Doug Lemov - der Schulverbesserer

Der amerikanische Pädagoge Doug Lemov hat eine Mission: Er will Unterricht radikal besser machen, vor allem an Schulen, die viele sozial benachteiligte Kinder besuchen. Sein Bestseller "Teach Like a Champion" ist seit April 2023 auf Deutsch erhältlich.

von Doug Lemov, Lehrer
© Bild: News/Ricardo Herrgott

"Zu Beginn meiner Laufbahn war ich ein wirklich schlechter Lehrer", sagt Doug Lemov. "Ich unterrichtete in einer reichen, privilegierten Schule. Deswegen merkte ich gar nicht, wie schlecht ich war." Dann wechselte er an eine innerstädtische Problemschule, und auf einmal war alles anders. "Die Kinder haben einfach nicht gemacht, was ich von ihnen wollte. Bis eine erfahrene Lehrerin in mein Klassenzimmer spaziert ist und mich auf eine ganz einfache Sache hingewiesen hat. Sie sagte: 'Wenn du Anweisungen gibst, während du die Arbeitsblätter austeilst, wirkt es so, als wären die Anweisungen nicht wirklich wichtig. Gib zuerst genaue Anweisungen und teile anschließend die Blätter aus.' Und plötzlich hat es funktioniert! Ich musste niemanden mehr anschreien. Ihr Rat war unglaublich wertvoll."

Was ist ein guter Lehrer?

Lemov, ein kräftig gebauter 56-Jähriger, passionierter Hobbyfußballspieler, ist in der Lehrerwelt so etwas wie ein Guru. Vor 20 Jahren, noch unter dem Eindruck seiner eigenen durchwachsenen Unterrichtserfahrungen, begann er, sich mit der Frage zu beschäftigen, was einen guten Lehrer bzw. eine gute Lehrerin eigentlich ausmacht. Er ging statistisch vor. Wo im Bezirk New York gab es Schulen, die trotz nachteiliger sozioökonomischer Umstände ausgezeichnete Ergebnisse bei Leistungstests erreichten?

Lemov suchte diese Schulen auf und filmte den Unterricht besonders erfolgreicher Lehrerinnen und Lehrer mit der Videokamera. Aus diesen Beobachtungen entstand der Bestseller "Teach Like a Champion". Eine Sammlung pädagogischer Methoden, die es Lehrpersonen ermöglichen sollen, ihren Unterricht effizienter zu organisieren und den Schülerinnen und Schülern mehr beizubringen. Also: besseren Unterricht anzubieten. Im Sinne sowohl der Kinder als auch der oft überforderten Lehrerinnen und Lehrer.

Das Buch:

Doug Lemovs Bestseller ist seit April 2023 unter dem Titel "Unterrichte wie ein Champion" auf Deutsch erhältlich. Es enthält 63 Techniken, um Schüler zum Lernen zu bringen, und Zugang zu mehr als 100 Begleitvideos.*

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Gemeinsam mit dem Buch stellte Lemov Zusammenschnitte seiner Videos zur Verfügung - Anschauungsbeispiele gelungenen Unterrichts. Eines zeigt die Lehrerin Maggie Johnson beim Literaturunterricht in einer achten Klasse an der Troy Prep Middle School im Bundesstaat New York. Sie stellt ihrer Klasse eine Frage. Die ersten Hände schießen in die Höhe, noch bevor sie fertig gesprochen hat. Aber Maggie nimmt nicht die üblichen Verdächtigen dran. Sie wartet mehrere Sekunden mit aufmunterndem Gesichtsausdruck, bis auch zahlreiche andere Kinder aufgezeigt haben.

Viele Lehrer machen den Fehler, ohne Wartezeit die immer gleichen Schüler aufzurufen, sagt Lemov. Für alle anderen sei das demotivierend, sie klinken sich aus dem Unterricht aus. Die paar Sekunden, die Maggie in dem Video auch den langsameren oder schüchternen Kindern in der Klasse gibt, würden einen großen Unterschied machen, behauptet Lemov. Die Technik wird in seinem Buch "Wartezeit" genannt. Andere heißen "Aktives Beobachten" oder "Das Tempo ändern". Lauter kleine Schrauben, an denen gedreht werden kann, um den Unterricht zu verbessern.

Tatsächlich gibt es Evidenz dafür, dass Lemovs "Toolbox", also Werkzeugkiste, für Lehrpersonen äußerst wirkungsvoll ist. Seine Methoden kommen auch in den Uncommon Schools zum Einsatz, einer gemeinnützigen Schulverwaltungsorganisation an der US-Ostküste, deren Geschäftsführer Lemov ist. 84 Prozent der Kinder, die Uncommon Schools besuchen, kommen aus sozial benachteiligten Familien. 99 Prozent schaffen es nach Angaben der Organisation anschließend auf ein College. Eine verblüffende Bilanz, die nicht zuletzt auf Lemovs Ideen von pädagogischem Leadership zurückzuführen ist. Die aber auch ihre Schattenseiten haben, finden Kritiker.

»Soziale Gerechtigkeit bedeutet für mich radikal besseren Unterricht«

Zu streng

Der Unterrichtsstil sei zu streng. Und manche erleben es als rassistisch, wenn hauptsächlich weiße Lehrer hauptsächlich farbigen Kindern sehr bestimmt sagen, was sie zu tun haben. Lemov geht auf diese Vorwürfe in der dritten, überarbeiteten Version seines Buches ausführlich ein. Er argumentiert: "Soziale Gerechtigkeit bedeutet für mich radikal besseren Unterricht." Und: "Es bedeutet, junge Menschen genug zu lieben, um sie warmherzig und menschlich anzutreiben, härter zu arbeiten, als sie es vielleicht von sich aus tun würden." Damit sie irgendwann Wissenschaftler, Anwälte, oder Regierungschefs werden können.

Wie streng muss guter Unterricht sein? "Es muss nicht unbedingt streng zugehen, aber geordnet", erklärt Lemov im News-Interview seinen Zugang. "Viele Leute verstehen nicht, dass so mehr Freiheiten für die Schüler entstehen. Wenn es nicht geordnet zugeht, lachen die Kinder über den Lehrer oder sie lachen übereinander. Das erzeugt eine Atmosphäre, in der Angst entsteht, sich offen zu äußern. Ich finde die Freiheit, die durch geordnete Verhältnisse im Klassenzimmer entsteht, wichtiger als die Freiheit, Witze auf Kosten anderer zu machen."

Lemovs Ideen fallen auch in Europa auf fruchtbaren Boden. Roland Bernhard, Professor an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems (KPH), forschte zwischen 2018 und 2020 an der Universität Oxford über die "London Challenge", ein Programm der damaligen Labour-Regierung, um Problemschulen in den Ballungsräumen - sogenannte "failing schools" - zu verbessern. Was in den folgenden Jahren geschah, mutet wie ein Wunder an: Viele dieser Schulen schafften binnen weniger Jahre einen radikalen Kurswechsel und erreichten bei nationalen Leistungstest auf einmal hervorragende Ergebnisse.

Bernhard interviewte 22 Führungskräfte an elf dieser Schulen, um herauszufinden, wie sie den Turnaround geschafft hatten. Zwei wichtige Erkenntnisse: Die Schulen entwickelten allesamt eine sehr klare Vision davon, was sie erreichen wollen, nämlich sozial benachteiligte Kinder zu fördern und weiterzubringen. Und sie legen großes Augenmerk auf die ständige Weiterentwicklung ihrer Lehrkräfte. Ein Direktor nannte explizit Lemovs "Teach Like a Champion" als Grundlage der erfolgreichen Unterrichtsentwicklung an seiner Schule im Zentrum Londons. Alle Lehrer an der Londoner Schule würden Lemovs Techniken in ihrem Unterricht anwenden, erzählte er Bernhard. Mit dem Effekt, dass die frühere Brennpunktschule, die bei Tests regelmäßig sehr schlecht abschnitt, heute zu den besten der Stadt gehört.

Teach for Austria

Die Organisation Teach For Austria verwendet Doug Lemovs Methodensammlung schon seit Jahren, um Quereinsteiger in den Lehrberuf für ihren Einsatz an Mittelschulen und Polytechnischen Schulen vorzubereiten. Sophie Blohberger arbeitete in ihrem früheren Leben als Konditorin und in einer KZ-Gedenkstätte. Seit 2019 ist sie Lehrerin an einer Neuen Mittelschule in Niederösterreich. Im Rahmen der intensiven "Leadership-Ausbildung", die sie vor ihrem Einsatz in der Schule absolvierte, wurde sie mit "Teach Like a Champion" vertraut gemacht. "Uns wurden an die 20 Methoden vorgestellt, die wir dann üben und vertiefen konnten", erzählt sie. "Wie wertvoll das war, ist mir eigentlich erst im Nachhinein klar geworden. Ich habe einige der Methoden fest in meinen Unterricht integriert. Es dauert zwar immer eine Weile, diese Routinen einzulernen, aber wenn das gelungen ist, hat man viel mehr Zeit und Freiräume. Man kann sich um die Schülerinnen und Schüler kümmern und läuft nicht von einem Chaos in das nächste."

Es seien scheinbar einfache Dinge, die doch große Wirkung zeigten. Wo sie im Klassenzimmer stehe. Wie sie Fragen stelle. Ob das bei den Kindern als Drill oder als angenehme Unterrichtsatmosphäre ankomme, hänge von der Haltung der Lehrperson ab, meint sie. "Wenn ich den Schülerinnen und Schülern zugewandt bin und das Beste für sie will, besteht keine Gefahr, dass das in die falsche Richtung geht."

Sophie Blohberger findet: Techniken zur besseren Klassenführung gehören in jeder Lehrerausbildung verankert. Und dass Lehrpersonen viel mehr Austausch und Feedbackkultur brauchen.

»Lehren ist ein einsamer Beruf. Man redet kaum mit anderen Erwachsenen über sein Handwerk«

Lehrermangel

Nicht umsonst gilt in Doug Lemovs Uncommon Schools eine Open-Door-Policy: Die Türen zu den Klassenzimmern stehen während des Unterrichts offen, Beobachter können jederzeit kommen und gehen. "Wenn wir besser werden wollen, müssen wir einander beobachten und Feedback geben", sagt Lemov. "Lehren ist ein einsamer Beruf. Man redet kaum mit anderen Erwachsenen über sein Handwerk und seine Fertigkeiten. Damit sind aber zwei Probleme verbunden: Erstens, man wird nicht besser, und es macht, zweitens, nicht so viel Spaß, wie es könnte. Wenn wir Menschen ein gemeinsames Vokabular geben, eine Möglichkeit, über das Unterrichten zu sprechen, lernen sie schneller und es wird zu einer Teamarbeit, die viel erfüllender ist."

Damit, meint er, wäre auch dem Problem des Lehrermangels - das mittlerweile eine ernste Bedrohung für die Qualität des österreichischen Bildungssystems darstellt - zu begegnen. "Ich kann Ihnen genau sagen, welche Fehler Junglehrer machen, wenn sie zu unterrichten beginnen. Wenn wir das wissen, warum bereiten wir sie dann nicht besser vor? Wenn sie Erfolgserlebnisse haben und das Gefühl, ihren Beruf zu beherrschen, wechseln sie auch nicht so schnell den Job."

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 22/2023 erschienen.