Wie käuflich Politik
in Österreich ist

Die ÖVP hat viel mehr Geld von Großspendern bekommen als bisher bekannt. Was erwarten sich Spender, wozu brauchen die Parteien so viel Geld, und ist Politik käuflich? News hat sich mit Politikwissenschaftler Hubert Sickinger darüber unterhalten

von Politik - Wie käuflich Politik
in Österreich ist © Bild: iStockPhoto.comYuri_Arcurs

Die ÖVP hat weit mehr Zuwendungen von Großspendern erhalten, als bisher bekannt war. Haben Sie diese Enthüllungen überrascht?
Hubert Sickinger: Ja und nein. Überrascht hat mich vor allem, wie die Spenden des Herrn Ortner durchgeführt wurden, nämlich entgegen dem 2017 von Sebastian Kurz derart in den Vordergrund gestellten Postulat der Transparenz. Man konnte natürlich vermuten, dass sich das nur auf Spenden an die Bundespartei bezieht, die über seine Kampagnewebpage gemacht wurden, es war eigentlich klar, dass es auch während des Wahlkampfs andere Spenden gibt, etwa an Landesparteien oder Vorzugsstimmenkandidaten. Aber dass man entgegen der Rhetorik von Sebastian Kurz bezüglich absoluter Transparenz von Parteispenden die 50.000-Euro- Grenze, ab der Großspenden sofort veröffentlicht werden müssen, derart dreist umgeht, hat mich schon überrascht.

Die Summe wurde in mehreren Einzelbeiträgen überwiesen und war daher nicht meldepflichtig. Alles ganz legal. Warum ist diese Vorgehensweise trotzdem ein Problem?
Auf dem Papier ist es legal, aber es ist doch ein sehr klarer Verstoß gegen die Zielsetzungen und den Geist des Gesetzes. Wenn die Partei, der eine hohe Spende angeboten wird, dem Spender selbst ausdrücklich eine Stückelung zur Verschleierung empfiehlt, dann könnte das möglicherweise doch strafbar sein. Dem Spender passiert allerdings nichts, wenn er aktiv stückelt.

In dem Ibiza-Video erklärt Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache, wie man Parteien über Vereine finanzieren kann. Tricksen alle Parteien?
In dem Ausmaß, wie es Strache für seine eigene Partei behauptet hat, macht es keine Partei, da wollte er wohl die angebliche Oligarchennichte beeindrucken. Strache sprach ja von einer Reihe von Spendern, die zwischen einer halben und zwei Millionen auf Umwegen an die FPÖ spenden würden. Da würde ich fragen, wo denn das Geld ist? So viel wurde für den FPÖ-Wahlkampf 2017 doch nicht ausgegeben. Aber das Muster gibt es, ja: Dass Dritte in erheblichem Ausmaß einen Wahlkampf mitfinanzieren, indem sie der Partei Kosten für Inserate, Aussendungen oder Plakat abnehmen, wurde 2013 anhand der Wahlwerbung von Parlamentsklubs intensiv diskutiert. Hier läuft das Kontrollsystem ins Leere.

Kommt es bei allen Parteien vor, dass sie, sagen wir es allgemein, gegen den Geist dieser Gesetze verstoßen?
So generell würde ich das nicht sagen. Vor allem nicht, dass alle in gleichem Ausmaß dagegen verstoßen.

»Das Problem ist, dass die Parteien, mit Gegenangriffen reagieren, die einen wahren Kern beinhalten, aber zugleich vor allem Ablenkung von Vorwürfen gegen die eigene Partei sind.«

Wer ist notorisch?
Das Problem an den derzeitigen Diskussionen ist, dass die Parteien, wenn es Angriffe gegen sie selber gibt, mit Gegenangriffen reagieren, die einen wahren Kern beinhalten - aber zugleich vor allem Ablenkung von Vorwürfen gegen die eigene Partei sind.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat kürzlich auf den Präsidentschaftswahlkampf von Alexander Van der Bellen verwiesen, bei dem ebenfalls viele Spenden gesammelt wurden. Ist der Vergleich zulässig?
Nein. Der richtige Kern ist: Es hat bei Van der Bellen sehr wohl Großspenden gegeben. Aber Van der Bellen hat keine Spenden verschwiegen. Bei ihm sind die Spenden in Echtzeit auf der Homepage gestanden, obwohl er sie erst nach der Wiederholung des zweiten Wahlgangs hätte melden müssen.

Den Neos wird ihre starke finanzielle Abhängigkeit von Haselsteiner vorgeworfen. Zu Recht?
Das würde ich so nicht sagen. Haselsteiner hat im Grunde nur für eine Anschubfinanzierung gesorgt. Aber die Neos sind immer offen damit umgegangen. Wenn eine finanziell gut ausgestattete Partei, die viele Millionen an öffentlicher Parteienförderung bezieht, einer Partei, die in ihrer Startphase und dann auch auf Landesebene beim erstmaligen Antreten bei Landtagswahlen keine öffentlichen Gelder bezogen hat, so etwas vorwirft, ist es ein durchschaubares Ablenkungsmanöver.

Bei der SPÖ gibt es Unklarheiten bezüglich der Rolle ihrer Vorfeldorganisationen.
Die sozialdemokratischen Gewerkschafter und auch der Pensionistenverband haben 2012 als Vorgriff auf das Parteiengesetz formal ihren Status als der Partei nahestehende Organisation beendet. Das hat folgende Auswirkung: Nahestehende Organisationen oder rechtlich selbstständige Teile der Partei unterliegen der Spendentransparenz und müssen der Partei ihre Spenden und Sponsorings melden, und die Partei muss diese in den Rechenschaftsbericht aufnehmen. Das wollte man vermeiden. Wenn allerdings diese offiziell jetzt nicht mehr nahestehenden Vorfeldorganisationen etwas spenden, dann muss die Partei das offenlegen. Es ist also nicht eine völlige Intransparenz, aber damals haben offenbar manche in der SPÖ geglaubt, besonders schlau zu sein. Das fällt ihnen jetzt argumentativ auf den Kopf, denn die Geisteshaltung dahinter ist schon sehr kritikwürdig. Der ÖVP-Seniorenbund unterliegt dem Parteiengesetz und kann damit leben, warum nicht auch der SPÖ-Pensionistenverband?

Kommen wir zurück zu den Großspendern. Die große Frage ist doch: Ist Politik durch diese Praktiken käuflich?
Ich glaube eher nicht, dass Kaufmotive hier eine Rolle gespielt haben. Was Sebastian Kurz 2017 wollte, hat er sehr offen deklariert, wenn man sich sein Wahlprogramm durchgelesen hat. Es war sehr, sehr wirtschaftsfreundlich. Da war der Zwölf-Stunden-Tag drinnen, eine Senkung der Körperschaftssteuer, Positives für die private Immobilienwirtschaft. Man findet nicht zufällig Sponsoren aus diesen Bereichen. Und das Zweite ist: Natürlich ist der Empfänger von Großspenden dem Spender dankbar. Man investiert in Good Will, wenn man so will. Man wird mit einem Anliegen viel eher Gehör finden und einen Gesprächstermin bekommen, als wenn es da überhaupt keine Beziehung gibt. Und bis zu einem gewissen Grad muss man bei einigen Spendern auch davon ausgehen, dass es ihr persönliches Wohlbefinden stärkt, wenn es eine konservative Regierung gibt, an der keine Sozialdemokraten beteiligt sind.

»Dass Spenden nichts Unanständiges sind, dem würde ich natürlich zustimmen. Die Frage ist: Sind sie auch unproblematisch?«

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hat kürzlich gesagt, Spenden seien nichts Unanständiges. Sind Spenden grundsätzlich in Ordnung? Und in welcher Höhe?
Dass Spenden nichts Unanständiges sind, dem würde ich natürlich zustimmen. Die Frage ist: Sind sie auch unproblematisch? Denn es geht auch darum, welche Interessen die Politik dann eher berücksichtigt. Man sollte z. B. nicht so tun, als wäre eine Kleinspende gleich zu bewerten wie eine Großspende. Ich weise nur auf eines hin: Spenden von mehr als 3.570 Euro, zusammengerechnet über das ganze Jahr, müssen im Rechenschaftsbericht aufgeführt werden. Wenn man sich das Durchschnittseinkommen unselbstständig Erwerbstätiger anschaut, ist das mehr als das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen von Vollzeitbediensteten. Wer spendet bitte ein bis zwei Monatseinkommen? In Wirklichkeit spenden natürlich nur sehr wohlhabende Leute mehr als 3.500 oder gar mehr als 50.000 Euro pro Jahr an eine Partei.

Wozu brauchen die Parteien so viel Geld? Ist die Parteienförderung in Österreich zu niedrig, wenn keiner mit den Ressourcen auskommt?
Zu niedrig ist sie sicherlich nicht. Sie hat nur das eine Problem, dass die etablierten Parteien vergleichsweise viel Geld haben und die Kosten des Parteienwettbewerbs dadurch generell stark in die Höhe getrieben werden. Wenn man dann noch zusätzlich Einnahmequellen hat, kann man trotzdem einen Vorteil gegenüber den anderen Parteien herausarbeiten. Oder hofft zumindest darauf.

Waren die sechs Millionen, mit denen die ÖVP 2017 die Wahlkampfkostenobergrenze überschritten hat, also wahlentscheidend?
Hätte die ÖVP einen sparsameren Wahlkampf geführt, hätte sie die Wahl auch gewonnen - aber vielleicht nicht so hoch. Wie groß die Rolle des Geldes ist, weiß man letztlich nicht. Aber die Parteien glauben, dass sie groß ist, und das ist der entscheidende Punkt. Und neue Parteien laufen gegen einen massiven Vorsprung der anderen Parteien an.

Was müsste man an der bestehenden Gesetzeslage ändern?
Erstens müsste man einige Lücken im Parteiengesetz schließen. Etwa, dass es Sanktionen geben muss, wenn eine Partei überhaupt keinen Rechenschaftsbericht abgibt. Wichtig wären direkte Kontrollmöglichkeiten für den Rechnungshof, das heißt, er müsste die Parteien auffordern können, Belege vorzulegen, und selbst Einsicht in die Bücher der Parteien nehmen können. Personenkomitees, die Wahlwerbung betreiben, müssten ihre Ausgaben und ihre Spenden melden. Bei bewusster Verschleierung müsste es eine eigene gerichtliche Strafbestimmung geben. Und die Einhaltung der sehr sinnvollen Begrenzung der Wahlwerbungskosten müsste früher, am besten noch vor der Wahl, bekanntgegeben und ihre Überschreitung viel schärfer sanktioniert werden.

ZUR PERSON: Hubert Sickinger Der 1965 geborene Politikwissenschaftler und Jurist, Lehrbeauftragter an der Universität Wien sowie an der Donau-Uni Krems, ist ein ausgewiesener Experte für Parteienfinanzierung: Von ihm stammt das Werk "Politisches Geld. Parteienfinanzierung und öffentliche Kontrolle in Österreich" (Czernin Verlag, 2013) und der 500-Seiten-Wälzer "Politikfinanzierung in Österreich" (Czernin, 2009)

Der Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (26/2019) erschienen.