?
Weil man das wohl für eine Anerkennung des Wolfs hält. Aber den Kopf in den Sand zu stecken, lässt den Wolf sicher nicht verschwinden. Ich habe kürzlich ein australisches Manuskript für das wissenschaftliche Journal "Diversity" begutachtet. Da geht es um den Konflikt zwischen Dingos und Viehzüchtern. Die haben bis jetzt geschossen und vergiftet, was das Zeug hält, und es hat nichts genützt. Es gibt immer mehr Stimmen für eine nicht letale Kontrolle der Dingos. Das erinnert an den Umgang mit den Wölfen bei uns. Obwohl die Möglichkeiten, die Dingos nicht zu schießen oder zu vergiften, gut funktionieren, gehen nur ganz wenige Farmer weg von den bisherigen Methoden.

Warum?
Weil diejenigen, die das machen, wahnsinnig gemobbt weden, die Familien werden geschnitten, tätlich angegriffen. Wenn man weiß, wie überlebenswichtig Nachbarschaft im australischen Outback ist, dann ist das ein unglaublicher Zwang. Ähnlich ist es bei uns: Wenn ein Bauer ausschert und auf Herdenschutz setzt, dann hat er ein ziemliches Problem innerhalt seiner Community. Das sind typisch menschliche soziale Mechanismen, die den Konformismus aufrecht halten und verhindern, dass sich Anpassungen im Lebensstil durchsetzen.

Der Wolf ist ja auch deshalb in Verruf, weil er nicht nur ein Tier reißt, um satt zu werden, sondern ein regelrechtes Massaker anrichtet. Das macht es leicht, ihn nicht zu mögen.
Wölfe sind relativ triebstarke Jäger. Das ist die gleiche Geschichte, wie beim Fuchs im Hühnerstall. In einem Pferch ist das nächste Schaf nicht weit und auch auf der Alm laufen die nicht weit weg, der Reiz ist immer noch da, da kann es schon passieren, dass der Wolf drei, vier, fünf Schafe auf einmal niederlegt. Das schafft natürlich keine große Sympathie. Da muss man aber sagen: Leute, das sind halt Wölfe. Beginnt daran zu denken, eure Weidetiere zu schützen. Auch, weil die Hoffnung, dass der Wolf wieder verschwindet, wenn man seinen Schutz herabsetzt, vergeblich ist. Dass der Wolf in Europa wieder ausgerottet wird, ist nicht zu erwarten.

Das ist ja an sich die gute Nachricht, dass sich die Population stabilisiert hat und nicht mehr ausgerottet werden kann.
Wenn es gelungen ist, dass sich in Österreich sieben Wolfsrudel bilden -in einem Land, in dem mehr als anderswo in Europa auf geschützte Wildtiere geschossen wird - dann ist das schon ziemlich bemerkenswert. Das ist kein Triumpfgeheul. Das ist einfach typisch Wolf: hohe Vermehrungsrate, klug, anpassungsfähig. Auch wir Menschen müssen uns anpassen, denn, dass das mit der Flinte für ein paar Leute gelöst wird, wird es nicht spielen.

In Tirol fordern Bürgermeister, dass jenen Jägern, die Wölfe schießen, die halbe Jagdpacht erlassen wird. Brauchen die das überhaupt, oder ist der Wolf an sich schon Trophäe genug?
Die Abschusserlässe in den Bundesländern schreiben alle voneinander ab. Sie erleichtern den Abschuss, ermächtigen die Jagdausübungsberechtigten, die Entscheidung zu treffen. Da steht alles mögliche Blabla drin, aber de facto läuft es darauf hinaus, dass man relativ einfach einen Wolf auf Verdacht abschießen kann. Das ist mehrfach EU-rechtswidrig. Unter anderem sieht die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU eine Einzelfallprüfung vor. Man kann nicht auf Verdacht einen Wolf abschießen.

Wölfe Grafik
© News Quelle: APA

Weiß man im Moment des Abschusses, ob man den "richtigen" Wolf erwischt?
Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufgrund es Auftretens, aber mit Sicherheit kann nicht einmal ein Experte aufs Hinschauen ein Individuum identifizeren. Man kann nicht einmal so einfach sagen, ist das ein Wolf oder ein Hund. Und dann sollen es die Jäger können? In manchen Bundesländern dürfen die Jäger sogar die abgeschossenen Wölfe behalten. Das ist nichts anderes als Trophäenjagd.

Es gibt mittlerweile Menschen, die fürchten sich im Wald. Kindergartengruppen machen keine Ausflüge mehr. Was macht man eigentlich, wenn man einen Wolf trifft?
Natürlich wird man aufgeregt sein, aber vor allem kann man sich freuen. Auch in Wolfgebieten ist es selten, dass man einen Wolf sieht. Es passiert gelegentlich, dass man untertags vom Auto aus einen Wolf sieht. Aber sobald die Leute stehen bleiben und aussteigen, ist der Wolf weg. Also: Freuen, ein Foto oder Video machen, die Sichtung dem Wolfsbeauftragten melden, damit die auch eine Freude haben. Es gibt ganz selten Fälle, wo ein Jungwolf dasteht und sich den Menschen genauer anschaut. Dann hilft auf jeden Fall Anschreien, Großmachen, den Wolf bedrohen. Wölfe sind nicht blöd, die lassen sich auf sowas nicht ein. Man sollte jedenfalls nicht das Jausenbrot teilen. Beim Bären ist das ganz anders: Wenn man auf diesen trifft, sollte man sich vorsichtig und höflich zurückziehen. Denn da ist es schon eine Gefahr, wenn man eine gewisse Distanz unterschreitet. Beim Wolf gilt das nicht. Er ist übrigens auch für Hunde nicht gefährlich, die innerhalb von 50 Metern bei der Wandergruppe bleiben oder an der Leine sind. In Skandinavien kommen relativ oft Jagdhunde ums Leben. Das liegt aber daran, dass die kilometerweit weg von den Jägern arbeiten. Wenn die durch ein Wolfsterritorium laufen, kann es sein, dass sie Pech haben und nicht zurückkommen.

Stichwort: Jausenbrot. Es gibt immer wieder Probleme mit angefütterten Tieren.
Die ganz wenigen Fälle, wo in den letzten 15 Jahren in Deutschland oder Polen ein Wolf abgeschossen werden musste, lagen daran, dass sie vorher angefüttert wurden. Etwa bei einem Gasthaus, damit die Gäste bessere Fotos machen können. Der Wolf wird dann irgendwann fordernder und das kann böse ausgehen. Die hat man richtigerweise sofort abgeschossen. Man sollte deswegen auch Gewohnheiten überdenken: Jäger haben immer noch die Angewohnheit, wenn sie Wild schießen, dass der Aufbruch im Wald liegen bleibt. Das sollte man sich abgewöhnen.

Weil?
Es ist nicht ausgeschlossen, dass über diesen Aufbruch doch eine Verbindung geschaffen wird, zwischen Wolf und Mensch. Es ist einfach so, das zeigen viele Studien: Man soll die Wege von Wolf und Menschen möglichst getrennt halten. Nicht anfüttern, den Wölfen nicht nachschleichen, und ihnen bei Gelegenheit aber auch sagen, wenn sie nicht erwünscht sind.

Haben Sie eine Erklärung für den tödlichen Angriff eines Bären auf einen Jogger in Italien?
Wenn man im Wald läuft, bewegt man sich rasch, da kann man schon einmal einem Bären zu nahe kommen. Wenn der frisst und den Menschen nicht hört, der plötzlich fünf Meter neben ihm ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es einen Verteidigungsangriff gibt. Es war ja auch in diesem Fall kein von einem Raubfeind motivierter Angriff, sonst wäre der Mensch zum Teil gefressen worden. Er war verletzt, das wäre typisch, wenn die Distanz unterschritten wird. Darum gibt es in Bärengebieten in den USA die Empfehlung, sich bemerkbar zu machen, wenn man unterwegs ist.

Sie schreiben in Ihren Büchern über das Zusammenleben von Mensch und Wolf. Wie wird sich das weiterentwickeln?
Es gibt eine Reihe von Argumenten, warum wir in unserem Kulturland mit großen Beutegreifern leben sollten. Es gibt ökologische Vorteile. Wölfe beeinflussen günstig die Biodiversität in einem Gebiet. Sie halten Wildbestände gesünder als menschliche Jäger das könnten. Dazu kommen ethische Argumente: Ich finde es immer ein bisschen lächerlich, dass wir ganz selbstverständlich von Afrikanern und Asiaten erwarten, dass sie für uns ihre Elefanten schützen, wobei es jedes Jahr Hunderte Tote gibt, während wir hier nicht fähig sind, mit ein paar Wölfen und Bären zu leben. Und zuletzt: Wir leben in einer großen Klima-Diversitätskrise, wo man wirklich überlegen sollte, ob die Art und Weise, wie wir Landschaft nutzen, so weitergehen kann. Wir wissen, dass wir anderen Lebewesen neben uns wieder mehr Raum geben müssen. In dieser Zeit sofort nach der Flinte zu schreien, wenn der erste Wolf kommt, finde ich ehrlich gesagt, ziemlich kühn. Der Wolf zwingt uns, auch im politischen Diskurs, Dinge zu diskutieren, die man bis jetzt nicht diskutiert hat. Etwa: Kann man in der Landwirtschaft so weitermachen wie bisher? Ist die Jadgwirtschaft, wie wir sie jetzt betreiben, vernünftig?

In seinem Buch "Wolf - Hund - Mensch - Die Geschichte einer jahrtausendealten Beziehung" schreibt Kurt Kotrschal darüber, was die Beziehung zwischen Wolf und Mensch ausmacht.*

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Gibt es eine Seelenverwandtschaft zwischen Mensch und Wolf? Sie schreiben, er sei ein Spiegel für unsere eigene Verfasstheit als Menschen. Was sehen wir in diesem Spiegel?
Wenn Mensch und Wolf einander in ihrem sozialen Mindset nicht so ähnlich wären, hätten wir heute keine Hunde. Irgendwann in der Altsteinzeit trafen unsere Vorfahren auf die Wölfe und haben sich aus irgendeinem Grund mit ihnen zusammengetan. Mit Sicherheit aus spirituellen Gründen, denn sie waren Animisten. Der Wolf ist auch das politischste aller Tiere, es gibt jede Menge Wolfsmythen, etwa den Gründungsmythos von Rom.

»Sozialverhalten, Flexibilität: Mensch und Wolf haben eigentlich wahnsinnig viel gemeinsam«

Aber warum ist ausgerechnet der Wolf so wichtig für uns?
Das ist die Frage. Die eurasischen Steppen waren damals voller Beutegreifer, wie etwa auch Löwen und Hyänen. Aber warum liegen wir heute mit domestizierten Wölfen im Bett und nicht mit domestizierten Hyänen? Wahrscheinlich deswegen, weil Wolf und Mensch am besten zusammengepasst haben. Die Jäger und Sammler lebten in sehr flach hierarchischen Gesellschaften zusammen, da gibt es keinen Anführer, niemand kommandiert die anderen herum. Wölfe sind ebenfalls allergisch dagegen, herumkommandiert zu werden. Man kann mit sozialisierten Wölfen hervorragend kooperieren, aber man muss das sehr höflich, respektvoll und auf Augenhöhe machen. Nicht wie mit einem Hund, den man einfach herumkommandiert. Da würde ein Wolf nach einer gewissen Zeit sagen: Auf Wiederschaun! Wölfe und Menschen leben in Clans. Innerhalb des Clans wird kooperiert beim Jagen, Aufziehen des Nachwuchses, Abstandhalten der Nachbarn, bei der Verteidigung gegen Fressfeinde. Die Menschen in der Altsteinzeit haben sich gegenseitig selten massakriert. Das hat erst mit dem Sesshaftwerden begonnen. Ob zwischen benachbarten Wolfsrudeln Kriege ausbrechen, hängt von der Beutedichte ab und der Dichte der Rudel. Man sieht: Das Sozialverhalten, die Flexibilität, sich auf soziale und ökologische Bedingungen einzustellen und so weiter - Mensch und Wolf haben eigentlich wahnsinnig viel gemeinsam.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 21/2023 erschienen.