"Das Unverständnis wächst"

So reagiert das Ausland auf die Corona-Politik von Sebastian Kurz

Internationale Tageszeitungen kommentieren am heutigen Mittwoch das Agieren von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in der Coronakrise:

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"Anti-Kurs" - "Das Unverständnis wächst"

"Welt" (Berlin):

"(Deutschlands Bundeskanzlerin Angela) Merkel stehen die Ideen der 'sparsamen Vier' viel näher als die Ausgabenpläne der Südeuropäer. Aber sie konnte nicht anders. Und sie weiß auch, dass der Merkel-Macron-Plan nur Teil eines großen Programms sein wird, das die 'sparsamen Vier' am Ende entscheidend mitbestimmen dürften - ganz in Merkels Sinne. (...) Er (Kurz, Anm.) hat - wie alle Regierungschefs - ein Vetorecht. Konkret: Ohne Kurz' Zustimmung platzt das ganze Paket. Das dürfte auch Deutschland helfen: Das Hilfspaket wird am Ende deutlich kleiner ausfallen und strenger kontrolliert werden, als die Südeuropäer ursprünglich gefordert hatten."

»Weil Österreichs junger Kanzler Sebastian Kurz mit dieser Strategie Wahlen gewinnt, kommt er damit durch«

"Die Zeit" (Hamburg):

"Das Framing funktionierte: Vier kleine Staaten muckten publikumswirksam gegen die Großen Zwei auf, so ging die Erzählung. (...) Da mochten Kritiker noch so bitter anmerken, es seien eigentlich 'geizige' oder gar 'böse Vier' - innenpolitisch hat sich die Blitzaktion für die Initiatoren gelohnt. Wenn es nun auf Vorschlag der EU-Kommission ein Mischsystem aus Zuschüssen geben wird, wie Merkel und (Frankreichs Präsident Emmanuel) Macron es wollen, und rückzahlbaren Krediten, wie sie selbst es verlangen, dann können sie zu Hause immer noch erzählen, sie hätten Deutschland und Frankreich ein gutes Stück abgerungen.

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Inhaltliche Argumente hatten sie dabei offenbar nicht wirklich abgewogen: Ihr Plan ließ sich auf kargen zwei Druckseiten unterbringen. Zwei der vier Zweckkoalitionäre - Schweden und Dänemark - sind nicht Mitglied der Eurozone. Das weitere Schicksal Italiens und Spaniens kann ihnen deshalb zwar nicht egal sein, aber eine Euro-Krise wie jene, die sich vor Jahren vor allem in Griechenland entfaltete, würde sie nicht besonders treffen. Österreich und die Niederlande wiederum haben starke rechtspopulistische Konkurrenten im Land, denen man mit Kraftmeierei das Wasser abgraben will. Und weil Österreichs junger Kanzler Sebastian Kurz mit dieser Strategie Wahlen gewinnt, kommt er damit durch - auch gegen seine grünen Koalitionspartner."

» Das Unverständnis wächst. «

"Handelsblatt" (Düsseldorf):

"Der Brenner ist nicht nur die Grenze zwischen Österreich und Italien. Der Alpenpass ist ein Symbol für ganz Europa. Während Rom wieder seine Grenzen ab 3. Juni zum Norden öffnen wird, nennt Wien weiter kein Datum für die Lockerung der Reisebeschränkungen. (...) Österreich droht sich mit seiner Haltung zu isolieren. Die Beziehungen zwischen der Alpenrepublik und seinem nach Deutschland größten Wirtschaftspartner Italien sind seit Jahren belastet. In der Flüchtlingskrise drohte Wien bereits, den Brenner abzuriegeln. Später bot die (frühere, Anm.) konservativ-rechtspopulistische Regierung unter Kanzler Sebastian Kurz den Südtirolern plötzlich einen österreichischen Pass als Alternative an. Die Ibiza-Affäre setzte der Provokation schließlich ein Ende. Und nun droht Österreich im Bündnis mit den Niederlanden, Dänemark und Schweden in Brüssel den deutsch-französischen Plan von 500 Milliarden Euro zum Wiederaufbau nach der Coronakrise in Ländern wie Italien zu blockieren. Das Unverständnis wächst. Das ist für ein Exportland wie Österreich nicht ungefährlich. Wien könnte im Rausch der Austria-first-Strategie die überragende ökonomische Bedeutung des grenzenlosen Binnenmarktes unterschätzen."

»Kurz gilt als Architekt der sogenannten "Schließung der Balkanroute" - ein Mythos bzw. ein politischer Schachzug«

"Dolomiten" (Bozen):

"Und wieder einmal: Der Jungkanzler des kleinen Österreich gegen die scheinbar unverwüstliche Regierungschefin des großen Nachbarn Deutschland. Angela Merkel gibt die Richtung vor, und Sebastian Kurz sagt: Nein. Ziemlich beste Freunde werden die beiden aus derselben Parteifamilie nicht mehr, auch wenn ihre Begegnungen bisweilen durchaus harmonisch bis freundschaftlich verlaufen. Diesmal ist es der Corona-Hilfsfonds, der die beiden Regierungschefs entzweit. (...) Diesen Anti-Kurs fährt Kurz, seit er mit 27 jüngster Außenminister der Republik wurde. Das erste Mal in der Flüchtlingskrise 2015/16, als er gegen den 'Wir schaffen das'-Kurs von Merkel - und des damaligen österreichischen Kanzlers Werner Faymann - aufstand und warnte. Kurz gilt als Architekt der sogenannten "Schließung der Balkanroute" - ein Mythos bzw. ein politischer Schachzug, der viel zu seinem weiteren politischen Aufstieg beigetragen hat. Dieser Erfolg machte ihn sicher. Und selbstbewusst genug, der deutschen Kanzlerin und der EU auch bei anderer Gelegenheit die Stirn zu zeigen. Kurz stemmte sich gegen die Verlängerung von Rettungsmissionen im Mittelmeer; Kurz warf sich gegen den EU-Mainstream für die EU-Sünder Polen und Ungarn in die Bresche und warnte davor, den Oststaaten nicht auf Augenhöhe zu begegnen; Kurz legte sich gegen die Bestrebungen in Brüssel quer, die Zahlungen ins EU-Budget bei 1,1 Prozent der Wirtschaftsleistung oder mehr anzusetzen - ein Prozent, aus Maus; und Kurz gab den Ton an, als es galt, in Corona-Zeiten zu drastischen Maßnahmen zu greifen - 2 Wochen, ehe Merkel das tat."