Thomas Stelzer: "Ich
verlange höchstes Niveau"

Landeshauptmann Thomas Stelzer im Gespräch über oberösterreichische Gesundheitsstandards als Messlatte. Plus: warum er Ministerin Hartinger-Klein vertraut und Kritikern der Regierung rät, sich stärker einzubringen

von News Österreich Rundfahrt - Thomas Stelzer: "Ich
verlange höchstes Niveau" © Bild: Ricardo Herrgott

News: Was hat die ÖVP-FPÖ-Regierung dem Land Oberösterreich bisher gebracht?
Thomas Stelzer: Ich bin sehr froh, dass wir mit Sebastian Kurz den Bundeskanzler stellen und die Bundesregierung führen. Klar ist auch, dass der Herr Bundeskanzler vor allem gewählt worden ist, weil mit ihm Veränderung und neue Wege verbunden werden. Die geht er jetzt auch. Ich gebe schon zu, dass uns das gemeinsam fordert. Aber wir sind auch sehr daran interessiert, dass es zu positiven Veränderungen kommt. Ich habe ja selber, als ich vor nicht ganz eineinhalb Jahren in Oberösterreich gestartet bin, mit dem Motto "Veränderungen, neue Zeiten, neue Wege" begonnen -und daher treffen wir uns in vielen Punkten.

»Ich halte nichts von einer Schablone, die quer über die Republik gelegt wird«

Oberösterreich war immer personell in der Regierung vertreten. Diesmal nicht. Hat das Land jetzt einen geringeren Einfluss?
Oberösterreich spielt für die Gesamtrepublik eine Riesenrolle. Wir sind ein sehr starker Standort, was wirtschaftliche und industrielle Entwicklungen angeht. Daher braucht uns die Republik. Aber auch wir brauchen einiges von der Bundesregierung, damit wir den Standort weiterentwickeln können. Was personelle Konstellationen anlangt, haben wir mit ÖVP-Klubobmann August Wöginger einen Oberösterreicher direkt an einer ganz wichtigen Dreh-und Angelstelle der Koalition.

Und Wöginger bringt seinen Einfluss auch stark ein, gerade bei Sozialthemen.
Ja, er ist für uns ein starker Player, auch mit seinen Schwerpunkten. Und der Klubobmann ist einer, der für eine Koalition eine sehr wichtige Rolle spielt, weil er eigentlich bei allen Themen dabei ist.

Aktuell streiten die Länder mit dem Bund über die Kosten für die Kindergärten. Wie ist Ihre Position dazu?
Kinderbetreuung ist in der Hauptsache Gemeindeangelegenheit -und wir Länder organisieren sie mit. Aber das Geld - das ist in Österreich nun einmal so konstruiert -hat der Bund. Wir sind uns einig, dass wir noch mehr Ausbau in der Kinderbetreuung brauchen. In unserem Bundesland etwa für unter Dreijährige, dazu muss man noch mehr in Öffnungszeiten investieren. Das Geld ist dort gut angelegt. Das wurde bisher vom Bund bezahlt - es läuft halt jetzt aus -und ich bin sehr dafür, dass wir diese Mittel wieder bekommen.

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Damit stehen Sie aber in klarer Opposition zu den Regierungsplänen.
Ich bin dahinter, dass wir ausreichend Geld bekommen und dass wir es auch vor Ort so einsetzen können, wie der Bedarf gegeben ist. Ich halte nichts von einer Schablone in der Kinderbetreuung, die man quer über die Republik legt. Es ist etwas anderes, in einer Großstadt Kinderbetreuung zu organisieren oder in einer 2.000-Einwohner-Gemeinde.

Hat Oberösterreich denn andere Bedürfnisse als andere Bundesländer? Immerhin gibt es anderswo auch ländliche Gebiete.
Das stimmt. Das Ganze hat mit der Einwohnerstruktur zu tun, aber auch damit, wo die Arbeitsplätze und die Pendlerströme sind. Bei uns geht der Weg in Richtung mehr betriebliche Kinderbetreuung, da wir feststellen, dass die Eltern es schätzen, wenn dort, wo Arbeit ist, auch Kinderbetreuung stattfindet.

Ausgerechnet Oberösterreich steht aber schon länger in der Kritik wegen der Wiedereinführung von Beiträgen für die Kinderbetreuung. Eltern sollen ihre Kinder am Nachmittag abgemeldet haben, weil sie sich den Kindergarten nicht mehr leisten konnten. Im Nachhinein betrachtet: War es eine kluge Entscheidung?
Man muss einmal sagen: Acht Bundesländer haben Beiträge für die Kinderbetreuung. Wir gehören nach wie vor zu den ganz wenigen, wo der Vormittag beitragsfrei ist und bleibt. Das Zweite ist, wir bieten dort Kinderbetreuung an, wo sie gebraucht wird. Dafür macht jede Gemeinde eine konkrete Planung: Wie viele Kinder haben wir, wie ist die Familiensituation, wie wird Betreuung benötigt? Und wir machen über den Sommer eine große Evaluierung, um zu sehen, wo es wirklich Nachschärfungsbedarf gibt. Außerdem: Die Beiträge, die wir haben, gehen von 21 bis zu 110 Euro im Monat, je nach Einkommenssituation. Da sind wir sehr sozial verträglich. Und das Geld wird benutzt, um in die Kinderbetreuung weiter zu investieren. Es ist eine echte Wechselwirkung da.

Aber hat es wirklich so viele Abmeldungen gegeben?
Ich glaube nicht. Aber damit wir wirklich verlässliche Zahlen haben und uns nicht auf Einzelberichte verlassen müssen, machen wir eben diese Evaluierung.

Der Zwölf-Stunden-Tag wird ohne Betreuung schwierig.
Aus meiner Sicht geht es um die Arbeitszeitflexibilisierung. Bei vielen Betriebsbesuchen hier im Lande ist Folgendes aus der Mitarbeiterschaft gekommen: Wir wollen mehr Spielraum, wir wollen die Aufträge dann, wenn sie da sind, dann, wenn wir auf Montage sind, abarbeiten. Und wir wollen mehr Freizeitphasen nützen. Kinderbetreuung ist im Konnex mit Beschäftigung immer ein Thema. Und darum müssen wir dort auch weiter investieren.

Viele Industriebetriebe - allen voran die Voestalpine - haben aber bereits flexible Betriebsvereinbarungen. Ist es wirklich notwendig, dass der Zwölf-StundenTag gesetzlich verankert wird?
Die Möglichkeit, Arbeit flexibler zu gestalten, ist auch bei uns im Lande bei vielen kleineren und mittleren Unternehmen -und deren Mitarbeitern, das muss man immer wieder sagen -ein Riesenthema, und ich glaube, dass ihnen damit sehr geholfen ist.

Aber haben Sie Verständnis für die Aufregung der Gewerkschaft?
Ich kann es taktisch verstehen. Aber ich halte es für überzogen, weil auch nicht immer mit der ganzen Fülle der Informationen gearbeitet wird, um es höflich zu sagen. Es ist auch seltsam, dass man versucht, sich als Opposition zur Regierung aufzubauen. Der Sache dient diese Überemotionalisierung in dem Thema gar nicht.

Aber dass es zu einer Verschärfung in der Beziehung zwischen den Sozialpartnern gekommen ist, ist deutlich sichtbar. Dafür hätte es den Zwölf-Stunden-Tag nicht gebraucht. Der Konflikt spitzt sich zu.
Ich würde das nicht verallgemeinern. Diese Lösung, die jetzt auf dem Tisch liegt, ist ja schon vor über einem Jahr zwischen den Sozialpartnern ausdiskutiert worden. Es kommt nun wieder zu einer klareren Rollenverteilung: die Interessenvertreter, die wieder Interessenvertretung machen, und die Regierung, die Gesellschaft gestaltet und Entscheidungen treffen muss.

© Ricardo Herrgott

Für die Pflege stellt der Finanzminister nun 340 Millionen Euro bereit. Wirklich glücklich scheinen die Länder über diesen Kompromiss nicht zu sein. Gilt das auch für Oberösterreich?
Es hat, nachdem der Bund den Pflegeregress abgeschafft hat und wir mit Ländern und Gemeinden die Pflege ja finanzieren und organisieren müssen, aus meiner Sicht ein bisschen zu lange gebraucht, bis wir zu Geld gekommen sind. Nun gibt es Klarheit. Wir haben immer echte, ehrliche Zahlen geliefert, und ich hoffe, dass wir mit dieser Lösung den finanziellen Bedarf, den wir haben, um die Pflege zu organisieren, auch decken können.

Aber reicht das Geld vom Finanzminister dafür aus?
Ich kann das nur für unser Bundesland sagen. Die Zahlen, die wir gemeldet haben, waren die ganze Periode und die Verhandlung hindurch immer sehr reell und nachvollziehbar. Und nachdem wir ausgemacht haben, dass wir nach Echtkosten abrechnen, gehe ich davon aus, dass unsere echten Kosten abgedeckt werden.

»Im Pflegebereich sollte man bei einem Beitragssystem landen, weil es anders nicht zu stemmen ist«

Aber sollte denn nicht eigentlich viel stärker als bisher in die Pflege investiert werden?
Wir werden sicher eine stabilere Finanzierungsform brauchen. Man kann nicht sagen, der Bedarf wächst, wir müssen mehr Pflegeangebot liefern, und irgendwoher soll das Geld kommen. Man sollte dort - wie man es auch im Gesundheitsbereich hat -bei einem Beitragssystem landen, weil es anders nicht zu stemmen ist.

Bringt die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger Verbesserungen?
Das ist meine Messlatte in dieser Diskussion. Mein Zugang, auch meine Bedingung, ist, dass es mindestens so gut bleiben muss im Lande, wie es ist. Das ist ein Standard, der unbedingt beibehalten werden muss, auch wenn wir nur mehr eine österreichische Gesundheitskasse dafür haben.

Sie verlangen also, dass die Versicherten das höchste Niveau der Leistungen erhalten?
Das verlange ich. Wir haben in Oberösterreich ein gutes Niveau erreicht. Das hat damit zu tun, dass die Kasse in Oberösterreich gut wirtschaftet. Aber natürlich auch damit, dass wir aufgrund der vielen Arbeitsplätze auch ein hohes Beitragsaufkommen haben. Das muss natürlich auch im Land eingesetzt werden, damit es fair und gerecht ist. Aber das ist aus meiner Sicht machbar. Die Verhandlungen laufen, wir sind noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt.

Genauso wie bei der AUVA. Nach dem Plan einer Zerschlagung steht jetzt die Schwächung der Unfallversicherung im Raum. Schadet das nicht auch der Versorgung der Bundesländer?
Die Frau Gesundheitsministerin (Beate Hartinger-Klein, Anm.) hat gesagt, es wird kein Spital geschlossen aus dem AUVA-Bereich, und es werden die Leistungen aufrechterhalten. Darauf verlasse ich mich. Das Wort eines Regierungsmitglieds muss da zählen.

In welchem Ausmaß wäre Oberösterreich betroffen?
Die AUVA betreibt ein Unfallkrankenhaus mit Standort in Linz, das natürlich auch versorgungsrelevant ist. Daher setze ich auf die Zusicherung der Ministerin.

Wie gehen Sie mit der Gefahr einer geschlossenen Staatsgrenze um?
Für mich ist vollkommen klar, dass, wenn Deutschland -mit dem wir einige Grenzstellen gemeinsam haben -beginnt, noch stärker zu kontrollieren oder auch Menschen zurückzuweisen, dann Oberösterreich nicht ein Zwischenlager (für Asylsuchende, Anm.) werden oder in eine Puffersituation kommen darf. Sondern dann muss das heißen, dass wir an unseren Außengrenzen im Süden oder im Osten - wie immer die Flüchtlingsrouten dann verlaufen - auch die entsprechenden Maßnahmen wie in Deutschland machen. Aber es hat ja schon Gespräche gegeben, und ich glaube, dass das im Einvernehmen gelöst werden kann.

Sie denken nicht, dass sich die politische Situation noch einmal aufschaukeln wird?
Wir haben jetzt schon zwischen Bayern und Oberösterreich Grenzkontrollen. Und das ist ein starker gemeinsamer Wirtschaftsraum. Keiner kann - weder bei uns noch in Deutschland - Interesse daran haben, dass wir Schwierigkeiten miteinander haben.

Also werden keine Panzer an der Grenze stehen?
Es geht um Kontrolle. Man kann nicht akzeptieren, dass der Staat nicht mehr weiß, wer bei uns ist im Land und wer hereingelassen wird. Aber moderne Kontrolle muss ja nicht an einer Grenze stattfinden, das kann auch die "Schleierfahndung" sein.

Ist es ein Rückschritt für die EU, wenn die Grenzen wieder dicht sind?
Also Ruhmesblatt ist es keines, überhaupt nicht. Auch dass wir immer noch darum ringen, dass es EU-weit eine Lösung gibt. Ich setze darauf, dass das Zuspitzen der Diskussion zu einer gemeinschaftlichen Lösung führt. Also dass wir zu einem verlässlichen, stabilen Schutz der EU-Außengrenzen kommen.

Wird das aber in absehbarer Zeit passieren?
Ja, beim letzten Gipfel ist es zu konkreten Vorschlägen gekommen. Etwa Zentren, die man außerhalb Europas schaffen will, oder der Aufbau einer Grenzschutztruppe. Hier ist Bewegung sichtbar.

Wie geht man mit geflüchteten Menschen um, die bereits im Land sind?
Das Um und Auf ist, dass die Verfahren schneller werden. Beide Seiten, sowohl die Asylwerber als auch wir, müssen Interesse daran haben, dass man schnell Klarheit hat. Für die, die dableiben können -also einen positiven Asylbescheid bekommen -, geht es darum, dass wir möglichst schnell fürs Miteinander sorgen.

Das Arbeitsverbot bis zum Asylbescheid würden Sie aber aufrechterhalten?
Ja. Weil das Asylrecht dazu da ist, Flüchtlingen zu helfen. Man kann nicht das Asylrecht durch private Arbeitsverträge aushebeln. Jemanden mit einem negativen Bescheid hierbleiben zu lassen, nur weil er halt schon arbeitet, das geht nicht in einem Rechtsstaat.

Sie sagen, Sie sind froh über das, was Kanzler Kurz macht. Worüber sind Sie nicht ganz so froh?
Wir würden beide unseren Job nicht gut machen, wenn wir nicht ab und an verschiedene Standpunkte hätten. Er hat die Sicht auf ganz Österreich, ich habe den Fokus darauf, Oberösterreich gut weiterzuentwickeln. Da ist es klar, dass man nicht von Haus aus einer Meinung sein kann. Aber wichtig ist mir, dass man immer eine gute Gesprächsebene auf Augenhöhe hat -und das findet statt. Wir kommunizieren viel, er ist, Gott sei Dank, eine sehr offene Führungsperson. Darum glaube ich, dass wir einiges zustande bringen werden.

Hat Kurz seine "Privilegien", die er sich ausbedungen hat, bevor er Parteichef wurde, richtig genutzt oder werden Teile der ÖVP nun doch etwas unruhig?
Wenn man sieht, wo wir als ÖVP gestartet sind, als Sebastian Kurz Parteiobmann wurde, und wo wir jetzt stehen, kann man sagen, dass wir es bisher mit ihm ganz gut gemacht haben. Ich gebe zu, dass wir zu Beginn überlegt haben, ob es diesen großen Wechsel in der Einstellung innerhalb der ÖVP geben soll. Wir haben uns dann dazu entschieden, und ich glaube, dass es der richtige Weg war.

Dann geht auch der Plan der Regierung, den Sozialstaat umzubauen, in die richtige Richtung?
Es muss vieles geändert werden. Wir können nicht sagen, es ändert sich alles, die Entwicklung geht voran, nur bei uns sollen alle Strukturen so bleiben, wie sie immer waren. Ein Riesenpluspunkt dieser Regierung ist ja, dass sie jetzt einmal auch tut, was sie sagt. Die gesamte politische Szenerie hat in den vergangenen Jahren darunter gelitten, dass man über alles geredet, aber auch alles zerredet hat und kaum noch irgendwo Entscheidungen gefallen sind. Es muss sich halt jeder einbringen und seine Bedingungen oder Sichtweisen anbringen.

Was entgegnen Sie dem Vorwurf, dass diese Regierung die Unternehmen den Menschen vorziehe?
Man kann Einkommen, Arbeit und Sinnstiftung der Menschen und wirtschaftliche Weiterentwicklung nicht losgelöst voneinander diskutieren. Ich halte auch überhaupt nichts von gegenseitigen Aufschaukelungen. Ich glaube, dass die Leute in ihrer Einstellung - egal, ob es jetzt Mitarbeiter oder Managementvertreter sind -schon viel weiter sind und sich als Einheit wahrnehmen.

Also sind Sie kein Freund des bedingungslosen Grundeinkommens (finanzielle Zuwendung ohne Gegenleistung, Anm.)?
(Lacht.) Das könnte man so sagen.

Letzte Frage: Würden Sie sich als schwarz oder als türkis bezeichnen?
Ich bin ein guter Schwarzer aus Oberösterreich, der dafür Sorge trägt, dass auch Türkis in Österreich gut weiterregieren kann.

Zur Person: Thomas Stelzer, 51

Die politische Karriere des Juristen begann 1992 als Mitarbeiter des Landes-ÖVP-Klubs. Über die Junge ÖVP und den Linzer Gemeinderat kam er 1997 in den Landtag und wurde vor drei Jahren Landeshauptmann-Stellvertreter. Im Vorjahr übernahm er den Vorsitz von Josef Pühringer. Die ÖVP erreichte 2015 bei der Landtagswahl 36,4 Prozent (minus 10,4).

Das Interview erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 30/18

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