Was hätten Politiker sagen müssen, damit sich mehr Menschen impfen lassen?

Corona, und (noch) kein Ende. Geimpfte und Ungeimpfte sind sauer, wenn auch aus anderen Gründen. Hätte bessere Krisenkommunikation der Regierung den Zusammenhalt verbessert und den Kampf gegen das Virus erfolgreicher gemacht? Eine Analyse.

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Was hätten Politiker sagen müssen, damit sich mehr Menschen impfen lassen?

Jetzt sind alle sauer. Geimpfte, weil sie "sich an alles gehalten haben" und nun wieder "eingesperrt" sind. Ungeimpfte, weil "testen, testen, testen" doch nicht reicht, nun eine Impfpflicht auf sie zukommt und Bundeskanzler Schallenberg bei ihnen "die Zügel anziehen will." Fast alle, weil die Pandemie doch nicht "gemeistert" ist, keine "coole Zeit" auf uns kommt, auf den "Sommer fast wie damals" ein für viel zu viele tödlicher Herbst gefolgt ist. Und weil nicht "die nächsten zwei Wochen" entscheidend waren, sondern sich Corona endlos dahinzieht. Und, weil uns Politiker - von denen alle Zitate oben stammen -immer wieder Dinge tun lassen, androhen oder versprechen, die dann gar keine Wirkung zeigen.

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Wer als Politiker im Coronazeitalter mit dem Rücken zur Wand steht, sagt, es sei eben leichter, "das Buch von hinten zu lesen". Dennoch: Zur Analyse der Situation muss man zurückblicken und fragen: Wie hätte man mit den Menschen in Österreich reden müssen, damit sie die Maßnahmen mittragen und nicht zu enttäuscht sind, wenn es nicht nach Plan läuft?

»Gelungene Kommunikation richtet sich an das Bauchgefühl«

Die Botschaft hören wir wohl ...

In der Politik geht es darum, Botschaften so zu vermitteln, dass die Menschen sie glauben - und die betreffende Partei wählen. "Framing" nennen das die Experten: "Es geht dabei darum, unseren Blickwinkel auf Dinge zu steuern oder zu manipulieren", erklärt die Kommunikationsberaterin Elisabeth Pechmann. Ein Beispiel für Framing: "Schnelles Autofahren nannte man früher 'sportlich' oder 'zügig'. Heute ist es 'Rasen'." Framing funktioniere, weil Menschen Entscheidungen meist nicht rational von A bis Z durchanalysieren, sondern das Hirn quasi "auf Automatik" läuft. Wir treffen oft Bauchentscheidungen, sagt Pechmann. "Das ist auch gut, sonst würden wir einen halben Tag lang nachdenken, ob wir uns jetzt einen Kaffee holen sollen oder nicht." Gelungene Kommunikation richte sich daher an das Bauchgefühl.

Ein Beispiel, wie Politiker den Blickwinkel manipulieren: Im Wahlkampf 2017 war die Migration das "Narrativ", das über allem stand, erklärt Pechmann. Egal, um welches Problem es ging - Wohnungsmarkt, Gesundheitswesen, Probleme in den Schulen: Von manchen Parteien wurden dann stets "die Ausländer" als Verursacher ins Treffen geführt.

»Besser wäre gewesen: mutig hinein in die Herausforderungen, die die Welt uns stellt«

Wohin wollen wir eigentlich?

Im Coronamanagement hätte es - unabhängig von politischer Taktik - zunächst darum gehen müssen, die richtigen Ziele zu setzen und das richtige Narrativ zu finden, erklärt Krisenkommunikatorin Pechmann. "Die Rückkehr zu unserem normalen Leben, ein 'Sommer wie damals', wie er von Politikern versprochen wurde, ist kein dauerhaft tragfähiges Ziel. So funktioniert die Welt schon lange nicht mehr. Besser wäre gewesen: mutig hinein in die Herausforderungen, die die Welt uns stellt. Das wäre positiv, bestärkend - und ehrlich."

Dazu kamen unklare Botschaften: Lange Zeit wurden Impfen und Testen als gleichwertig angepriesen. Jene Menschen, die "testen, testen, testen" gehen, können erkranken, es wird aber verhindert, dass sie viele Menschen anstecken. Manche hatten aber das Gefühl, wenn sie sich regelmäßig testen lassen, sind sie selbst sicher. Und noch ein handwerklicher Fehler: Als es in Österreich kaum Impfstoff gab, war die Regierungskampagne dafür auf voller Fahrt. Kaum war genug Vakzine da, schlief der Elan der Regierung über den Sommer ein.

Die Geschichte muss passen

Will man das richtige Framing finden, ist tiefgehende Vorarbeit nötig, erklärt Pechmann. "Am Anfang steht, das Mindset der Menschen in Österreich profund zu erkunden." Über Umfragen und Diskussionen in Fokusgruppen hätten Experten herausfinden müssen, welches Narrativ in Österreich am besten funktionieren würde. Die Beraterin weist darauf hin, dass man gute Frames und Wordings "nicht aus dem Ärmel schüttelt. Sie entstehen im aufwändigen kreativen Prozess". Trotzdem skizziert sie Möglichkeiten. Ein "Helfer-Frame" wäre gewesen: "Wir schränken uns ein, damit jene Menschen, die in Corona- und Intensivstationen arbeiten, nicht zusammenbrechen." Oder, wie es zumindest am Anfang in Österreich funktionierte: "Wir schützen unsere alten Eltern und Großeltern." Ein Bedrohungsframe war: "Bald wird jeder jemanden kennen, der an Corona gestorben ist." Je nach Frame passt man die Wortwahl an: "Bei einem Helferframe könnte man den Lockdown als Solidaritätszeit bezeichnen. Bei einem Bedrohungsframe etwa als Schutzschirm", erklärt Pechmann.

»Man hat die Menschen zu den Impfgegnern abdriften lassen. Das war sträflich«

Dass es für beide Frames Beispiele aus der Regierungskommunikation gibt, zeigt ein weiteres Problem auf. Pechmann: "Es gibt bis heute keine einheitliche Kommunikation." Wichtig wäre, sich auf eine Geschichte festzulegen - und dabei zu bleiben. Man könnte mit der geeigneten Erzählung sogar Geimpfte zur Solidarität mit den Ungeimpften motivieren, erklärt die Wirtschaftspsychologin: "Der Ansatz dazu wäre: 'Diese Menschen sind arm, weil sie mit Falschinformationen böswillig fehlgeleitet wurden.'"

Alle Verantwortlichen hätten zudem die Möglichkeit von Konternarrativen, also Kampagnen von Impfgegnern und Coronaskeptikern, viel zu lange ignoriert. "Eigentlich hätten alle viel früher leidenschaftlich gegen Verbreiter von Fake News aufstehen müssen. Man hat die Menschen zu den Impfgegnern abdriften lassen. Das war sträflich", sagt Pechmann. Im gesellschaftlichen Diskurs hätte die Regierung von Anfang an viele Gruppen von den Religionsgemeinschaften bis zu den Sportvereinen besser ins Boot holen und in die Überzeugungsarbeit einbinden können. Auch Aktionismus könnte jetzt noch helfen: "Wo ist das Lichtermeer der Geimpften?" Und, so Pechmann: "Mittels Szenario-Planung muss man sich schon frühzeitig überlegen, was passiert, wenn bestimmte Dinge nicht eintreten. Was tun wir, wenn die Impfquote nicht schnell hoch genug wird? Diese Überlegung haben die Verantwortlichen anscheinend nicht oder jedenfalls viel zu spät angestellt."

Man darf (nur) einmal scheitern

Framing ist riskant, wenn man die falschen Botschaften wählt, die durch die Wirklichkeit konterkariert werden: "Jeder wird jemanden kennen, der an Corona gestorben ist" oder "Die Impfung ist ein Gamechanger" - beides ist nicht eingetreten. Das ist im ersten Fall gut, im zweiten nicht - in jedem Fall leidet aber die Glaubwürdigkeit desjenigen, der das verkündet. Noch schlimmer: Man verkündet Dinge, die schon zu diesem Zeitpunkt eindeutig nicht stimmen. Etwa: "Die Krise ist gemeistert."

»Besserwisserei im Rückblick ist leicht - und unfair«

Die Entscheidungsträger dürfen eine gewisse Milde mit sich selbst walten lassen. Im März 2020 oder im Herbst des Vorjahres wusste man wenig über die Pandemie und musste Entscheidungen treffen. "Besserwisserei im Rückblick ist leicht - und unfair. Aber spätestens seit Ausrollen der Impfung im Jänner oder seit Ende des Lockdowns im Mai 2021 sind die Fehlleistungen der Verantwortlichen auf Bundes- und Landesebene ebenso evident wie unverzeihlich", kritisiert Pechmann.

»Es wird schwierig, wenn die gleichen Frontfiguren einfach nur auf andere Art weiter tun«

Was jetzt in Sachen Glaubwürdigkeit noch helfen würde? "Es wird schwierig, wenn die gleichen Frontfiguren einfach nur auf andere Art weiter tun. Ich würde nach dem Vorbild des Flüchtlingskoordinators von 2015 eine neue Frontfigur aufbauen, die ohne Parteihintergrund glaubwürdig agieren kann." Dafür müsste man im Vorfeld genaue Zuständigkeiten festlegen, Politiker dürften diese Person weder konterkarieren noch überlasten. Dann könnte diese jenes Vertrauen bekommen, das die Regierenden nicht mehr haben.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin (Nr. 47/2021).