Bablers Gegner

Der Bürgermeister von Traiskirchen hat Chancen, SPÖ-Vorsitzender zu werden. Der selbstbewusste Linke steht für Veränderung. Das mögen nicht alle Genossen.

von Politische Analyse - Bablers Gegner © Bild: Privat

Analyse

Andreas Babler ist unterschätzt worden. Als Bürgermeister von Traiskirchen, wo sich ein großes Erstaufnahmezentrum für Flüchtlinge befindet, zeigt er zwar, dass man auch ohne Stimmungsmache gegen Asylwerber erfolgreich sein kann. Darüber hinaus aber war er nicht bekannt dafür, zum Beispiel bei Fernsehauftritten in wenigen Sätzen auf den Punkt zu kommen. Zu gerne verlor er sich irgendwo. Was ein Problem ist, wenn man SPÖ-Vorsitzender und Bundeskanzler werden möchte.

Und überhaupt: Zu sicherheitspolitischen Fragen, auf die es dabei unter anderem ankommen würde, habe er keinen Plan, hieß es. In ersten Interviews brachte er dann aber im Unterschied zu zahlreichen Funktionären immerhin ein paar unzweifelhafte Botschaften zusammen. Etwa zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine: Russland sei der Aggressor, die Ukraine gehöre unterstützt.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil müssen sich warm anziehen: Sie ist ursprünglich davon ausgegangen, sich mithilfe des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig im Amt behaupten zu können. Doskozil glaubte, sie über eine Mitgliederbefragung ablösen zu können. Seit Babler angekündigt hat, ebenfalls zu kandidieren, wächst bei beiden jedoch die Ungewissheit. Am Ende könnte er vorne liegen.

Der Grund ist simpel. Mit Babler geht etwas einher, was es in der Sozialdemokratie zuletzt allenfalls unter Christian Kern gegeben hat: ein Hype an der Basis. Der 50-Jährige begeistert Genossen, weil er selbstbewusst linke Positionen vertritt, von einer Reichensteuer bis hin zu einer 32-Stunden-Arbeitswoche bei vollem Lohnausgleich.

In der Partei gefällt das aber nicht allen. Schon Kern ist mit dem Versuch, eine inhaltliche Neuausrichtung vorzunehmen, vor allem auch an Widerständen aus den eigenen Reihen gescheitert. Wie Kern ist Babler im Übrigen nicht der Mann von Michael Ludwig, dem mächtigsten Sozialdemokraten. Und mit Doskozil verbindet ihn ebenso wenig wie Rendi-Wagner mit diesem. Das Ergebnis ist bekannt.

Das macht die Sache schwierig: Als Vorsitzender müsste Babler die SPÖ sehr schnell ins Kanzleramt führen, um intern zumindest vorübergehend quasi unangreifbar zu werden. Allein: Linkssein ist in Österreich ein Minderheitenprogramm; jedenfalls, wenn es um Migration geht. Babler könnte der Partei vielleicht Zugewinne bescheren, diese würden vor allem aber auf Kosten der Grünen gehen. Unterm Strich würde die Mehrheit rechts der Mitte bleiben, würde es nach einem Urnengang wohl zu einem freiheitlichen Regierungschef kommen.

Diese Verhältnisse sind nicht in Stein gemeißelt. Sie umzudrehen und zum Beispiel eine rot-pink-grüne Ampelkoalition zu ermöglichen, in der Babler seine Vorstellungen am ehesten umsetzen könnte, dauert jedoch. Und gewählt wird möglicherweise schon sehr bald.

Zahl

Schwindende Chancengleichheit

Die gute Nachricht: Österreich zählt zu den Mitgliedstaaten der EU, in denen noch immer überdurchschnittlich viele Menschen der Überzeugung sind, dass Chancengleichheit besteht; dass es grundsätzlich also alle schier unendlich weit bringen können im Leben, wenn sie nur können und wollen. Die schlechte Nachricht: Immer weniger Menschen glauben das – europaweit, aber auch in Österreich.
Bei einer Eurobarometer-Erhebung vor sechs Jahren haben hierzulande immerhin 70 Prozent der Befragten angegeben, dass Chancengleichheit existiere. Bei der jüngsten Erhebung waren es nur noch 57 Prozent. Umgekehrt fanden 22 Prozent, dass es keine Chancengleichheit (mehr) gebe. Ähnlich viele waren sich nicht sicher und ließen die Frage offen.

Wen wundert das? Verstärkt durch die Teuerung und viele andere Widrigkeiten wird es für mehr und mehr Menschen schwer bis unmöglich, über die Runden zu kommen, geschweige denn, sich den nach wie vor verbreiteten Traum vom eigenen Haus mit Garten zu erfüllen. Herkömmlicher Politik wird nicht zugetraut, dieses Problem zu lösen. Im Gegenteil: Die Entwicklung spielt Populisten in die Hände, die behaupten, ein „Establishment“ oder „Eliten“ würden es sich richten und die „kleinen Leuten“ hängen lassen.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Freiheitliche einen Wahlerfolg nach dem anderen erzielen: Herbert Kickl und seine Leute pflegen genau diese Erzählung, während politische Mitbewerber mit sich selbst beschäftigt sind und es verabsäumen, überzeugend für Chancengleichheit einzutreten.

Das Krisenphänomen ist nicht auf Österreich beschränkt: Europaweit sehen nur noch 47 Prozent eine solche Gleichheit. Und auch in den Staaten mit den höchsten Anteilen werden diese kleiner. In Schweden zum Beispiel ist der Anteil seit 2017 von 81 auf 65, in Irland von 80 auf 60 Prozent zurückgegangen.

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Bericht

Auf eine Neuwahl angelegt

Auf den ersten Blick können die Regierungsparteien kein Interesse an einer Neuwahl haben: Die Türkisen müssten damit rechnen, von 37,5 auf 22 Prozent abzustürzen und die Grünen, von 13,9 auf rund zehn Prozent zu verlieren. Genau das aber führt dazu, dass sie sich nicht einmal mehr „das Beste aus beiden Welten“ zumuten wollen und kaum noch etwas zusammenbringen.

Unter dieses Motto hatten sie ihre Zusammenarbeit ursprünglich gestellt. Im Sinne der Grünen von Vizekanzler Werner Kogler beispielsweise würde es bedeuten, Klimaschutz zu verstärken. Davor aber graut den Türkisen von Bundeskanzler Karl Nehammer mehr denn je: Sie befürchten, dadurch nur noch mehr Wähler an die Freiheitlichen zu verlieren, die ihnen ihr Ex-Chef Sebastian Kurz einst beschert hat.

Im Übrigen könnte für die Volkspartei alles eher nur schlimmer werden: Noch trägt die SPÖ-Krise dazu bei, dass es nach einem Urnengang wohl eine blau-türkise und vielleicht auch eine rot-türkise Mehrheit geben würde. Unter diesen Umständen würde die ÖVP sehr wahrscheinlich in der Regierung vertreten bleiben. Das spricht für eine Neuwahl noch heuer.

Regulär müsste erst im Herbst 2024 gewählt werden. Damit rechnet jedoch kaum jemand. Grund: Im Mai des kommenden Jahres findet mit der Europawahl ein bundesweiter Urnengang statt. Auch hier droht der ÖVP ein dickes Minus, das es ihr noch schwerer machen würde, für eine Nationalratswahl wenige Monate danach zu mobilisieren. Von daher geht es Richtung Neuwahl spätestens im April 2024.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at