Virginia Ernst: "Es geht um Gefühle, nicht ums Geschlecht"

Virginia Ernst ist die Erste, die bei "Dancing Stars" mit einer Tanzpartnerin auftritt. Sie will um Toleranz werben - für eine Liebe, die für sie selbst völlig normal ist. Aber auch für alle anderen? Ernst und ihre Frau Dorothea im großen Doppelinterview

von Interview - Virginia Ernst: "Es geht um Gefühle, nicht ums Geschlecht" © Bild: News Ricardo Herrgott

Moderator Alfons Haider tanzte bei "Dancing Stars" vor acht Jahren mit einem Mann an, und die Reaktionen waren, höflich formuliert, durchmischt. Nun wagt sich die Ex-Eishockeyspielerin und Popsängerin Virginia Ernst, 28, als erste Kandidatin mit einer Frau aufs öffentlich-rechtliche Parkett. Aber ist das heutzutage überhaupt noch ein Wagnis? Und: Wie lebt es sich als Prominente in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft? News traf Virginia Ernst und ihre 26-jährige Frau Dorothea zum offenen Doppel-Interview.

Wie wird man eigentlich Profi-Eishockeyspielerin?

Virginia: Mit drei Jahren habe ich den Eishockeyfilm "Mighty Ducks -Das Superteam" gesehen, da ging es um eine Kindermannschaft, in der Buben und Mädchen gemeinsam spielten. Schon damals sagte ich meiner Mama, dass ich unbedingt Hockey spielen will. Sie sagte: "Das geht nicht, das ist kein Frauensport." Bis ich dann acht war, habe ich darum gekämpft und hatte schon alles andere durch: Schwimmen, Handball, Fußball, Radfahren, bis ich endlich am Eis stand.

Warum kein Frauensport?

Virginia: Weil es sehr körperbetont ist, wie beim Football. Dazu kommt noch die extreme Geschwindigkeit, wenn du irgendwo dagegenkrachst, dann scheppert's, und das wollte die Mama vermeiden. Bei den Burschen heißt es da halt: "Die sollen ein bisserl abgehärtet werden." Aber Mädchen werden eher im Tanzbereich oder im Geräteturnen angesiedelt.

Im Spitzenfußball gibt es offiziell keine Homosexualität. Ist das im Hockeysport auch so?

Virginia: Im Sport hast du es damit als Mann definitiv schwieriger als Frauen. Männer haben es grundsätzlich schwerer, dazu stehen zu können, weil das noch viel verpönter ist. Der Mann muss immer stark sein, Männlichkeit zeigen -ein schwuler Fußballer würde in der Mannschaft ausgelacht werden. Frauen sind da stärker, die sagen: Ich bin lesbisch, akzeptiert es!

Und wurde es bei Ihnen im Spitzensport akzeptiert?

Virginia: In Schweden, wo ich in der ersten Frauenliga spielte, war das kein Thema, da gab es allein innerhalb der Mannschaft vier Pärchen, das war ganz normal. In Österreich ist der Status von manch anderen Ländern noch nicht erreicht, aber es gibt noch viel schlimmere Länder. In Wien und in den Städten ist das nicht mehr so eine große Sache, aber am Land ist es schon noch verpönt. Bevor ich mit 17 Jahren als Profi nach Schweden bin, habe ich schon gewusst, dass ich auf Frauen stehe, aber ich habe es nie angesprochen, auch zu Hause nicht. Ein klassisches Outing gab es nicht.

© News Ricardo Herrgott Dorothea (li.) und Virginia Ernst

Hatten Sie als Teenager je diesen quälenden Eindruck, dass etwas mit Ihnen nicht stimmen könnte?

Virginia: Ich wollte mich selbst davon überzeugen, dass ich ein Mädl bin -aber das hat nicht funktioniert. Ich habe probiert, lange Haare zu tragen, ich habe probiert, einen Freund zu haben, damals, so mit zwölf, 13. Aber ich spürte: Das bin nicht ich. Und ich merkte: Ich bin nicht wie die anderen, und ich will nicht so sein wie die anderen! Mir wurde vorgeworfen, nicht der Norm zu entsprechen. Wenn sie mich fragten, ob ich ein Bub oder Mädchen bin, habe ich halt "Mädchen" gesagt, um mich nicht rechtfertigen zu müssen. Aber ich habe mich nie wie ein Mädchen gefühlt, und es fühlte sich immer schräg an, wenn die Leute über mich als "sie" sprachen. Doch dann wurde ich durch Stärke belohnt -und durch Leute, die sich hinter mich stellten und sagten, dass sich mich cool finden, wie ich bin.

Diese Phase, in der Sie sich einzureden versuchten, ein "normales" Mädchen zu sein: War die schwierig?

Virginia: Psychisch gesehen war das sicher keine einfache Zeit, mich selbst zu finden. Es ist ja auch ein schwieriges Alter: Du willst einerseits cool sein, aber andererseits auch du selber, dein Körper spielt verrückt. Mein Rat ist immer: Steht dazu, akzeptiert euch selbst! Denn wenn man sich selbst nicht akzeptiert, haben die anderen überhaupt keine Chance, dich zu akzeptieren. Es gibt Menschen, die kämpfen ihr Leben lang dagegen, so zu sein, wie sie wollen -aus Angst vor den anderen.

Und Sie?

Virginia: Ich habe von heute auf morgen geswitcht: Ich habe mir radikal die Haare abgeschnitten, weil ich so aussehen wollte wie mein älterer Bruder. Dabei hatte ich zuvor Stoppellocken, sah aus wie ein kleines Engerl. Meine Oma und meine Mama haben geweint, als ich sie mir abschneiden ließ, meine Oma hat bis heute eine Locke von mir aufgehoben. Von einem Tag auf den anderen habe ich dann statt hautenger Jeans weite, burschikose Baggy-Hosen getragen. Damit hat sich auch mein Ich zu entwickeln begonnen, und ich konnte von innen heraus Glück ausstrahlen. Klar, diese Entscheidung ist schwierig. Meine Frau zum Beispiel war zuvor nur mit Männern zusammen. Dann hat sie plötzlich mich kennengelernt, und ich hätte nie damit gerechnet, dass sie sofort dazu steht -aber sie hat es getan.

Dorothea: Ich bin nach Hause gekommen und habe gesagt: "Das ist die Virginia, und sie gehört zu mir, entweder ihr akzeptiert es oder nicht."

Und?

Dorothea: Ich glaube, es ist genau so schwierig, wie man es sich selber macht. Ich bin glücklich, was soll da wer anderer dagegen sagen? Mir war egal, ob Mann oder Frau, was für mich zählte, war der Charakter. Nach all den Jahren und mehreren Beziehungen wusste ich, was ich will und was so gar nicht. Was für mich wichtig war: dass ich jemanden gefunden habe, der mit mir lachen kann und mich so nimmt, wie ich bin. Bei dem ich in jeder Phase so sein kann wie ich bin, ohne mich verstellen zu müssen, denn das ist das Schlimmste in einer Beziehung.

Was ist denn aus Ihrer Sicht der Unterschied zwischen einer Mann-Frau-Beziehung und einer Beziehung zwischen zwei Frauen?

Dorothea: Ich glaube, ich sehe sie nicht wirklich als Frau. Wenn sie genau die selben Eigenschaften hätte, wäre mir egal, ob sie ein Mann oder eine Frau wäre. Es geht mir um Gefühle, nicht ums Geschlecht - aber das können viele nicht differenzieren.

Virginia: Es ist schwierig zu erklären, dass wir dieses normale Schubladensytem nicht beachten, sondern nur darauf schauen, dass wir glücklich sind und es uns gut geht.

Dorothea, Sie sagten, Sie sehen Virginia nicht als Frau.

Dorothea: Ich sehe sie als Menschen. Es ist so wie im Kinderbuch "Das kleine Ich-bin-ich", Virginia ist einfach sie selbst.

Virginia: Bei ihr ist es eher so, dass sie sich in die Person verliebt hat, die zu ihr passt -und das nicht, weil sie nur auf Frauen steht.

Aber es ist wohl ein Unterschied, ob man von Jugend an weiß, dass man homosexuell ist, oder wie Sie erst mit Mitte 20 draufkommt?

Dorothea: Ich sehe das nicht so, eher die anderen: Natürlich ist das für Menschen aus der Elterngeneration noch ein schwieriges Thema. Mein Vater hatte wirklich nie ein Problem damit, aber meine ältere Schwester und meine Mama würden sich nur nicht trauen zu sagen: "Ich habe etwas dagegen." Meine Mama würde das nicht sagen, weil ich ihr Kind bin. Aber ich habe diese Sensibilität dafür, wer ein Problem damit hat und wer nicht. Aber das passiert ja nicht aus Bösartigkeit, überhaupt nicht, sondern weil sie dieses Verständnis einfach nicht haben. Sie sind mit der Mann-Frau-Norm aufgewachsen. Ich sage meiner Mama immer: "Das Beste ist doch, dass du sagen kannst, deine Tochter ist glücklich."

Hat das Wort "lesbisch" denn aus Ihrer Sicht einen abwertenden Beigeschmack?

Virginia: Für uns schon.

Dorothea: Es ist eine einordnende Kategorie, die die Leute brauchen, lesbisch und schwul ist wie schwarz und weiß. Ich kenne Frauen, die mit Frauen zusammen sind und das schon als abwertend empfinden, aber trotzdem akzeptieren.

Sind verheiratete Frauen mitunter auch mit unverhohlener Ablehnung konfrontiert?

Virginia: Männliche Paare werden offensichtlicher angegriffen als weibliche. Ich glaube, dass kommt daher, dass viele Männer ein Problem mit schwulen Pärchen haben vielleicht auch, weil sie selbst Tendenzen haben, die sie sich nicht eingestehen wollen? Männer verurteilen schwule Männer schon sehr, unter Frauen ist das meistens nicht so, die sagen eher: "Ah, ihr seid zusammen, cool. Ich hab das auch schon einmal ausprobiert." Frauen, die sich küssen, haben eine gewisse Pop-Ästhetik erlangt, aber schmusende Männer...

Wenn Sie bei "Dancing Stars" mit einer Frau tanzen, wird das ganz sicher ein großes Thema. War das eine bewusste Entscheidung?

Virginia: Ich habe den Anruf bekommen und gesagt: "Voraussetzung ist: Ich tanze mit einer Frau." Und in Männerkleidung, in einem Kleid wird man mich nicht sehen. Natürlich ist das in Österreich noch ein Thema, und ich möchte dazu beitragen, dass das etwas ganz Normales wird.

Einerseits wollen Sie eine Botschaft vermitteln - haben Sie andererseits nicht auch die Befürchtung, vorgeführt zu werden wie eine Jahrmarktattraktion?

Virginia: In meinem Fall nicht, ich bin keine Figur, die sich verstellen muss, ich bleibe ja ganz einfach so, wie ich bin.

Ihre Heirat im Sommer des Vorjahres - war die ein öffentliches Statement?

Dorothea: Wir haben nicht geheiratet, um ein Statement zu setzen, sondern weil wir uns lieben und unser Leben miteinander verbringen wollen.

Wollen Sie auch Kinder?

Dorothea: Ja, wenn die Zeit reif ist, auf jeden Fall. Wir sind beide in großen Familien aufgewachsen, und Kinder gehören für mich zu einer Familie.

Und wer übernimmt die biologische Mutterrolle?

Dorothea: Wenn man uns gut kennt, erübrigt sich die Frage: Es ist ganz klar, dass ich die weibliche Rolle übernehme und die Kinder bekomme.

Virginia, Sie haben lange Eishockey gespielt, hat Sie das abgehärtet? Werden Ihre Gefühle von Außenstehenden manchmal unterschätzt?

Virginia: Ja, und genau das möchte ich mit meiner Musik kompensieren. Was den Sport angeht, war ich sehr hart im Nehmen, andererseits bin ich ein richtiger Angsthase: Anfangs wollte ich nur Studiomusikerin werden, weil ich mich nicht auf die Bühne traute. Als ich in Österreich meinen ersten Hit hatte, bin ich heulend in der Garderobe gesessen. Ich bin richtig sensibel, da kann meine Frau ein Lied davon singen. Da bin ich ab und zu das Mädchen in der Beziehung.

Inwiefern?

Dorothea: Sie ist so sensibel, dass ich nicht sagen muss, wie es mir geht. Das spürt sie.

Das Interview erschien ursprünglich in der News Ausgabe 1-2/19

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