Die unheimlichen
Kannibalen-Mönche von Varanasi

Befremdlich und faszinierend: Die Aghori zwingen uns zum Hinsehen

von Aghori © Bild: Wikicommons/Christopher P. Michel

Wenn Touristen auf einen Aghori treffen, sehen sie nur scheinbar geistig verwirrte Männer mit seltsamer Kriegsbemalung am Straßenrand sitzen, die sich einen Joint nach dem anderen reinziehen. Die Inder jedoch haben gelernt, die asketisch lebenden Mönche zu respektieren und mehr noch: zu fürchten.

Bei den unheimlichen Sektenanhängern dreht sich alles um Dinge, die die Gesellschaft als abstoßend, gruselig und schmutzig kategorisiert hat. Man sagt die Aghori essen Leichenteile von nicht identifizierten Individuen, verspeisen Exkremente, trinken Urin aus Totenköpfen und beschmieren ihre Gesichter mit Asche von Verstorbenen.

Aghori - die unheimlichen Kannibalen-Mönche von Varanasi
© Corbis

Mit Wahnsinnigen legt sich keiner an

Was abstoßend klingt, ist ein bewusstes Demonstrieren ihrer ungewöhnlichen Weltanschauung. Die Aghori spielen absichtlich mit dem Bild der Wahnsinnigen - sie behaupten, sie könnten die Zukunft vorhersagen und versetzen die Menschen - gerne auch Kinder - mit ihren teuflischen Prophezeiungen, Knochenketten und blutigen Tieropfern in Angst und Schrecken. Manch Anhänger der tausend Jahre alten Sekte gebärdet sich in einem Moment bewusst geistesgestört um diese Illusion zu verstärken, im anderen zeigt er sich überraschend humorvoll und vollkommen klar in seinen Aussagen.

Aghori
© Wikicommons/AKS.9955

Was so klingt, als würde jemand versuchen, seine unsozialen Exzesse im Namen eines Gottes zu rechtfertigen, ist aber weit mehr als das. Dahinter steckt der feste Glaube an die Bedeutungslosigkeit der Dualität im Leben. Die Aghori-Mönche unterscheiden nicht zwischen gut oder schlecht, rein und unrein.

Antrainierte Angst abtrainieren

Die Männer glauben, alle Menschen sind bei ihrer Geburt vollkommene Aghori. Doch Eltern und Gesellschaft trainierten ihnen von klein auf Angst an. Nach und nach seien sich die Kinder dann ihrer eigenen Sterblichkeit bewusst, sie lernten diese zu fürchten und versuchten diese Angst zu überwinden, indem sie den Tod vollkommen ausblendeten. Die Aghori wollen mit ihrem ungewöhnlichen Lebensstil erreichen, diese ihrer Meinung nach antrainierten Mechanismen wieder zu verlernen und so das "Leiden der Welt" zu minimieren. Dabei soll ihnen eine Mischung aus Marihuana, Alkohol und linkem Tantra helfen, ihr Bewusstsein zu erweitern.

Aghori - die unheimlichen Kannibalen-Mönche von Varanasi
© Corbis

Der Aghori und der sprachlose "Weltliche"

Der Hindu Ganesh Mohan beschreibt auf seinem Blog seine Begegnung mit einem echten "Aghori Baba", der alleine und meditierend am Ganges saß. Als der Reisende von dem Mann wissen wollte, warum der Gläubige Marihuana konsumiert und all diese unheimlichen Dinge machte, lächelte dieser und sagte: "Alles was ihr seht ist wie wir Fleisch essen, Gras rauchen und Dinge tun, die ihr Menschen als ‚gruseliges Zeug‘ abstempelt. Was ihr nicht sehen könnt, ist die subtile und mysteriöse Verbindung zwischen den Dingen. Wir verwenden menschliche Totenköpfe, Blut und Knochen für unsere Rituale, weil diese uns an unseren menschlichen Körper erinnern.

Aghori
© Wikicommons/Christopher P. Michel
»Ich rauche Gras nicht zum Vergnügen.«

Wie oft am Tag denkt ihr darüber nach, dass wir bei jedem Atemzug ein bisschen sterben? Ihr weltlichen Leute denkt über das Leben nach als würdet ihr niemals sterben müssen und so ertragt ihr nichts, was euch an den Tod erinnert. Gibt es einen Unterschied zwischen einem Aghori, der Gras raucht und einem unreifen Jungen, der sich in der Disco einen Joint anzündet? Für euch gibt es keinen, denn für euch zählt nur das Materielle (Marihuana, Drogen). Aber der Unterschied ist die Erfahrung und die Intention. Ich rauche Gras nicht zum Vergnügen, ich trage keine Kleider, ich besitze keinen Penny, ich pflege keine weltlichen Beziehungen zu irgend jemanden, ich habe mich von beinahe allem losgesagt. Und wofür? Um Gras zu rauchen und Spaß dabei zu haben? Genuss bedeutet mir nichts. Genuss ist etwas für die Weltlichen. Ich rauche Gras, weil es mir dabei hilft, mich zu konzentrieren und extreme Yoga-Praktiken zu vollziehen", sagte der Aghori zu seinem nunmehr sprachlosen Gegenüber.

»Genuss bedeutet mir nichts. Genuss ist etwas für die Weltlichen.«
Aghori
© Wikicommons/Christopher P. Michel

Die Aghori haben schätzungsweise tausend Anhänger, einen großen Teil davon findet man im indischen Varanasi. Hier befindet sich auch das Grab von Kina Rama, dem wahrscheinlichen Stifter der Sekte aus dem 18 Jahrhundert.

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