Was in der Republik
wirklich "geheim" ist

Für Kanzler und Finanzminister sind die E-Mails ihrer Häuser "geheim". Doch wie funktionieren Klassifizierung und Amtsgeheimnis? Und warum sind E-Mails plötzlich sensibel wie militärische Einsatzpläne? Ein Blick ins Regelwerk des Geheimschutzes.

von Politik - Was in der Republik
wirklich "geheim" ist © Bild: Photo Art Lucas/Shutterstock

Der Wunsch war klar formuliert. Der "Ibiza"-Untersuchungsausschuss des Parlaments forderte für seine Arbeit die E-Mails von Bundeskanzler Sebastian Kurz, Finanzminister Gernot Blümel und einigen ihrer Mitarbeiter. Zweck: Aufklärung vermuteter Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung. Genauso klar waren die Antworten: Nein.

Erst der Hilferuf an den Verfassungsgerichtshof war erfolgreich. Unter Androhung der Exekution ging es plötzlich rasch. Von praktischem Nutzen waren die Unterlagen dennoch nicht, wurden diese von Kanzleramt und Ministerium doch als "geheim" eingestuft. Zehntausende Seiten Papier waren damit zwar da, aber nicht durchsuch-und verwertbar. Im Lauf einer lauten Debatte darüber gaben Kurz und Blümel -zumindest teilweise -nach. Sie reduzierten für bestimmte Mails den Grad des Schutzes.

Wie aus Arbeit ein Geheimnis wird

Was bedeutet "geheim" nun eigentlich? Was ist der Unterschied zu Unterlagen, die nur "eingeschränkt" oder "vertraulich" sind? Und wer hat überhaupt Zugang zu Informationen, die die Republik gar als "streng geheim" einstuft?

Zumindest der Anlassfall, also der Streit zwischen U-Ausschuss, Kanzler Kurz und Minister Blümel, ist schwer nachzuvollziehen. Denn: "In der Lieferung des Finanzministeriums gibt es E-Mails, die zuvor bereits von anderer Stelle als ,eingeschränkt' geliefert wurden, nun aber ,geheim' sind", berichtet Kai Jan Krainer, der für die SPÖ im Ausschuss sitzt. So ein Vorgehen hat konkreten Einfluss auf die Art der Aufarbeitung des Untersuchungsgegenstandes. Abgeordnete, also Repräsentanten der Wähler, die Inhalte aus "eingeschränkten" Akten öffentlich thematisieren, haben nichts zu befürchten. Bei "geheimen" und "streng geheimen" Unterlagen schützt sie nicht einmal ihre parlamentarische Immunität. Strafdrohung: drei Jahre Haft.

Generell macht Österreichs Verwaltung im Gegensatz zu anderen Ländern ein Geheimnis aus ihrer Arbeit. Die Basis von allem ist das Amtsgeheimnis. Dieses gilt für Informationen, die Beamte auf Grund ihrer Arbeit für den Staat erfahren, vom Gemeindebediensteten im Bregenzerwald bis zum Leiter des Verfassungsschutzes in Wien. Das Amtsgeheimnis ist weitgefasst und wird deshalb oft als Ausrede dafür benützt, unangenehme Fragen von Bürgern und Journalisten abzuschmettern. Aktuell soll es reformiert und teilweise gelockert werden.

Ab "vertraulich" wird es kompliziert

Innerhalb der Verwaltung existieren zum Schutz von Informationen Steigerungsstufen. Zusätzlich zum Amtsgeheimnis können Unterlagen der elektronischen Aktenverwaltung (ELAK) auch bestimmten Personen vorbehalten werden. Solche Schriftstücke nennt man Verschlusssachen. Ein Beispiel dafür sind sensible Verfahren, in die nur der Sachbearbeiter und sein Abteilungsleiter Einsicht nehmen dürfen. Doch von der Einstufung "geheim" ist auch das weit entfernt.

Erst danach folgt die sogenannte Klassifizierung. Die Abstufungen sind international kompatibel und heißen hierzulande (in aufsteigender Reihenfolge) "eingeschränkt","vertraulich", "geheim" und "streng geheim". Wobei "eingeschränkte" Akten von den Beamten noch im ELAK-System bearbeitet werden dürfen.

Kompliziert wird es ab "vertraulich". Ab dieser Stufe müssen sich Personen mit Zugang einer Sicherheitsüberprüfung des Verfassungsschutzes unterziehen. Bei Soldaten heißt das analoge Verfahren Verlässlichkeitsüberprüfung und wird vom internen Nachrichtendienst, dem Abwehramt, durchgeführt. Ausnahmen gibt es nur für Politiker und Gerichte. Wer Minister, Abgeordneter oder Verfassungsrichter ist, erspart sich den Hintergrundcheck, bei dem -u. a. - finanzielle Verhältnisse, Abhängigkeiten, Lebensstil und vieles mehr untersucht werden.

Warum nun Bundeskanzleramt und Finanzministerium E-Mails als "geheim" und damit als genauso schutzwürdig einstuften wie die militärischen Verteidigungspläne des Bundesheeres im Fall eines Angriffs durch eine feindliche Macht, das verstehen nicht nur die Abgeordneten im U-Ausschuss nicht. Solche "geheimen" und "streng geheimen" Papiere werden nämlich nicht selten gar nicht digital verarbeitet und buchstäblich im Panzerschrank aufbewahrt. Kommt dennoch ein Computer zum Einsatz, läuft darauf ASECOS, das Austrian Secure Communication System. Jeder Zugriff auf Informationen ab der Stufe "vertraulich" wird dokumentiert, allerdings sind die Details der Regeln dazu nicht in allen Ministerien die gleichen.

E-Mails sind keine Akten

Eine ehemalige Führungskraft eines Nachrichtendienstes spricht im Interview darüber, warum die Einstufung von E-Mails aus Kanzleramt und Finanzministerium als "geheim" einen Haken hat. "E-Mails", sagt die Person, "sind keine Akten." Nur solche seien aber klassifizierbar. Was umgekehrt bedeuten müsste, dass die beiden Häuser eine Reihe von Postfächern in Bausch und Bogen zu den Akten nahmen. "Das wäre jedoch ungewöhnlich und praxisfern", erklärt der Mann. Natürlich komme es im Einzelfall vor, dass auch E-Mails Teil eines Aktes würden. Sei dieser jedoch einmal elektronisch angelegt, finde der Austausch der Beamten im ELAK statt.

Für den Nachrichtendienstler ist auch denkbar, dass die Mitarbeiter von Kurz und Blümel tatsächlich als "geheim" eingestufte Dokumente per E-Mail hin und her geschickt haben. Theoretisch. Eine solche Verarbeitung hochsensibler Daten, deren Bekanntwerden laut Definition den Staat schädigen könnten, ist nämlich verboten.

Warum Kanzleramt und Finanzministerium die E-Mails als "geheim" eingestuften, bleibt auch ein Geheimnis: Fragen nach rechtlichen und sachlichen Grundlagen für die Klassifizierung wurden nicht beantwortet.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (20/2021) erschienen.