WIFO-Chef Gabriel Felbermayr: Die hohen Preise bleiben

WIFO-Chef Gabriel Felbermayr spricht im Interview mit News über magere Jahre, die auf uns zukommen, Markteingriffe, Erbschaftssteuer und einen Solidarbeitrag für Reiche.

von WIFO-Chef Gabriel Felbermayr © Bild: Ricardo Herrgott/News

Minister Kocher, auch ein Wirtschaftsforscher, hat uns im Herbst in einem Interview gesagt, die Stimmung sei schlechter als die Lage. Jetzt, im Sommer 2023 boomt die Reisebranche, die Gastgärten sind voll. Sie aber warnen eindringlich vor der zu hohen Inflationsrate in Österreich. Ist die Lage jetzt schlechter als die Stimmung?
In der Tat war vor einem Jahr die Stimmung schlechter als die Lage. Wir hatten ein rekordverdächtiges BIP-Wachstum durch Nachhol- und Aufholeffekte nach dem sehr starken Coronaeinbruch. In manchen Branchen läuft das Geschäft immer noch gut. Wenn man die Preissteigerungen bei Flug- und Pauschalreisen anschaut - das muss ja irgendwer, also jene 60 Prozent der Österreicher, die Reserven haben, bezahlen. Irgendwo gibt es offenbar eine große Lust, das, was man noch an Erspartem auf dem Konto hat, einzusetzen, um auf Urlaub zu fahren. Es ist so ein bisschen wie in den 1920er-Jahren. Man gönnt sich noch ein paar Wohltaten, aber man fürchtet sich schon vor den mageren Jahren, die jetzt auf uns zukommen könnten.

WIFO-Chef Gabriel Felbermayr
© Ricardo Herrgott/News PROGNOSE. Der Konsum in Deutschland schwächelt, das ist kein gutes Zeichen für Österreich, sagt Gabriel Felbermayr
Der Wirtschaftswissenschaftler ist seit Oktober 2021 Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO). Zuvor war Felbermayr Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Der 47-Jährige studierte Volkswirtschaftslehre an der Johannes Kepler Universität Linz und forschte am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Felbermayr ist auch Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.

Der Sommer 2023 ist eine Momentaufnahme, an die wir uns nicht gewöhnen sollten?
Sollten wir nicht. Aber natürlich ist es immer besser, wenn es brummt. Jede Prognose, die wir insofern falsch machen, dass es besser kommt, als wir dachten, ist mir willkommen. Jedoch sehen wir, dass einer der großen Märkte Europas, Deutschland, im Bereich des Konsums schwächelt. Das wird sich auf Österreich auswirken. Wenn die Deutschen das Geld stärker zusammenhalten, ist das kein gutes Vorzeichen für unseren Tourismus.

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"Magerere Jahre" heißt?
Das heißt jedenfalls, dass wir keine Wachstumsraten wie in den letzten zwei Jahren erleben werden. Wir haben in Österreich eine dynamischere Grundtendenz als in Deutschland. Unsere Bevölkerung wächst, das wirkt sich positiv auf die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen und in weiterer Folge auf den Arbeitsmarkt aus. Aber: Die hohen Preise sind gekommen, um zu bleiben. Das wird Auswirkungen auf die Konsumlaune haben. Auch die hohen Zinsen sind gekommen, um noch eine Weile zu bleiben, weil die Inflation nicht schnell genug zu jenen zwei Prozent zurückkehrt, wo wir sie haben wollen. Dadurch werden Kredite teurer, die Leasingraten fürs Auto höher, für Unternehmen wird das Investieren teurer. Das wird einen dämpfenden Effekt haben.

Sie haben zuletzt laut gewarnt, weil die Inflationsrate in Österreich deutlich über der des Euroraums ist. Wurden Sie von der Regierung auch gehört?
Das wird schon gehört. Wir kommen jetzt aus einer jahrzehntelangen Phase heraus, wo man sich in Österreich an Stabilität und niedrige Inflation gewöhnt hat. Wir haben auf die Italiener, Griechen, Portugiesen geschaut, die haben die Preise laufen lassen und wir haben gesagt: Die Südländer haben es nicht im Griff. Aber seit 2010 wachsen die Preise bei uns einen Tick stärker als im Durchschnitt der Eurozone. Im Schnitt um fast einen dreiviertel Prozentpunkt pro Jahr. Das macht über die Jahre acht Prozent. Nachhaltig hohe Unterschiede in der Preisentwicklung schwächen den Wirtschaftsstandort, weil Dinge bei uns schneller teurer werden als im Ausland. Irgendwann könnte die Situation kommen, wo ein deutscher Tourist sagt, es ist ja im Salzburger Land sehr schön im Sommer, aber 20 Prozent teurer als in Südtirol. Also fährt er lieber dorthin. In einer Währungsunion gibt es das Instrument der Abwertung nicht. Darum muss man jetzt nicht nur die Symptome der Inflation, die sozialpolitischen Verwerfungen, im Blick haben, sondern auch die stabilitätspolitische Perspektive.

Wann bekommen wir Probleme, wenn die Politik nicht gegensteuert?
Das Timing ist ein Thema, wo wir uns schwertun. Das sieht man in der Wirtschaftsgeschichte immer wieder. Nach Einführung des Euro hatten die Südländer eine etwas höhere Inflation als der Norden. Dennoch gab es um 2005 einen Boom in Spanien, in Deutschland, aber Massenarbeitslosigkeit. Da haben viele gesagt, mit eurer Stabilität treibt ihr das Land in den Ruin. Aber dann kam die Krise und die hat das umgedreht.

»Die Gefahr wird immer größer, dass es zu schwereren Verwerfungen kommt«

Wie ein Zündfunke?
Genau, aber man weiß nie zuvor, wann das passiert. Die Theorien aus der Volkswirtschaft sagen, wenn es sehr lange niedrige Zinsen gibt, sehr viel geldpolitischen Stimulus, kommt irgendwann die Inflation. Aber sie kam lange nicht und plötzlich war sie da, und zwar ordentlich. Es ist wie in der Erdbebenforschung: Man weiß, es rumort, aber nicht, wann etwas passiert. Mit der hohen Inflationsrate in Österreich kann es lange gut gehen, aber die Gefahr wird immer größer, dass es zu schwereren Verwerfungen kommt.

»Mit Verteilungseffekten tun wir uns in Österreich schwerer als anderswo«

Es wird viel über die richtigen Maßnahmen gegen die Teuerung diskutiert, immer unter ideologischen Vorzeichen, etwa bei der Mietpreisbremse. Wie schwierig ist es da für Experten und Expertinnen, den richtigen Rat zu geben?
Manches wird sehr dogmatisch gesehen, nicht nur von Politikern, sondern auch von Wirtschaftsforschern. Man sagt: Markteingriff - nie und nimmer, ganz böse. Aber das ist eigentlich das kleinere Problem. Das größere Problem ist, dass fast alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen verteilungspolitische Auswirkungen haben. Wenn man eine Mietpreisbremse macht, ist die Freude bei den Vermietern klein. Ist ja logisch. Politische Parteien wollen und müssen aber auf die Interessen ihrer Wähler schauen. Das ist ja in Ordnung. Aber es macht die Diskussion immer gleich zu einem: "Du nimmst mir was weg und gibst es jemand anderem." Mit solchen Verteilungseffekten tun wir uns in Österreich schwerer als anderswo. Darum war es wohl politisch sehr bequem - und ja auch von den Wirtschaftsforschern vorgeschlagen - zu sagen, man greift in der ersten Phase der Teuerung nicht in die Preise ein, sondern überweist den Leuten Geld aufs Konto. Da muss man niemandem etwas wegnehmen. Je mehr Gießkanne man macht, desto mehr kann man sagen: "Wir haben die Kaufkraft breit gestützt, die Inflation tut ja allen weh." Wenn ein Millionär feststellt, dass der Ferrari um zehn Prozent teurer ist, hat er ja auch Inflation. So hat sich die Politik aus dem verteilungspolitischen Minenfeld herausgehalten.

Die SPÖ hat viel früher Eingriffe in Preise gefordert. Haben die das Problem früher verstanden oder ist das einfach deren Ideologie?
Was sie genau getrieben hat, weiß ich nicht. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Gewerkschafter sagen, wenn ihr die Inflation laufen lasst, zum Beispiel auf zehn Prozent im 12-Monats-Durchschnitt, dann muss ich aber zehn Prozent plus X für die Gehälter und Löhne verhandeln. Und das könnte Konsequenzen für den Standort Österreich haben. Aber fast alle - die Gewerkschaften, die Wirtschaftsforscher, die Notenbanken, die OECD, der Währungsfonds - sind davon ausgegangen, dass die Inflation nicht so persistent sein wird. Wenn das von vornherein klar gewesen wäre, hätte man früher und anders eingegriffen.

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Wann haben Sie erkannt, dass Sie mit ihren Prognosen falsch lagen?
Im Jänner. Wir müssen uns - es ist ein leidvolles Geschäft - immer an den eigenen Prognosen messen, die häufig nicht richtig sind. Es ist ja keine Physik, die wir betreiben. Viel passiert, weil Menschen Entscheidungen treffen. In der Masse aber auch als Einzelne, wie etwa Frau Lagarde, die mit einer kleinen Gruppe von Kolleginnen und Kollegen die Geldpolitik in Europa macht. Wie hoch treibt die EZB die Zinsen, wie schnell? Auch einzelne große Unternehmensentscheidungen können für ein Land relevant sein. Das alles lässt sich nicht gut prognostizieren, ist aber keine Ausrede.

Können Sie zurückverfolgen, ab wann Sie falsch gelegen sind?
Natürlich versucht man das. Wir schauen zum Beispiel bei unserer Arbeit auf die Future Märkte. Dort sitzen die Profis, die etwa ihren Strommarkt oder ihren Ölmarkt extrem gut kennen und mit Milliarden ins Risiko gehen. Aber auch dort gab es eine kollektive Fehleinschätzung, was die Preisentwicklung betrifft. Wenn das passiert, dann kommt es auch in unserer Prognose zu Fehlentscheidungen. Dazu kommt, dass Modelle schlecht mit Strukturbrüchen umgehen können. Also, wann der auslösende Moment kommt, der irgendwas in der Psychologie der Menschen verändert und nach einer langen Zeit niedriger Inflation die Krise auslöst. Solche Punkte zu identifizieren, ist wahnsinnig schwierig. Wir wissen, dass die nächste Finanzmarktkrise kommen wird. Das kann man - leider - mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Wir wissen auch, dass der Vesuv irgendwann wieder Feuer spucken wird. Aber wann das sein wird? Beides ist schwer vorherzusagen.

Kommt die Mietpreisbremse?
Das kann ich nicht sagen. Ich bin aber überzeugt, dass wir in Österreich insgesamt einen Ausstieg aus der Indexierungsautomatik brauchen. Eine Mietpreisbremse wäre so etwas. Außerdem sollten die Gebietskörperschaften und ihre Unternehmen bei den Gütern im Warenkorb, die administrierte Preise haben, keine Erhöhungen machen oder sie wenigstens dämpfen. Man kann ja nicht bei den Vermietern oder den Gewerkschaften auf Zurückhaltung hoffen, wenn man das selbst nicht macht.

Der neue IHS-Chef Holger Bonin hat dieser Tage im Standard vorgeschlagen, für hohe Einkommen die kalte Progression wieder wirken zu lassen. Eine gute Idee?
Die meisten Ökonominnen und Ökonomen haben in den letzten Jahren geradezu auf Knien darum gebeten, die kalte Progression abzuschaffen. Es soll doch keine versteckten Steuererhöhungen mehr geben. Wenn man etwa meint, dass man mehr Steuergeld braucht, kann man im Parlament einen Solidarbeitrag für die Teuerung diskutieren und eine Mehrheit organisieren. Wir haben in Österreich die kalte Progression vollständig abgeschafft, aber nur zwei Drittel des Betrages werden automatisch in die Steuerbemessungsgrundlagen eingepreist, ein Drittel kann die Politik relativ freihändig vergeben. Damit kann man gezielt etwas für die kleinen Einkommen tun. Die Abschaffung der kalten Progression teilweise wieder auszusetzen, wäre falsch. Ich bin ja durchaus bereit, die Regierung zu kritisieren, aber an dieser Stelle würde ich sagen: Die Abschaffung war ein fiskalpolitischer Meilenstein.

Wie sehen Sie die Forderung nach Erbschaftssteuern?
Der österreichische Staat hat kein Einnahmenproblem. Aber er hat möglicherweise in vielen Bereichen ein ineffizientes Steuersystem. Wir sind Weltmeister im Besteuern von Arbeit. Wir haben die höchsten Lohnnebenkosten. Es wäre überlegenswert, diese zu senken, etwa, indem man den Familienlastenausgleichsfonds oder die Finanzierung der Wohnbauförderung aus der Entgeldabrechnung rausnimmt. Das würde den Unternehmen und den arbeitenden Menschen etwas bringen. Aber das braucht Gegenfinanzierung. Das könnte eine vernünftig gemachte Erbschaftssteuer - mit langen Stundungsmöglichkeiten für Unternehmen - sein.

WIFO-Chef Gabriel Felbermayr
© Ricardo Herrgott/News

Woran scheitert die Debatte?
Auch hier an verteilungspolitischen Erwägungen. Wer etwas zu vererben oder zu erben hat, sträubt sich natürlich gegen eine Erbschaftssteuer. Und wenn man sich die soziodemografischen Gegebenheiten ansieht: Wähler, die eher nichts zu erben haben, sind bei anderen Parteien, als jene, die was erben. Daher ist die Lust auf eine solche Art von Steuerreform unterschiedlich ausgeprägt. Wichtig ist, wenn man das Ding zum Fliegen bringen will, zu sagen: Es geht nicht darum, die Bürger zu melken, sondern es geht um ein vernünftiges, zukunftsgerichtetes Steuersystem. Wenn die Lohnnebenkosten geringer werden, ist das ja auch für Unternehmen gut und verbessert die Standortpolitik.

Im Gegensatz zur Erbschaftssteuer steht die Armutsbekämpfung im Regierungsprogramm. Wo würden Sie da ansetzen?
An sich sollte es im österreichischen Sozialsystem, das immer noch zu den besten der Welt gehört, keine Armut geben. Wir haben sehr viel importierte Armut, das muss man leider sagen. Menschen, die im Sozialsystem nicht aufgefangen werden. Das ist ein Teil des Problems, das lässt sich nicht hinwegdiskutieren. Eine andere Frage ist, wie macht man den Sozialstaat krisensicher? Wenn die Inflation innerhalb eines Jahres rasch auf zehn Prozent steigt, kann man den Menschen nicht sagen, das musst du aushalten und nächstes Jahr steigen dann eh die Sozialleistungen. Vielleicht sollte man diese alle drei Monate in kleineren Stufen anpassen. Das kostet am Ende nicht mehr und hilft vielen. Und man müsste viel mehr bei den Ursachen der Armut ansetzen: Gesundheit, Bildung. Viele Menschen treffen einige wenige falsche Entscheidungen und haben es dann ein ganzes Restleben schwer. Bessere Bildung, auch bessere Ausbildung, mit Geld umzugehen -das muss viel wichtiger werden.

Hans Peter Doskozil setzt im Burgenland auf einen starken Staat, gesetzliche Mindestlöhne. Wäre das auf Österreich ausrollbar gewesen?
Das ist vielleicht im Burgenland ein politisch erfolgreiches Modell, aber bei einer Verallgemeinerung auf ganz Österreich wäre ich schon skeptisch. 2.000 Euro netto im Landesdienst ist in manchen Bereichen deutlich mehr, als in der Privatwirtschaft gezahlt wird. Was die Mindestlöhne betrifft, finde ich, dass wir in Österreich mit 98 Prozent Kollektivvertragsabdeckung ein gutes System haben. Das deutsche Beispiel der gesetzlichen Mindestlöhne sollte uns eigentlich zu denken geben. Erstens sind dort weniger als 50 Prozent der Arbeitsverhältnisse von Kollektivverträgen abgedeckt. Zweitens werden Mindestlöhne, die im Parlament beschlossen werden, schnell Thema von Wahlkämpfen.

Und Aufgaben, wie Pflegeheime, zu verstaatlichen?
Ich habe oft den Eindruck, dass die Ausgliederung von Daseinsvorsorge an den Markt tatsächlich oft schiefgegangen ist. Das ist aber nicht der Markt per se, der das verhunzt, sondern es sind die Rahmenbedingungen. Es sind ja keine unregulierten Märkte, Pflegeheime operieren nicht im rechstfreien Raum. Das gilt natürlich auch für andere Bereiche, etwa die E-Wirtschaft. Verstaatlichung ist nicht das Allheilmittel. In meiner oberösterreichischen Heimat gab es die Verstaatlichte Industrie, nicht gerade eine glorreiche Geschichte. Ich glaube schon, dass sich privates Unternehmertun gut eignet, Aufgaben wie die Pflege zu übernehmen. Die Rahmenbedingungen und Regeln müssen aber streng sein und die Menschen müssen sich die Pflege leisten können. In Summe ist es häufig so, dass ein Nebeneinander von Privat und Staat gut ist, dass Konkurrenz und Wettbewerb die Qualität verbessern und die Preise senken.

Woran krankt Österreich?
Wir haben wie viele europäische Länder das Problem, dass wir einfach älter werden. Eine Gesellschaft, in der die Konsumenten und Unternehmer älter werden, verliert einfach an Dynamik. Da kann man nicht dagegen ansubventionieren. Was uns da helfen kann, ist eine klare, an unseren Interessen orientierte Einwanderungspolitik, bei der man auch sagt, wer ein paar Jahre da ist, soll wählen dürfen. Warum kriegen wir keine zukunftssichernde Pensionsreform zusammen? Jemand, der kurz vor der Pensionierung steht, hat verständlicherweise wenig Interesse an fundamentalen Änderungen. Wenn sich eine neue Bevölkerungsdynamik einstellt, die sich auch bei Wahlen niederschlägt, dann würden solche Reformen vielleicht besser laufen. Das demografische Thema treibt ja auch viele andere - von der Forschungspolitik bis zum Klima.

Haben Sie den Eindruck, dass das Thema Demografie mit der gebotenen Ernsthaftigkeit diskutiert wird?
Es beunruhigt uns sehr, dass da eigentlich kaum Debatten darüber stattfinden. Und wenn sie einmal stattfinden, werden sie möglichst schnell wieder abgewürgt, weil sie natürlich nicht schön sind. Niemand will gerne hören, dass er altert. Was man persönlich nicht gerne besprechen will, muss man aber als Gesellschaft thematisieren. Etwa auch, dass die Österreicher zu jenen Populationen in Europa gehören, die laut Statistik im Alter am kränksten sind. Daher ist Gesundheitsvorsorge ein ganz großes Thema. Wie kann man möglichst lange ohne Pflege oder Intensivmedizin leben? Das sind auch mächtige Kosten- und Personalhebel. Investitionen in die Gesundheitsvorsorge passieren, aber ich denke, dass das gerade in unserer demografischen Situation noch viel stärker betrieben werden müsste. Fitnesscenter boomen, die Leute investieren in Gesundheit und Wohlbefinden. Aber auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ist das Thema noch nicht so verankert, wie es sein sollte.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 23/2023 erschienen.