EU-Wiederaufbauplan: Für die EU geht es ums Ganze

Fragen und Antworten zu dem politisch heiklen Unterfangen

Vier Wochen lang hat Ursula von der Leyen hinter den Kulissen gefeilt und mit Europas Hauptstädten gefeilscht. Nun präsentierte die EU-Kommissionspräsidentin ihren Plan in der Höhe von 750 Milliarden Euro für die wirtschaftliche Erholung Europas nach der Corona-Krise. Es ist ein finanziell, rechtlich und politisch heikles Unterfangen. Denn längst geht es um mehr als um eine Konjunkturhilfe für Krisenregionen.

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Es geht für die Europäische Union ums Ganze - um den Zusammenhalt Europas, wie es auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt.

Was wird von der Leyen vorschlagen?

Die Kommissionschefin erhielt Ende April von den EU-Staats- und Regierungschefs den Auftrag, einen Wiederaufbauplan zu entwerfen und diesen mit dem neuen EU-Haushaltsrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 zu verbinden. Hintergrund war der erbitterte Streit der EU-Staaten über mögliche Gemeinschaftsanleihen (Corona-Bonds), die grob gesagt der Süden unbedingt und der Norden keinesfalls wollte. Von der Leyen soll einen Mittelweg finden.

Die EU-Kommission schlägt einen Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro vor. Diese Zahl gab EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch in Brüssel bekannt. Parallel dazu sieht die EU-Behörde angesichts der Coronakrise für die Jahre 2021 bis 2027 ein EU-Budget in Höhe von 1,1 Billionen Euro vor.

Der Wiederaufbauplan verwandle die Herausforderungen der Coronakrise in eine Chance, sagte von der Leyen nach Angaben der EU-Kommission. "Dies ist Europas Moment." Insgesamt soll damit der EU eine "Feuerkraft" von 1,85 Bio. Euro zur Verfügung stehen, um den Motor der europäischen Wirtschaft wieder anzuwerfen.

Wer bekommt die EU-Hilfen?

Von der Leyen spricht etwas abstrakt von drei Säulen. Gefördert werden sollen demnach:

1. Investitionen zur wirtschaftlichen Erholung, ausgerichtet an den Zielen Klimaschutz und Digitalisierung

2. strategische Investitionen, zum Beispiel in Arzneimittelherstellung und

3. die Stärkung von Forschung und Gesundheitsprogrammen.

Der Großteil der Hilfen aus dem EU-Wiederaufbauplan der EU-Kommission soll an die beiden Corona-Krisenländer Italien und Spanien gehen. Wie aus internen Berechnungen der EU-Kommission vom Mittwoch hervorgeht, erhält nach dem Plan der EU-Kommission auch Österreich Zuwendungen in Höhe von 4,043 Milliarden Euro.

Von dem insgesamt 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds erhalten demnach Italien 172,745 Milliarden Euro und Spanien 140,446 Milliarden Euro. Dabei seien 81,807 Milliarden Euro als Zuschüsse an Italien und 77,324 Milliarden Euro als Zuschüsse an Spanien vorgesehen, der Rest sind als Kredite reserviert - im Falle Italiens 90,938 Milliarden Euro und bei Spanien 63,122 Milliarden Euro. Dazu würden noch nicht zugeteilte Programme kommen.

Wie unterscheidet sich das Konzept vom deutsch-französischen Wiederaufbauplan und vom Plan der "Sparsamen Vier?"

Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten vorgeschlagen, der EU-Kommission die Aufnahme von bis zu 500 Milliarden Euro Schulden zu ermöglichen und das Geld ausschließlich als Zuschuss an Krisenregionen und -branchen zu vergeben. Österreich und drei weitere Länder - die Niederlande, Dänemark und Schweden - erhoben gemeinsam Einspruch: Sie wollen das als Kredit aufgenommene Geld auch nur als Kredite verteilen. Das heißt, die Empfänger müssten es zurückzahlen. Im Merkel-Macron-Plan würden die Schulden dagegen gemeinsam über Jahrzehnte aus dem EU-Haushalt getilgt. Von der Leyens Plan präsentiert sich als Kompromisslinie, liegt aber näher am deutsch-französischen Plan. Denn auch nach ihrem Konzept würden gemeinsame Schulden gemeinsam zurückgezahlt.

Ist das der Weg in die "Schuldenunion"?

"Schuldenunion" ist einer der Begriffe, die jeder anders versteht. Klar ist: Es ist ein Präzedenzfall, dass die EU im großen Stil Geld am Kapitalmarkt aufnimmt und dieses in Form von nicht zurückzahlbaren Zuschüssen an Mitgliedstaaten weiterleitet. Ein Unterschied zu Corona- oder Eurobonds bleibt aber: Die Haftung der einzelnen EU-Staaten ist nicht unbegrenzt, sondern beschränkt auf ihren Anteil am EU-Budget.

Gilt für den EU-Haushalt nicht eigentlich ein Verschuldungsverbot?

Nach bisheriger Rechtsinterpretation ist dies der Fall. Artikel 310 des EU-Vertrags besagt in Absatz 1 ganz klar: "Der Haushaltsplan ist in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen." Dem gegenüber stehen allerdings Artikel 352, Artikel 311 und Artikel 122. In Artikel 352 heißt es: "Erscheint ein Tätigwerden der Union (...) erforderlich, um eines der Ziele der Verträge zu verwirklichen, und sind in den Verträgen die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, so erlässt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften." In Artikel 311 steht: "Die Union stattet sich mit den erforderlichen Mitteln aus, um ihre Ziele erreichen und ihre Politik durchführen zu können." Und Artikel 122 besagt: "Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission unbeschadet der sonstigen in den Verträgen vorgesehenen Verfahren im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten über die der Wirtschaftslage angemessenen Maßnahmen beschließen (...)."

Der Fall dürfte deswegen vor Gericht landen. Wenn es schlecht kommt, könnte der Europäische Gerichtshof nach einer Klage entscheiden, dass der EU-Vertrag geändert werden muss.

Warum trägt Bundeskanzlerin Angela Merkel den Plan für gemeinsame Schulden mit, wo sie sich bisher doch immer dagegen gestemmt hat?

Als ein Grund für den Kurswechsel gilt die Sorge, dass einzelne EU-Länder unter einer weiter steigenden Schuldenlast wirtschaftlich zusammenbrechen könnten - etwa das bereits stark verschuldete und besonders stark von der Coronakrise getroffene Italien. Zudem wird in Berlin betont, dass Solidarität auch im deutschen Eigeninteresse ist. Ein exportorientiertes Land sei zwingend darauf angewiesen, dass sich die Nachbarn in der EU möglichst rasch erholten, sagte Europastaatsminister Michael Roth am Dienstag. "Wir alle hängen voneinander ab, und wir alle brauchen einander."

Wie geht es nach diesem Mittwoch weiter?

Dann ist EU-Ratspräsident Charles Michel am Zug. Er muss ausloten, ob der Kommissionsvorschlag unter den Mitgliedstaaten konsensfähig ist. Von der Leyen hat dies in wochenlangen Vorgesprächen bereits versucht. Aber noch sind nicht alle 27 Staaten auf Linie. Die letzte Entscheidung dürfte bei einem EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs fallen. "Wir werden versuchen, schnell zu arbeiten", sagte Michel am Dienstag.