"Die Regeln einzuhalten, ist jetzt wichtiger, als viele glauben"

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein bleibt trotz niedriger Coronazahlen lieber vorsichtig: Die vierte Welle kommt bestimmt, sagt er. Wichtig sei, sie möglichst lange hinauszuzögern und viel zu impfen.

von Wolfgang Mückstein © Bild: News/Ricardo Herrgott

Sind Sie seit den jüngsten Öffnungen bei jedem Wirtshausbesuch kontrolliert worden, ob Sie geimpft, getestet oder genesen sind? Wahrscheinlich ja, weil man Sie kennt, oder?
Also, bei mir hat's funktioniert. Ich war einige Male im Wirtshaus und auch im Fitnesscenter und wurde kontrolliert. Und heute früh (Mückstein greift zu seinem Handy und öffnet einen QR-Code) hab ich den Grünen Pass gleich ausprobiert. Funktioniert! Ich bin zufrieden. Ich bin neugierig, wie viele Kontroll-Apps es geben wird, damit man das in der Gastronomie oder am Flughafen schnell ablesen kann.

Viele sagen, sie werden bei Lokalbesuchen gar nicht kontrolliert. Ist Schlendrian die richtig Haltung für den Coronasommer Nr. 2?
Wir können nur ein Regelwerk auf Basis von Zahlen und Prognosen machen. Bei einer derzeitigen Sieben-Tage-Inzidenz von zwölf und nicht einmal hundert Menschen auf den Intensivstationen melden natürlich viele Bereiche von der Kultur bis zum Handel ihre Wünsche an. Wir haben knapp fünfzig Prozent der Bevölkerung geimpft, dreißig Prozent sogar vollimmunisiert. Aber natürlich ist die Voraussetzung dafür, dass alles wieder möglich ist, dass sich die Bevölkerung an die ohnehin nur noch wenigen Regeln hält. Ich habe das letzte Woche auch mit der Nachtgastronomie diskutiert: Wenn sich Betreiber und Türsteher an die 3-G-Regel halten, ist die Nachtgastronomie ein sicherer Ort. Wenn dort um zwei Uhr Früh jemand betrunken reinwackelt, dann werden wir dort die ersten Hotspots haben und reagieren müssen. Ich werde oft nach einer Prognose für September gefragt: Ich bin kein Prophet, aber ich weiß, es wird stark davon abhängen, wie wir uns selber verhalten. Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker hat den Vorschlag gemacht, dass nur Geimpfte in die Disko dürfen. Das geht leider nicht.

Weil da nur eine Seniorendisko möglich wäre?
Es geht gesetzlich nicht. Wir haben Genesene, Geimpfte und Getestete gleichgestellt. Da kann man nicht sagen, man erlaubt gewisse Dinge nur den Geimpften. Aber die Wiener können strengere Regeln etwa bei der Sperrstunde oder durch eine kürzere Gültigkeit der Antigen-Tests erlassen. Das ist ja der Sinn von regionalen Maßnahmen.

Wien läutet schon die Alarmglocken und warnt vor einer vierten Coronawelle. Die Bundesregierung, allen voran der Kanzler, macht derweil auf locker. Sind Sie mehr bei der Vorsicht oder bei der Lockerheit?
Bei der Vorsicht natürlich. Wir wissen alle nicht, was in fünf Wochen sein wird. Wir werden voraussichtlich im September oder Oktober in eine vierte Welle kommen. Die wird nicht so dramatisch sein wie letzten November. Aber sie wird kommen, und es wird wohl die Delta-Variante des Virus sein, die sich zunehmend ausbreitet. Da müssen wir alle genau hinschauen. Darum setzen wir unsere Schritte ja in Drei-Wochen- Intervallen. Für mich ist offen, was nach dem 22. Juli passiert. Was wir wissen, ist: Wir sind mit den Entwicklungen bei der Delta-Variante etwa zwei Monate nach England und Portugal. Diese zwei Monate sind, was das Impfen betrifft, sehr viel.

Wolfgang Mückstein
© News/Ricardo Herrgott

Warum gibt man den Menschen dann jetzt das Gefühl, dass Corona vorbei ist? Das ist ja fast so, als hätten Sie als Arzt einem Patienten gesagt: "Sie haben zwar einen hohen Blutdruck, aber im Sommer sind fünf Schnitzel pro Tag okay."
Eher ist es so, dass dieser Patient noch keinen hohen Blutdruck hat, aber wir sagen ihm: Wenn er fünf Schnitzeln pro Tag isst, wird er Ende Juli Gesundheitsprobleme haben - um bei diesem Bild zu bleiben. Ich glaube tatsächlich, wenn sich die Bevölkerung an die Regeln hält, können wir die Delta-Welle so weit hinauszögern, dass ein substanzieller Anteil der Bevölkerung geimpft sein wird. Wir haben derzeit im Schnitt 81.000 Impfungen pro Tag. Das ist schon ganz mächtig. Und Pfizer hat sich bisher an seine Lieferzusagen zu hundert Prozent gehalten. Das heißt: Wir können bis Schulanfang 70 Prozent der Bevölkerung vollimmunisieren.

Der "Spiegel" berichtete zuletzt von Lieferproblemen von Pfizer in Deutschland. Betrifft das nicht auch Österreich?
Ich gehe weiter von verlässlicher Lieferung aus. Aber ich bin auch vorsichtig. Deshalb steht ja im Gesetz, dass wir erst dann Impfstoff an andere Länder verschenken dürfen, wenn der Bedarf in Österreich gedeckt ist. Wir verimpfen alles, was da ist. Die Jungen sollten sich - noch einmal Stichwort Nachtgastronomie, wo derzeit noch schlecht Immunisierte auf engem Raum zusammenkommen könnten - überlegen, ob sie das Thema nicht mit zwei Impfungen erledigen.

Was, wenn die Menschen im Sommer lieber Urlaub machen, anstatt ans Impfen zu denken?
Aber es ist doch zunehmend ein Tanz: Am Sonntag wollten meine Töchter ins Bad, der Schulpass gilt da aber nicht. Da ist doch die Impfung viel einfacher. Ich hoffe, dass eine gewisse Dynamik entsteht, dass es zum guten Ton gehören wird, dass man seinen Grünen Pass mithat. Da ist das Impfen das Einfachste. Man hat nur ein oder zwei Mal den Aufwand, und dann ist eine Ruh.

Viele Menschen, die keine Impfskeptiker sind, zögern, wenn es um die Impfung für ihre Kinder geht. Was sagen Sie denen?
Ich kann das verstehen. Kinder erkranken zwar nicht schwer an Covid, aber das heißt nicht, dass sie nicht erkranken. Es hat auch Kinder auf der Intensivstation gegeben. Long Covid betrifft Kinder genauso wie Ältere. Es gibt also schon einen Grund, Kinder zu impfen. Ich merke, dass die Impfskepsis abnimmt, je mehr Leute man kennt, die geimpft sind. Die haben halt einen Tag Kopfweh oder Fieber gehabt, die Impfung aber sonst gut vertragen. Das wird auch bei den Kindern so sein. In den USA und Kanada sind bereits 700.0000 Kinder geimpft, es gibt für BioNTech/Pfizer die Zulassung der EMA und auch in Österreich zunehmend geimpfte Kinder. Aber ich verstehe, dass man vorsichtig ist. Man muss ja die Kinder auch nicht gleich impfen lassen. Jetzt sollen sich einmal die Erwachsenen impfen lassen. Aber bis Schulbeginn wäre es schon fein, weil dann hätten wir ein Problem weniger. Und ob man die ganz Kleinen wird impfen müssen - selbst wenn es eine Zulassung dafür gibt, sage ich jetzt einmal als praktischer Arzt, das glaube ich nicht.

Ihre Töchter werden geimpft?
Die wollen das und werden.

Sie haben den Schulbeginn schon angesprochen: Werden die Schulen im Herbst offen bleiben?
Das wird vom Pandemieverlauf abhängig sein. Das Hauptproblem sind ja nicht die Kinder, sondern eventuell ungeimpfte Eltern und Großeltern. Wenn die Kinder auf ein sicheres Umfeld treffen, ist das Problem schon nur noch halb so groß. Wir haben jetzt noch den ganzen Sommer Zeit, zu impfen. Die Impfbereitschaft liegt bei 70 Prozent. Und irgendwann beginnt dann auch die Selbstverantwortung der Menschen. Wir können die Impfung nur anbieten. Also: Man muss im Herbst schauen, welche Rolle spielen die Kinder, tragen sie das Virus in Gruppen, die ungeschützt sind? Das werden wir dann beurteilen.

Dass womöglich nur Geimpfte in die Schule dürfen?
Ich kann ich mir nicht vorstellen, dass man Kinder nicht in die Schule lässt. Aber dann müssen wir halt wieder testen. Wien macht das mit den PCR-Tests wirklich sehr gut. Ich kann den Ländern nur raten, dass sie viel PCR-testen.

"Alles gurgelt" sollte man auf die Länder ausrollen?
Genau. Das muss der Plan sein, damit man schnell reagieren kann, wenn sich eine neue Welle ankündigt. Derzeit haben wir noch wenige Delta-Fälle, aber sie nehmen zu. Mit PCR-Tests und Abwasser-Monitoring haben wir ein sehr enges Sicherheitsnetz. Aber Prognosen, die über den 22. Juli hinausgehen, sind schwierig. Der Präsident der Ärztekammer warnt ja schon davor, die gleichen Fehler zu machen wie im Vorjahr. Auf der anderen Seite gibt es politische Parteien, die sagen, weg mit den Masken und allem, lassts uns in Frieden. Dazwischen müssen wir Entscheidungen treffen. Wichtig ist dabei die Kommunikation, sonst kennt sich keiner mehr aus. Es wird ja jetzt schon gemutmaßt, dass die FFP-2-Masken ab 22. Juli fallen.

Der Bundeskanzler ist damit vorgeprescht.
Sicher ist nur, dass die Masken entweder bleiben oder fallen. Aber sicher ist auch, dass wir das erst später sagen können, wenn wir Daten haben, wie sich die Delta-Variante ausbreitet. Dann können sich die Leute darauf einstellen. Die Maskenpflicht im Handel ist ja auch nicht so dramatisch.

Haben Sie sich schon an die merkwürdigen Gesetze der Politik gewöhnt? Etwa, dass Politiker gerne Dinge verkünden, die noch gar nicht so fix sind?
Na ja. Ich glaube, bei allen Öffnungsschritten ist eine gute Kommunikation wesentlich. Das schafft Vertrauen. Welchen Sinn hat das, wenn ich bestimmte Dinge mache, wird mir das erklärt, kenn ich mich aus. Daher ist es ganz wichtig, dass man nachvollziehbare Entscheidungen trifft und dann auch eintrifft, was man sagt. Die Leute wollen nicht wissen, was vielleicht sein könnte, sondern sie wollen wissen, was passiert. Und das kann man eben derzeit nur relativ kurzfristig sagen.

In den letzten eineinhalb Jahren gab es viele Ankündigungen, die nicht eintrafen.
Das habe ich mitbekommen, und daher möchte ich haben, dass sich das mit mir als Minister ändert. Die Leute sollen sich darauf verlassen können, dass wir so vorsichtig sind, dass wir Dinge, die in relativ naher Zukunft passieren, auch einhalten können. Das gilt auch beim Grünen Pass. Der ist in Wirklichkeit ein Erfolgsprojekt, die EU hat in drei Monaten die gesetzlichen und technischen Voraussetzungen geschaffen. Das ist wirklich eine tolle Leistung gewesen, das muss man einmal sagen. Ich habe mich gegen einen österreichischen Grünen Pass gewehrt, weil er keinen Sinn hat. Ich habe mich gegen ein früheres Datum gewehrt, weil der Pass am 1. Juli fertig sein muss. Er ist jetzt schon fertig. Alles ist gut gegangen, außer, dass ständig in der Zeitung gestanden ist, was schon wieder nicht funktioniert. Ich hätte mir gewünscht, dass man das vorsichtiger und positiver darstellt. Österreich ist da wirklich gut. Das meine ich mit guter Kommunikation.

Haben Sie sich auch schon daran gewöhnt, dass Sie als zuständiger Minister aus Koalitionsräson Dinge mittragen müssen, auch wenn Sie eigentlich anderer Meinung sind? Zuletzt mussten die Grünen gegen ein Verbot von Vollspaltenböden in der Schweinemast sein. Aber es gibt noch viele andere Beispiele.
Zunächst einmal gibt es ein Regierungsübereinkommen, an das müssen sich beide Partner halten. Bei den Böden sehe ich, dass es durchaus Bereitschaft der Bauern gibt, hier etwas zu ändern, und mein Ansatz ist, dass wir einen gemeinsamen Weg finden. Warum sich die Landwirtschaftskammer gegen diesen Prozess stellt, erschließt sich mir nicht. Das ist ein ideologisches Problem.

Ideologie versus Sachpolitik: Wie geht es einem Quereinsteiger in die Politik damit?
Ich glaube, man muss ein gewisses Vertrauen in den jeweils anderen haben. Das ist die Voraussetzung, dass man etwas erfolgreich verhandeln kann. Bei dem Thema Vollspaltenböden ist einfach sehr viel Emotion im Spiel. Aber die Bauern merken, dass sich etwas ändern muss, und sind durchaus bereit dazu, wenn sie einen Weg sehen.

Man hat den Eindruck, Sie sind pragmatischer als Ihr Vorgänger Rudolf Anschober. Ist das so?
Ich glaube, Pragmatismus gehört dazu. In der Sache und in der Diskussion sind durchaus Emotionen angesagt. Aber öffentlich streiten hat keinen Sinn, führt nicht zu Lösungen und verunsichert die Leute.

Sie machen aber schon auch öffentlich Ihre Standpunkte klar: etwa, als es um Termine für weitere Öffnungen ging.
Ja, das war mir wichtig. Wenn zum Beispiel Staatssekretär Magnus Brunner sagt, der Grüne Pass kommt am 24. Mai, und dafür nicht einmal ressortzuständig ist, dann ist das einfach nicht schlau, weil es die Leute verunsichert und ein erfolgreiches Projekt angeschossen wird.

Noch eine Gewöhnungsfrage: Vor dem Ministerium steht die Polizei. Haben Sie sich schon daran gewöhnt?
Ich habe keinen persönlichen Polizeischutz. Aber, ich habe es da auch leichter als Rudi Anschober. Ich kann Öffnungsschritte setzen. Anschober hat in den letzten 15 Monaten viel geleistet, auf dem ich aufbauen kann. Er hat neben der Coronapandemie auch noch Reformen angestoßen, etwa bei der Pflege. Insofern hab ich es leichter als er.

Wie wird Ihr Sommer? Trauen Sie sich, auf Urlaub ins Ausland zu fahren?
Wir fahren eine Woche nach Italien. Eine Woche im Juli ist noch offen. Ich trau mich schon ins Ausland. Ja.

Wird über den Sommer damit nicht das Virus einmal in ganz Europa "durchgequirlt", und dann heißt es wieder: "Das Virus kommt mit dem Auto", aus Kroatien oder sonst wo her?
Das Virus wird mit dem Auto, der Bahn und dem Flugzeug kommen. Die Reisetätigkeit wird das Virus in Europa vertragen. Aber was wäre die Alternative? Dass man die Grenzen dicht macht? Deswegen muss man eben weiter impfen und Regeln schaffen und diese befolgen. Was ist dabei, wenn man sich registriert, wenn man zwei, drei Stunden im Gasthaus sitzt? Na, mein Gott. Man muss da nicht Max Mustermann hinschreiben. Es wäre gut, wenn wir das alle gemeinsam jetzt noch machen. Wir haben uns schließlich auch die Öffnungsschritte bisher gemeinsam erarbeitet. Die Regeln einzuhalten, ist jetzt wichtiger, als viele glauben.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 25-26/21