Stressjob Politik:
Die Notbremse

Nach Reinhold Mitterlehner stieß auch Eva Glawischnig an ihre ganz persönlichen Belastungsgrenzen und trat von allen Ämtern zurück. Stressjob Politik: Wie sehr unsere Volksvertreter hinter den monumentalen Kulissen der Macht leiden - und was passieren kann, wenn die Last der Arbeit die Lust am Leben auffrisst

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Politik - Stressjob Politik:
Die Notbremse

Die letzten Monate waren ein einziger Kampf. Ein Kampf gegen die eigene Parteijugend, gegen gesundheitliche Probleme, die in einem allergischen Schock gipfelten. Und zuletzt ein öffentlicher Kampf mit den Tränen. Nach knapp neun Jahren an der Parteispitze der Grünen hatte Eva Glawischnig genug. "Es hat körperliche Warnsignale gegeben, die ich ernst nehmen muss", sagte sie bei ihrem Rücktritt - die Stimme brüchig, der Teint blass, die Augen müde. "Zudem hat mich das Wissen, dass eine Spitzenfunktion in der Politik 24 Stunden Verfügbarkeit bedeutet, zu diesem Schritt bewogen."

Eva Glawischnig ist an ihre Grenzen gelangt. Von Burnout kann in ihrem Fall nicht die Rede sein, wohl aber von Erschöpfung (siehe Kasten rechts). Dass sie das so offen eingesteht, ist außergewöhnlich. Doch dass sie ihre Arbeit als Grenzgang empfand, ist in Österreich mittlerweile schon fast die Regel: Eine druckfrische Studie der Arbeiterkammer belegt, dass sich bereits jeder dritte Beschäftigte zumindest leicht Burnout-gefährdet sieht. Und Burnout, das ist im Grunde genommen nicht viel mehr als eine zeitgeistige Umschreibung für das Krankheitsbild einer Erschöpfungsdepression.

Körper im Streik

Manche ziehen wie Glawischnig einen Schlussstrich, bevor es zu spät ist. Doch die meisten halten, nicht zuletzt aus ökonomischer Angst, so lange als nur irgendwie möglich durch -bis letztendlich der Körper streikt. "Ich konnte nicht mehr aufstehen, mich nicht mehr bewegen", erzählt etwa die Wiener Unternehmensberaterin Petra Brenner, die heute als Resilienzcoach Klienten bei der Burnout-Prävention begleitet. "Ich war plötzlich in einem Zustand, in dem mir der Körper nicht mehr folgte. Er hatte gewissermaßen die Macht übernommen und beschlossen: Es geht nicht mehr." Einen "kompletten Burnout-Zusammenbruch" habe sie erlitten. "Und damit einhergehend den Eindruck völliger Ausweglosigkeit."

Früher, sagt Brenner, sei "Geht nicht gibt's nicht" ihr Motto im Job gewesen. "Ich setzte immer alles daran, den anderen zu beweisen, was ich kann." Unreflektiert in einem Hamsterrad habe sie sich bewegt, ehe sie sich zwangsläufig eingestehen musste: "Geht nicht gibt's schon."

Jedoch nicht in der Spitzenpolitik, dieser Welt der unendlichen Versprechungen. Und dass die von Glawischnig ins Treffen geführte 24-Stunden-Verfügbarkeit nicht hoffnungslos übertrieben ist, bestätigt auch Andreas Olbrich-Baumann. Der Psychologe hat für eine Studie der Universität Wien Nationalratsabgeordnete zu Gesundheitssituation, Belastung und Stressmanagement befragt. Das Ergebnis: Der Politikerjob gehört zu den stressigsten Berufen. Sechzig Prozent der Parlamentarier geben an, dass sie massive Anzeichen eines Burnouts verspüren, 20 Prozent schlucken täglich Medikamente, fast jeder zweite leidet unter Schlafstörungen. "Spitzenpolitiker stehen ständig unter Druck", resümiert Olbrich. Und auch wenn die Basis seiner Untersuchungen bereits aus dem Jahr 2004 datiert, so sieht sich der Forscher durch aktuelle Tiefeninterviews bestätigt. "Der Stress hat eher zu-als abgenommen."

Olbrich-Baumann fordert ein Gesundheitsservice für Parlamentarier wie in Großbritannien, "bestehend aus Ärzten, Pflegekräften und Psychologen". Und eine zeitliche Begrenzung der Sitzungen wie in Schweden, damit diese nicht bis in die Nacht dauern.

Durchwachte Nächte

Glawischnig muss die Nacht nicht mehr zum Arbeitstag umfunktionieren. Ebenso wie der ehemalige ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger, der müde zurückblickt. "Permanent im Scheinwerferlicht zu stehen und nie entspannen zu können, das war für mich der größte Stressfaktor." Und auch der Internist Kurt Grünewald, der für die Grünen 14 Jahre lang im Parlament saß, schlägt in dieselbe Kerbe. "Wenn ich in einer Sitzung mein Handy abgeschaltet habe, hatte ich danach 20 Anrufe in Abwesenheit. Und der Großteil war noch dazu böse, weil ich mich nicht sofort gemeldet habe." Als langjähriger Wegbegleiter von Eva Glawischnig verstehe er ihre Überlastung somit vollkommen.

Volkskrankheit Burnout - Volksvertreterkrankheit Burnout: Die permanente Verfügbarkeit sei bei Weitem nicht der einzige Grund für den schädlichen Druck in der Politik. Hinzu kommen laut Politologe Ferdinand Karlhofer die Machtkämpfe in den Parteiapparaten. "Sowohl bei Eva Glawischnig als auch bei Reinhold Mitterlehner waren es auch innerparteiliche Konflikte, die zum Rücktritt geführt haben", ist Karlhofer überzeugt. Bei Glawischnig sei es die Auseinandersetzung mit den Jungen Grünen gewesen. Die Jugendorganisation forderte Glawischnigs Rücktritt, wurde letztlich aber selbst ausgeschlossen. "Diese Auseinandersetzung brachte sie in eine enorme Stresssituation", meint Karlhofer.

Und zu unrühmlicher Letzt wären da noch die Medien, also der Druck, permanent in der Auslage zu stehen. Glawischnig sprach in ihrer Rücktrittsrede von einer "medialen Aggressivität"(siehe Story Seite 29). Und auch mit diesem Vorwurf steht sie keinesfalls alleine da. "Die Medien sind gnadenlos", konstatiert etwa Brigitte Ederer, von 1995 bis 1997 Bundesgeschäftsführerin der SPÖ. "Wenn du einen Fehler machst, weiß es sofort ganz Österreich. Aber wenn du Leistung bringst, bekommst du keinerlei Anerkennung." Diese gebe es erst nach dem Rückzug aus der Politik. So wie jetzt bei Glawischnig.

Ein weiterer Frustrationsfaktor sind die sozialen Netzwerke. "Zu meiner Zeit hat man halt beim Stammtisch über mich geschimpft. Jetzt macht man das auf Facebook, wo es jeder lesen kann", sagt Ederer. Dass derartige Anfeindungen Politiker nicht treffen würden, sei ein Irrglaube. Das bestätigt auch die ehemalige VP-Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky: "Mich haben untergriffige Attacken immer stärker getroffen, als ich gedacht hätte." Und auch Michael Spindelegger gibt zu, dass er unter öffentlichen Gehässigkeiten durchaus gelitten habe, "ganz besonders, wenn meine Familie mit hineingezogen wurde".

Sturm der Empörung

Laut Medienwissenschafter Franz Hausjell haben die sozialen Netzwerke viel dazu beigetragen, dass Anfeindungen gegenüber Politikern gestiegen sind. "Wenn man früher einen Leserbrief geschrieben hat, musste man erst eine Briefmarke suchen und hatte so Zeit zur Reflexion. Heute landet der erste Impuls sofort im Netz." Zudem gebe es Phänomene wie den Shitstorm, wo Politiker zu Freiwild für Gewalttaten erklärt werden.

Doch trotz des vielfältigen Drucks auf den Berufsstand gibt es kaum Politikerinnen und Politiker, die sich öffentlich zu einem Burnout bekennen. Einsames Beispiel ist Rudi Anschober, oberösterreichischer Landesrat der Grünen, der sich 2012 für drei Monate Auszeit nahm. Damit brach er ein Tabu. "Burnout gibt es in der Politik wie in jedem anderen Beruf. Aber keiner redet darüber, weil man sonst als schwach gilt", sagt Brigitte Ederer. Nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der eigenen Partei. "Man wäre dann sozusagen ein Nestbeschmutzer", meint Kurt Grünewald. "Und die Politik ist ohnedies schon ein sehr einsamer Beruf."

Doch nicht nur in der Politik ist die Bekennerquote verschwindend gering. Auch in der Privatwirtschaft dominiert die Angst, als Weichling stigmatisiert zu werden. Resilienzcoach Petra Brenner weiß als ehemaliges Burnout-Opfer, wovon sie spricht: "Der Hauptgrund für Burnouts ist meiner Meinung nach, dass wir aus Angst, aus Existenzangst, über Probleme im Beruf hinwegschauen, anstatt uns den Mut des Zugebens, des Ortens zu leisten."

Brenner meint, dass wir die essenzielle Frage "Was will ich eigentlich?" scheuen, weil sie auch schmerzhaft sein könne und oft einen absoluten Neuanfang bedinge: "Oft warten wir so lange, bis wir wie ich durch ein Tal der Tränen gehen müssen, anstatt zu lernen, ganz bewusst mit unseren Ressourcen umzugehen."

Quälende Sinnfrage

Sich ein drohendes Burnout einzugestehen, das bedeutet letztendlich auch immer, den Beruf, die Berufung, infrage zu stellen, für die man sich Jahrzehnte lang aufgerieben hat. Soll das rückblickend gesehen denn alles sinnlos gewesen sein?

Der ehemalige Skispringer und nunmehrige Sportmanager Hubert Neuper, wie die meisten Spitzenpolitiker ein Mann der absoluten Öffentlichkeit, kennt diesen Moment der schonungslosen Wahrheit. "Ich war Geschäftsführer der Österreichischen Sporthilfe - nach außen hin war ich der große, coole Manager, doch das Spiegelbild, dass ich in der Früh beim Rasieren sah, erzählte mir plötzlich ganz etwas anderes."

Alles, was dich nicht umbringt, macht dich härter: Nach diesem Motto habe er im Sport gelebt - und dafür etwas empfangen, was er heute "Energie der Liebe durch Aufmerksamkeit" nennt. Doch plötzlich sei da nur noch die Aufmerksamkeit gewesen, ganz ohne Sinn, ohne jegliches positives Feedback. "Es war ein echter Zusammenbruch", sagt er. "Um mich der Medienöffentlichkeit nicht stellen zu müssen, bin ich weit weg geflüchtet, zu einem Freund nach Nashville." Dort sei er fünf Monate lang einfach nur herumgelegen, habe absolut nichts gemacht. Erst danach habe er ganz langsam die Kraft gefunden, sein Berufsleben völlig neu aufzusetzen.

Der Skiflieger hat den Absprung erst fünf Minuten nach zwölf geschafft. Bei Eva Glawischnig und Reinhold Mitterlehner war es fünf vor zwölf. Spät, aber noch nicht zu spät. Noch bevor Österreich im Herbst zu den Urnen schreitet, haben die beiden ihre persönliche Wahl getroffen.