Van der Bellen geht aufs Ganze

Der Bundespräsident verlangt von ÖVP und Grünen, endlich ernst zu machen bei der Korruptionsbekämpfung. Dabei setzt er vor allem auch sich selbst unter Druck.

von Politische Analyse - Van der Bellen geht aufs Ganze © Bild: Privat

Analyse

Bisher ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen immer wieder vorgeworfen worden, türkise Affären weniger hart zu kommentieren als blaue. Seit er infolge der Thomas-Schmid-Aussagen vor der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nicht nur einen Wasserschaden für die Demokratie ortete, sondern auch eine Generalsanierung verlangt, ist alles anders. Der 78-Jährige ist so deutlich geworden, wie noch nie gegenüber der Kanzlerpartei. Wobei es müßig ist, darüber zu spekulieren, ob er sich das nur traut, weil er nichts mehr zu verlieren hat, nachdem er für eine zweite und letzte Amtszeit wiedergewählt ist. Entscheidend ist, dass er Korruptionsbekämpfung zur Chefsache erklärt hat: "Selbstverständlich ist es meine Pflicht, sicherzustellen, dass das auch passiert."

Grüne sind erleichtert. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) klagt, längst einen Vorschlag für ein strengeres Korruptionsstrafrecht vorgelegt zu haben. Seit einem Jahr liege es jedoch beim Koalitionspartner. Noch länger auf sich warten lässt die Abschaffung des Amtsgeheimnisses. Die zuständige Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) berichtet regelmäßig von Gesprächen, die dazu laufen würden. Fixiert ist aber eben bis heute nichts.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) erklärt, die Worte des Bundespräsidenten sehr ernst zu nehmen. An ihm allein liegt es jedoch weniger, dass bisher kaum etwas weitergegangen ist: Er ist schlicht Obmann einer Partei mit sehr vielen Amtsträgern und Funktionären in Ländern und Gemeinden, die es – wie Vertreter anderer Parteien in vergleichbarer Stellung – gewohnt sind, in intransparenten Verhältnissen zu schalten und zu walten. Das macht allerhand möglich, im Guten wie im Schlechten. Veränderungen stoßen da immer auf Widerstand.

Aber dafür kann Van der Bellen kein Verständnis mehr zeigen. Umgekehrt könnte es Nehammer durchaus passen, gegenüber eigenen Leuten, die sich querlegen, auf den drängenden Bundespräsidenten verweisen zu können. Das würde es ihm erleichtern, Reformen durchzusetzen. So gesehen wäre einiges möglich.

Nebelgranaten reichen nicht

Das Problem ist eher, dass sich Van der Bellen Substanzielles erwartet. Beim Amtsgeheimnis steht eine Nebelgranate im Raum: An ihre Stelle könnte eine Informationsfreiheit mit so vielen Einschränkungen treten, dass sich nichts ändert. Schlimmsten Befürchtungen zufolge könnte das Amtsgeheimnis de facto sogar ausgeweitet werden.

Das wäre kein Beitrag zur Generalsanierung der Demokratie, die Van der Bellen will und an der auch er gemessen werden wird, nachdem er das Heft in die Hand genommen hat. Andererseits: Seine Möglichkeiten, eine solche Sanierung zu erwirken, sind begrenzt. Machen muss das die Regierung. Es kommt allein auf sein Geschick an, sie dazu zu bewegen, ohne ihr gleich mit der Entlassung zu drohen.

Zahl

Vertrauen vernichtet

"Es braucht eine transparente, nachvollziehbare und vor allem für alle wahrnehmbare Generalsanierung des Vertrauens", so Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Der Handlungsbedarf ist messbar: Nicht nur gegenüber den meisten Politikern, sondern auch gegenüber wichtigen Institutionen überwiegt das Misstrauen immer stärker. Eurobarometer-Befragungen zeigen das.

Bei der Regierung belief sich der Saldowert aus dem Anteil der Leute, die ihr vertrauen und jenem, die ihr nicht vertrauen, vor einem Jahr auf minus fünf Prozentpunkte. Bei der jüngsten Erhebung machte er minus 16 aus. Bei den Parteien kam es überhaupt zu einem Absturz von minus 25 auf minus 32 Punkte. Erstmals mit größerem Misstrauen als Vertrauen konfrontiert ist auch das Parlament. Beim Herzstück der repräsentativen Demokratie beläuft sich das Saldowert auf minus einen Prozentpunkt.

Das zeugt von einer Krise des Politischen, die durch Korruptionsaffären befeuert wird. Gerade auch Hoffnungen sind hier enttäuscht worden. Sebastian Kurz hatte bei sehr vielen Wählern etwa jene auf einen neuen Stil geweckt.

Bemerkenswert ist, dass das Vertrauen in "die Medien", das bei der Befragung so allgemein erhoben wird, ebenfalls eingebrochen ist: Die Gruppe, die ihnen misstraut, ist um neun Prozentpunkte größer als die, die ihnen vertraut. Ein möglicher Grund ist, dass es bei den Korruptionsaffären auch um Inseratenkorruption geht, also den Verdacht, dass sich Journalismus kaufen ließ.

Einzig Justiz hält sich

Immerhin: Das Vertrauen in die Justiz ist nach wie vor erheblich. Bei der jüngsten Befragung ist der Anteil der Österreicher, die ihr vertrauen, sogar leicht auf 68 Prozent gestiegen und der Anteil jener, die ihr nicht vertrauen, auf 29 Prozent gesunken. Das ergibt einen positiven Saldowert von sage und schreibe 39 Punkten.

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Bericht

Keine Gemeinsame Schule mehr

In einer kleinen Zeitgeschichte der Bildungspolitik könnte ein bezeichnendes Kapitel der Gemeinsamen Schule der Zehn- bis 14-Jährigen gewidmet sein: vieldiskutiert, aber nie realisiert. Dabei ist man einer Umsetzung da und dort schon sehr nahegekommen. Nach Sozialdemokraten und Grünen sprachen sich in Salzburg, Tirol und Vorarlberg auch führende Landespolitiker der ÖVP dafür aus. Nötige Rahmenbedingungen ist der Bund jedoch schuldig geblieben. Die türkise Volkspartei will noch weniger davon wissen als die alte. Sie tritt dafür ein, das Gymnasium zu erhalten.

Das ließ die Westachse, die die drei reformeifrigen Länder gebildet haben, rosten: In ihren Reihen gibt es kein wahrnehmbares Engagement mehr, niemand rechnet damit, dass in absehbarer Zeit etwas werden könnte aus der Gemeinsamen Schule. In Tirol ist mit der bisherigen Bildungslandesrätin Beate Palfrader gerade jene Frau aus der Politik ausgeschieden, die als letzte große Kämpferin in der ÖVP dafür galt. Im Programm der neuen schwarz-roten Regierung ist lediglich eine Arbeitsgruppe vorgesehen, die das Thema weiterverfolgen soll, aber nichts Konkretes.
Konkretes hätte man in Vorarlberg vor mehreren Jahren entwickelt, im Rahmen eines eigenen Forschungsprojekts nämlich. Im Ländle wäre auch die Wirtschaft dahintergestanden. Zur Behebung des Fachkräftemangels ist sie daran interessiert, alle Schüler so weit wie möglich zu bringen. Geblieben vom Forschungsprojekt sind jedoch eher nur frustrierte Mitwirkende und vergilbte Konzepte.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at