Der unterschätzte Präsident

Um Alexander Van der Bellen ist es ruhig geworden. Hat er resigniert? Woher! Auf die nächste Regierungsbildung könnte er Einfluss nehmen, wie noch kein Staatsoberhaupt vor ihm.

von Politische Analyse - Der unterschätzte Präsident © Bild: Privat

ANALYSE

Man könnte meinen, die Innenpolitik müsse Bundespräsident Alexander Van der Bellen nur noch frustrieren: Was auch immer er in den vergangenen zwölf Monaten gesagt hat, ist weitgehend ignoriert worden. Seine Aufforderung etwa, nach all den türkisen Affären zu einer Generalsanierung der Republik zu schreiten: Wenn, dann ist das bisher nur in Ansätzen geschehen.

Mit der Kritik, die er bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele Mitte Juli am Stil von FPÖ-Chef Herbert Kickl genauso äußerte wie an dem von Bundeskanzler Karl Nehammer und SPÖ-Vorsitzendem Andreas Babler, stieß er auf Unverständnis: Die drei Herren wollten sich nicht nachsagen lassen, die Gesellschaft zu spalten, weil sie von "Denen da oben" und "Wir da unten" reden (Kickl), oder von "normalen" und "unseren Leuten" sprechen (Nehammer bzw. Babler) und damit eine Abgrenzung gegenüber "anderen" vornehmen.

Anlässlich der Angelobung zu seiner zweiten Amtszeit hat der 79-Jährige wiederum deutlich gemacht, dass er es Freiheitlichen mit Kickl an der Spitze schwer machen will, nach der nächsten Nationalratswahl in die Regierung zu kommen: Eine antieuropäische Partei werde er durch sein Handeln nicht auch noch zu befördern versuchen, sagte er in einem ORF-Interview. Konsens damals: Da wird er sich nicht durchsetzen können.

Van der Bellen ist zwar direkt gewählt und verfügt damit über eine sehr große Legitimation. Wenn es drauf ankommt, muss er sich jedoch arrangieren. Dann muss er bei einer Regierungsbildung mehr oder weniger hinnehmen, was Parteiobleute wollen, die auf parlamentarischer Ebene eine Mehrheit hinter sich haben. Wie Thomas Klestil, der im Jahr 2000 Schwarz-Blau zwar abgelehnt hatte, letzten Endes aber ertragen musste.

Herbert Kickl gibt sich denn auch unbeeindruckt von den Aussagen des Bundespräsidenten. Van der Bellen ist wichtig, dass die EU-Mitgliedschaft nicht infrage gestellt wird? Kickl pfeift drauf. Im ORF-Sommergespräch meinte er, dass ein Austritt derzeit kein Thema sei, eine Debatte vielleicht aber einmal nötig werden könnte. Sonst wäre die EU ja ein "tausendjähriges Reich", wie er provokant bemerkte.

Der FPÖ-Chef sollte den Einfluss des Bundespräsidenten jedoch ernst nehmen. Zumal er eher größer werden wird oder schon dabei ist, es zu tun. Erstens: Neue Listen wie die Bierpartei haben gute Chancen, bei der Nationalratswahl den Einzug ins Hohe Haus zu schaffen. Damit könnte Van der Bellen die Möglichkeit erhalten, mehr Koalitionsvarianten denn je prüfen zu lassen. Zweitens: Die FPÖ dürfte es ausschließlich mit Unterstützung der ÖVP ins Kanzleramt bringen. Diese aber erhebt seit geraumer Zeit eine Forderung, die Van der Bellen entspricht. Es wirkt wie ein Bündnis zwischen den beiden: Freiheitliche werden demnach im Falle des Falles auf Kickl verzichten müssen.

ZAHL

Kickl festigt seine Anhängerschaft

Dass ausgerechnet FPÖ-Chef Herbert Kickl erklärt, "Volkskanzler" werden zu wollen, wirkt vielleicht seltsam: Gemeinsam mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) ist er der Bundespolitiker, dem die meisten Menschen in Österreich misstrauen. Bei beiden handelt es sich um 71 Prozent, wie Detailergebnissen zum jüngsten APA/OGM-Vertrauensindex zu entnehmen ist. Schwacher Trost für Kickl: Während Sobotka umgekehrt nur 18 Prozent vertrauen, tun es in seinem Fall 26 Prozent. Auch das ist eine klare Minderheit. Und in der Entwicklung zeigt sich, dass seine Werte sehr stabil sind. Seit er sich im Mai als "Volkskanzler"-Kandidat präsentiert hat, sind sie praktisch unverändert.

Für Kickl ist das zweischneidig. Einerseits zeigt es, dass es Mitbewerbern gelingen könnte, die FPÖ, die in Durchschnitt der Umfragen auf knapp 30 Prozent kommt, zu schwächen, wenn sie gegen ihn persönlich mobilisieren. Andererseits ist Kickl dabei, die Minderheit, die hinter ihm und seiner Partei steht, zu festigen - im Wissen, dass es bei einer Wahl für eine relative Mehrheit reichen könnte.

Der Zuspruch, den der 54-Jährige erfährt, deckt sich nicht zufällig mit dem Anteil der Menschen, die finden, dass das politische System schlecht funktioniere und einem Selbstbedienungsladen gleiche; oder die grundsätzlich bezweifeln, was klassische Medien berichten. Kickl umwirbt diese Leute, indem er sich ausdrücklich gegen "das System" stellt, "Eliten" den Kampf ansagt und ein gespanntes Verhältnis zu besagten Medien pflegt. Interviews meidet er und als ihm ORF-Satiriker Peter Klien vor wenigen Wochen nahekam, ließ er diesen durch einen Security entfernen. Groß schaden kann ihm das nicht: War etwa sein Vorgänger Jörg Haider noch darauf angewiesen, wie der ORF über ihn berichtete, hat er mit "FPÖ TV" und Co. längst eigene Kanäle, um seine Anhänger zu erreichen.

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BERICHT

Von Kulturwechsel noch weit entfernt

Der moderne Staat sei da, es handle sich um einen "monumentalen Kulturwechsel": Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) haben bei der jüngsten Ankündigung, dass das Amtsgeheimnis durch Informationsfreiheit ersetzt werden solle, vorweggenommen, was frühestens in eineinhalb Jahren der Fall sein kann: Erst dann werden die Änderungen in Kraft treten. Aber nur, wenn es gelingt, die SPÖ dafür zu gewinnen. Sie muss auf parlamentarischer Ebene zustimmen, damit die erforderliche Verfassungs- bzw. Zweidrittelmehrheit für die Informationsfreiheit überhaupt zustande kommen kann. Ob sie es tun wird, ist offen.

Realistischerweise wird es auch nach Inkrafttreten noch länger dauern, bis der "Kulturwechsel" vollzogen ist: Viele Bestimmungen sind vage und müssen daher zunächst ausjudiziert werden. Voraussetzung dafür ist wiederum, dass Bürger, deren Informationsbegehren zum Beispiel von einer Gemeinde zurückgewiesen wird, den Rechtsweg beschreiten. Viele werden davor zurückschrecken. Eine Möglichkeit, das alles zu beschleunigen, wäre, Bürgern quasi einen Anwalt zur Seite zu stellen. Genauer: Einen Informationsfreiheitsbeauftragten, der ihnen hilft, sich durchzusetzen. Ein solcher ist aber nicht vorgesehen.

In Deutschland gibt es derartige Beauftragte. Erzwingen können sie nichts. Sie können jedoch einzelne Bürger beraten und vor allem auch öffentlich immer wieder darauf hinweisen, wo sie Missstände sehen. Das erhöht den Druck auf Politik und Verwaltung, Informationsfreiheit vollumfänglich zu praktizieren.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at