SPÖ: Der
Weg in die Krise

Von Kreisky bis heute: Partei-Urgestein Josef Cap analysiert die Fehler

Die Sozialdemokraten, einst große Kanzler-Partei, befindet sich derzeit in Opposition – und in der Krise. Einer der die Partei seit seiner Jugend kennt, ist der ehemalige SPÖ-Klubobmann sowie Ex-Nationalrats-Abgeordnete Josef Cap. Das rote Urgestein analysiert nun in seinem neuen Buch "Kein Blatt vor dem Mund" Österreichs Politik-Geschichte aus seiner Perspektive und versucht dabei Antwort auf die Frage zu geben, warum sich die Sozialdemokratie in der Krise befindet.

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Parteigeschichte - SPÖ: Der
Weg in die Krise

Josef Cap, ehemaliger SPÖ-Klubobmann, stellvertretender Klubvorsitzender im Parlament sowie (1983 erster direkt gewählter)Abgeordneter zum Nationalrat erzählt in seinem neuen Buch „Kein Blatt vor dem Mund“ die österreichische Politik-Geschichte – eng verknüpft mit seiner eigenen. Das rote Urgestein ist seit seiner Jugend in der sozialistischen Bewegung engagiert (obwohl er sie bei seinem eigenen Eintritt als nicht sehr attraktiv empfand, „sondern als fast ebenso autoritär wie die katholische Kirche") und kennt die Partei demnach wie seine Westentasche Zudem versucht er zu ergründen, warum sich die Sozialdemokratie aktuell in der Krise befindet und holt dafür bis zum Beginn der 80er-Jahre aus.

Das Ende vom großen Erfolgskurs

Hier begann, so Cap, das Ende des Kreisky-Erfolgskurses. Neben einer hohen Arbeitslosenrate, eines erhöhten Haushaltsdefizits und damit einhergehenden eingeschränkten Budget-Spielraums „zeigten Regierung, Partei und Führungsfigur deutliche Abnützungserscheinungen.“ Außerdem haben der SPÖ neben internen Spannungen auch internationale Entwicklungen zu schaffen gemacht, wie etwa das Ende der sozialliberalen Brandt-Ära in der BRD oder der Beginn der neokonservativen Politik in den USA und England unter Reagan und Thatcher.

1981 habe die „sozialistische Internationale dramatisch an Gewicht verloren, sie existiert kaum noch. Eine Neugründung wird längst diskutiert“, schreibt Cap, der mit seiner damals neuen Position als Nationalratsabgeordneter zu kämpfen hatte: „Ich hatte ein Problem, das Sebastian Kurz bald haben wird: Ich war ab 1982/83 auch ohne mein Zutun zu einer Projektionsfläche für fast alles geworden, für berechtigte Wünsche und Hoffnungen ebenso wie für unrealistische Erwartungen. Das konnte kein Mensch erfüllen, ich auch nicht.“

Josef Cap - Kein Blatt vor dem Mund
© Kremayr & Scheriau

Ende der Alleinregierung - Koalition mit der FPÖ unter falscher Annahme

Durch diesen erwähnten "Gewichtsverlust" fand die SPÖ-Alleinregierung nach 13 Jahren ein Ende, weshalb in Folge - noch von Kreisky eingeleitet - eine Koalition mit der FPÖ eingegangen wurde. Allerdings mit folgender (sich als falsch erweisender) Annahme:Die FPÖ sollte durch die Regierungsbeteiligung zu einer sozialliberalen Linie gedrängt werden – was jedoch nicht gelang.

»Ein Desaster für die Sozialdemokratie«

Und auch wenn diese dreijährige Koalition unter Fred Sinowatz und Norbert Steger von zahlreichen Problemen überschattet gewesen sei, war die Krise im Bereich der Verstaatlichten Industrie (Die VÖEST-Tochter Intertrading verlor bei Öl-Spekulationen Milliarden, die Chemie-Linz Tochter Merx fuhr enorme Spekulationsverlust ein) für die SPÖ laut Cap „viel schmerzlicher“. Das Ganze sei „ein Desaster für die Sozialdemokratie“ gewesen, da die Verstaatlichte Industrie damit „als zentrales Instrument volkswirtschaftlicher Politik und damit auch des ‚österreichischen Weges‘ weitgehend ausgedient" habe.

Neue Konkurrenz von beiden Seiten

Zum Problem wurde auch die nach den Hainburg-Auseinandersetzungen gegründete Grüne Partei, die 1986 ins Parlament einzog und "natürlich zu einer großen Konkurrenz" für die SPÖ wurde.

Doch auch von der anderen Richtung drohte Konkurrenz: So habe Jörg Haider durch seine „provokativen und ewiggestrigen Aussagen“ die Koalition enorm belastet - und zudem bei der Wahl 1986 „erstmals mit ‚sozialen‘ Parolen in SP-Kernwählerschichten wie jene der ArbeiterInnen vorzustoßen" versucht. Eine Strategie, die – wohl noch bis heute - erfolgreich war - und ist. (1999 überrundete die FPÖ übrigens dann die SPÖ erstmals in diesem WählerInnensegment.)

»Die Brisanz des ‚Ausländerthemas‘ lange unterschätzt«

Die SPÖ habe zudem, so Cap, „die Brisanz des ‚Ausländerthemas‘ lange unterschätzt“, denn es sei von der Partei verabsäumt worden, eine politische Gesamtstrategie für das wachsende Migrationsproblem zu entwickeln. Die restriktive Politik Löschnaks zu diesem Thema habe ebenso polarisiert, wie die eher liberale Politik seines Nachfolgers Caspar Einem. „Die Folgen waren an einzelnen Wahlergebnissen ablesbar“, schreibt Cap.

Gesellschaftlicher Wandel mit alten Strukturen

Dazu habe die SPÖ die Erwartungen der Bevölkerung eines gesellschaftlichen Wandels in Sicherheit nicht erfüllen können. Die soziologischen Veränderungen haben die einstige Arbeiterpartei zu einer „linken Volkspartei“ gemacht, organisiert sei sie jedoch noch wie in der Zeit der Ersten Republik gewesen, „obwohl Sinn und Inhalt dieses ‚geschlossenen Lagers‘ längst verloren gegangen waren", analysiert Cap.

Der "unaufhaltsame Aufstieg Haiders"

Der „unaufhaltsame Aufstieg Haiders“, zu dem - so immer wieder auftauchende Vorwürfe - auch Ex-SPÖ-Kanzler Vranitzky „durch seine unbeirrbare Ablehnung“ indirekt beigetragen haben soll, schadete der Partei Anfang der 90er-Jahre ebenso wie auch der Fall Alois Rechberger, Ex-SPÖ-Betriebsrat der Böhler-Werke, der wegen seiner üppigen Gage und fragwürdiger Spesenabrechnungen vorgeführt und später auch verurteilt wurde.

Zu unkritisch beim EU-Beitritt

Auch im damaligen EU-Beitrittsprozess habe die SPÖ Fehler gemacht, räumt Cap ein. „Dabei waren wir manchmal vielleicht zu unkritisch“, urteilt der Polit-Dinosaurier. Es folgte ein herber Rückschlag bei den EU-Wahlen im Oktober 1996, bei denen die SPÖ hinter die ÖVP zurückfiel und nur noch knapp vor der FPÖ lag.

Probleme wie in ganz Europa

1997, bereits unter neuem Kanzler Viktor Klima, habe die SPÖ unter Problemen gelitten, unter denen auch die meisten anderen sozialdemokratischen Parteien Europas litten, wie Staatshaushalte, die Maßnahmen zu sozialer Gerechtigkeit erschwerten, verkrustete Parteistrukturen sowie eine weitere Wählerabwanderung in zwei Richtungen: ArbeiterInnen bewegten sich in Richtung Rechtspopulismus, „Mittelschichten“ in Richtung der Grünen und Liberalen. Klima habe zwar die Stimmung eine Zeit lang beruhigen können und einen kleinen Neustart geschafft, doch auch er habe die Große Koalition nicht aus ihrer Erstarrung lösen können. Zu sehr wurden Dissonanzen in den Vordergrund gestellt.

Omofuma und Hans-Peter Martin

Ein schweren Schlag folgte im Jahr 1999 mit der tödlichen Abschiebung Marcus Omofumas, wofür damaliger SPÖ-Innenminister Karl Schlögl politische Verantwortung übernahm. Und auch EU-Spitzenkandidat Hans-Peter Martin schadete der Partei zu dieser Zeit, da er sich als „Fehlbesetzung“ erwies.

Immer wieder Haider

Und immer wieder fällt der Name Haiders. Auch Viktor Klima habe gegen ihn - wieder durch die zu wenig berücksichtigten gesellschaftspolitischen Verschiebungen - keine Strategie gefunden. Das Resultat: Die SPÖ fand sich - nach Schüssels Deal mit der FPÖ - erstmals seit langer Zeit in der Oppositionsrolle wieder.

Wenig Trumpfe und "ungenügende" Vorbereitung gegen Schüssel

2002 gab es dann zwar vorzeitige Wahlen, doch man sei "ungenügend" darauf vorbereitet gewesen. Zu wenig habe man der ÖVP unter Wolfgang Schüssel entgegenzusetzen gehabt.
Ebenso falsch war, laut Cap„die von Gusenbauer betriebene komplette Trennung zwischen gewerkschaftlichen Funktionen und parlamentarischen Mandaten. Durch diese Konflikte zwischen Kanzler und Gewerkschaft sowie den hinzukommenden Verlustgeschäften der BAWAG, rückte ein Wahlsieg in weite Ferne.

»Gusenbauer ging seinen Weg einfach weiter. Das war kontraproduktiv.«

Gusenbauer selbst haben seine rhetorischen Ausrutscher geschadet, ebenso wie die Nicht-Abschaffung der Studiengebühren und auch das Nicht-Rückgängig-Machen des Eurofighter-Kaufvertrags. Gusenbauer ließ sich, so Cap, „nicht davon beirren, was alle sagten oder schrieben, er ging seinen Weg einfach weiter. Das war kontraproduktiv.“ Auch den berühmten Leserbrief an die „Kronen Zeitung“ von Gusenbauer und dessen Nachfolger Werner Faymann sieht Cap kritisch. „Warum hatte man diese inhaltliche Modifizierung unserer Parteilinie nicht innerparteilich diskutiert? Den Aufschrei aller anderen Medien hätte man sich dadurch ersparen können“, verurteilt der ehemalige SPÖ-Klubobmann zwar nicht den Inhalt, aber die Art dieser Form der Kommunikation.

Bewältigung der Finanzkrise "nur halb" gelungen

Weiter bergab ging es unter Werner Faymann, der 2008 zwar wieder den ersten Platz erreichte, die SPÖ allerdings nicht mehr auf 30 Prozent brachte. Ins selbe Jahr fiel auch die Finanzkrise, deren Bewältigung „nur halb“ gelungen sei.

»Faymann hätte vielleicht Ungarns Viktor Orban gewinnen müssen«

2015 stellt Cap der SPÖ und der Regierung im Gesamten ein „Problem der politischen Kommunikation“ aus. Auch die Flüchtlingskrise, die, so Cap, die „eigentliche politische Geburtsstunde von Sebastian Kurz“ gewesen sei, machte der Partei zu schaffen. Faymann hätte zu dieser Zeit „vielleicht Ungarns Viktor Orbán gewinnen müssen“, anstatt die Konfrontation mit diesem zu suchen.

Zu später Dialog bei internen Spannungen

Die internen Spannungen nach der burgenländischen SPÖ-FPÖ-Koalition schadeten der Partei zunehmend, den Höhepunkt im lauten Gepfeife der eigenen Parteimitglieder bei Faymanns Maiaufmarsch-Rede findend. Cap hätte sich hier einen früheren Dialog gewünscht.

»Der (Plan A)-Entwurf wurde vorher nicht in der Partei diskutiert«

Auf Faymann folgte Christian Kern, aber auch dessen „Plan A“ sieht das SPÖ-Urgestein kritisch. Sein Zustandekommen entspräche nicht der demokratischen Genese eines Parteiprogramms. „Der Entwurf wurde vorher nicht in der Partei diskutiert“, so Caps Kritik. Kerns Nicht-Ausrufen von Neuwahlen sei natürlich auch ein Fehler gewesen, denn die SPÖ wäre sonst „vermutlich Erste geblieben“. Zudem hätte man weder im Plan A, sowie im Wahlprogramm, niederschreiben sollen, dass der Wahlsieger/die Wahlsiegerin den/die BundeskanzlerIn stellen solle. Auch wurden die wahlentscheidenden Themen zu wenig angesprochen, was in Folge zum Sieg Sebastian Kurz' führte - und die SPÖ in die derzeitige Opposition schickte.

Lösungsansätze

Und wie kann die Sozialdemokratie gerettet werden? Eine Schlüsselrolle wird dabei, so Cap die „gesellschaftlichen Mitte in Stadt und Land“ haben. Der gesellschaftliche Wandel müsse „in Sicherheit mit einem starken, handlungsfähigen Staat“ stattfinden. Cap zählt dazu einige inhaltliche Punkte auf, wie zum Beispiel Steuergerechtigkeit für globale Konzerne, strengere Datenschutzregeln oder die Beibehaltung des Gesundheit- und Sozialsystems. Ob die SPÖ jedoch durch ein Setzen auf die von Cap genannten Themen und Schwerpunkte den Weg aus der Krise finden kann - und wird - wird erst die Zukunft zeigen.

Info: Josef Cap - "Kein Blatt vor dem Mund"
Verlag: Kremayr & Scheriau
224 Seiten
ISBN 978-3-218-01126-6
Erscheint am 28. Mai 2018

Im Video: Zwischen Selbstfindung und Angriffslust: Wer kann Opposition?