Es kommt eine harte Zeit auf uns zu

Die Inzidenzen steigen enorm an, die Intensivstationen sind überlastet. Aber das änderte bis zuletzt nichts an dem türkisen Mantra, wonach Lockdowns für alle nicht mehr in Frage kommen und die Corona-Pandemie für Geimpfte vorbei sei. Warum das nicht stimmt und wie es überhaupt wieder so weit kommen konnte.

von Kurz-Cover © Bild: News

Kurzer Rückblick auf den April 2021. Keine gute Zeit für das Land. Ostösterreich befindet sich immer noch im Lockdown, die Corona-Impf-Aktion läuft nur schleppend an. Regierungschef Sebastian Kurz hat aber auch mit anderen Problemen zu kämpfen. Die gerade öffentlich gewordenen Schmid-Chats werfen ein schlechtes Licht auf den Kanzler und sein Umfeld, im APA/OGM-Vertrauensindex stürzte der ehemalige Liebling der Nation auf Platz vier ab.

»Der Sommer, aber auch die Zeit danach wird eine extrem freudige, intensive und wahrscheinlich auch genussvolle Zeit«

Höchste Zeit für eine gute Nachricht. "Der Sommer, aber auch die Zeit danach", verkündet Kurz dem geplagten Volk, werde "eine extrem freudige, intensive und wahrscheinlich auch genussvolle Zeit". Die Pandemie sei für alle, die geimpft sind, vorbei. Endlich wieder normal leben. Endlich keine Einschränkungen mehr. Die türkis-grüne Bundesregierung habe die Bedrohung in den Griff bekommen, so lautet die Botschaft, die seither bei jeder Gelegenheit wiederholt wird.

Dazu interessant: Die Ankündigungen des Ex-Kanzlers im April 2021

Dabei warnten Experten in einem News-Faktencheck schon damals: Das Virus wird nicht so schnell verschwinden. Und Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober nannte in seiner Abschiedsrede einige Punkte, die ihm, Stand Frühling, nach wie vor Sorgen bereiteten: unvorhersehbare Virusvarianten, die viel zu geringe Impfbereitschaft.

Sieben Monate später ist die Situation völlig eskaliert. Eine blamable Impfquote. Inzidenzwerte, von denen man vor einem Jahr nur albträumen konnte. Überlastete Spitäler. Und auch das böse L-Wort -L wie Lockdown -ist zurück. Für Ungeimpfte bereits Realität, steht nun sogar ein Lockdown für alle wieder im Raum.

»Die politische Aussage ,Für die Geimpften ist es jetzt vorbei', war eine der schlimmsten, die wir in diesem Jahr gehört haben«

Verkürzte Kommunikation

"Die politische Aussage ,Für die Geimpften ist es jetzt vorbei', war eine der schlimmsten, die wir in diesem Jahr gehört haben", sagt der emeritierte Statistikprofessor Erich Neuwirth im News-Interview. Die türkis-grüne Bundesregierung unter Kanzler Sebastian Kurz war berüchtigt für ihre Message Control. Einfache Aussagen, zig Mal wiederholt. Bis es wirklich jeder versteht. Das Problem, das die längste Zeit verschämt verschwiegen wurde: Die Impfwirkung lässt rascher nach als erhofft. Geimpfte tragen ebenfalls zum Infektionsgeschehen bei. Außerdem: Bei niedriger Impfquote sind gesamtgesellschaftliche Anstrengungen notwendig, um die Lage in den Griff zu bekommen.

"Mit der Impfung werden wir im Sommer zur Normalität zurückkehren"
Sebastian Kurz am 8. April im Q&A mit ÖVP-Sprecher Peter L. Eppinger auf Instagram

"Der Sommer - aber auch die Zeit danach - wird eine extrem freudige, intensive und wahrscheinlich auch genussvolle Zeit"
Sebastian Kurz am 8. April im Q&A mit ÖVP-Sprecher Peter L. Eppinger auf Instagram

"Für jeden, der geimpft ist, ist die Pandemie vorbei"
Sebastian Kurz am 12. Juli gegenüber Journalisten in New York

"Wir haben gerade eine Jahrhundert-Pandemie hinter uns"
Sebastian Kurz am 6. September im ORF-Sommergespräch

"Es wird sicherlich keine Lockdowns mehr geben für umgeimpfte Personen"
Sebastian Kurz am 6. September im ORF-Sommergespräch

"Weil die Pandemie vorbei ist"
Gernot Blümel am 13. Oktober in "ZIB 2" auf die Frage, warum "Koste es, was es wolle" nicht für Schülerinnen und Schüler gilt

Parteipolitik über alles

Besorgte Stimmen waren schon im Sommer zu hören gewesen: Die Bundesregierung könnte unpopuläre Corona-Maßnahmen aufschieben, um ein gutes (ÖVP-)Ergebnis bei der oberösterreichischen Landtagswahl nicht zu gefährden. Tatsächlich vergingen mehrere Monate, ohne dass schärfere Maßnahmen verhängt wurden. Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schon längst eine Impfpflicht für Gesundheitspersonal angekündigt hatte - die Impfanmeldungen schossen daraufhin in die Höhe -, schoben Österreichs Politiker nicht nur unangenehme Entscheidungen auf, sondern auch die dringend notwendige Impfkampagne.

Experten als lästige Mahner

Den Virologen wäre es am liebsten, jeden Österreicher und Salzburger in ein Zimmer einzusperren, scherzte Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer zu einem Zeitpunkt, als der Salzburger Mediziner Richard Greil schon tagelang vor einer Überlastung der Spitäler gewarnt hatte. Experten, gewinnt man den Eindruck, werden in Österreich nur dann gehört, wenn es politisch gerade passt. Und sonst als lästige Mahner abgetan. Die Virologin Dorothee von Laer prognostizierte etwa bereits Ende August: "Wenn die Welle nicht bald abflacht, werden wir um einen Lockdown nicht herumkommen."

Land der Länder

Die Bundesländer haben bei der Pandemiebekämpfung viel Gestaltungsspielraum. In Wien herrschen seit vielen Monaten strengere Regeln als in Restösterreich, andere Landesfürsten setzten bewusst auf lockerere Spielregeln. Offenbar in der Hoffnung, dass sich dann doch der Bund - sprich: der grüne Gesundheitsminister - unbeliebt macht und durchgreift, wenn wirklich der Hut brennt.

Streit statt Zusammenhalt

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein versucht ungeschickt, härtere Maßnahmen durchzusetzen, der türkise Koalitionspartner lässt ihn gnadenlos auflaufen. Es gilt offenbar noch immer das Mantra des aus dem Hintergrund wirkenden Ex-Kanzlers Sebastian Kurz: Die Pandemie hat für Geimpfte vorbei zu sein. Egal, was passiert und wie die Zahlen sich entwickeln. Der Streit auf offener Bühne unterhöhlt das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik weiter. Die Aussichten für die nächsten Wochen? Unklar bis düster.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin (Nr. 46/21).