Spitzenkandidat in
Wien? „Sag niemals nie“

Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache über umstrittene Regierungsvorhaben, gelungene Oppositions­politik und das – aus seiner Sicht – eigentliche Problem mit den vielen „Einzelfällen“ in seiner Partei.

von Politik - Spitzenkandidat in
Wien? „Sag niemals nie“ © Bild: Ricardo Herrgott

Die Regierung und Ihre Partei stehen immer unter Populismusverdacht. Wären Sie beim Karfreitag gerne populistischer gewesen?
Wir liegen mit 13 Feiertagen im Spitzenfeld der EU. Natürlich gibt es in der politischen Debatte Mitbewerber, die die Arbeit am liebsten abschaffen und 365 Feiertage im Jahr haben würden. Unsere gute und bewährte bisherige österreichische Karfreitagslösung wurde leider durch ein EuGH-Urteil gekippt. Erwirkt hat dieses Urteil die rote Arbeiterkammer, die unverständlicherweise erfolgreich gegen eine Regelung geklagt hat, die bisher niemanden gestört hat. Damit wurde für echten Unfrieden in unserer Gesellschaft gesorgt. Nach Gesprächen mit der evangelischen und der katholischen Kirche wurde ein Kompromiss zwischen allen Interessen gefunden. Die Lösung des „persönlichen Feiertags“ schafft Klarheit und Rechtssicherheit für alle und Gerechtigkeit und Gleichbehandlung im Sinne des EuGH-Urteils.

Man hört, Sie waren für einen zusätzlichen Feiertag, die jetzige Lösung sei der Preis für den von Ihnen gewünschten Papa-Monat gewesen.
Es ist bei jeder Lösung wichtig, das Gesamtbild im Auge zu haben. Mit 13 Feiertagen – es wird kein Feiertag für 96 Prozent der Bevölkerung gestrichen – liegen wir im EU-Spitzenfeld. Wir wollen, dass jene Menschen, die arbeiten, in dem Land steuerlich entlastet werden und mehr Netto vom Brutto haben. Wir entlasten Familien mit 1.500 Euro pro Kind und Jahr, da sind wir in Europa die Familienentlastungspartei und -regierung. Das wollen wir fortsetzen ohne neue Schulden. Das ist in einem Gesamtpaket sicherzustellen.

Die 300.000 evangelischen Christen haben etwas verloren: Einen Feiertag, für den sie sich jetzt Urlaub nehmen sollen. Davor hat die evangelische Kirche mit Klage gedroht. Das war in Österreich noch nie da.
Die Evangelischen hatten einen Feiertag mehr als alle anderen. Das hat der EuGH als Ungleichbehandlung gesehen. Nun kann diese Bevölkerungsgruppe den Karfreitag nach wie vor als Feiertag begehen, wenn sie ihn als ihren „persönlichen Feiertag“ beim Arbeitgeber einmeldet. Und jeder kann dies in Zukunft individuell in Anspruch nehmen.

Thema Präventivhaft für Asylwerber. Dafür braucht die Regierung die Stimmen der Opposition. Was bietet sie in den Verhandlungen?
Da geht es nicht darum, dass man etwas bietet, wie auf dem Basar. Das kann bei so einem ernsten Themenfeld nicht der Zugang sein. Der grauenhafte Mord an einem Beamten in Dornbirn zeigt ja, dass das Thema brisant und die gesetzliche Situation nicht ausreichend ist. Das ist einer von vielen Vorfällen mit Asylberechtigten und Asylwerbern. Bei Abschiebungen ist ja auch die Sicherungshaft vorgesehen vorgesehen, diese wird ausgedehnt und im Sinne der Möglichkeiten der EU gesetzlich implementiert und erweitert definiert werden. Da arbeitet Innenminister Kickl an Vorschlägen. Es ist unser Auftrag, die Bevölkerung vor Gefährdungen zu schützen. Die Opposition ist eingeladen, das sicherzustellen. Würde sie das nicht tun, fehlt der Bevölkerung jegliches Verständnis, davon bin ich überzeugt.

Nach welchen Kriterien würde entschieden? Für den Täter in Vorarlberg galt ein Aufenthaltsverbot, Experten meinen, da hätten die Behörden anders handeln können. Bei anderen Asylwerbern – es kann nicht jeder automatisch verdächtig sein.
Da gibt es zum Glück Experten, die Kriterien beurteilen und einen gesetzlichen Vorschlag erarbeiten werden. Aber dass jemand Aufenthaltsrecht hat, weil er einen Asylantrag stellt, obwohl er ein Aufenthaltsverbot hat, das ist schon zu hinterfragen. Er hat ja auch ange­geben, dass er in der Türkei Soldaten umgebracht hat. Das allein sollte schon für eine Sicherungshaft genügen. Und natürlich auch bei IS-Gefährdern und anderen – da gibt es genügend Bereiche, wo wir Handlungsbedarf haben.

Ein betroffener Asylwerber müsste Geheimdiensten bereits aufgefallen sein?
Von Einträgen auf Facebook bis zu allgemeinen Drohungen gibt es Gefährdungspotenziale, die man beurteilen kann. In Dornbirn hat es ja mehrfach ausgesprochene Drohungen gegeben, bis es zur Tat gekommen ist. Da braucht man rechtlich die Handhabe einer Sicherungshaft bis zur Abschiebung.

Hans Peter Doskozil von der SPÖ würde die Präventivhaft auch auf gefährliche Österreicher ausweiten.
Aber es geht darum, dass im Bereich der Gefährder bei Asylwerbern angesetzt wird. Natürlich beschäftigt uns auch die Debatte, dass es Staatsbürger gibt, die einen radikal islamischen Hintergrund haben. Grundsätzlich ist es wichtig, umzusetzen, was wir im Regierungsprogramm sichergestellt haben: ein Strafgesetz zum Verbot des politischen Islam.

© Ricardo Herrgott Neue Rolle, Alte Themen. Strache gibt sich als Vizekanzler gerne staatsmännisch, seine Partei und sein Innenminister setzen derweil auf polarisierende Themen

Doskozil ist es um Beziehungstaten gegangen.
Wo Gewalttäter unterwegs sind, die ihre Frauen bedrohen, muss das Strafgesetz nachgeschärft werden, das haben wir in der Taskforce getan.

Es gibt Bedenken gegen eine Präventivhaft. Allen voran vom Bundespräsidenten. Auch der Justizminister ist skeptisch. Ist sie koalitionsintern überhaupt außer Streit?
Die Unterstützung des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers ist gegeben. Auch der Justizminister steht dem positiv gegenüber. Natürlich braucht es dafür klare Kriterien, und es muss konform mit EU-Recht und der Europäischen Menschenrechtskonvention sein. Das hat der Bundespräsident angesprochen, und das ist ja eine Selbstverständlichkeit.

Der Justizminister wendet ein, dass ein Verurteilter weiß, wann er freikommt, ein Präventivhäftling nicht.
Darum setzen sich ja die Experten damit auseinander. Wenn man den Hinweis hat, dass jemand gewaltbereit ist oder einen terroristischen Hintergrund hat, ist es klug und vernünftig, Verbrechen im Vorhinein zu verhindern.

Nicht in österreichischen Gefängnissen haben wollen Sie IS-Anhänger, die in Syrien festgehalten werden.
Die Briten beginnen offensiv, diesen Leuten die Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Da muss man prüfen, wie hier die Möglichkeiten sind. Vernünftig wäre ein internationales Tribunal für diese Verbrecher und ihre Mittäter. Da hat der Innenminister zwar sehr pointiert, aber richtig gesagt, es geht nicht nur um die, die an der Front bestialisch Menschen den Schädel abgeschnitten haben, sondern auch um die, die Versorgung und Logistik als Mittäter im Hintergrund sichergestellt haben, auch Frauen. Wir werden solche Gefährder nicht zurückholen. Unser Wunsch ist ein Gerichtsverfahren vor Ort und die gerechte Strafe.

Das müsste auf UN-Ebene beschlossen werden. Hat Österreich da schon einen Vorstoß gemacht?
Da müssen Sie im Innen- und Außenministerium fragen. Aber es gibt Gespräche.

Eine Präventivhaft wäre eine weitreichende Änderung unseres Rechtssystems. Sollte das nicht breit diskutiert werden? Bisher hat die Regierung Gesetzesvorlagen oft kurzfristig ins Parlament gebracht und gemeint, aufgeschnürt wird nicht.
Es gibt immer Verhandlungen und Begutachtungszeiträume. Aber die Opposition will einen Arbeitskreis, weil sie nicht weiterweiß, und dann passiert jahrelang nichts. Wir wissen um das Problem, wir wissen eine Lösung, und darüber kann man definitiv im Rahmen der Begutachtung Einigkeit herbeiführen, wenn die Opposition das nicht apodiktisch ablehnt. Damit tut sie weder sich noch der Bevölkerung etwas Gutes.

Sie bauen moralisch Druck auf, und wenn die Opposition ablehnt, ist das Thema für den EU-Wahlkampf aufgespielt.
So ist das ja grundsätzlich bei jedem Thema. Jede Partei und jeder Abgeordnete muss sich gegenüber seinen Wählern verantworten. So ist zum Glück Politik, und wenn die Bevölkerung sieht, dass ihre Interessen nicht berücksichtigt werden, wird die Rechnung präsentiert.

Hätten Sie sich das in der Opposition gefallen lassen?
Wir haben das selbst erlebt. Aber hin und wieder haben wir auch etwas erreicht. Wir haben so einen Druck aufgebaut, dass die rot-schwarze Regierung unseren Vorschlägen doch nachgekommen ist. Da muss vielleicht die SPÖ … aber die hat weder Regieren gekonnt, Opposition muss sie auch noch lernen.

© Ricardo Herrgott Zielscheibe. Straches Büro ziert ein Geschenk Tiroler Schützen. Bei großformatigen Gemälden schätzt er Schlachtengetümmel der Monarchie

Stichwort EU-Wahl: eine Richtungsentscheidung zwischen Pro-Europäern und Anti-Europäern?
Wenn Europa funktionieren soll, braucht es eine deutliche Veränderung. Natürlich ist Europa mehr als die EU, und die Fehlentwicklungen einer zen­tralistischen EU haben wir ja erlebt: den unverantwortlichen Kurs von Merkel und Macron. Die Willkommenspolitik der beiden mit Unterstützung von Juncker ist bei der kommenden Wahl abwählbar.

Weder Merkel noch Macron stehen im Mai zur Wahl.
Doch, schon, weil sie den EU-Kurs maßgeblich bestimmen, Vorabsprachen treffen, die von der Kommission übernommen werden, in die andere Länder gar nicht eingebunden sind.

Sie haben sich mit Marine Le Pen getroffen. Schreckt der Schulterschluss mit Rechtsaußen nicht eher Wähler ab?
Begrifflichkeiten von links außen, rechts außen, oben, unten sind für mich völlig überholt. Le Pen ist in Frankreich in allen Umfragen stärkste Kraft. Im Europaparlament wird es durch den Brexit eine neue Ordnung der Fraktionslandschaft geben. Wir haben ein Ziel: die patriotischen Fraktionen in Europa zusammenzuführen und im besten Fall von den heute 45 auf bis zu 150 Abgeordnete zu wachsen.

Nützen Sie den EU-Wahlkampf nicht auch, um ihren Wählern zu zeigen: Wir sind eh noch die Alten, auch wenn wir in der Regierung sind?
Im Gegenteil. Die Menschen in Österreich schätzen unsere Regierungsarbeit. 2020 wird die Mindestpension kommen, um die ich seit Jahren kämpfe. Das ist ein sozialpolitischer Schritt, wo die Leute sagen: endlich. Nach einem Jahr Bundesregierung liegen wir in den Umfragen bei 25 Prozent. Und wir sind noch nicht einmal im Wahlkampf. Das zeigt unser Potenzial auf. Während die SPÖ mit ihrem Verhalten, grundsätzlich gegen alles zu sein, permanent alles mit Lügen falsch darzustellen, ihre Strafe vom Wähler bekommen und auf den dritten Platz verwiesen werden wird.

Wann kommt der Bericht der FPÖ-Historikerkommission?
Die Arbeit ist schon ziemlich weit fortgeschritten. Ich bin guter Dinge, dass wir nach der EU-Wahl fertig sind und den Bericht präsentieren können. Andere Parteien haben, wenn es um ihre braunen Flecken gegangen ist, zehn Jahre gebraucht, wir eineinhalb.

Andere Parteien haben aber auch früher angefangen. Hätte die FPÖ ohne die Liederbuch-Affäre agiert?
Das war für mich kein Druck, sondern ein Anlassfall, zu sagen: Eigentlich schade, dass das noch nicht passiert ist. Das gehört her. Auch weil so viele Unwahrheiten kolportiert werden, die in der historischen Gesamtbetrachtung falsch sind.

Die „Einzelfälle“ und Entgleisungen in der FPÖ kann die Kommission nicht lösen.
Was da von der SPÖ in einer Silberstein-Manier an Einzelfällen aufgelistet wird, ist ja an Diffamierung teilweise nicht zu überbieten. Das ist eigentlich eine Verharmlosung des Nationalsozialismus. Da müsste man schon fast eine Anzeige machen, was da alles hanebüchen in den Raum gestellt wird. Da würde ich mir fast wünschen, dass Leute, die in einer unverantwortlichen Art mit dem Begriff „Nazi“ umgehen, auch einmal gerichtlich belangt werden.

Der Verhetzende ist der, der Entgleisungen benennt?
Nein. Aber bei manchen Kommunisten ist alles, was nicht kommunistisch ist, ein Nazi. Da hört sich wirklich alles auf.

Das ist aber schon eine Problemumkehr.
Wer ein Nazi ist – und dafür haben wir einen Verbotsparagrafen –, wird in unserer Gesellschaft verurteilt. Und wer nicht verurteilt ist, darf nicht als Nazi bezeichnet werden. Deshalb glaube ich, dass da sehr wohl ganz klar eine rote Linie zu ziehen ist.

Noch zum übernächsten Wahlkampf: Lieber Erster in Wien oder Zweiter im Bund?
Die Wiener Wahl ist ja erst 2020, wir werden uns Gedanken machen, wenn es soweit ist: Aber, ich sehe dort schon die Chance, dass ein historisches Fenster aufgehen kann. Häupl ist in Pension, Ludwig ist kein Häupl. Auch in Wien haben die Menschen das Bedürfnis, dass die gute Arbeit, die mit der FPÖ in der Bundesregierung stattfindet, nicht vor den Toren Wiens haltmacht.

Würden Sie als zweitstärkste Partei der ÖVP den Bürgermeister überlassen, um die Neos als Mehrheitsbeschaffer ins Boot zu holen?
Für uns ist denkbar, dass wir mit dem geeigneten Spitzenkandidaten und einem guten Team in den Wahlkampf gehen, um stärkste Partei zu werden und Veränderung sicher zu stellen. Wenn ich mir anschaue, dass die SPÖ mit Ludwig bei 35 Prozent liegt und wir bei der letzten Wahl 31 Prozent hatten, so halte ich ein Kopf-an-Kopf-Rennen für möglich.

Da müssten Sie antreten.
Sag niemals nie. Wir werden das bewerten, wenn es soweit ist. Jetzt konzentriere ich mich auf Österreich, dann überlegen wir, mit welchem Team wir in Wien sicherstellen, dass es neue Mehrheiten gibt und diese rot-grüne Stadtpolitik überholt werden kann.

Dieses Interview erschien ursprünglich in der Printausgabe 9/2019