So sieht das
Regierungszeugnis aus

Notenwahrheit schon ab dem ersten Schuljahr – das gilt nicht nur für die Kleinsten, sondern auch im Regierungszeugnis von News. Und da zeigt sich: Kanzler Sebastian Kurz ist der Klassenstreber, die FPÖ-Minister Herbert Kickl und Beate Hartinger-Klein sind ein Fall für die Frühwarnung.

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Regierungszeugnis aus © Bild: BKA/Dragan Tatic

Nahen der Sommer, der Notenschluss und die Beurteilungs­konferenz, geraten viele Schüler bereits in Ferien- und Feierstimmung. Die Arbeit für dieses Schuljahr ist erledigt, manche können sich im Licht ihrer Leistungen sonnen, die anderen können sich zumindest denken: Schwamm drüber, neues Schuljahr, neue Chance. Kanzler und Ministern geht es dieser Tage nicht anders. Denn werden die Zeugnisse für die Schülerinnen und Schüler geschrieben, machen sich auch die Juroren des schon traditionellen News-Regierungszeugnisses an die Beurteilung. Innenpolitik-Experten und Chefredakteure der wichtigsten österreichischen Printmedien beurteilen die Leistungen der Regierungsmannschaft. Sie geben – pädagogisch auf dem Letztstand – Verbalbeurteilungen ab. Erfüllen aber auch den Wunsch der türkis-blauen Koalition nach Ziffernnoten – obwohl diese im Regierungsprogramm ja eigentlich für die Volksschüler wieder fix werden sollen. Am Ende stehen also elf Verbalbeurteilungen und eine Durchschnittsnote für jedes Regierungsmitglied.

In Feierstimmung war in den vergangenen Tagen auch Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Er lud an einem heißen Frühsommerabend zum Fest ins Wiener Palais Schönburg, schüttelte gut tausend Hände und ließ sich das eine oder andere Lob seiner Gäste gefallen. In vielen Gesprächen ging es um die Performance des Kanzlers, und im innersten ÖVP-Kreis war man sowieso hochzufrieden. Wichtig sei es gewesen, in den ersten 100 Tagen Regierung keinen Fehler zu machen, quasi die optimale Reiseflughöhe zu erreichen. „Jetzt kann uns lange nichts mehr passieren“, sagt einer. Klar, es gab Pannen im ersten Regierungshalbjahr: die Causa BVT etwa, doch die pickt fest am blauen Innenminister Herbert Kickl. Oder die Proteste gegen den Zwölf-Stunden-Arbeitstag. Die hat man allerdings einkalkuliert und will die Sache dennoch durchziehen.

Mit Abstand Erster

Zur entspannten Stimmung passt, dass ­Sebastian Kurz auch im Regierungszeugnis weit voran liegt. Mit der Note 1,7 schneidet er deutlich besser ab als seine Regierungskollegen. Da er als Einziger schon auf etliche Jahre in rot-schwarzen Koalitionen zurückblickt, kann bei Kurz auch der Vergleich zu seiner Vorjahresnote gezogen werden. Damals schaffte er einen glatten Zweier, sein Vorzugsschülerstatus früherer Jahre wurde 2017 allerdings durch den Bruch der Regierung und seine treibende Rolle dabei doch gedämpft. Als Kanzler legt er nun einen guten Start hin.

Kaum einer der Juroren zweifelt am handwerklichen Geschick des Politstrategen Kurz. Allerdings mischt sich Kritik zu dieser Anerkennung. „Profil“-Herausgeber Christian Rainer meint: „Emmanuel Kurz oder Sebastian Orbán? Vor lauter Erfolg ist der Bundeskanzler dort angelangt, wo Selbstbewusstsein zu Selbstgewissheit werden kann und Empathie zu Hegemonie.“ Politik-Blogger Johannes Huber (www.diesubstanz.at) ergänzt: „Was Kommunikation, loyale Mitarbeiter, Selbstbeherrschung und Gespür für Stimmungen betrifft, ist er seinen Amtsvorgängern überlegen. Er muss abseits der Flüchtlingspolitik eine entscheidende Frage aber erst beantworten: Wo will er die Gesellschaft hinführen?“ „Presse“-Innenpolitik-Chef Oliver Pink attestiert Kurz: „Er ist der Star der Regierung – und mittlerweile auch europaweit eine recht große Nummer. Trotz Fehlern, die auch immer wieder passiert sind, ist es vor allem Kurz’ soziale Intelligenz, die das türkis-blaue Projekt zusammen- und die gute Stimmung aufrechterhält. Kurz hat offensichtlich ein Konzept, wie das Land aussehen soll, dieses ist aber erst in Konturen sichtbar, das Ganze sieht man noch nicht.“

Straches Mittelmaß

Der blaue Vizekanzler kann mit dieser positiven Beurteilung nicht recht mithalten. Er bekommt von den Innenpolitik-Experten einen glatten Dreier, womit er aber immer noch an der Spitze der FPÖ-Mannschaft liegt. Von einem sind allerdings alle Juroren überzeugt: Heinz-Christian Strache ist wohl der glücklichste Vize seit Langem. Er hadert offenbar nicht mit der Rolle des Zweiten. Christoph Kotanko von den „Oberösterreichischen Nachrichten“ sagt: „Er ist ein Lebenskünstler. Genießt sein Dasein als Vizekanzler. Unbestritten in der eigenen Partei, unbelastet von ernsthafter Tagesarbeit.“ Daniela Kittner vom „Kurier“ urteilt: „Er hat Mühe, mit dem Highspeed von Sebastian Kurz mitzuhalten. Inhaltliche Schwächen, aber bemüht.“ Und Andreas Lampl vom „Trend“ sagt: „Er hat den Wandel vom Scharfmacher zu einem halbwegs staatstragenden Auftreten überraschenderweise hingekriegt. In der Chamäleon-Wertung ganz vorne.“ Allerdings meint Michael Völker vom „Standard“: „Seiner Klientel kann er nichts liefern.“

Womit sich auch zeigt, wer die politischen Profiteure dieser türkis-blauen Regierung sind. Zum einen sind die Inhalte des Regierungsprogrammes eindeutig auf die wirtschaftsnahe ÖVP-Klientel zugeschnitten, während die FPÖ ihren Wählern kaum gute Nachrichten übermitteln kann, was sich in den Meinungsumfragen niederschlägt. Zum anderen finden sich auch auf den vorderen Rängen des Regierungszeugnisses nahezu ausschließlich ÖVP-Regierungsmitglieder. Rechnet man ihre Bewertungen zusammen, erhält man die Gesamtnote 2,7. Einzig die parteifreie, von der FPÖ nominierte Karin Kneissl reüssiert im türkisen Feld und schiebt sich auf Platz vier der Wertung. Ohne sie sähe die Gesamtnote der blauen Mannschaft (3,4) noch düsterer aus, nämlich 3,6.

Schwacher Stratege

Dieser schwache Wert ist vor allem der schlechten Performance von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein und von Innenminister Herbert Kickl zuzuschreiben. Die beiden teilen sich mit der Note 4,5 den letzten Platz im Regierungsranking. Wobei die professionellen Beobachter vor allem von der schwachen Leistung des ehemaligen FPÖ-Generalsekretärs und Wahlkampf-Masterminds Kickl überrascht sind. „Er säubert mit Getöse“, bringt es Claus Pándi von der „Kronen Zeitung“ auf den Punkt. News-Chefredakteurin Esther Mitterstieler beschreibt das Kickl’sche Dilemma so: „Eigentlich ist er eine Enttäuschung. So geschickt er die Fäden der Partei lange Jahre zog, so ungeschickt erweist er sich in seiner Rolle als Minister. Der Bundesnachrichtendienst lässt grüßen. Das hätte der FPÖ-Kickl, den wir kannten, besser gemacht.“ – „Wäre er in der Opposition, würde er einen derart schwachen Minister in der Luft zerreißen“, ergänzt Daniela Kittner.

Es ist vor allem die Razzia im Bundesnachrichtendienst (BVT), die Kickls Bild in der Öffentlichkeit prägt. Er wollte „als Ex-FPÖ-Zerberus den Beweis erbringen, dass er auch ein Ministeramt staatstragend führen kann. Hat sich mit der BVT-Razzia ein Eigentor geschossen“, beschreibt es Michael Jungwirth von der „Kleinen Zeitung“. Aber er sorgt auch mit anderen Themen für Verwunderung: „Er hält uns mit seiner Ponyzei auf Trab“, spielt Michael Völker auf den Wunsch Kickls nach einer berittenen Polizeieinheit an. „Was er vermittelt: Umfärbung des Polizeiapparates und Schaffung einer berittenen Einheit sind wichtiger als die Sicherheit der Republik. Verhängnisvoll“, ergänzt Johannes Huber.

In jenen Jahren, als die Freiheitlichen von einer Regierungsbeteiligung erst träumten, galt Kickl in blauen Schattenkabinetten stets als programmierter Sozialminister. Hier bescheinigte man ihm Expertise, doch als die türkis-blaue Koalition gebildet wurde, wollte FPÖ-Chef Strache seinen loyalen Wegbegleiter lieber in einem Schlüsselressort sehen. Aus heutiger Sicht keine gute Entscheidung. Denn auch im Sozialministerium hat Strache mit Beate Hartinger-Klein einen echten Problemfall sitzen. „Sie wirkt überfordert, ist keine Krisenmanagerin“, sagt Michael Sprenger von der „Tiroler Tageszeitung“. Andreas Lampl versucht es mit Ironie: „Irgendwie ist die Sozialministerin ja erfrischend unkonventionell. Aber Professionalität wäre halt schon auch eine politische Kategorie.“ Oliver Pink hält sie für „in der Sache durchaus firm. Sie macht sich allerdings vieles mit unbeholfenen, überdrehten Auftritten kaputt.“ Es muss freilich auch gesagt sein, dass vieles von dem, was sie nun mehr schlecht als recht argumentieren muss, von den Koalitionsspitzen vorgegeben wird: Mindestsicherung statt Notstandshilfe, Aufhebung des umfassenden Rauchverbots in der Gastronomie, Zwölf­stundentag – „sie tut sich offenbar schwer, alles mitzutragen, was andere ihr vorgeben“, meint Michael Völker. Die Debatte um eine Zerschlagung der Unfallversicherung AUVA hat sie sich allerdings ganz alleine eingebrockt, weswegen Claus Pándi knapp urteilt: „Ein hoffnungsloser Fall.“

Überraschungserfolge

Das erste Zeugnis dieser Regierung hat – für manche Minister – freilich auch positive Überraschungen zu bieten. So schiebt sich mit Heinz Faßmann ein Minister auf Platz zwei, der eine Dauerbaustelle zu verantworten hat. Der Geograf und vormalige Integrationsberater von Sebastian Kurz übernahm das Bildungs- und Wissenschaftsministerium, wobei der frühere Uni-Professor für sein eigentliches Revier wohl deutlich weniger nervliche Ressourcen aufbringen muss denn für die Schulen. Er ist der älteste im Team, und man hat den Eindruck, dass er sich mehr Freiheiten in der Umsetzung des Koalitionsprogramms herausnehmen kann als andere. Allerdings: Bei den Deutschklassen musste er auf Geheiß seines Kanzlers einen Schnellschuss liefern. Esther Mitterstieler erklärt die Gesamtnote 2,1 für Faßmann so: „Eindeutig der Bestperformer der Quereinsteiger. Der Mann weiß, wovon er spricht, verliert sich nicht in leeren Worthülsen und strahlt jene Sicherheit aus, die einer hat, der weiß: Er hat nichts zu verlieren. Er ist ja auch über 60 …“ – „Er zeichnet sich durch Fachkompetenz aus und zeigt auch Witz“, lobt Michael Sprenger. Und Christian Rainer bemüht einen anderen „Professor“ als Vorbild: „Der Typus Van der Bellen in dieser Regierung. Verkauft uns konservative Politik, als wäre sie der pure Humanismus.“

Ebenfalls überraschend: Verteidigungsminister Mario Kunasek ist, was seine Note betrifft, gleichauf mit Heinz-Christian Strache im FPÖ-Spitzenfeld. Und das, obwohl eigentlich keiner große Taten des Ministers nennen kann, außer einer: Er hat vor wenigen Wochen geheiratet. „Ein Stimmungsmacher, kein Macher“, sagt Christoph Kotanko. Doch Michael Jungwirth erklärt: „Er schielt in die Steiermark und hat die nächsten Landtagswahlen im Visier.“

Eine Reifeprüfung quasi – und bis dahin heißt es im Regierungszeugnis für manche wie im echten Schülerleben einfach weiter durchwurschteln.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe Nr. 26/2018