Regierung schickt
Reform ans Parlament

Nach Begutachtung nur Änderungen in Details

Die Bundesregierung schickt heute ihre Kassenreform ohne große Änderungen Richtung Parlament. Die SPÖ hebt das Thema im Nationalrat auf die Tagesordnung und stellt eine "Dringliche Anfrage" an Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein.

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Sozialversicherung - Regierung schickt
Reform ans Parlament

Es bleibt bei der Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger von 21 auf fünf, der Reduktion der Funktionäre zu Ungunsten der Dienstnehmer und der Ablöse des Hauptverbands durch einen schwächeren Dachverband. Nur einzelne Bedenken aus der Begutachtung wurden berücksichtigt.

1 Gesundheitskasse statt 9 Gebietskrankenkassen

Wie geplant gibt es künftig nur noch eine Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) statt der neun Gebietskrankenkassen. Bauern und Selbstständige werden ebenso zusammengefasst wie die Beamten mit Eisenbahn und Bergbau. Die Regierung bleibt dabei, auf diese Weise bis 2023 eine Mrd. Euro einsparen zu können und will das nun auch in das entsprechende Begleitdokument zur Regierungsvorlage hineinschreiben.

In der Begutachtung war heftige Kritik an dem Vorhaben laut geworden: Diverse Verfassungswidrigkeiten (etwa bei der Gremienbesetzung und den Eingriffsrechten der Regierung) wurden geortet, Brüche des Prinzips der Selbstverwaltung, Eingriffe in den Finanzausgleich und in die Versorgungssicherheit für die Bevölkerung. Kritik gab es auch an den Versprechungen, was potenzielle Einsparungen betrifft.

Regierung berücksichtigte Kritik kaum

Nur wenig davon fand man auf Regierungsseite berücksichtigenswert; dennoch seien es rund 40 Änderungen, die den Weg in die Regierungsvorlage gefunden haben, wie man Dienstagabend vor Journalisten erläuterte. So bleibt es dabei, dass in den Gremien von Krankenkasse und Pensionsversicherung (PV) die Arbeitnehmer ihre 4/5-Mehrheit verlieren und die Dienstgeber künftig gleich mächtig sein werden. Der Gewerkschaft sei man aber entgegengekommen, indem nun bei wichtigen Entscheidungen eine doppelte (statt einer qualifizierten) Mehrheit beider Seiten vorgesehen ist.

Nichts ändert sich auch an der halbjährlichen Vorsitzenden-Rotation zwischen Arbeitnehmern und -gebern in diesen Kassen. Im neuen, geschrumpften Dachverband wechseln die Chefs jährlich zwischen den fünf Trägern, insgesamt wird er (wegen der Rotation in ÖGK und PV) innerhalb von fünf Jahren sieben verschiedene Köpfe an der Spitze haben.

Eignungstests für Kassenfunktionäre

Ein weiterer großer Kritikpunkt war die Übergabe der Beitragsprüfung an den Bund. Hier wird nach Angaben aus Regierungskreisen (die fertige Regierungsvorlage lag noch nicht vor, Anm.) nun festgelegt, dass die Kassen der Auftraggeber sind und auch einzelne Prüfungen in Unternehmen veranlassen können.

Auch weitere Punkte, die vor allem Arbeiterkammer und Gewerkschaft wehtun, wurden beibehalten und mit dem nunmehrigen Ministerratsbeschluss nur leicht abgeschwächt. So kommen tatsächlich Eignungstests für Kassenfunktionäre, diese bekommen aber drei Jahre Zeit, dafür zu lernen. Die Aufsichtsrechte des Bundes werden nicht ganz so stark ausgeweitet: So kann er Tagesordnungspunkte in den Gremien nicht mehr absetzen, sondern nur noch verschieben. Zurückgerudert wird auch ein wenig bei der Übergabe von Aufgaben vom Verwaltungsrat an die geschäftsführenden Büros der Kassen.

Neuer Aufteilungsschlüssel der Gelder

Auch bei der Krankenanstaltenfinanzierung wird nun nachgearbeitet, was den neuen Aufteilungsschlüssel der Gelder nach der Umstrukturierung betrifft. Geld in den einzelnen Bundesländern gehe durch die Auflösung der Gebietskrankenkassen nicht verloren, wurde versichert. Zwar gebe es keinen Ausgleichsfonds mehr, aber die Gesamtverträge liefen weiter und die Mittel dazu würden den Landesstellen von der ÖGK zugeordnet.

Als Unterstützer der Regierungsvorlage schickte die Bundesregierung den emeritierten Verwaltungs- und Verfassungsrechtler Bernhard Raschauer aus. Weder durch die Kassenfusion noch durch die Gremienbesetzung, die vermehrten ministeriellen Aufsichtsrechte oder die Beitragsprüfung durch die Finanz werde Verfassungsrecht verletzt, attestierte dieser.

Mehrheiten in Gremien werden umgedreht

In den neu geschaffenen und verkleinerten Gremien der künftig zusammengelegten Sozialversicherungsträger werden auch die Mehrheiten umgedreht. Durch die Parität zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern verlieren die roten Gewerkschafter ihre Mehrheit, wo sie diese derzeit haben - in den Gebietskrankenkassen mit Ausnahme von Tirol und Vorarlberg und in der Pensionsversicherungsanstalt (PVA).

Das zeigen Berechnungen der Arbeiterkammer, die vor allem kritisiert, dass einerseits die Versichertennähe verloren geht und andererseits auch die Arbeiterkammerwahlen künftig nicht mehr entsprechend abgebildet werden. So sind zwar derzeit vier Fraktionen in den AK-Vollversammlungen vertreten, in den künftigen Gremien der auf Basis der AK-Wahlen gebildeten Träger der Unselbstständigen aber nur noch zwei.

Interessant ist auch, dass sich auf schwarzer Seite das Kräfteverhältnis zugunsten des Wirtschaftsbundes verändert, weil die 67 schwarzen Dienstgeber-Mandate alle auf den ÖVP-Wirtschaftsflügel entfallen. Dem stehen nur noch die 14 ÖAAB-FCG-Mandate auf Dienstnehmerseite gegenüber. Damit verändert sich das Verhältnis von 1:2 auf 1:5 zulasten des ÖAAB, erläuterte "Ö1".

"Dringliche Anfrage" an Hartinger-Klein

Die SPÖ hebt das Thema Sozialversicherungsreform auf die Tagesordnung und stellt eine "Dringliche Anfrage" an Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ). Die Oppositionspartei befürchtet "die Zerstörung unseres gut funktionierenden Gesundheitssystems durch die Kassenzentralisierung".

So lautet denn auch der Titel der "Dringlichen" der SPÖ, während die FPÖ für die "Aktuelle Stunde" das Motto "Sozialversicherung Neu als Grundlage einer Gesundheitsreform" gewählt hat. SPÖ-Klubchefin Pamela Rendi-Wagner wirft der Regierung jedenfalls vor, die Kassenzusammenlegung sei das "schlechtest vorbereitete Zentralisierungsvorhaben der Zweiten Republik".

Verschlankung ein "Etikettenschwindel"

Die Kritik der Roten ist mannigfaltig: So sei die angebliche Verschlankung ein "Etikettenschwindel", denn es gebe weiterhin mindestens zehn Träger und 15 Krankenfürsorgeeinrichtungen. Die Zentralisierung führe zu einer schlechteren regionalen Gesundheitsversorgung, das geplante Gesetz schaffe "einen Moloch, der weit weg von den Menschen über ihre Gesundheitsversorgung entscheidet".

»Die Regierung schafft eine Drei-Klassen-Medizin«

Zudem werde die Ungleichheit bei den Leistungen noch weiter verfestigt. "Die Regierung schafft eine Drei-Klassen-Medizin: Ganz oben die PolitikerInnen und BeamtInnen mit den besten Leistungen, dann die Selbstständigen, und schließlich eine dritte, unterste Klasse für die große Mehrheit der sieben Millionen anderen." Die Arbeitnehmer in den Gremien der Sozialversicherung würden zugunsten der Unternehmer entmachtet. Die "WirtschaftsvertreterInnen" aber wollten Selbstbehalte einführen, Leistungen kürzen und Gesundheitseinrichtungen privatisieren, warnt die SPÖ. Das Rotationsprinzip im neuen Dachverband mache eine gezielte Unternehmensentwicklung unmöglich - "kein Unternehmen würde den Vorsitzenden so oft austauschen", beklagt jene Partei, die zuletzt durch personelle Turbulenzen aufgefallen ist, in der Anfragebegründung.

Wird Gesetz vor Verfassungsgerichtshof halten?

Die SPÖ erinnert auch daran, dass Verfassungsexperten glauben, dass das Gesetz vor dem Verfassungsgerichtshof nicht halten wird. Außerdem habe der Rechnungshof in seiner Stellungnahme zum Entwurf klargestellt, dass der Nachweis zum Einsparungspotenzial von einer Milliarde Euro fehle. "Die übereilte Fusion der Kassen wird aller Wahrscheinlichkeit nach mehr kosten als sie bringt", glaubt die SPÖ, "sie droht zum teuren Milliardengrab zu werden".

Insgesamt 55 Fragen hat die SPÖ an Gesundheitsministerin Hartinger-Klein: Etwa, ob es noch in dieser Legislaturperiode eine Leistungsharmonisierung geben werde, wie sich die versprochene Milliarde an Einsparungen konkret zusammensetze, und ob sie Leistungseinschränkungen ausschließen könne.

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