David Schalko: Für Kurz ist Angstmache der "richtige Weg"

Der Lockdown unterband die Dreharbeiten an seiner hochkarätig besetzten Serie für Sky. Der Regisseur David Schalko nützte die Zeit ohne Untätigkeit: Als scharfer Kritiker der Kulturpolitik des Bundes beschleunigte er die notwendigen Veränderungen und entwarf ein Konzept für sicheres Arbeiten auf dem Set. Ein Gespräch ohne Undeutlichkeiten.

von David Schalko: Für Kurz ist Angstmache der "richtige Weg" © Bild: Ricardo Herrgott

Könner mit Sendungsbewusstsein sind durch keinen Lockdown zu beirren. David Schalko ist einer, der die erzwungene Lähmung für beträchtliche Aufschwünge genützt hat. Der Mann, der nebst anderem den hochkarätigen ORF-Kracher "Braunschlag" gefertigt hat, begann Anfang März mit den Dreharbeiten zur Serie "Ich und die anderen" über einen psychisch Schwerkranken. Dann wurde alles niedergefahren - und Schalko aktiv: Er erarbeitete ein Konzept für sicheres Drehen in Corona-Zeiten. Im Juni hofft er, den Dreh fortsetzen zu können.

Wie gehen Sie mit dem Lockdown um, nachdem Sie kaum mit den Dreharbeiten für die Sky-Serie begonnen haben?
Wir drehten eine Woche, dann kam der Lockdown. Seither sind wir damit beschäftigt, das System wieder hochzufahren. Ein Teil ist das Hygiene-Papier, das die Superfilm gemeinsam mit Produzenten, Verbänden, Sendern und dem Virologen Hans-Peter Hutter entwickelt hat. Es teilt ein Set in drei Zonen ein. Es geht darum, dass die Leute, die sehr eng miteinander arbeiten, getestet sind und unter sehr strengen Maßnahmen arbeiten, aber dafür ohne Sicherheitsabstand und Masken. Je weiter es in den peripheren Bereich des Sets geht, desto lockerer werden die Maßnahmen, weil es dort auch möglich ist, Abstand zu halten. Dieses vom Gesundheitsminister abgenommene Konzept kann man auch für Theater- und Opernproben übernehmen. Das Konzept wird voraussichtlich auch von englischen Sendern übernommen. Es könnte Schule machen.

Die Gefragtesten aus Theater und Film spielen mit: Michael Maertens, Mavie Hörbiger, Sophie Rois, Martin Wuttke, Lars Eidinger und Tom Schilling, um nur einige zu nennen. Hatten Sie die Besetzung beim Schreiben des Drehbuchs bereits im Kopf?
Großteils ja, und mit einigen habe ich ja auch schon gearbeitet. Mir ist es immer wichtig, dass ein Ensemble auch einen gewissen Spirit ausstrahlt. "Ich und die anderen" betritt auf gewisse Weise Neuland. Da ist es wichtig, mit Schauspielern zu arbeiten, die ins Risiko gehen.

Könnte man den Dreh trotz Corona-Bedrohung durchführen, wenn man das gesamte Team unter Quarantäne stellt?
Das ist gar nicht notwendig. Die Möglichkeit, dass man jemanden trifft, der infiziert ist, ist im Augenblick eher gering. Das Wichtigste am Set ist, dass die Leute regelmäßig getestet werden und dass sie die Eigenverantwortung wahrnehmen, auf dem Heimweg nicht unbedingt Veranstaltungen mit 500 Leuten zu besuchen. Aber es muss sich nicht jeder in einer Einzelzelle begeben. In der Phase, in der wir uns jetzt bewegen, wird das eigene, richtige Augenmaß immer wichtiger. Man muss die Situation ähnlich wie bei Lawinengefahr betrachten. Auch da gibt es bestimmte Skalierungen. Und dementsprechend verhält man sich dann.

In der "FAZ" schrieben Sie, Kanzler Kurz regiere durch Angst. In "Ich und die anderen" geht es um Vereinzelung und die Angst vor anderen. Ist das die Serie zur Stunde?
Sie spielt sehr unterschiedliche Situationen des Verhältnisses eines "Ich" mit "den anderen" durch, aber ich würde sie nicht als Virus-Serie bezeichnen. Bei den Pressekonferenzen sah man beispielsweise, dass dieses Virus auch politisch ideologisiert wird. Es gibt unterschiedliche Arten, wie man in solchen Phasen mit Gesellschaft umgehen kann. Entweder man bevormundet sie, macht ihr Angst oder man appelliert an die Eigenverantwortung, macht Mut und verbreitet Zuversicht. Der Bundeskanzler hat sich dafür entschieden, dass die Angstmache der richtige Weg ist. Da muss man fragen, warum er den Eindruck hat, dass wir als Menschen nicht anders funktionieren. Oder hat es mit dem Selbstbild zu tun, dieser Anschaffungspolitik, die ein sehr autoritäres Weltbild aufzeigt. Ich finde, dass dieses Virus sehr viele Dinge sichtbar macht. Es zeigt Gutes und Schlechtes am Menschen. In vielen Belangen. Es macht aber leider auch die Schwäche der Grünen sichtbar. Es zeigt, wie situationselastisch und bereit sie sind, gewisse Dinge über Bord zu werfen. Und es zeigt auch, wie niedrig der Stellenwert der Kultur eigentlich ist.

»Ich kenne niemanden unter den Kulturschaffenden, der im Augenblick bereit wäre, die Grünen zu wählen«

Hat sich der niedrige Stellenwert in der Kultur schon in der Ernennung von Ulrike Lunacek zur Staatssekretärin gezeigt?
Das fing viel früher an, schon Ende der Neunzigerjahre, als Viktor Klima die Kultur zur Chefsache erklärt hat. Was auf den ersten Blick vielleicht gut klingt, ist in Wahrheit katastrophal. Erstens sind wir nicht die Hofnarren eines Bundeskanzlers. Zweitens hieß es, dass es keinen fachkundigen Zuständigen mehr gibt. Ab diesem Moment ist es mit der Kulturpolitik stetig bergab gegangen. Jetzt hat man einen Tiefpunkt erreicht, der auch sehr viel mit der Krise zu tun hat. Man hat bewusst die Entscheidung getroffen, dass man uns als Branche links liegen lässt. Ich hoffe, dass sich das jetzt wieder bessert. Natürlich hat das auch mit der Bestellung einer Kulturstaatssekretärin zu tun, die zwar eine angesehene Europapolitikerin ist, aber von Kultur nichts versteht. Es ist leider sehr häufig, dass das Kulturressort wie ein Hobby betrachtet und dementsprechend vergeben wird.

Ist Andrea Mayer die Richtige für die Kultur?
Ich hätte mir keine idealere Besetzung vorstellen können. Ich kenne und schätze sie als kompetente Frau, die sehr dialogbereit ist. Sie ist gut vernetzt und weiß, wovon sie spricht. Aber man muss auch ganz klar Minister Blümel mit in die Pflicht nehmen. Wenn er der Kultur nicht helfen will, kann eine Staatssekretärin nichts ausrichten. Sie hat ja kein finanzielles Pouvoir. Und selbstverständlich auch Werner Kogler als zuständiger Minister. In der Kultur haben die Grünen leider bisher versagt. Sie haben ihre Klientel enorm enttäuscht. Deswegen bin ich mir relativ sicher, dass die Wien-Wahl für die Grünen nicht gut ausgehen wird. Ich kenne niemanden unter den Kulturschaffenden, der im Augenblick bereit wäre, die Grünen zu wählen.

Heißt das, dass Kogler das Kulturministerium abgeben soll?
Man kann nicht ständig Rücktritte fordern. Das Finanzministerium und das Kulturressort müssen jetzt Lösungen finden.

Was ist mit Kurzarbeit und dem Härtefall-Fonds?
Kurzarbeit funktioniert für das Burgtheater, wo die Schauspieler angestellt sind, aber nicht auf einem Filmset mit befristeten Dienstverträgen. Die Mitarbeiter müssen drei Monate angestellt sein und die Firma einen sehr hohen Prozentsatz der Kosten selbst übernehmen. Das ist von keinem Produktionsbudget gedeckt. Das kostet bei zwei größeren Produktionen unter Umständen Hunderttausende Euro. Deshalb gibt es auch keinen drehenden Produzenten, der es in Anspruch genommen hat. Er wäre bankrott gegangen. Und bezüglich Härtefonds: Ich kenne bisher kaum jemanden, der aus dem Härtefall-Fonds Geld bekommen hat, weil kaum einer die Kriterien erfüllt. Für uns ist vor allem das Thema Ausfallshaftung wichtig. Diese haben wir mit Hilfe von Wirtschaftskammerpräsident Mahrer entwickelt und interministeriell aufgegleist. Der Staat übernimmt die Rolle einer Versicherung und haftet für Ausfälle, falls es zu Corona-Fällen am Set kommt. Das kostet im Idealfall gar nichts und im schlimmsten Fall bei Weitem weniger, als wenn die Branche nicht arbeitet. Für die gesamte Filmbranche reden wir da von einem maximalen Volumen von 25 Millionen Euro. Die Wahrscheinlichkeit, dass das je als Summe fällig wird, bewegt sich gegen null. Weil ja nicht alle gleichzeitig drehen. Es ist also sehr überschaubar und eine Hilfe zur Selbsthilfe. Das Modell könnte auch für andere Kulturbereiche Pate stehen.

© Ricardo Herrgott

Wie stark ist Ihre Firma, die Superfilm, betroffen?
Sehr stark, weil wir zwei Produktionen stoppen mussten, einen "Tatort" und die Sky-Serie. Wir produzierten aber auch während des Lockdowns, beispielsweise "Willkommen Österreich" oder unsere Shows für den BR. In Bayern gab es eine andere Verordnungslage, außerhalb von München durfte man im Studio aufzeichnen, aber ohne Publikum. Wir haben das Glück, dass wir nicht nur von einem Sender abhängig sind, sondern ein zweites Bein in Deutschland haben.

Können Sie die Fortsetzung Ihres Drehs schon planen?
Wir versuchen, ab Anfang Juni wieder zu drehen. Mit einer staatlichen Ausfallshaftung sollte dem auch nichts im Wege stehen. Das gilt im Übrigen auch für Theater. Es wäre wahrscheinlich nicht nur ökonomischer, wenn der Staat bei Ausfall jedes zweite Ticket kauft, als Zehntausende Leute arbeitslos zu melden, sondern auch für die Psyche einer Gesellschaft wichtig, dass Kultur wieder vollständig stattfindet. Wir können unser Sozialleben nicht auf Dauer absagen. Virus hin oder her. Das ist für die meisten von uns unerträglich.

Im Jänner erscheint Ihr nächster Roman, "Bad Regina". Sie erzählen darin von einem Chinesen, der aus einem österreichischen Urlaubsort ein Geisterdorf macht. Das mutet visionär an. Wie ist das, wenn einen die Realität einholt?
Ach, die holt einen schnell ein.

Als noch ÖVP und FPÖ in der Regierung waren, stellten Sie fest, dass immer mehr Polizisten in den Straßen patrouillieren. Seit einigen Wochen sind noch mehr unterwegs. Wie sehen Sie die Lage jetzt?
Es ist Teil der Angstmache-Politik, dass die Polizei oft mit vollkommen überzogenen drakonischen Maßnahmen gedroht hat, sodass man fast das Gefühl hatte, man genießt das auch. Ich kenne sehr viele, die immense Strafen zahlen mussten, von 500 Euro bis 1.800 Euro, weil sie auf einer Parkbank gesessen sind oder kurz den Sicherheitsabstand nicht eingehalten haben. Das ist völlig übertrieben. Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, die so funktioniert. Deshalb finde ich den schwedischen Weg nicht falsch, auch wenn man das im Augenblick nicht sagen darf, weil immer nur von Todeszahlen gesprochen wird. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man an die Eigenverantwortlichkeit appelliert oder man versucht, die Menschen einzuschüchtern und ihnen das Gefühl vermittelt, dass sie in einem autoritären Staat leben. Corona macht uns leider auch blind. Man beginnt alles andere zu übersehen. Alleine wenn man hört, wie viele lebensnotwendige Operationen wegen Corona nicht durchgeführt wurden, wird einem ganz übel. Und dass man das wichtigste Thema, nämlich die Umwelt und damit die Zukunft unserer Kinder vom Tisch wischt, finde ich persönlich auch katastrophal.

Kanzler Kurz kann aber großen Zuspruch verbuchen. Verlangen die Österreicher Autorität?
Sebastian Kurz repräsentiert für sehr viele Stabilität und Vernunftsbegabung. Und er ist jung, hat ein großes Selbstvermarktungstalent mit sehr einfachen, opportunen Botschaften. Viele können sich mit seiner autoritären Politik anfreunden, weil sie es mit Machertum verwechseln. Aber diese Regierung besteht nicht aus Wunderwuzzis. Da herrscht gerade viel Ratlosigkeit. Und das ist auch okay. Ich würde mir nur wünschen, dass man dann mit dem Wunderwuzzigehabe aufhört und den Mut hat, in einen offenen Dialog mit der Gesellschaft zu treten. Die Regierung war im Zusperren besser als im Aufsperren. Aber Zusperren ist auch einfacher.

Was halten Sie davon, dass jeder Schritt durch eine App per Handy verfolgt werden kann?
Wenn eine zweite Welle kommt, wird relativ schnell klar, dass wir uns einen zweiten Lockdown nicht leisten können. Das heißt, es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als auf solche Apps zurückzugreifen. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass das auf einer freiwilligen Basis geschieht. Wird man dazu gezwungen, wird das für unsere Demokratie schwierig. Dann machen wir eine Box der Pandora auf, die sich nie wieder schließen lassen wird.

»Wenn Blümel der Kultur nicht helfen will, kann eine Staatssekretärin nichts ausrichten«

Innenminister Nehammer hat der Stadt Wien vorgeschlagen, dass die Polizei beim Contact Tracing assistieren könnte. Was halten Sie davon?
Wenn Nehammer das sagt, klingt das gleich wie eine große Hausdurchsuchung. Es ist doch für jeden offensichtlich, dass das schon zum Wahlkampf gehört. Und das in einer Phase, wo diese Republik am Kippen ist. Da muss man nicht so kleingeistig sein. Man sollte sich bemühen, dass alle an einem Strang ziehen und sich gegenseitig zuarbeiten.

Norbert Hofer kritisierte die Maßnahmen der Regierung. Als Kurz im Kleinwalsertal antrat, nannte ihn Hofer einen Gefährder.
Das ist einer der Verzweiflungsakte der FPÖ. Sie versuchen, an ihre letzten Wählergruppen anzudocken, weil sie wissen, dass sie nach Ibiza kaum noch jemand wählt. Es ist doch auch etwas bizarr, dass sich Herbert Kickl jetzt als Bürgerrechtsanwalt aufspielt, ausgerechnet derjenige, der Bürgerrechte beschneiden wollte. Aber von der durchkorrumpierten FPÖ erwarte ich mir auch keine ehrliche Politik. Was ich ein bisschen schwach finde, ist, dass Kurz nach dieser doch etwas durchschaubaren Propaganda-Veranstaltung nicht zugegeben hat, dass er einen Fehler gemacht hat. Sein Auftritt im Kleinwalsertal - das hat ausgesehen wie Nordkorea für Arme. Aber in dem Moment, wo ein Fehler zugegeben wird, wird das als Schwäche verbucht. Wir haben es da mit einer Politik zu tun, die nicht bereit ist, zu diskutieren. Da will sich jemand als Erlöser-Figur stilisieren, der aber kein Umfeld duldet, in dem kritische Stimmen erwünscht sind. Das ist für eine demokratische Politik äußerst schädlich.

Und der Regierungspartner, der für das Gegenteil stand, schweigt. Beunruhigt das?
Mich stört viel mehr die inhaltlich schwache Politik. Gerade jetzt brauchen wir Visionen, wir brauchen einen Plan, es wird darum gehen, wie man eine Wirtschaft wiederbelebt. Ich weigere mich, das Wort "Wiederaufbau" in den Mund zu nehmen. Diese Kriegsrhetorik finde ich widerlich. Man sollte eigentlich medizinische Termini verwenden, wenn man sich schon in solche Gewässer begeben will. Es geht um eine soziale Wiederbelebung Österreichs. Kultur spielt da eine gewichtige Rolle. Und man kann sehr wohl gestalten, wie die Wirtschaft in den nächsten zwanzig Jahren aussehen soll. Das wäre die Chance dieser Krise, das wäre auch die Chance der Grünen. In der Arktis hatte es vor Kurzem 19 Grad plus. Und wir reden nur noch darüber, wie viele Leute heute an Corona gestorben sind. Von den Millionen von Umwelttoten, die es in den nächsten Jahren geben wird, redet keiner.

David Schalko wurde 1973 in Waidhofen an der Thaya geboren. Der Sohn eines Bankiers verbrachte seine Kindheit in Wien und begann ein Wirtschaftsstudium. 1998 arbeitete er als Regisseur, konzipierte für den ORF "Die Sendung ohne Namen". Mit Fernsehserien wie "Braunschlag" und "Altes Geld" wurde er über Österreichs Grenzen bekannt. 2018 erschien sein Roman "Schwere Knochen". Schalko ist mit der Filmmacherin Evi Roman verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder.

Das Interview erschien ursprünglich im News 21/2020.