Welche Strategie
verfolgt Kern?

"Zwei B'soffene" - was es mit Kerns verschärfter Rhetorik auf sich hat

Aktuell hält sich SPÖ-Chef Christian Kern mit verbalen Attacken nicht zurück: Unter anderem verglich er beim SPÖ-Mitgliederrat am 14. April die Regierung mit einer Moskauer Pyramide: "Zwei B'soffene, die sich gegenseitig abstützen". Ist der schärfere Ton eine gezielte Oppositionsstrategie? Und inwieweit ist diese Rhetorik glaubwürdig?

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SPÖ - Welche Strategie
verfolgt Kern?

Die Aussage vor dem Mitgliederrat war nicht die einzige verbale Keule, die Kern in den letzten Tagen geschwungen hat. Zur möglichen Auflösung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) sagte er auf der Tagung des SPÖ-Pensionistenverbandes: "Der letzte, der das probiert hat, war der Dollfuß unterm Ständestaat."

Zuletzt fielen am Mittwochabend scharfe Worte im Laufe der Konfrontation zwischen Kern und Vizekanzler Heinz-Christian Strache in der Ö1-Reihe "Klartext". So argumentierte Kern in Bezug auf den Antisemitismus-Vorwurf in der Causa Soros, dass Strache auf seine Social Media-Seiten schauen solle, welchen "Abschaum" er dort anziehe.

»Die Strategie von Kern ist offenbar, der Regierung ein Image der Inkompetenz zu verpassen«

Nun verwundert es wenig, dass der SPÖ-Chef in seiner Oppositionsrolle die schwarz-blaue Regierung kritisiert und mit zugespitzten Formulierungen polarisieren will. Der Ton hat sich allerdings in den letzten Wochen zunehmend verschärft. "Die Strategie von Kern ist offenbar, der Regierung ein Image der Inkompetenz zu verpassen", sagt Politik-Experte Peter Filzmaier. Das gehe allerdings an der momentanen Stimmungslage in der Bevölkerung eher vorbei. Vielmehr werde gerade diskutiert, ob man etwas so oder anders machen solle - aber es stehe nicht zur Debatte, "dass die Regierung gar nicht wüsste, was sie tut."

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Zurückhaltender beurteilt der Politik-Berater und ehemalige SPÖ-Wahlkampfmanager Stefan Sengl die Lage: Hinter einer einmaligen scharf formulierten Äußerung gegen Kanzler Sebastian Kurz und Strache - Stichwort Moskauer Pyramide - kann er noch keine Strategie erkennen. Vor allem da diese nicht in einer öffentlichen Auseinandersetzung geäußert worden sei, sondern im Zuge einer parteiinternen Veranstaltung. An der jüngsten Konfrontation zwischen Kern und Strache könne man sehen, dass hier solche Äußerungen nicht fallen, stattdessen gehe es konfrontativ, aber sachlich zu. Dass die "Oppositionspartei nicht auf Kuschelkurs setzt, ist klar“, sagt der Politik-Berater.

»Kern braucht einen Plan B«

Die "Regierungskritik ist als Oppositionspartei nur die halbe Miete", sagt Sengl. Im nächsten Schritt gehe es darum ein inhaltlich positiv formuliertes Konzept vorzubringen, dass über reine Ablehnungsarbeit hinausgeht. "Kern braucht einen Plan B", wenn man so will, wie der Politik-Berater mitteilt. Dieser müsse attraktiver sein als jener der Regierung, um wieder zur Nummer eins zu werden. Die SPÖ würde sich gerade in die Oppositionsrolle einfinden. Die Programmdebatte der SPÖ sei dabei ein wichtiger Baustein, "es ist keine Kurzstrecke, sondern ein Marathon". Nach einer gewissen Zeit, sei die Partei jedoch gut beraten, auch Konzepte vorzulegen.

Ähnlich sieht das auch Politikexperte Filzmaier: "Letztlich ist politische Kommunikation ein Themenwettbewerb", sagt er. Diesen gewinne momentan die Regierung, da sie pro-aktiv ihre Wunschthemen in der öffentlichen Diskussion platziere, von Mindestsicherung über Sozialversicherungsreform bis Verschärfungen beim Asyl. Kern und die SPÖ würden dann, klar, aber viel zu oft eben nur re-aktiv im Nachhinein kritisieren. Kern dürfe "nie vergessen, bei seinen sprachlichen Angriffen auch inhaltlich kompetent zu wirken. Da überzieht er manchmal."

Ein Image-Problem?

Abgesehen von den inhaltlichen Schwerpunkten, bleibt die Frage offen: Wie glaubwürdig ist die neue Rhetorik des SPÖ-Chefs?
Häufig wird den Sozialdemokraten vorgeworfen, keine gute Oppositionspolitik zu machen. Offenbar will die Partei diesen Eindruck ändern.

In vielen anderen Ländern treten die Sozialdemokraten weniger aggressiv auf, erklärt Reinhard Heinisch, Politikwissenschaftler an der Universität Salzburg. Der rhetorische Stil beziehungsweise die Sprache muss zum Image der betreffenden Partei oder Person passen, zeigt er sich überzeugt. Sonst stimmt das Gesamtbild nicht. "Wenn Vranitzky sich wie Haider verhalten hätte, hätte das nicht funktioniert", sagt der Experte. Oder man gestehe US-Präsident Donald Trump mehr verbale Entgleisungen zu als seinem Vorgänger Barack Obama.

»Ich habe bis jetzt nichts gesehen, dass mich davon überzeugen würde, dass Kern den Rollenwechsel schafft«

In Großbritannien sei beispielsweise eine gewisse Radikalität stimmiger, weil dort die Labour Party mit Jeremy Corbyn eine eindeutig linke, soziale Politik betreibe. Bei Kern sieht die Sache anders aus: Er stellte in der Vergangenheit als ÖBB-Chef und später als Kanzler eine seriöse Persönlichkeit dar und ist nicht als besonders radikal bekannt. Daher wirken seine verbalen Attacken "momentan deplatziert oder kalkuliert", sagt Heinisch. Die SPÖ tue sich nach einer langen Zeit der Regierungsverantwortung schwer, die Rolle zu wechseln. "Ich habe bis jetzt nichts gesehen, dass mich davon überzeugen würde, dass Kern diesen Rollenwechsel schafft." Das würde jedoch nur wenigen Politikern gelingen. Dem populistischen Stil der ÖVP oder FPÖ nachzueifern, würde dem Image der SPÖ nicht nutzen, wie er mitteilt. "Die SPÖ muss kantiger werden, aber auf eine andere Art." Es muss eben zum Image passen.

Die Schlüsselfrage in ein paar Jahren wird laut Politikexperte Filzmaier lauten: Fühlen sich die Österreicher wirtschaftlich und sozial in einer besseren oder schlechteren Situation als 2017? Wenn sie sich schlechter fühlen, dann profitieren Kurz und Strache. Andernfalls punktet Kern.