Computerspiele machen
keinen zum Amokläufer

Nach jedem Amoklauf wird ein Videospielverbot gefordert. Evidenz dafür gibt es kaum

Der mutmaßliche Amokläufer von München soll das Computerspiel "Counter Strike" gespielt haben. Ein Kriminaldirektor der Münchner Polizei äußerte gegenüber den Medien den Verdacht, dass der Täter sich wie in einem Computerspiel bewegt habe. Mehr hat es nicht gebraucht, um die Debatte um Killerspiele wiederzubeleben. Volker Kauder, der Chef der CDU/CSU-Fraktion im deutschen Bundestag fordert nun ein Verbot gewalttätiger Spiele. Auch der deutsche Innenminister Thomas de Maiziére macht sich diesbezüglich Sorgen. Einmal mehr beginnt eine Debatte darüber, ob diese Spiele gefährlich sind und ein Verbot Sinn macht. Auch wenn manche gefährdete Personen Computerspieler sind, wissenschaftlich erwiesen ist eine Gefährdung durch Computerspiele allerdings nicht und ein Verbot wäre kaum umsetzbar.

von Fakten - Computerspiele machen
keinen zum Amokläufer © Bild: Screenshot

Die Debatte um gewalttätige Computerspiele ist schon ganz schön alt. Seit den späten 1990erJahren wird diskutiert, ob es einen Zusammenhang zwischen Computerspielen und Gewalt gibt. Es gab damals einige gewalttätige Verbrechen, bei denen sich später herausstellte, dass die Täter auch Videospiele spielten. Bereits Ende der 1990er fand im US-Senat ein erstes Hearing zum Thema statt. Der spätere Vizepräsidentschaftskandidat Joe Lieberman (Demokraten) führte den Vorsitz und untersuchte damals die Wirkung von Spielen wie Mortal Kombat.

1999 gab es auch erstmals in Deutschland einen Vorstoß zum Verbot dieser Spiele. Die bayrische Regierung wollte damals sogenannte Killerspiele verbieten. Gemeint waren Spiele, bei denen es im Wesentlichen darum geht, Spielfiguren zu erschießen.

Die Amokläufe von Columbine, Erfurt und Winnenden lösten dann Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre eine intensive Debatte über das Thema aus. Die Täter spielten nämlich Videospiele. Besonders das Spiel "Counter Strike", bei dem es um Gefechte zwischen Terroristen und Antiterrorkommandos geht und man im Team diverse Aufgaben erfüllen muss, kam in die Kritik. In den folgenden Jahren kommt das Thema immer wieder einmal auf, besonders nach Amokläufen. In den letzten Jahren wurde es ruhiger um das Thema, doch mit dem Amoklauf von München kommt es nun erneut auf.

© Screenshot Counter Strike

So gefährlich sind Computerspiele

Es gibt keinen wissenschaftlichen Konsens darüber, ob Computerspiele zu mehr Gewalt führen. Das lässt sich auch nicht wirklich überprüfen, da es ja immer eine Summe von Einflüssen auf Täter gibt, die Gewalttaten begehen und es natürlich nicht möglich ist, Testpersonen Gewaltverbrechen begehen zu lassen, um im Anschluss zu überprüfen, ob sie diese verübten, weil sie gewalttätige Computerspiele spielten. Man muss also mit Hilfskonstruktionen auskommen und Testszenarien basteln. Ob man beispielsweise nach dem Computerspielen dazu bereit ist, seine Süßigkeiten zu teilen. Aus den Testszenarien ziehen die Wissenschaftler dann Rückschlüsse, ob gewalttätige Computerspiele die Aggressivität erhöhen. Alleine zwischen 2009 und 2014 wurden laut Recherchen der "Süddeutschen" 98 unterschiedliche Studien zu diesem Thema erstellt. Die Ergebnisse sind sehr unterschiedlich.

Der an der Universität Innsbruck tätige Wissenschaftler Tobias Greitemeyer führte 2012 mit einem Team eine Metastudie aller bis dahin durchgeführten Studien durch. "Solche Spiele erhöhen die Aggressivität bei einem Teil der Spieler ein bisschen. Das führt aber sicher nicht dazu, dass ein ansonsten gesunder Mensch deswegen einen Amoklauf begeht", sagt Greitemeyer. Die meisten Studien würden einen kleinen Effekt auf die Aggressivität der Spieler zeigen. Allerdings auch nicht auf alle Spieler, sondern nur auf einen Teil. Dass die Studien unterschiedliche Ergebnisse liefern, sei nichts Außergewöhnliches. Da es höchstwahrscheinlich nur einen kleinen Effekt gibt, sei es naheliegend, dass viele Studien keinen Effekt zeigen. Immerhin handle es sich dabei ja nicht um eine exakte Wissenschaft wie die Physik, Abweichungen zwischen den Studien seien erwartbar. Interessant sei aber, dass es so gut wie keine Studien gäbe, die einen gegenteiligen Effekt zeigen würden. Also davon ausgingen, dass derartige Spiele die Spieler ruhiger und weniger aggressiv machen. Obwohl Greitemyer von einem kleinen Effekt ausgeht, hält er nichts von einem Verbot. Er rät dazu, dass Eltern den Videospielkonsum ihrer Kinder begleiten, so wie sie das auch bei Filmen machen würden. Es sei wichtig, dass sich die Eltern klar machen, dass ein dauernder Konsum dieser Spiele möglicherweise zu einer leichten Abstumpfung im Bezug auf Gewaltdarstellung führen könne.

Kein Beweis für Gefährlichkeit der Spiele

Auch andere Studien bestätigen Greitemeyer. 2015 kam die amerikanische psychologische Gesellschaft zum Schluss, dass gewalttätige Spiele die Aggressivität der Spieler fördern würde. Die Studie wurde allerdings stark kritisiert. Andere Studien kommen zum Schluss, dass es keinen Effekt gibt. Der Computerspielexperte Konstantin Migutsch sagt hingegen, dass es keinen wissenschaftlichen Beweis für die Gefährlichkeit dieser Spiele gäbe. Die Evidenz würde aber klar dagegen sprechen. Denn die Jugendgewalt nehme seit vielen Jahren ab, während Computerspiele immer weiter verbreitet sind. Der Effekt kann also nicht sehr groß sein. Das ist auch der Stand der Forschung. Entweder gibt es einen kleinen Effekt oder gar keinen. In jedem Fall reicht das aber nicht aus, um einen Amoklauf auszulösen. Vielmehr suchen sich gefährdete Jugendliche Medien, die geeignet sind, um ihre Gewaltphantasien darzustellen. Dafür eignen sich auch Egoshooter und andere gewalttätige Videospiele. Ihre gewalttätigen Phantasien würden aber mit einem Verbot nicht verschwinden, sondern sich einen anderen Kanal suchen.

Laut dem Digitalverband Bitkom spielten 2015 42 Prozent der Deutschen Computerspiele. Bei den 14 bis 29-Jährigen sind es sogar 81 Prozent. Es ist also erwartbar, dass Gewaltverbrecher auch Computerspiele spielen. So wie es erwartbar ist, das sie auch Fernsehen oder auch das Internet benützen. Dass ihre Tat deswegen etwas mit dem Computerspiel zu tun hat, ist deswegen aber noch lange nicht belegt. Schon 2011 belegte der US-Forscher Christopher Ferguson, dass die Gewalt unter Jugendlichen stark zurückgehe, obwohl immer mehr gewalttätige Computerspiele verkauft würden.

Verbot kaum exekutierbar

Klar ist hingegen, dass ein Verbot kaum mehr umsetzbar wäre. Viele Spiele werden heute nur mehr downgeloadet und sind auf keinem physischen Träger, wie beispielsweise einer DVD, mehr vorhanden. Ein Verbot in Deutschland oder Österreich würde das Spiel deswegen natürlich noch lange nicht aus dem Internet entfernen. Außerdem macht ein Verbot die Spiele für viele Konsumenten umso interessanter.

Durch ein Verbot könnten sehr viele Spieler, die durch keine Gewalttaten aufgefallen sind, ihr Spiel nicht mehr ausüben. Dass dadurch aber auch nur ein Amoklauf verhindert werden könnte, ist nicht zu erwarten und durch die Forschung auch nicht belegt. Konstantin Migutsch empfiehlt Präventionsprogramme, die sich an jene 0,1 Prozent der Spieler richten, die aus seiner Sicht Schwierigkeiten haben, zwischen der Realität und dem Spiel zu unterscheiden. Die übrigen 99,9 Prozent der Spieler aber nicht durch unnötige und nicht exekutierbare Spielverbote zu drangsalieren.

Wie unsinnig die Debatte um Videospielverbote oft geführt wird, hat schon 2007 der damals 21-jährige Student Matthias Dittmayer gezeigt. In einem YouTube-Video zeigte er auf, wie unseriös häufig über Videospiele berichtet würde.


Interview mit dem Computerspielexperten Konstantin Migutsch

© Victoria Koller Konstantin Migutsch

Wieso gibt es immer wieder Debatten über Gewalt in Computerspielen?

Migutsch: Schreckliche Gewalttaten wie Amokläufe haben immer unterschiedliche Ursachen. Immer wenn etwas passiert, versucht man diese Ursachen zu finden. Aber das sind sehr komplexe Fragestellungen und Vieles ist nicht einfach zu erklären. Ganz besonders dann, wenn es um psychische Probleme geht. Die Lebenswelt der Täter wird oft wenig thematisiert, weil sich daraus Fragen nach dem Elternhaus und der Erziehung ergeben, die meist sehr unangenehm sind. Stattdessen werden vor allem Weltanschauungen und Ideologie denen der Täter nahe steht und Dinge, die dieser konsumierte, wie Computerspiele, Musik oder Filme meist als erstes thematisiert. Die Computerspiele sind hier insofern ein leichtes Opfer, weil sie sich nicht wehren. Ein Computerspiel kann sich zu den Vorwürfen ja nicht äußern und die Hersteller halten sich bei diesem Thema auch sehr zurück. Weil sie in diesem Kontext gar nicht vorkommen wollen.

Wo sehen sie das Problem bei dieser Debatte?

Migutsch: Es gibt kaum Spiele die wirklich sadistische Inhalte haben, weil diese Inhalte sehr repetitiv, damit langweilig und als Spiel ungeeignet sind. Spiele wie Counter Strike, die oft in der Kritik stehen, haben gar nichts Sadistisches sondern funktionieren im Grunde wie Schach. Die Spiele sind taktisch sehr herausfordernd und erfolgreich ist nur, wer im Team arbeiten kann. Millionen von Spielern, die daran ein spielerisches Interesse haben, auf diese Art zu diskreditieren, halte ich für sehr bedenklich. 99,9 Prozent der Spieler haben kein Problem damit zwischen Spiel und Wirklichkeit zu unterscheiden. Nur ein ganz kleiner Teil der Spieler hat diesen Referenzrahmen nicht. Wer psychisch krank ist, spielt anders und legt eine andere Ebene über das Spiel. Natürlich suchen sich Leute, die für solche Amokläufe anfällig sind, Medien die dazu passen. Die lesen nicht Kants Kritik der reinen Vernunft sondern spielen solche Szenen möglicherweise mit Egoshootern nach. Aber auch da ist nicht das Spiel das Problem sondern die psychische Erkrankung.

Die Frage, ob Computerspiele aggressiv machen können, ist wissenschaftlich gut untersucht. Wieso kommen die verschiedenen Studien zu so unterschiedlichen Ergebnissen?

Migutsch: Dass Computerspiele zu mehr Gewalt führen, ist wissenschaftlich nicht erwiesen. Seit Jahren sinkt die Jugendkriminalität während Computerspiele immer weiter verbreitet sind. Auf einer empirischen Ebene ist es also schlicht nicht haltbar, dass Computerspiele die Gesellschaft gewalttätiger machen. Auf theoretischer Ebene ist es sehr schwer Gewalttätigkeit zu simulieren. Die diversen Studien behelfen sich mit Testszenarien um zu erkennen, ob die Spieler aggressiver werden. Aber solche Tests dauern nur kurze Zeit während Spieler oft stundenlang spielen. Auch hier ist es schwer eine Vergleichbarkeit herzustellen. Außerdem ist aggressives Verhalte und Gewalttätigkeit nicht dasselbe. Bei den Studien gibt es zwei Lager. Die einen sehen einen Zusammenhang und die anderen nicht. Allerdings zeigen Studien auch, dass Spiele die sehr frustrierend sind und bei denen Spieler oft scheitern, die Aggression deutlich mehr erhöhen, obwohl da möglicherweise kein einziger Schuss fällt. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Wirklichkeit ganz klar dagegen spricht, dass Computerspiele zu mehr Gewalt führen und es in der wissenschaftlichen Theorie auch keinen Beweis dafür gibt.

Ein Computerspielverbot ist also sinnlos?

Migutsch: Es würde eine große Gruppe von friedlichen Spielern kriminalisieren. Bei Verboten zeigt sich außerdem, dass eine Verbotsliste für Jugendliche oft erst recht wie eine Einkaufsliste wirkt. Außerdem wäre ein Verbot in einem globalen Markt kaum umsetzbar oder kontrollierbar. In Deutschland gibt es ja Spiele die indiziert sind und die an Jugendliche nicht verkauft werden dürfen. Immer wieder werden Spiele von dieser Liste gestrichen, weil die grafische Darstellung inzwischen veraltet ist. Da fragt man sich schon, wie es gehen soll, dass ein Spiel früher offenbar gewalttätig wirken konnte und es heute nicht mehr. Sinnvoller als Verbote wären Präventionsmaßnahmen für Spieler, die ein Problem mit ihrer Rahmungskompetenz haben. Da gibt es aber leider bisher keine Maßnahmen.

Wird die Debatte über Computerspielverbote irgendwann aufhören?

Migutsch: Was wir heute erleben, ist nur ein Vorgeschmack auf die Debatten, die wir führen werden, wenn Virtual Reality sich bei Spielen so richtig durchsetzt. Dann werden die Darstellungen sehr viel realistischer und das Erleben viel unmittelbarer. Dann wird die Verbotsdebatte erst so richtig losgehen. Aber es ist sinnvoll sich schon heute bewusst zu machen, dass auch Virtual Reality immer noch eine andere Ebene ist und die allermeisten Menschen überhaupt kein Problem damit haben, zwischen Realität und Spiel zu unterscheiden.

Müssen sich Eltern sorgen machen, wenn Jugendliche Egoshooter spielen?

Migutsch: Überhaupt nicht. Die Teenager haben dann offenbar viel Interesse an taktischen Herausforderungen, die sie im Team lösen müssen. Das ist völlig unbedenklich. Aber es ist sinnvoll wenn Eltern mit ihren Kindern darüber sprechen, warum sie etwas spielen und was sie daran fasziniert. Das Gegenteil der Computerspielparanoia, die Annahme dass wer viel spielt, besonders klug ist, stimmt aber auch nicht. Wenn dann müsste die Wirkung in beide Richtungen gehen. Also sowohl positiv wirken als auch negativ. Nachdem aber keine derartige Wirkung erwiesen ist, können wir auch nicht davon ausgehen, dass Spiele intelligenter machen. Richtig eingesetzt können aber Spiele auch im Bildungsbereich als Türöffner dienen, um das Interesse zu wecken. Aber auch dann braucht es eine pädagogische Begleitung. Das Computerspiel alleine macht gar nichts mit uns. Weder im Positiven noch im Negativen.

Zur Person: Konstantin Mitgutsch ist Forscher auf dem Gebiet der pädagogischen Lerntheorien und der Computerspielforschung. Er forschte am Massachusetts Institute of Technology in Boston und am Singapur-MIT. 2014 gründeteer er das Beratungsunternehmen Playflul Solutions.

Kommentare

higgs70
higgs70 melden

Vor allem in Deutschland nach Schulamokläufen, aber auch jetzt in München, war die Begründung, dass der Attentäter Ballerspiele spielte sehr beliebt, und ists offenbar noch immer. Wobei man halt geflissentlich übersieht, dass ma dann tausende und abertausende Amokläufer haben müssten, weil das mittlerweile ein Volkssport ist und die Verwechslung von Spiel und Realität halt nur in ganz bestimmten Kopferln passiert.

neusiedlersee melden



Schon alleine der Name, Ballerspiele, ist eine gefährliche Verniedlichung einer Tätigkeit, die dem Totschlagen, und sei es nur der Zeit, dient. Spieler werden slebstverständlich dadurch nicht automatisch zu Attentätern. Sie verblöden nur oder ziehen sich lebenslang unkurierbare Schäden zu.
Und das, und nur das, ist der Sinn dieser Spiele.


strizzi1949
strizzi1949 melden

Nach all dem, was Sie hier zum Besten geben, @neusiedlersee, müsten Sie seit Ihrer Kindheit ununterbrochen Ballerspiele gespielt haben!

neusiedlersee melden


Auch dieser Kommentar ist nicht schlecht. Auf die Frage nach meinen Rauchgewohnheiten kommt er aber nicht heran.
Weiter so! Sie werden sehen, wir treffen uns noch bei einem gemeinsamen Nenner, wenn Sie so weitermachen.
Das ist aber keine gefährliche Drohung, wie ich vermute, dass Sie vermuten könnten.

Aus der Verantwortung wollen Sie sich ziehen: nicht der islamische Staat sondern Counterstrike ist Schuld. Eine unglaubliche und gefährliche Frechheit.

Seite 2 von 2