Brandstetter bereut Chats nicht

Ex-Justizminister trat als Verfassungsrichter zurück

Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter zieht sich als Verfassungsrichter zurück, wie er am Donnerstag mitteilte. Brandstetter war wegen publik gewordener Chats mit dem suspendierten Sektionschef Christian Pilnacek unter Druck geraten. Reue zeigt er allerdings nicht: "Ein privates Gespräch und öffentliche Äußerungen sind gänzlich verschiedene Dinge", sagte er in einer Stellungnahme.

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Chat-Affäre - Brandstetter bereut Chats nicht

VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter hatte Brandstetter am Donnerstag zu einer Aussprache gebeten, die noch diese Woche stattfinden sollte.

In einer schriftlichen Stellungnahme, die über seinen Anwalt Georg Krakow verbreitet wurde, erklärte Brandstetter: "Tatsache ist, dass faktisch eine Situation eingetreten ist, in der ich dem VfGH am besten dienen kann, indem ich mich von meiner Funktion zurückziehe." Er werde daher den Gerichtshof nach Fertigstellung laufender Akten mit Wirkung vom 1. Juli verlassen und habe das dem Präsidenten bereits mitgeteilt. Grabenwarter nahm den Rückzug in einer schriftlichen Stellungnahme "zur Kenntnis". Der plangemäße Ablauf der nächsten Beratungen des Gerichtshofes, die am 7. Juni beginnen, sei dadurch nicht beeinträchtigt.

VfGH-Präsident: Ich war "erschrocken und bestürzt"

VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter will nach dem Rücktritt von Brandstetter einen "Schlussstrich" unter die Causa ziehen. Er sei "erschrocken und bestürzt" über den Inhalt der Nachrichten gewesen, sagte er am Freitag im Ö1-Morgenjournal.

»Herabwürdigende Äußerung über Menschen aus Gründen ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihrer beruflichen Tätigkeit haben in einer demokratischen Debatte keinen Platz «

"Herabwürdigende Äußerung über Menschen aus Gründen ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihrer beruflichen Tätigkeit haben in einer demokratischen Debatte keinen Platz und in einer demokratischen Gesellschaft sollte dafür kein Raum sein", betonte Grabenwarter. Nach dem Bekanntwerden habe er sich zunächst mit Kollegen ausgetauscht und nach einer Sitzung mit Brandstetter Kontakt aufgenommen. Für heute, Freitag, Vormittag sei noch ein Gespräch vereinbart.

Brandstetters Rücktritt habe auch ihn "davon entbunden, einzelne Äußerungen zu analysieren", meinte Grabenwarter. Jetzt gelte es einen "Schlussstrich" unter eine "unerfreuliche Entwicklung" zu ziehen und in die Zukunft zu schauen. Die Äußerung Pilnaceks, wonach dieser einem "vom VfGH fehlgeleiteten Rechtsstaat" nicht mehr "dienen" könne, sei aufs Schärfste zurückzuweisen, so Grabenwarter. Der VfGH leite den Rechtsstaat nicht fehl, sondern sei eine "große Stütze". Inhaltliche Kritik sei aber "völlig legitim". Etwa sei ja die Sterbehilfe eine schwierige Entscheidung gewesen, in der juristisches Neuland betreten worden sei.

Wesentlich sei nun, dass auf "derartige Äußerungen" eine entsprechende Reaktion und eine zivilgesellschaftliche, mediale Diskussion komme. Und dies sei der Fall, weswegen er die Situation "entspannter" sehe. "Wir erleben die Diskussion gerade", sagte Grabenwarter. Darin, dass Höchstrichter und VfGH-Mitglieder von politischen Organen ernannt werden, sehe er kein Problem. Das sei "auf der ganzen Welt" so. Wichtig sei aber, dass man Loyalitäten jenen gegenüber abstreift, von denen man gewählt wurde, teilte Grabenwarter mit.

Justizministerium prüft Nachtragsanzeige

Justizministerin Alma Zadic wartet hingegen auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die Suspendierung Pilnaceks - und erwog angesichts des Chats eine Nachtragsanzeige. Was in der Nachtragsanzeige vorgebracht werden soll, wollte man im Zadic' Büro am Freitag nicht verraten - auch nicht ob es, wie im ORF-"Mittagsjournal" berichtet, um rassistische oder sexistische Äußerungen über Verfassungsrichterinnen gehen könnte oder Pilnaceks im Chat angesprochenen Einsatz für einen hochrangigen Justiz-Posten für seine Frau.

»Es tut dem Land nicht gut, wenn öffentlich mit Gift und Galle Menschen in öffentlichen Funktionen angegriffen und angepatzt werden«

Kritik an Veröffentlichung der Chats

Brandstetter übte indes auch Kritik an der Veröffentlichung der Unterhaltungen zwischen ihm und Pilnacek: "Es tut dem Land nicht gut, wenn öffentlich mit Gift und Galle Menschen in öffentlichen Funktionen angegriffen und angepatzt werden. Ein privates Gespräch unter Freunden und öffentliche Äußerungen sind gänzlich verschiedene Dinge." Bereut wird der Chat vom scheidenden Richter nicht: "Wenn Pilnacek Frust abgelassen hat, wollte ich ihm als Freund nicht gleich mit dem Stellwagen ins Gesicht fahren." Es werfe der den ersten Stein, der noch nie in einer privaten Unterhaltung "eine spaßhafte oder nicht ganz korrekte Bemerkung" gemacht habe, meinte Brandstetter im "Kurier".

Wie aus den Protokollen, die dem U-Ausschuss übermittelt wurden und prompt den Weg an die Öffentlichkeit gefunden haben, hervorgeht, hat sich Brandstetter, der dem VfGH seit Februar 2018 angehörte, mit Pilnacek auch über Entscheide des Höchstgerichts ausgetauscht, konkret z.B. zum Thema Sterbehilfe. Zudem waren in den Unterhaltungen seitens Pilnaceks abwertende Aussagen über Verfassungsrichterinnen gefallen und der Sektionschef hatte davon gesprochen, dass man den VfGH nach Kuba exportieren könnte.

Verdacht der Verletzung des Amtsgeheimnisses

Brandstetter stand als Verfassungsrichter schon länger in der Kritik, weil gegen ihn wegen des Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses ermittelt wird. Zuletzt ließ er sich krankheitsbedingt am Höchstgericht vertreten, einen Rückzug lehnte er ab. Auch am Donnerstag betonte er seine Unschuld. Klar sei, dass alle nunmehr öffentlich gemachten privaten Unterhaltungen keinerlei belastende Indizien in dem Verfahren enthielten - "im Gegenteil, es wird klar, dass der formulierte Tatverdacht sich entkräftet hat".

Reaktionen zum Rücktritt

Der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried zeigte sich in einer Stellungnahme gegenüber der APA zufrieden, dass Brandstetter das Höchstgericht verlässt. Dieser sei wohl seinem Ausschluss aus dem VfGH zuvorgekommen und habe die notwendigen Konsequenzen gezogen. Die SPÖ habe Kanzler Sebastian Kurz schon damals massiv kritisiert, als er den Ex-Justizminister und Kurzzeit-Vizekanzler zum Richter gemacht habe. Brandstetter sei der erste aus der türkisen Familie, der zurücktreten müsse, weitere wie ÖBAG-Chef Thomas Schmid und Finanzminister Gernot Blümel müssten folgen.

Ganz ähnlich die Reaktion vom freiheitlichen Fraktionschef im U-Ausschuss Christian Hafenecker in einer Aussendung. Höchst überfällig sei Brandstetters Rücktritt. Die "Wehleidigkeit", die er in seiner Begründung dafür zelebriere, sei höchst bezeichnend für den Umgang der ÖVP mit Demokratie und Rechtsstaat.

Die Volkspartei wiederum richtete Brandstetter über ihren Generalsekretär Axel Melchior Dank für seine Leistungen in unterschiedlichsten Funktionen aus. Seinen Rückzug nannte Melchior eine persönliche Entscheidung. Er wünsche Brandstetter für seine Zukunft alles Gute.

Die Grünen begrüßten am Freitag den Rücktritt von Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter (ÖVP) nach Bekanntwerden seines Chats mit Sektionschef Christian Pilnacek. Dieser Chat sei "inakzeptabel" gewesen und der Rückzug Brandstetters auch angesichts der Ermittlungen gegen ihn alternativlos, meinte Klubchefin Sigrid Maurer in einer Stellungnahme.